Nachhaltige Landwirtschaft – eine kontroverse Diskussion
Vom 22 November bis 15. Dezember 1994 fand in der Deutschen Stiftung für Internationale Entwicklung – Zweigstelle für Landwirtschaft und Ernährung – in Zschortau (b. Leipzig) ein internationales Fortbildungsseminar über die Nichtholzproduktion in tropischen Wäldern statt. Im Rahmen dieses Seminars hatte unsere Redaktion die Möglichkeit, mit einigen Spezialisten auf diesem Gebiet zu sprechen.
Was verstehen Sie unter „Nachhaltigkeit“?
Julio Vargas: Es ist sehr schwer zu definieren, was „Nachhaltigkeit“ bedeutet. Es gibt zu viele verschiedene Konzepte. Wir hätten also eine Menge Stoff zur Diskussion. Grundsätzlich verstehe ich jedoch unter nachhaltiger Entwicklung: ein angemessenes Lebensniveau für die marginalisierten Teile der Bevölkerung unserer Länder mit einer gewissen sozialen Gleichheit und eine verbesserte Nutzung der Naturressourcen unserer Länder. Innerhalb der Diskussion über die Nutzung der Naturrohstoffe möchte ich einen Aspekt besonders hervorheben, nämlich den des vorrangigen Einsatzes erneuerbarer bzw. nachwachsender Rohstoffe. Das ist das Minimum an Voraussetzungen, um von Nachhaltigkeit der Entwicklung sprechen zu können. In einem zweiten Punkt, in dem es um den Einsatz nicht erneuerbarer Rohstoffe geht, können wir nicht von Nachhaltigkeit sondern im günstigsten Fall von Sparsamkeit und Rationalität sprechen. Im ersten Falle meine ich eine kontinuierliche Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe, wobei die Biodiversität neben der Erhöhung der Produktion der gewünschten Rohstoffe zu erhalten ist. Unter rationellem Einsatz nicht erneuerbarer Rohstoffe verstehe ich eine langfristige nicht extraktivistische, nicht exportierende Nutzung der Rohstoffe. Unter einem angemessenen Lebensniveau verstehe ich die Lebensbedingungen unter dem Aspekt des Zugangs zu Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten, wobei der Arbeitskraft ein höherer Wert zugesprochen werden muß. Mit der besseren Bezahlung von Arbeitskraft werden sich die Möglichkeiten des Zugangs zu Bildung und Weiterbildung verbessern und als Fundament für das Ansteigen und die Stabilisierung des Lebensniveaus dienen. Dazu gehören weiterhin die gesundheitliche Betreuung, Wohnraum, eine angemessene Infrastruktur. Unsere Naturressourcen sind im wesentlichen der einzige Reichtum, über den unsere Länder verfügen. Es gibt praktisch keine nennenswerte Entwicklung eigener Technologien. Es gibt auch keinen Austausch an Technologie zwischen unseren und den Industrieländern, was uns den Zugang zu dringend benötigten Technologien erleichtern und zur Entwicklung unserer Länder beitragen würde. Die Nachhaltigkeit unserer Entwicklung hängt also im wesentlichen vom richtigen Umgang mit unseren eigenen Reichtümern ab. Auf der anderen Seite müssen wir uns dem Begriff der Nachhaltigkeit von der Seite der Märkte annähern. Unsere Märkte sind zwar, wie wir wissen, sehr klein, weil in sehr geringem Umfang erschlossen, aber es sind potentielle Märkte, die sich im Prozeß ihrer Entwicklung befinden. Aber leider ist die Nutzung unserer Naturressourcen lediglich darauf orientiert, die Bedürfnisse und Anforderungen der Industrienationen zu befriedigen. Wir werden nur als Rohstoffquelle angesehen und das genau aus dem Grund, daß wir nicht über eine fortschrittliche, hochentwickelte Technologie verfügen.
Edgar Vasquez: Ich glaube, wir müssen zwischen verschiedenen Typen von Nachhaltigkeit unterscheiden. Wenn wir von der nachhaltigen Nutzung erneuerbarer Rohstoffe sprechen, müssen wir im wesentlichen zwei Aspekte betrachten: die ökonomische Nachhaltigkeit und die ökologische Nachhaltigkeit, von der zur Zeit in der Welt so viel gesprochen wird. Unter den gegebenen Bedingungen in unseren Ländern wage ich zu behaupten, daß die ökologische Nachhaltigkeit für uns erreichbar ist. Was jedoch die ökonomische Nachhaltigkeit betrifft, so bedingt ihre Situation in unseren Wäldern mit ihrer Heterogenität, daß die ökologisch nachhaltige Nutzung eben nicht in jedem Fall ökonomisch nachhaltig sein kann. Deswegen glaube ich, daß unsere Länder noch einen langen Weg vor sich haben, bis wir ein Gleichgewicht zwischen beiden herstellen können. Im Moment muß, wenn wir eine ökologische Nachhaltigkeit anstreben, die ökonomische Nachhaltigkeit geopfert werden. Wenn wir die ökonomische Nachhaltigkeit wollen, müssen wir die ökologische opfern. Hier muß versucht werden, ein Gleichgewicht zwischen beiden Aspekten zu wahren.
