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Das peruanische Wunder

La Semana | | Artikel drucken
Lesedauer: 8 Minuten

Peru: der Hafen Puerto de Callao - Foto: Quado678In Peru passiert gerade etwas Erstaunliches. Obwohl die Wirtschaft des Landes stärker wächst als in praktisch jedem anderen Land der Region, gehören seine Präsidenten zu den unbeliebtesten des Kontinents.

Laut dem Internationalen Währungsfond (IWF) wird die peruanische Wirtschaft dieses Jahr noch um 3,7% wachsen. Sie weist nach Bolivien (3,8%) das zweitgrößte Wachstum auf und liegt damit über Kolumbien (2,5%), Mexiko (2,4%) und Chile (1,5%), den drei anderen Mitglieder der Pazifischen Allianz. Gemäß dem IWF wird Perus Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis zum Jahr 2017 um 4,1% steigen und so seine Nachbarländer in der Region übertreffen. Diese Bekanntgabe überrascht nicht, da sich bereits seit zahlreichen Jahren die guten Neuigkeiten über die peruanische Wirtschaft verbreiten.

Es war kein Zufall, dass der IWF und die Weltbank dieses Land zum Gastgeber der Jahresversammlung im Oktober vergangenen Jahres ernannten. Laut diesen Institutionen ist der Wandel, den die peruanische Wirtschaft während des letzten Vierteljahrhunderts durchgemacht hat, bemerkenswert.

Aktuelle Zahlen unterstreichen diese neue Wirklichkeit. Vorbei sind die Zeiten von Terrorismus, Hyperinflation zum Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre und die hohen Staatsschulden, die ungefähr 70% des peruanischen Bruttoinlandproduktes ausmachten. Heutzutage weist Peru den Statistiken der Institution zufolge nicht nur die zweitgrößte wirtschaftliche Wachstumsrate Lateinamerikas der letzten Dekade auf, sondern auch die niedrigsten Kennzahlen einer Inflation. Ebenso weist es eine deutliche Reduzierung der Staatsschulden vor, welches sich positiv auf Ratings zu Investitionsmöglichkeiten und einem Zugang zu Kapitalmärkten auswirkt.

Die wirtschaftliche Expansion ermöglichte einen starken Einkommensanstieg, was eine Reduzierung der nationalen Armutsrate innerhalb von wenig mehr als einer Dekade auf nur die Hälfte ermöglichte; von 54,7% im Jahre 2002 auf 22,7% im Jahr 2014. Viele nannten diese im Vergleich zum Großteil der Region abweichende Situation das peruanische Wunder, eine Bezeichnung, die manchen jedoch übertrieben erscheint.

Es gibt viele Gründe, die den wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes während des 21. Jahrhunderts erklären, trotz der internationalen Wirtschaftskrise und der Unbeliebtheit seiner Präsidenten in der Region. Der Hauptgrund liegt bei den hohen Rohstoffpreisen, wie z.B. Kupfer, Eisen- und Zinkerz. Peru ist der drittgrößte Kupferproduzent der Welt, und allein im Jahr 2012 kaufte China, Hauptabnehmer dieses Erzes, ein Drittel der peruanischen Produktion.

Die Weltbank hob vergangene Woche hervor, dass Peru im intraregionalen Vergleich besonders gut mit den steigenden Rohstoffpreisen umgegangen sei. Peru sparte den Großteil der Erträge aus dem Aufschwung und schaffte es mit deren Hilfe, die Staatsschulden als Prozentwert des BIP in Höhe von 27%, im Jahr 2009, auf 20% im Jahr 2014 zu reduzieren. So ist offensichtlich, dass heute, nach dem Rohstoffboom, nach dem Ausbremsen der Wirtschaft und der daraus resultierenden Steuersenkung, die finanzielle Situation wie im Großteil der Länder in der Region angeglichen wurde. Laut peruanischen Analytikern müsste im Falle einer andauernden wirtschaftlichen Ausbremsung die Regierung neue Kredite aufnehmen, was die Staatsschulden bis zum Jahr 2018 von 22% bis 25% des BIP erhöhen könnte.

