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Artikel

Makedonski Valdeavellano, Paul Maquet et al. (Hg.):
Caminos de transición
Alternativas al extractivismo y propuestas para otros desarrollos en el Perú

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Makedonski Valdeavellano, Paul Maquet et al.: Caminos de transición - Alternativen zum Extraktivismus in PeruViel wurde bereits über den (Neo-)Extraktivismus geschrieben. Die negativen Auswirkungen sind vielfältig. Das betrifft zunächst die Umwelt z.B. durch riesige Tagebaue, Öllecks, Abholzung, Gewässerverschmutzung oder Schwermetallverunreinigungen. Doch nicht nur die Natur leidet unter der Ausbeutung der nicht-erneuerbaren Rohstoffe, sondern regelmäßig auch die im Umfeld der Abbaugebiete wohnenden indigenen Gemeinden oder die lokalen Bauernkommunen. Nicht zuletzt bringt der (Neo-)Extraktivismus zahlreiche Probleme für die wirtschaftliche Entwicklung mit sich, z.B. Rent-seeking, Enklavenwirtschaft, die Aufwertung der Währung, die Verminderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit[1] und die starke Abhängigkeit von Weltmarktpreisen.

Eine neue Publikation widmet sich angesichts all dieser Schattenseiten den Alternativen dieses „Entwicklungsmodells“. Die Herausgeber Paul Maquet Makedonski Valdeavellano, Armando Mendoza Nava und Ana Romero Cano haben sich die Aufgabe gestellt, in ihrem Sammelband „Caminos de Transición. Alternativas al extractivismo y propuestas para otros desarrollos en el Perú” (Wege der Transition. Alternativen zum Extraktivismus und Vorschläge für andere Entwicklungen in Peru; liegt auf Deutsch noch nicht vor) verschiedene Autoren mit innovativen Ansätzen zu Wort kommen zu lassen. In neun Beiträgen versuchen angesehene peruanische Wissenschaftler, für das Wirtschaftssystem als Ganzes und im Besonderen für die Sektoren Bergbau, Landwirtschaft und Fischerei Alternativen zum traditionellen Exportsystem natürlicher Rohstoffe darzulegen.

Peru: Erdöl, Ölpest, Regenwald, Loreto - Foto: AidesepDen Kontext für diese Publikation bildet zum einen die (in gesellschaftskritischen Kreisen) als notwendig erachtete Abkehr vom (Neo-)Extraktivismus als solchem. Zum anderen setzt sich in Peru immer mehr die realpolitische Erkenntnis durch, dass auch die Regierung von Ollanta Humala (Präsident seit 2011), obwohl mit großen Erwartungen gestartet, diesen Wandel nicht herbeiführen wird [2]. Angekündigte Vorhaben wie die Volksbefragung zur territorialen Neuordnung (inklusive Bergbau) sind in Vergessenheit geraten, während die Vorherige Konsultation (consulta previa) nach wie vor von der Regierung – speziell in den Regionen der Sierra – ignoriert werden. Und die Reform des Systems der Umweltverträglichkeitsprüfungen (Systema de certificación ambiental) kam über die Gründung einer neuen Institution, dem Nationalen Dienst für die Umweltzertifizierung (Servicio Nacional de Certificación Ambiental, SENACE) nicht hinaus.

Vor diesem Hintergrund und der geplanten klaren Ausrichtung des Buches auf die Alternativen zum Extraktivismus bleiben die meisten Beiträge dann doch wieder bei den Symptomen hängen. Es ist dies der einzige – wenngleich ein schwerwiegender – Schwachpunkt der Publikation.

Hinsichtlich der vorgestellten alternativen Entwicklungswege macht Xavier Ricard Lanata deutlich, dass die Verringerung der Abhängigkeit vom Export nicht-erneuerbarer Ressourcen für Peru unabdingbar ist. Deshalb gehen die im folgenden Beitrag von José De Echava unterbreiteten Vorschläge hinsichtlich einer Neugestaltung der Umweltgesetzgebung sowie deren Implementierung, einer stärkeren Partizipation der lokalen Bevölkerung und der Regionalisierung des Landes (Dezentralisierung) nicht weit genug. Dennoch stellt er die alles entscheidende Frage: Wie viel Bergbau braucht das Land in den nächsten Jahren, um seine wirtschaftliche, soziale und ökologische Lebensfähigkeit zu garantieren (S. 80)?

Nach Ansicht von César Gamboa et al. wird Peru zumindest bei der Energieversorgung nicht umhinkommen, Erdgas als Brückenressource zu nutzen. In Anbetracht der hohen Abhängigkeit von Ölimporten „müsse begonnen werden, verstärkt nach Lagerstätten von Erdgas zu suchen“ (S.130). Es stellt sich für den Leser die Frage, ob es keine bessere Alternative gibt, zumal neue Konflikte in den betroffenen Regionen mit den zum Teil in Isolation lebenden Ureinwohnern voraussehbar sind.

Peru: Landwirtschaft, Indigene - Foto: Quetzal-Redaktion, sscSehr klar und deutlich ist hingegen der Beitrag von Fernando Eguren. Der Experte für die peruanische Landwirtschaft betont, dass es trotz aller personellen Wechsel im Agrarministerium zwei grundlegende Kontinuitäten gibt: zum einen die Förderung einer Exportwirtschaft auf Basis moderner Großbetriebe; und zum anderen die Verdrängung der kleinen Familienlandwirtschaft. Seiner Meinung nach wäre allerdings mit Blick auf eine post-extraktivistische Gesellschaft eine Umkehr dieser Agrarpolitik notwendig. Der Staat solle laut Eguren nicht das Agrobusiness mit großzügigen Investitionen wie für verschiedene teure Bewässerungsprojekte fördern, sondern die Kleinlandwirtschaft (S. 187ff.). Hierbei gilt es zuvorderst, Lösungen für die hohen Transaktionskosten v.a. bei Transport und Information der Landwirte – speziell in der Sierra – zu finden.