Eine weitere bedeutende Rolle in dieser Diskussion spielen die Besitzverhältnisse, denen die Böden unterliegen. In einigen unserer Länder gehört der größte Teil des Bodens indigenen bäuerlichen Gemeinschaften und ein geringerer Teil gehört privaten Unternehmen. In anderen Ländern, das weiß ich, ist es genau umgekehrt. Im ersten Falle, also wenn sich der Boden im Besitz indigener oder anderer bäuerlicher Gemeinschaften befindet, müssen wir vor allem von der Aus- und Fortbildung sprechen. Deswegen sagte ich, daß uns noch ein langer Weg bevorsteht, um über die Qualifizierung der Menschen zu erreichen, daß sie die Naturressoucen nachhaltig nutzen.
Alejandro Gómez: Ich halte drei weitere Dimensionen für wesentlich in der Diskussion über nachhaltige Entwicklung durch Ausnutzung der Märkte. Erstens, die soziale Dimension: Akt-zeptiert die Bevölkerung diese Entwicklung? Hat sie teil an der Entwicklung? Zweitens, die ökonomische Dimension: Bringt sie einen ökonomischen Nutzen? Drittens, eine technologische Dimension. Ich glaube, daß die rationelle Nutzung unter der Bedingung für die nachhaltige Nutzung unseres tropischen Waldes eine Möglichkeit bietet, daß wir diese Dimensionen sozialer, ökonomischer und technologischer Art berücksichtigen.
Yorleny Chang: Ich glaube, ich muß jetzt doch einmal das Wort ergreifen und meine Meinung äußern, auch auf die Gefahr hin, daß sie ein wenig von der meiner Kollegen abweicht, die sich immer auf den internationalen Markt als das Maß aller Dinge beziehen. Wir glauben immer, daß die Industrieländer bereit sind, uns alle unsere Naturrohstoffe abzukaufen und niemals wagen wir an einen lokalen oder regionalen Markt zu denken, der für uns zwar keinen großen, aber doch einen potentiellen Markt darstellt.
Fátima Mereles: Ich möchte nur darauf verweisen, daß es durchaus richtig und wichtig ist, was Yorleny sagt. Unser lokaler Markt verfugt über große Möglichkeiten, obwohl unsere Produkte dort noch keine hohen Preise erreichen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß sich das z.B. mit dem gemeinschaftlichen Projekt Paraguays, Brasiliens und Argentiniens bald ändert. Zur Zeit jedoch müssen wir uns am internationalen Markt orientieren.
Julio Vargas: Ich muß da leider wieder etwas widersprechen. Ich sehe natürlich auch, daß es Versuche gibt, den lokalen und regionalen Markt zu nutzen. Aber es handelt sich hierbei um relativ kleine Märkte ohne eine genügend große Kaufkraft. Eine Konzentration auf lokale Märkte würde unsere Produktion einschränken, außer vielleicht bei solchen großen lokalen Märkten wie dem Brasiliens, der aber auch wegen seiner ökonomischen Probleme mehr und mehr schrumpft. Wegen dieser Einschränkungen müssen wir gezwungenermaßen internationale Märkte für den Absatz unserer Rohstoffe suchen. Es gibt sonst für uns keine Möglichkeit, bei befriedigter Nachfrage im Inland, weiter zu produzieren. Unter diesen Umständen glaube ich, daß es für uns sehr schwierig ist, uns lediglich auf den lokalen Markt zu konzentrieren.
Luis Alberto Sosa Casasola: Ich meine, bevor wir von den Märkten zu sprechen beginnen und von weiteren Faktoren, die die Nachhaltigkeit unserer Entwicklung beeinflussen, müßten wir uns ein wenig bei der Mentalität der Indigenas aufhalten. Der indigene Landwirt oder Bauer hat bedauerlicherweise keinerlei Bildung und somit nicht die Fähigkeit festzustellen, daß der Wald von fundamentaler Bedeutung für die Entwicklung unserer Länder ist. Ohne diese Kenntnisse wird der Indigena mehr und mehr Wald zerstören und uns und sich selbst wichtiger Quellen für die Entwicklung berauben. Ich glaube deshalb, daß der Staat die Aufgabe hat, genau dort einzugreifen: bei der Ausbildung und Vermittlung von Kenntnissen in den Ureinwohnergemeinden, damit diese angemessen mit ihrem Umfeld umgehen und so eine nachhaltige Entwicklung möglich wird, denn der größte Schaden entsteht in Unkenntnis der riesigen Bedeutung, die der Wald für alle hat.
