Im ersten und im zweiten Teil der Artikel-Serie wurden die Etappen und Metamorphosen der Monroe-Doktrin und ihre Neuausrichtung in der zweiten Amtszeit von Donald Trump (Trump 2.0) behandelt. Die neue Etappe, die dort und auch im weiteren als Monroe 4.0 bezeichnet wird, soll in diesem dritten Teil näher analysiert werden. Ausgehend von der Agenda der Trump’schen Lateinamerika-Politik werden zunächst deren wichtigsten Politikfelder und die sich daraus ableitende Rollenzuschreibung für besonders relevante Länder der Region vorgestellt, um dann auszuloten, über welche Spielräume diese verfügen, wobei der Frage der Souveränität im Zentrum steht.
Monroe 4.0 zwischen Anspruch und Realität (Teil 3)
Aus den bisherigen Ankündigungen und Aktivitäten der zweiten Trump-Administration (Trump 2.0) lassen sich erste Schlussfolgerungen für ihre Lateinamerika-Politik ziehen. Wie bereits festgestellt wurde, geht es in erster Linie darum, die gesamte Westlichen Hemisphäre zur maßgeblichen geopolitischen Plattform der Verteidigung der Vormachtstellung der USA umzugestalten. Aus der Sicht Washingtons bestimmten bislang innen- und integrationspolitische Politikfelder wie Migration und die Ausgestaltung der nordamerikanischen Integration mit Kanada und Mexiko als Hauptpartner die Politik gegenüber Lateinamerika. Zwar wurde das ökonomische Vordringen Chinas misstrauisch beäugt und rebellische Volksbewegungen mussten hin und wieder unter dem Deckmantel des „War on drugs“ bekämpft werden. Insgesamt galt die Region aber nach wie vor als „Hinterhof“, in dem Washington seinen Anspruch als alleinige Ordnungsmacht trotz aller Ausbruchversuche aus der neokolonialen Abhängigkeit aufrechterhalten konnte. Unter den Bedingungen einer multipolaren Welt, zu deren Anerkennung sich US-Außenminister Marco Rubio bereits zu Beginn seiner Amtszeit durchgerungen hatte, genügt dies jedoch nicht mehr. Für die Bündelung der Kräfte des geschwächten Empires im Kampf gegen China und die BRICS kommt nur der amerikanische Doppelkontinent infrage, was weitreichende Konsequenzen für dessen südlichen Teil zeitigt. Welche neuen Schwerpunkte zeichnen sich ab und was unternimmt die Trump-Administration, um ihre Agenda in Lateinamerika durchzusetzen?
Trumps Lateinamerika-Agenda
Aus der Perspektive des „America first!“ sind in Hinblick auf Lateinamerika vier Politikfelder von besonderer Relevanz. Innenpolitisch steht die Migrationspolitik an erster Stelle. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Erstens stammen die meisten Migranten aus Lateinamerika, zweitens bildet die Nordgrenze Mexikos das mit Abstand wichtigste „Einfallstor“ für die Menschen, die in den USA ihr Glück suchen. Dass der Anteil derjenigen, die dies auf nichtlegale Weise versuchen, entsprechend hoch ist, liegt auf der Hand. Von den 72 Millionen Menschen, die zwischen 1965 und 2024 in die USA eingewandert sind, stammt die Hälfte aus Lateinamerika. Asien (ohne Nahen Osten) ist mit 27 Prozent die zweitgrößte Herkunftsregion. Der Anteil Europas liegt nur noch bei 12 Prozent. Mexiko, aus dem ein Viertel der Migranten (17,8 Millionen Menschen) kommt, ist mit deutlichem Abstand nicht nur das größte Einwandererland, sondern auch der einzige Staat südlich der USA, der mit diesen eine Landgrenze teilt (Länge: 3.145 km). Innerhalb Lateinamerikas sind nach Mexiko die Karibik (10 Prozent) und Zentralamerika (9 Prozent) die wichtigsten Herkunftsregionen. Gemessen an der Gesamtbevölkerung, die in Zentralamerika ca. 53 Millionen Menschen umfasst, nimmt sich der Anteil Südamerikas, der ebenfalls bei 9 Prozent liegt, wo aber mehr als 440 Millionen leben, gering aus (alle Angaben hier).