Peru hat den den richtigen Weg eingeschlagen, als es diverse Freihandelsabkommen unterzeichnete, um so sein Wirtschaftswachstum anzukurbeln und seinen Markt zu erweitern. Ebenso verfuhr es in der Zusammenarbeit mit Asien, insbesondere mit China, seinem größten Handelspartner.

Im Allgemeinen macht das ehemalige Land der Inka seine Hausaufgaben sehr gut. Die Unabhängigkeit der Zentralbank, die angestrebte Inflationsrate, der Steuerbescheid und die gemäßigten Ausgaben hatten makroökonomische Stabilität und Glaubwürdigkeit in den Augen von Investoren und internationalen Märkten zur Folge.

Eine gute Wette

Peru: Quinua-Getreide  - Foto: Maurice ChédelViele, die vom peruanischen Wunder sprechen, beziehen sich normalerweise auf den Agrarsektor, der gerne als das Zugpferd des peruanischen Exports bezeichnet wird. Viele Länder, darunter Kolumbien, stellen sich die Aufgabe, herauszufinden, wie Peru es geschafft hat, sich in einen der zehn größten Nahrungslieferanten der Welt zu verwandeln und seine Landwirtschaft zu modernisieren.

Dieser Sektor wuchs zwischen 2011 und 2014 um 3,2% und begleitete den Bergbau sowie den Fischfang als Entwicklungsantrieb. Experten betonen, dass der Obst- und Gemüseexport mit einem hohem Anteil an Technologieeinsatz an weit entfernte Orte wie China geht. Eine Tatsache, die man früher für unmöglich gehalten hat. Das exportfähige Angebot wird größer, während die Anzahl an Hygienevorschriften sinkt.

Peru: Maca-Wurzel - Foto: Sebastian FreireDem Landwirtschafts- und Bewässerungsministerium Perus zufolge ist das Land der weltweit größte Produzent und Exporteur von Quinua, Spargel und Maca [einer andinen Knollenfrucht, die Redaktion]; der drittgrößte für Avocados und Artischocken; der viertgrößte für getrocknete Paprika; der fünfgrößte für Oliven und Bohnen; der sechsgrößte für Mangos und siebtgrößte für Mandarinen und Ingwer. Peru ist ebenfalls das zweite Exportland für Biokaffee. Die Fortschritte des landwirtschaftlichen Sektors waren so beachtlich, dass Analytiker zu beobachten meinen, dieses Wachstum stelle einen Arm der peruanischen gastronomischen Revolution dar, die schon die ganze Welt ins Staunen versetzt hat.

Die Entwicklung der Landwirtschaft war aufgrund des hohen Anteils des nationalen Territoriums, der mit Wüste bedeckt ist, eine große Herausforderung. Ein Beispiel für die Ausweitung landwirtschaftlicher Nutzflächen ist das Bewässerungsprojekt OLMOS, welches einen 20 Kilometer langen Trans-Anden-Tunnel zum Wassertransport von der peruanischen Amazonas Region in den Westen beinhaltet. Dieses Megaprojekt, 2014 vom Präsidenten Ollanta Humala freigegeben, verwandelte 38.000 Hektar Wüstenlandschaft in fruchtbare Böden und passte weitere 5.500 Hektar zur Bewirtschaftung in geringer Produktion an. OLMOS ist wahrhaftig revolutionär. Es haben sich bereits große Unternehmen mit Saatfeldern niedergelassen, und eine neue Ära des Exports brach an.

Die peruanische Entwicklung gibt sich auf verschiedene Art und Weise zu erkennen. Im März 2013 schloss das Magazin Forbes zum ersten Mal in seine Liste der reichsten Menschen der Welt unter lauter Bankierers, Bergbaumagnaten und Großunternehmern zehn Peruaner mit ein. Internationale Marken, Einkaufszentren, neue Hotels und riesige Gebäude sind Kronzeugen des wirtschaftlichen Fortschritts.