Alejandro Gómez: Da muß ich natürlich grundsätzlich widersprechen. Ich bin davon überzeugt, daß wir ein großes Potential für eine nachhaltige Entwicklung, besonders im Amazonas-Regenwald, gerade bei den Indigenas dieser Region finden können. Wir dürfen auf keinen Fall die seit Generationen weitervermittelten Kenntnisse der Indigenas über die integrierende Nutzung des Waldes außer acht lassen. Sie sind für uns von großer Bedeutung. Unsere Vorfahren haben den Wald, ihre natürliche Umgebung, stets und ständig in einem System der Nachhaltigkeit genutzt. Sie nutzten jeweils eine bestimmte Fläche des Waldes in intensiver Weise und verließen diese dann. Kehrten sie dann nach 20 bis 30 Jahren an diese Stellen zurück, so fanden sie dort eine natürliche Vegetation vor. Heute jedoch hat sich infolge der Anwesenheit von „colonos“ (Kolonisten bzw. Siedler aus anderen Regionen des Landes, die den Wald urbar machen sollen; Anm. d. Übers.) und von Personen, die nicht in enger Verbindung mit den Indigena-Gemeinden stehen, das Gleichgewicht zu ungunsten des Waldes verschoben und die Kenntnisse unserer Vorfahren werden in falscher und unangemessener Weise genutzt. Ich behaupte deshalb, wir sollten gerade von Indigenas lernen, was nachhaltige Nutzung des Waldes bedeutet.
Welche Bedingungen und Grundlagen sind für eine nachhaltige Entwicklung entscheidend?
Luis Alberto Sosa Casasola: Ich bin der Meinung, daß die Rolle des wichtigsten Akteurs bei der Entwicklung und der Gewährleistung der Nachhaltigkeit in unseren Ländern dem Staat zukommt. Ihm folgen internationale Organisationen, aber auch die katholische Kirche, denn durch sie läßt sich viel erreichen, sei es nun das Fortschreiten einer guten Entwicklung oder irgendeiner anderen Aktivität im Land.
Julio Vargas: Wir haben eben den politischen Akteur genannt bekommen, der am wenigsten geeignet ist, eine Nachhaltigkeit in unserer Entwicklung zu garantieren – den Staat, und das nicht nur in meinem Land, sondern im allgemeinen. Der einzige, der die Nachhaltigkeit unserer Entwicklung garantieren kann, ist derjenige, dem bewußt wird, wie wichtig für alle dieser Naturrohstoff „Wald“ ist, als Quelle unseres Lebens, als Einkommensquelle, als Grundlage für ein Zusammenleben mit unserer Natur. Es ist nicht der Staat, es sind nicht die Gesetze oder Verträge. Es sind auch nicht die großen Gipfeltreffen der Regierenden oder Unternehmer, die uns eine nachhaltige Entwicklung garantieren werden. Ich glaube ganz einfach, daß es die Bauern, die Indigenas einer bestimmten Region, sein werden, die das schaffen werden, indem sie sich an die neuen Erfordernisse für ein Leben in ihrer Umwelt anpassen.