Ein zweites Problem, dem sich Trump 2.0 gegenübersieht, ist die chinesische Herausforderung. Diese weist zwei Dimensionen auf. Auf globaler Ebene gilt die Volksrepublik parteiübergreifend als die einzige Macht, die die USA von ihrer Hegemonialposition verdrängen könnte und avanciert damit zum Hauptfeind Amerikas. Auf kontinentaler Ebene findet diese Konstellation ihre Entsprechung in der wirtschaftlichen Expansion Chinas ausgerechnet dort, wo die Monroe-Doktrin das Eindringen „raumfremder Mächte“ verhindern soll. Betrachtet man den Außenhandel der beiden Rivalen mit Lateinamerika, dann hat sich das Kräfteverhältnis in den letzten 20 Jahren dramatisch zugunsten der Volksrepublik verändert. Zwar ist der Anteil der USA sowohl bei den Gesamteinfuhren (Tabelle 1) als auch bei den Gesamteinfuhren (Tabelle 2) trotz eines Rückgangs von etwa 15 Prozent im Zeitraum zwischen 2002 und 2022 mit 31,4 Prozent bei den Importen und 42,1 Prozent bei den Exporten nach wie vor am größten.
Tabelle 1: Anteil Chinas, der USA und Deutschlands an den Gesamteinfuhren Lateinamerikas* (in %)
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2002 |
2006 |
2010 |
2014 |
2018 |
2020 |
2022 |
Bilanz |
USA |
46,4 |
33,9 |
30,4 |
31,6 |
32,3 |
31,2 |
31,4 |
-15,0 |
China |
3,7 |
9,0 |
14,4 |
16,6 |
18,4 |
20,6 |
20,9 |
+17,2 |
Deutschland |
4,3 |
3,8 |
4,2 |
3,9 |
3,9 |
3,8 |
3,1 |
-1,2 |
Quelle: UN Comtrade 2024
Vergleicht man jedoch die rückläufigen Zahlen der USA im Außenhandel mit Lateinamerika mit dem rapiden Aufstieg Chinas, der im selben Zeitraum bei den Importen von 3,7 auf 20,9 Prozent und bei den Exporten von 1,9 auf 12,9 Prozent gestiegen ist, dann wird klar, dass Washington im „eigenen Hinterhof“ dramatisch an Einfluss verloren hat.
Tabelle 2: Anteil Chinas, der USA und Deutschlands an den Gesamtausfuhren Lateinamerikas*(in%)
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2002 |
2006 |
2010 |
2014 |
2018 |
2020 |
2022 |
Bilanz |
USA |
57,6 |
48,0 |
36,6 |
42,8 |
44,3 |
44,5 |
42,1 |
-15,5 |
China |
1,9 |
3,4 |
7,8 |
8,7 |
11,9 |
13,7 |
12,9 |
+11,0 |
Deutschland |
1,7 |
2,2 |
2,0 |
1,6 |
1,7 |
1,6 |
1,5 |
-0,2 |
Quelle: UN Comtrade 2024
*Hierzu gehören folgende Länder: Antigua und Barbuda, Argentinien, Aruba, Bahamas, Barbados, Belize, Bermuda, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Dominica, Costa Rica, Kuba, Dominikanische Republik, Ecuador, Guatemala, Guyana, Haiti, Honduras, Jamaika, Mexiko, Montserrat, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Salvador, Suriname, Trinidad und Tobago, Uruguay, Venezuela
Angesichts der offen ausgebrochenen Kämpfe um strategische Rohstoffe und Einflussgebiete gewinnt die Kontrolle über Lieferketten, Handelsrouten und Lagerstätten für alle Großmächte eine existentielle Bedeutung. Aus der Sicht der USA stellen diese geoökonomischen Verteilungskämpfe drittens insofern eine besondere Herausforderung dar, weil sie ihre Position als „einzige Weltmacht“ verloren haben und nun – um jeden Preis (?) – verhindern müssen, dass ihr Abstieg nicht zu einer Bruchlandung wird. Dies führt zu der Frage, welche geostrategischen Konsequenzen sich viertens aus dieser globalen Umbruchsituation für Lateinamerika ergeben, wobei zwei Seiten zu beachten sind. Erstens muss noch genauer ausgelotet werden, ob und wie Trump die westliche Hemisphäre zur Plattform der USA im Kampf um die Neugestaltung der globalen Machtverhältnisse um- und ausbauen will. Daraus ergibt sich zweitens die Frage, wie die Länder Lateinamerikas auf diesen Angriff reagieren werden. Ein dritter Aspekt, der gesondert zu behandeln wäre, sind die Entwicklungen in den anderen Weltregionen und deren Auswirkungen auf die Westliche Hemisphäre.