Hinsichtlich der Umgestaltung des Wirtschaftsmodells im Ganzen zeigt Germán Alarco Tosoni im besten Beitrag des Bandes den vielversprechendsten Weg auf. Als Startpunkt verweist er auf die geringe internationale Wettbewerbsfähigkeit der peruanischen Wirtschaft infolge einer ständigen Aufwertung der Währung, die sich durch die Exporte der nicht-erneuerbaren Ressourcen ergibt. Als möglichen Ausweg zeichnet er zunächst die Entwicklung der asiatischen Tigerstaaten (Japan, Taiwan, Südkorea, Singapur) nach. Dann liefert er Anhaltspunkte für verschiedene Gangarten der Umgestaltung in Bezug auf

  • die Intervention des Staates (freier Markt oder partielle Marktkontrolle),
  • die Ausrichtung des Handels (nach außen, innen oder gemischt),
  • auf das Wachstumsmodell (ausgewogen oder unausgewogen – balanced or unbalanced growth)
  • und den Zeitraum der Umgestaltung (Schocktherapie oder graduell).

All diese Wege beruhten folglich auf einer aktiven Industriepolitik dieser Länder. Eine solche Entwicklung ist heute aber nur noch sehr eingeschränkt möglich (S. 244 ff.). Das liegt vor allem an den Begrenzungen, die sich aus der Unterzeichnung der internationalen Verträge der Welthandelsorganisation (WTO) ergeben – und natürlich an den Einschränkungen aus den bilateralen Freihandelsverträgen mit den USA und der EU. All diese Verträge engen die Möglichkeiten des peruanischen Staates zu einer eigenständigen Industriepolitik stark ein; als Beispiel sei lediglich auf die weitgehend verloren gegangene Hoheit bei den Zöllen und Exportbeschränkungen verwiesen.

Peru: Ökotourismus als Alternative zur Goldsuche in Madre de Dios - Foto: Quetzal-Redaktion, sscTrotzdem identifiziert Germán Alarco Tosoni sechs Elemente, die eine Diversifizierung der peruanischen Wirtschaft möglich machen könnten. Wichtigstes Kriterium für einen solch radikalen Umbruch sei demnach die ausgesprochen starke Rolle der Regierung in diesem Prozess, der unabdingbar auf einem gesellschaftlichen Konsens beruhen müsse. Nur so ließen sich institutionelle und notwendige gesetzliche Änderungen umsetzen. Zudem müssten die wirtschaftlich-finanziellen Ressourcen diesem neuen Paradigma angepasst werden. Wünschenswert wäre zudem eine Unterstützung aus der Privatwirtschaft – obwohl viele der jetzigen Unternehmen von der etablierten Struktur profitieren und ungern auf ihre Pfründe werden verzichten wollen oder aufgrund ihres multinationalen Charakters wenig Interesse an der nationalen Entwicklung Perus haben. Die vom Autor genannten Vorschläge umfassen

  • die Förderung von Klein- und Mittelunternehmen,
  • die Unterstützung einer diversifizierten Exportwirtschaft,
  • die stärkere An- und Einbindung des Landwirtschaftssektors in den Markt,
  • die Etablierung einer Öko-/Biowirtschaft (wiewohl er dies kritisch sieht),
  • den Ausbau der landesweit existierenden Cluster und
  • die Unterstützung der künstlerischen Aktivitäten.

Leider – so muss man sagen – wurden diese sehr guten Ansätze im Buch nicht aufgegriffen und vertieft. Und so bleibt der Artikel in gewissem Maße isoliert von den anderen Beiträgen im Sammelband.

Der abschließende Beitrag von Carlos Monge widmet sich den Entwicklungen in anderen südamerikanischen Staaten, die stark durch den Extraktivismus geprägt sind (v.a. Venezuela, Ecuador, Bolivien). Dort kam es infolge der Wahl einer neuen Linken zwar zu einer Umverteilung der Rohstoffrenten. Aber die Struktur der Wirtschaft – basierend auf der Ausbeutung nicht-erneuerbarer Ressourcen – blieb gleich. Mit Blick auf die ökologischen Folgen und die Beteiligung der indigenen Bevölkerung relativiert sich das Erreichte weiter. Und hätte der Autor den Niedergang der venezolanischen Wirtschaft ab 2014 gänzlich vor Augen gehabt, sein Aufruf für eine Änderung des Exportmodells in Peru wäre noch eindringlicher gewesen.

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[1] Siehe hierzu auch den Beitrag von Germán Alarco Tosoni im vorliegenden Band.

[2] Siehe hierzu auch den Beitrag von José de Echave im vorliegenden Band.

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Makedonski Valdeavellano, Paul Maquet et al. (Hg.)

Caminos de Transición.

Alternativas al extractivismo y propuestas para otros desarrollos en el Perú

CooperAcción, 276 S., Lima, 2014

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Bildquellen: [1], [3], [4] Quetzal-Redaktion, ssc; [2] Asociación Interétnica de Desarrollo de la Selva Peruana_

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