Edgar Vasquez: Ich glaube wirklich, daß diejenigen, die in erster Linie die Nachhaltigkeit der Entwicklung bzw. der Nutzung unserer Naturressourcen garantieren können, die Eigentümer des Bodens sind. Wir dürfen ab er nicht den Staat als Faktor unbeachtet lassen, denn er spielt diesbezüglich eine wichtige Rolle. Viele Flächen, bewaldete oder landwirtschaftlich genutzte, unterliegen ungeklärten Besitzverhältnissen, gehören Assoziationen oder Kooperativen ohne juristischer Anerkennung. Genau hier ist es, wo der Staat über seine Mechanismen und Institutionen eingreifen muß. Außerdem kann der Staat einen Schritt gehen, der sehr wesentlich für unsere Zielstellung ist. Er kann das Land mit ungeklärten Besitzverhältnissen denen überschreiben, die es seit Jahren bewohnen und bearbeiten, wie das bei Indigenas oft der Fall ist. Die Situation der nicht indigenen Bauern, die in ihrer Mehrzahl Siedler („colonos“) aus den verschiedensten Regionen des Landes sind, ist genau umgekehrt zur Situation der Indigenas. Sie haben das Land neu erworben, haben sich dort angesiedelt und verfügen über starke Organisationen, die sie schützen, ohne daß sie ein gewohnheitsmäßiges Recht auf diesen Boden hätten. Der Staat hat also hauptsächlich die Pflicht, diese bestehenden Kooperativen, Föderationen und Assoziationen der Indigenas zu legalisieren und sie darauffolgend als Besitzer der durch sie bearbeiteten Flächen anzuerkennen. Es liegt also auf der Hand, daß die Indigenas bei der bestehenden Unsicherheit über die Besitzverhältnisse des Bodens, den sie bearbeiten, eine Sicherheit anstreben, die es ihnen garantiert, auf diesem Boden bleiben zu dürfen und ihn nicht morgen schon wieder verlassen zu müssen. Wenn diese Sicherheit gegeben ist, hat der Indigena ein Interesse an einer nachhaltigen Nutzung des Landes. Jetzt muß der Staat wieder als Akteur auftreten. Er muß den Landarbeitern bezüglich der Art und Weise, wie sie sich organisieren können, bezüglich der Spielregeln einer solchen Organisation sowie technischer Aspekte, die die Grundlage für die nachhaltige Nutzung des Bodens oder Waldes bildet, eine Ausbildung garantieren. Und letztlich ist es die Pflicht des Staates, die Möglichkeiten und Chancen der Indigenas zu verbessern oder erst zu schaffen, Kredite und Teilfinanzierungen ihrer Kleinstunternehmungen zu erhalten. Viele internationale Institutionen und Organisationen kanalisieren nämlich ihre finanzielle Unterstützung ausschließlich über den betreffenden Staat. Man kann also nicht ohne weiteres aberkennen, daß der Staat eine signifikante Rolle bei der Schaffung der Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung spielt, aber in erster Linie sind es die Besitzer des Grund und Bodens, die mit der Garantie der Nachhaltigkeit der Nutzung desselben zu tun haben, gleich ob es sich um private kleinbäuerliche oder industrielle oder um indigene Kooperativen handelt. Wir haben es also mit zwei Bedingungen zu tun, die es ermöglichen, eine nachhaltige Entwicklung zu fördern.
Julio Vargas: Ich glaube, ich bin da etwas falsch verstanden worden. Ich wollte nicht sagen, daß der Staat nicht verantwortlich dafür ist, die nachhaltige Entwicklung zu garantieren. Ich meine nur, er ist nicht der hauptsächliche oder unmittelbare Akteur in diesem Prozeß. Durch den Staat könnte der Prozeß jedoch gefördert werden. Grundsätzlich richtig ist: der wichtigste Garant für Nachhaltigkeit ist der Eigentümer des Bodens, der Bauer, der Indigena; aber über das Problem des Grundbesitzes hinaus muß eines garantiert sein. Es geht nicht nur um das Recht, über den Boden zu verfugen, nicht nur um die Tatsache, Besitzer des Bodens zu sein, sondern man muß dem Eigentümer ein Einkommen, einen Lebensstandard zusichern, der es ihm erlaubt, ohne Angst um seine und die Existenz seiner Familie zu leben. Ohne diese Bedingungen zu erfüllen, halte ich es für ausgeschlossen, eine Nachhaltigkeit in der Nutzung des Waldes oder des Bodens zu erreichen. Und damit der Landwirt auf der Grundlage dieser ökonomischen Absicherung in der Lage ist, die Nachhaltigkeit ins Auge zu fassen, muß sein Zugang zu Ausbildung, Infrastruktur, Technologie und Finanzierungsmöglichkeiten gewährleistet sein.
Worin besteht Ihr Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung Ihres Landes oder Ihrer Region?
Julio Vargas: Zweifellos ist die Arbeit an der Universität, die Ausbildung von Spezialisten und Technikern, eine Möglichkeit, Personal auf seinen Einsatz in dieser Art von Projekten vorzubereiten, damit es in den ländlichen oder indigenen Gemeinden die Bedingungen schafft, sei es bezüglich der Erhöhung der Einkommen, sei es bei der Vermittelung von Kenntnissen über Produktionstechniken und deren Konsequenzen. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet bietet die Arbeit an einer universitären Einrichtung eine gute Perspektive für unsere Zielstellung.