Erste Schritte zur Umsetzung der Agenda
Eine der ersten Maßnahmen der neuen Administration war eine deutliche Verschärfung der Migrationspolitik. Nach euphorischen Ankündigungen zur Abwehr illegaler Einwanderer und einer Welle brachialer Abschiebungen von Migranten sieht sich Trump neuerdings gezwungen, seinen Kurs zu mäßigen. So musste die Regierung nach massiven Protesten ihre Strategie der Massenabschiebungen ändern. Beamte der Einwanderungsbehörde ICE sind neuerdings angewiesen, Razzien und Festnahmen in Landwirtschaftsbetrieben, Hotels und Restaurants weitgehend auszusetzen. Die Ermittlungen sollen sich weiterhin auf Menschenhandel, Geldwäsche und Drogenschmuggel konzentrieren, gegen „nicht kriminelle Begleitpersonen“ will man aber weniger rigoros vorgehen (Meldung der Tagesschau vom 14.6.2025). Hier zeigt sich der „alte“ Widerspruch der Migration im modernen Kapitalismus: Einerseits beschert sie dem Staat sicherheits- und sozialpolitische Probleme, die zu gesellschaftlicher Unruhe und Instabilität führen (können), andererseits werden die Migranten als billige Arbeitskräfte benötigt.
In der US-Zollpolitik kommen die lateinamerikanischen Länder vergleichsweise gut weg, da sie den USA gegenüber zumeist ein Handelsdefizit zu verbuchen haben. Nur Mexiko erwirtschaftet im bilateralen Handel, der 2024 ein Volumen von etwa 839,9 Milliarden US-Dollar aufwies, einen beachtlichen Überschuss von ca. 171,8 Milliarden US-Dollar. Das Land ist aktuell vor Kanada (762 Mrd. Dollar) und China (562,5 Mrd. Dollar) der wichtigste Handelspartner der USA. Rund 80 Prozent der mexikanischen Exporte gehen in das nördliche Nachbarland, während umgekehrt der Anteil der US-Exporte, die für Mexiko bestimmt sind, sich lediglich auf 16 Prozent der Gesamtausfuhren beläuft.