Dieser wirtschaftliche Erfolg steht im Kontrast zur Politik. Obwohl die Beliebtheit der letzten drei Präsidenten im Rückgang war, stieg das BIP stetig. Die Zahlen zeigen den eindeutigen Kontrast. Während die Beliebtheit des Präsidenten Humala im vergangenen Dezember auf 17% fiel, wuchs die Wirtschaft 2015 um 3,26%, die zweitgrößte Wachstumsrate in der Region. Der peruanische Präsident Alan García beendete seinerseits 2011 seine zweite Amtszeit mit einer Zustimmung von 42 %, beinahe der höchste Prozentsatz während seiner Amtszeit, obwohl die Wirtschaft im selben Jahr über 6% anwuchs. Die Zustimmung von Alejandro Toledo (2001-2006) fiel zur Hälfte der 5 Jahren auf 6% ab. Und das, obwohl das Land zu Zeiten seines Rücktritts ein Wirtschaftswachstum von über 7% erlebte.

Analytiker sind der Meinung, dass der Grund dafür die Finanzdisziplin der Präsidenten sei und die Tatsache, dass sie sich nicht von der Orthodoxie getrennt und stets an die Veränderungen geglaubt haben. Das allerwichtigste jedoch sei, dass sie bei ihrem Amtsantritt und während ihrer Amtsezit nicht die Ängste bekräftigten, die während ihres Wahlkampfes aufgekommen waren.. So glaubte man zum Beispiel, als der linksgerichtete Präsident Ollana Humala(2011) gewann, dass er die Rolle des Staates in der Wirtschaft erweitern und die Staatsausgaben erhöhen sowie den Wirtschaftsboom der letzten Dekade ausbremsen würde. Dies trat jedoch nicht ein; er hielt die Staatsausgaben niedrig und blieb ein Freund privater Investitionen.

Peru: Mine Cerro de Pasco - Foto: OttocarottoAnfang Juni mussten sich die Wähler zwischen Keiko Fujimoi (Fuerza Popular) und Pedro Pablo Kuczynski (Peruanos por el Kambio) entscheiden. Für manche repräsentierte die erstgenannte – Tochter des kontroversen Expräsidenten Alberto Fujimori (1990-2000) – puren Autoritarismus und eine große Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität. Nichtsdestotrotz erhielt sie die Mehrheit der Stimmen und schritt mit dem Versprechen, das aktuelle Wirtschaftsmodell Humalas beizubehalten, in die zweite Runde. Für ihren Teil konnte sie ebenso wenig alle Sektoren des liberalen Diskurses Kuczynskis überzeugen, der in der Weltbank sowie im Internationalen Währungsfond arbeitete und bereits öfters Staatsminister war. Allerdings bleibt sie die Kandidatin der Investoren und der Märkte, da sie internationale Direktinvestitionen, Unternehmen und den Fortbestand der derzeitigen Steuerpolitik unterstützt.

Tatsache bleibt jedoch, dass man unabhängig vom Sieger das peruanische Wunder nicht ausbremsen lassen darf, was nicht einfach ist, da die internationalen Umstände komplex sind und die Rohstoffpreise nicht mehr wie früher steigen. Peru muss seine wirtschaftlichen Institutionen stärken, weiterhin mehr Fachkräfte ausbilden, die Qualität der grundlegenden Dienstleistungen verbessern, insbesondere des Bildungssystems, und den Fortschritt in die Gegenden seines Landes bringen, wo die Armutsrate immer noch alarmierend hoch ist.

Zusammenfassend gibt es mehr als genug Gründe, die bestätigen, dass Peru eine herausragende Erfolgsgeschichte aufweisen kann, obwohl, merkwürdigerweise, der wirtschaftliche Erfolg nicht die große Unbeliebtheit seiner Präsidenten verhindern kann.

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Übersetzung aus dem Spanischen: Bruno Aragon

Original-Beitrag aus La Semana vom 16.04.2016 (Ausgabe 1772). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.

Bildquellen: [1] Quado678_, [2] Maurice Chédel, Public Domain [3] Sebástian Freire_, [4] Ottocarotto_

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