Die territorialen Ansprüche, die Trump gegenüber Kanada, Grönland und Panama erhoben hat, verweisen auf die sicherheitspolitischen Aspekte seiner Agenda. Zum einen zielen sie auf die Kontrolle strategischer Handelsrouten (Panamakanal, Nord-West-Passage in der Arktis, Dänemarkstraße zwischen Island und Grönland), zum anderen auf die Rohstoffe, die durch den Klimawandel in der Nordpolarregion zugänglich werden. Inwieweit sich diese großspurigen und provokativen Forderungen umsetzen lassen, ist derzeit schwerabzuschätzen. Erste Erfolge konnte Trump im Falle Panamas erzielen. So kündigte Präsident Mulino nach einem Gespräch mit US-Außenminister Marco Rubio an, Panama werde aus Chinas Belt and Road Initiative (BRI – auch: Neue Seidenstraße) austreten. Nach entsprechendem Druck kündigte der Hongkonger Mischkonzern CK Hutchison an, seine Anlagen in Colón und Balboa an den beiden Mündungen des Kanals sowie weltweit 41 weitere in 20 Ländern für etwa 19 Milliarden US-Dollar an den US-Finanzinvestor Blackrock zu verkaufen. Trumps Forderung, die Mulino vorerst zurückgewiesen hat, betrifft die kostenlose Durchfahrt für US-Handelsschiffe. Immerhin ist sie aber für US-Kriegsschiffe erlaubt.
Mexiko als Sonderfall
Bei dieser Frage sind zwei Aspekte – der sicherheitspolitische und der geoökonomische – zu unterscheiden, die zwar miteinander verbunden sind, beim jeweiligen Länderfall aber einer konkreten Bestimmung und Gewichtung bedürfen. Sicherheitspolitisch sind vor allem die geostrategische Lage und die Einordnung in das Freud-Feind-Raster Washingtons relevant. Geoökonomische Kriterien beziehen sich in erster Linie auf Größe und Einbindung der Volkswirtschaft in den Weltmarkt sowie auf den Ressourcenreichtum des jeweiligen Landes. In allen vier Punkten nimmt Mexiko eine Sonderrolle ein. Seit der Unabhängigkeit des Landes setzen die USA alles daran, dass ihr südlicher Nachbarn ihnen nicht gefährlich werden kann. In dieser Hinsicht zeitigt der geographische Faktor für beide Seiten ambivalente Folgen. Für Mexiko hat die unmittelbare Nachbarschaft zu dem „Koloss im Norden“ vor allem drei Konsequenzen: Abhängigkeit, Einmischung und territoriale Verstümmelung. Der Bogen reicht vom Krieg 1846-1848, in dem Mexiko die Hälfte seines Territoriums an die USA verloren hat, über die US-Interventionen während der Revolution von 1910 bis zur Zurichtung des Landes als Musterschüler der neoliberalen Konterrevolution, die 1994 in die Zugehörigkeit Mexikos zur Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) mündete. Faktisch funktioniert das lateinamerikanische Land heute als Weiterung des US-Marktes.
Diese strukturellen Zwänge sind inzwischen so stark geworden, die auch links gerichtete Präsidenten wie Andrés Manuel López Obrador (AMLO) und Claudia Sheinbaum, die seit Juni 2024 das Land regiert, nur sehr begrenzte Spielräume haben, ihr Streben nach mehr Souveränität umzusetzen. Die Kehrseite der Medaille besteht darin, dass die „Lateinamerikanisierung“ der USA infolge wachsender Einwanderung unübersehbar voranschreitet. In der Migrationspolitik der USA spielt Mexiko eine höchst ambivalente Rolle. Zum einen ist es – wie weiter oben bereits aufgezeigt – das Herkunftsland mit den meisten Migranten, zum anderen fungiert es als wichtigstes Transitland für die Einwanderung in die USA. Ein weiteres Problem stellt die organisierte Kriminalität dar. Die mexikanischen Kartelle beliefern den US-amerikanischen Markt mit illegalen Drogen und schleusen Migranten als billige Arbeitskräfte ein. Umgekehrt organisieren sie in umgekehrter Richtung den Waffenschmuggel. Damit wird die mexikanische Grenze sowohl im Norden (zu den USA) als auch im Süden (zu Guatemala) für Washington zu einem sicherheitspolitischen Problem. Die mexikanische Südgrenze fungiert inzwischen als vorgeschobene Sicherheitszone der USA. In allen Feldern der Trump’schen Lateinamerika-Agenda – Migration, Lieferketten, Geopolitik – spielt Mexiko aufgrund seiner unmittelbaren geographischen Nähe eine Schlüsselrolle.
Als Fazit kann man Analogien zum symbiotischen Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine herstellten. In beiden Fällen sind die historischen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Beziehungen so eng, dass der größere „Partner“ (USA bzw. Russland) nur bei Strafe einer existentiellen Gefährdung auf die Kontrolle über den kleineren „Partner“ (Mexiko bzw. Ukraine) verzichten kann. Wobei Washington gegenüber Moskau einen gewichtigen Vorteil hat: Fremde Mächte, die Mexiko in einen „Rammbock“ gegen die US-Hegemonie umwandeln könnten, sind seit dem Scheitern des „mexikanischen Abenteuers“ Napoleons III. 1864-1867 nicht in Sicht. Russland befindet sich in einer ganz anderen Situation. Im Verlauf seiner Geschichte war das Land mehrfach europäischen und westlichen Angriffen ausgesetzt. Nach der Invasion Napoleons I. 1812 und den beiden Weltkriegen muss sich Russland im Krieg mit der NATO, der auf dem Territorium der Ukraine ausgetragen wird, gegen die Expansion des Westens wehren. Darüber hinaus gibt es einen weiteren gravierenden Unterschied: Während Russen und Ukrainer gemeinsame historische Wurzeln haben, fühlen sich die Nachkommen der weißen, protestantischen Siedler, die aus deren Reihen die Gründungsväter und die Elite der USA stammen, den „braunen Mexikanern“, deren indigenen Wurzeln nicht zu übersehen sind, überlegen. Wenn Trump darauf pocht, Amerika wieder groß zu machen, dann hat er vor allem das weiße Amerika im Blick.
Brasilien – der gespaltene Riese
Während Mexikos Schicksal die (politische) Geographie ist, leidet Brasilien, das größte Land Lateinamerikas, an seiner Zerrissenheit, die im Inneren angelegt ist und sich nach außen als Januskopf zeigt. Was ist damit gemeint? Von allen lateinamerikanischen Ländern ist Brasilien wohl am ehesten prädestiniert, eine unabhängige Entwicklung einzuschlagen. Mit einer Fläche von 8,53 Mio. km² (weltweit 5. Platz) und einer Bevölkerung von 212 Mio. Einwohnern (weltweit 7. Platz), mit zahlreichen Bodenschätzen, einer leistungsstarken Landwirtschaft und großer natürlicher Vielfalt verfügt das über günstige Voraussetzungen für eine Erfolgsstory. Für eine solche sprechen auf den ersten Blick auch seine Rolle als Gründungsmitglied der BRICS und sein außenwirtschaftliches Potential. Brasilien ist weltweit führend im Export von Kaffee, Sojabohnen, Baumwolle, Bio-Honig, Rindfleisch, Geflügel, Rohrzucker, Acai-Beeren, Orangensaft, Mate-Tee, Zellulose und Tabak. Die wichtigsten Abnehmer brasilianischer Exporte sind China (mit einem Anteil von 28 Prozent im Jahr 2024), die USA (12 Prozent), Argentinien (vier Prozent), die Niederlande (3,5 Prozent) und Spanien (drei Prozent). Hauptlieferanten Brasiliens sind China (mit einem Anteil von 25 Prozent), die USA (15,5 Prozent), Deutschland, Argentinien (beide 5,1 Prozent) und Russland (4,4 Prozent). Brasilien importiert vor allem Maschinen, elektrische Geräte, chemische Produkte, Erdöl und Erdölerzeugnisse. Zu den wichtigsten Exportgütern gehören mineralische Brennstoffe (17 Prozent), Soja u.a. Ölsaaten (13 Prozent), Erze (10,4 Prozent), Fleisch (7,3 Prozent) und Zucker (6,5 Prozent). Die verarbeitende Industrie hat mit 54 Prozent einen großen Anteil an den Gesamtexporten, gefolgt vom Bergbau (23 Prozent) und der Landwirtschaft (22 Prozent).
Aus den genannten Daten lassen sich zwei Aussagen ableiten. Erstens verweisen sie darauf, dass Brasilien trotz aller Modernisierung nach wie vor in seiner Rolle als Rohstoff- und Agrarlieferant gefangen ist. Ungeachtet der Anstrengungen, die das Land im Rahmen der importsubstituierenden Industrialisierung (ISI) unternommen hatte, ist diese weitgehend gescheitert. Stattdessen hat sich der Trend der Reprimarisierung[i] durchgesetzt. Zweitens geht der Großteil der wichtigsten Exportgüter nach China, dem wichtigsten Außenhandelspartner Brasiliens. Eine Konstante besteht aber nach wie vor: die Dominanz der USA in der Westlichen Hemisphäre. Von außen wirken also zwei gegensätzliche Anziehungskräfte auf Brasilien ein. Auf der einen Seite verstärkt der chinesische Faktor die Einbindung des Landes in den globalen Süden im Allgemeinen und die Zugehörigkeit zu den BRICS im Besonderen. Auf der anderen Seite befindet sich Brasilien in der Einflusszone Washingtons. Aufgrund des Gewichts, das Brasilien in Lateinamerika und der Welt besitzt, stellt das Land für die USA einen Machtfaktor par excellence dar. An dieser Stelle kommen die innerbrasilianischen Machtverhältnisse ins Spiel. Auf diesem entscheidenden Feld verfügen die USA bislang über die besseren Karten. Im Bündnis mit dem Militär, der Oligarchie und den reaktionären Parteien ist es Washington immer wieder gelungen, die verschiedenen Anläufe für einen autonomen Kurs und für Strukturreformen zugunsten der marginalisierten Bevölkerungsmehrheit zu verhindern. Neuerdings können die rechten Kräfte auch mit der Unterstützung durch evangelikale Sekten rechnen. Demgegenüber haben die linken Kräfte wenig Chancen, dieses Kräfteverhältnis grundlegend zu verändern. Zwar sind mit Luiz Inácio da Silva (Lula) 2003-2011 und erneut seit 1. Januar 2023 sowie Dilma Rousseff 2011-2026 linke Präsidenten gewählt worden. Den Gegenkräften ist es jedoch gelungen, grundlegende Reformen zu verhindern und die Linksregierungen auszuhebeln. Die Präsidentschaft von Jair Bolsonaro (2019-2022) hat gezeigt, wie schwach und fragil die Grundlagen für den „Linksruck“ in Brasilien waren und nach wie vor sind. Das Agieren Brasiliens in den BRICS deutet darauf hin, dass Washington massiven Druck auf Lula ausübt. Es ist sicher auch kein Zufall, dass der brasilianische Präsident zusammen mit seinem südafrikanischen Amtskollegen Ramaphosa sowie dem indischen Ministerpräsidenten Modi im Juni zum Gipfel der G7 eingeladen worden war. Angesichts des Tempos und der jähen Wendungen, mit denen sich die globalen Machtverschiebungen vollziehen, kommt der Frage, wie sich Brasilien künftig zwischen Washington und Peking positionieren wird, sowohl in Hinblick auf Lateinamerika als auch innerhalb der BRICS eine zentrale Bedeutung zu. Trump wird jedenfalls alles daransetzen, den brasilianischen Riesen auf seine Seite zu ziehen.
Kuba und Venezuela unter wachsendem Druck
Mit der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump hat der Druck auf Venezuela, Kuba und Nicaragua, die sich in Lateinamerika gegen die Bevormundung Washingtons am konsequentesten zur Wehr setzen, weiter zugenommen. Am härtesten ist Kuba betroffen. Trump hat am 30. Juni 2025 per Memorandum die seit 1962 bestehende US-Wirtschaftsblockade drastisch verschärft. Die Maßnahmen zielen bewusst auf die wichtigsten Einnahmequellen des Inselstaates: Warenexport, Überweisungen von Kubanern aus dem Ausland (remesas) und Tourismus. Bereits zu Beginn seiner ersten Amtszeit 2017 hatte Trump nicht nur die Erleichterungen seines Amtsvorgängers Barack Obama rückgängig gemacht, sondern mit schärferen Sanktionen dafür gesorgt, dass die meisten internationalen Banken aus Furcht, den Zugang zum US-Finanzsystem zu verlieren, ihre Geschäftsbeziehungen mit Kuba suspendiert haben. Bereits im Januar hatte Trump das karibische Land wieder auf die Liste der „terrorunterstützenden Staaten“ gesetzt. Anfang Februar folgte die Wiedereinführung der „Cuban Restricted List“, die von Biden aufgehoben worden war. Sie verbietet direkte Finanztransaktionen mit Einrichtungen, die in irgendeiner Weise mit kubanischen Militär- und Sicherheitsdiensten zu tun haben. Dadurch werden in erster Linie ausländische Investitionen be- und verhindert. Der Preis, den die Kubaner zu zahlen haben, ist hoch. Infolge der US-Sanktionen, die seit 30 Jahren nahezu einstimmig – mit Ausnahme der USA und Israels – von der UN-Vollversammlung verurteilt werden, verschlimmern sich die Lebensbedingungen der Bevölkerung dramatisch. Wirtschaftskrise, Stromausfälle, Abwanderung, Devisenknappheit und Inflation sollen Kuba „den Sauerstoff abschneiden“, wie es Carlos Giménez, republikanischer Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus, jüngst forderte.
Während es gegenüber Kuba vor allem um Revanche und geopolitische Ambitionen geht, ist die Interessenlage Washingtons gegenüber Venezuela komplexer. Hier kommt der Faktor „Öl“ als Faktor von entscheidender Bedeutung hinzu. Das Land ist Gründungsmitglied der OPEC und verfügt über die weltweit größten Reserven an Erdöl. Während der Präsidentschaft von Hugo Chávez von 1999 bis zu seinem Tod am 5. März 2023 nutzte die Regierung die Einnahmen aus dem Ölgeschäft, um Sozial-, Gesundheits- und Bildungsprogramme für die marginalisierte Bevölkerung durchzuführen und zahlreichen Staaten der Karibik mit verbilligtem Öl bei ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu helfen. Es war Donald Trump, der während seiner ersten Amtszeit 2017-2021 eine neue Welle von Sanktionen in Gang gesetzt hat, um die wichtigste Einnahmequelle Venezuelas „auszutrocknen“. Nach Berechnungen von Global South Insights und Tricontinental hat das Land zwischen Januar 2017 und Dezember 2024 Öleinnahmen in Höhe von 213 Prozent seines BIP verloren. Die Verluste belaufen sich schätzungsweise auf 226 Milliarden US-Dollar – rund 77 Millionen US-Dollar pro Tag. Nach drei Executive Orders der Trump-Regierung (vom 24. August 2017, 1. November 2018 und 25. Januar 2019) konnte der damalige US-Außenminister Mike Pompeo am 11. März 2019 befriedigt feststellen:
„Der Kreis zieht sich zu. Die humanitäre Krise verschärft sich stündlich. Ich habe gestern Abend um 19 oder 20 Uhr mit unserem leitenden Mitarbeiter vor Ort in Venezuela gesprochen. Man kann die zunehmenden Schmerzen und Leiden der venezolanischen Bevölkerung sehen.“[ii]
Zwei Jahre später besuchte Alena Douhan, UN-Sonderberichterstatterin für die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Wahrnehmung der Menschenrechte, Venezuela. In ihrem Bericht an den UN-Menschenrechtrat kam sie zu dem Befund, dass nach dem Verfall des Erdölpreises 2014 die Sanktionen der Trump-Administration zu einer tiefen humanitären Krise geführt haben. Nach offiziellen Zahlen der venezolanischen Zentralbank lag 2019 die jährliche Inflationsrate bei 344.510 Prozent, was bedeutet, dass die Preise innerhalb eines Jahres um das 3.400-Fache gestiegen sind. Mit Beginn seiner zweiten Amtszeit hat Trump seine Sanktionspolitik fortgesetzt und verschärft. So wurden Anfang März 2025 die US-Öl-Lizenzen für Venezuela aufgehoben und ab dem 2. April drohen jedem Land drastische Strafzölle, das Öl oder Gas aus Venezuela kauft. Die US-Regierung hat Repsol (Spanien), Eni (Italien), Maurel & Prom (Frankreich), Reliance Industries (Indien) und Global Oil Terminals (USA) aufgefordert, ihre Geschäfte mit dem venezolanischen Staatskonzern PDVSA bis Ende Mai abzuwickeln. Ziel ist es, die Finanzquellen der Maduro-Regierung auszutrocknen. Mit diesen Entscheidungen werden die Maßnahmen der Biden-Regierung korrigiert, die 2022 Lizenzen für Ölgeschäfte mit Venezuela erlaubt hatte. China, der Hauptabnehmer für venezolanisches Rohöl, kritisierte die Sanktionen der Trump-Regierung und forderte Washington auf, „die Einmischung in venezolanische Angelegenheiten einzustellen“.
Alle Anstrengungen Washingtons, in Venezuela einen Regime Change zu inszenieren, sind zwar bislang gescheitert. Sie haben aber maßgeblich die Auswanderung von ca. sechs Millionen Venezolanern mitverursacht. In den USA ist die venezolanische Migration ein zentrales innenpolitisches Thema. 2023 lebten ca. 900.000 Venezolaner in den USA, von denen 700.000 ihren vorübergehendem Schutzstatus (TPS) demnächst verlieren sollen.
Ausblick
Kuba, Venezuela und Nicaragua sind jene Länder in Lateinamerika, die von Trump 2.0 als Hauptgegner angesehen werden. Gegenüber allen drei verfolgt Washington eine Politik der Destabilisierung, die zu einem Regime Change führen soll. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die drei Länder sind nicht bereit, sich der US-Dominanz unterzuordnen. Vielmehr verfolgen sie trotz aller Anfeindungen und Einschränkungen konsequent einen anti-imperialistischen Kurs, der außerhalb der Region vor allem von China und Russland unterstützt wird. Kuba gehört seit dem 1. Januar 2025 – wie acht weitere Staaten, darunter auch Bolivien – zur Gruppe der BRICS-Partnerländer. Die Aufnahme von Venezuela und Nicaragua ist jedoch am Einspruch Brasiliens gescheitert. Die unterschiedlichen Reaktionen der lateinamerikanischen Länder auf Trump 2.0 geben wichtige Aufschlüsse über den realen Grad ihrer Souveränität. Ein entscheidender Gradmesser ist ihr Widerstand gegen die US-Dominanz, die aufgrund der geographischen Nähe und ihrer Dauer die hauptsächliche Ursache des Autonomieverlustes der Staaten der Region darstellt. Auch wenn die Größe des Landes und die konkreten Interessen Washingtons Einfluss auf den Grad der Souveränität haben, so zeigt gerade das Beispiel von Kuba, Venezuela und Nicaragua, dass letztlich der Widerstandswille der Völker darüber entscheidet, ob und wie sie ihre Souveränität ausüben können.
[i] Jäger, Johannes/ Leubolt, Bernhard: Reprimarisierung als neue Entwicklungsstrategie in Lateinamerika?, in: Kurswechsel 3/2011, S. 59-68
[ii] Zum Zitat vgl. https://amerika21.de/blog/2025/05/275071/einseitige-zwangsmassnahmen-venezuela. Dem genannten Beitrag sind weitere Angaben zur US-Sanktionspolitik gegen Venezuela entnommen.