Alejandro Gómez: Das Projekt, an dem ich arbeite, hat die Ausbildung in bäuerlichen Gemeinschaften in den Gebieten des Hochlandes unseres Landes zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Arbeit gemacht. Regelmäßig führen Agronomen und Forstingenieure Kurse in den Gemeinden durch. Außerdem werden landesweit etwa 25.000 Hektar Wald aufgeforstet. Dabei werden wir die Biodiversität der entsprechenden Regionen berücksichtigen und vorwiegend die ursprünglich dort beheimateten Pflanzen einsetzen. Diese Arbeit trägt nicht den Charakter eines von den Büros der Hauptstadt aus gelenkten Projekten. Nein, wir sind auf die rege Beteiligung der Bauern vor Ort angewiesen und beziehen sie in unsere Arbeit selbstverständlich ein. Sie sagen uns, wo aufgeforstet werden soll und mit welchen Pflanzen, denn sie sollen ja die getroffenen Veränderungen akzeptieren. Unsere Techniker, die an den Hochschulen ausgebildet werden, bilden wiederum in den entsprechenden Regionen „promotores“ aus und geben ihnen ihr Wissen weiter. „Promotores“ sind Leute aus den jeweiligen Dörfern und Gemeinden. Sie erklären mit ihren Worten oder sogar in ihrer Sprache, was sie gelernt haben und tragen so ihre Kenntnisse in die Gemeinschaften und verbreiten sie, wenden sie an.
Fátima Mereles: Mein Beitrag ist in erster Linie meine Arbeit als Dozentin an der Universität in Asunción. Wir bilden dort Spezialisten aus, die in den Indigena-Gemeinden arbeiten werden. Ich bilde also nicht direkt die Landwirte aus, aber indirekt schon. Wir führen aber auch Untersuchungen in den Gebieten durch, in denen diese Gemeinschaften leben. So sammeln wir grundlegende Informationen und Erkenntnisse, die wiederum in unserer Ausbildung Anwendung finden. Das ist nämlich sehr wichtig. Das eine ist die Ausbildung; das andere ist, immer auf dem neuesten Wissensstand zu bleiben.
Luis Alberto Sosa Casasola: Ich würde gern an einem Beispiel kurz erklären, worin mein Beitrag zur nachhaltigen Nutzung des Waldes besteht. Wir fingen damals mit einem Projekt zum Schütze des Waldes an. Dabei stießen wir natürlich als allererstes auf die Notwendigkeit einer Alternative zur bisherigen Produktion. Wir fanden diese in der Produktion von Kiefern-Harz. Das war ein großer Erfolg. Bis 1992, als die verschiedenen Gruppen unseres Projektes bereits organisiert waren, mußten die mehr als 300 Dorfgemeinschaften regelmäßig mittels Brandrodung Waldfläche zerstören, um neues Weideland für ihre traditionelle Viehzucht freizulegen. Sie schützten den Wald natürlich nicht, denn er war ihr Feind. Bald sahen sie, daß sie ein höheres Einkommen erzielen konnten, ohne den Wald zerstören zu müssen, indem sie sich auf die Harz-Produktion aus ihren Kiefernwäldern konzentrierten. Jetzt sahen sie in der Kiefer eine „Milchkuh“, die man schützen muß, weil ihre „Milch“ beim Verkauf gute Preise erzielte. Innerhalb eines Jahres, bis 1993, rodeten von 347 Gemeinden nur noch 4% wie gewohnt ihren Wald.
Edgar Vasquez: In meiner Eigenschaft als Direktor des INEFAN, unter dessen Aufsicht die Waldbestände unseres Landes liegen, habe ich die Möglichkeit, Programme zu realisieren, die zum Ziel haben, erstens die verschiedenen Organisationsformen der indigenen und bäuerlichen Gemeinschaften zu legalisieren, zweitens den Besitz an Boden dieser Organisationen rechtlich anerkennen zu lassen, drittens technische Unterstützung und Ausbildung zu realisieren und letztlich nach Möglichkeiten für die Finanzierung einzelner Projekte zu suchen. Außerdem bin ich froh über die Möglichkeit, an der Universität in der Hauptstadt Quito ebenfalls Aus- und Weiterbildung von Forstingenieuren vornehmen zu können.
Yorleny Chang: Wir arbeiten ebenfalls in Gemeinschaften, die eine reine Viehzucht-Tradition haben. Die Menschen verbrannten und rodeten den Wald, um Weideland zu gewinnen. Mit der Arbeit unserer Techniker und der unentbehrlichen Hilfe der „promotores“ haben wir es erreicht, bei den Bewohnern der Region ein Bewußtsein für den Wald zu schaffen. Sie wissen, daß der Wald noch zu etwas anderem nütze ist, als nur zum Verbrennen und um Weideland daraus zu machen. Jetzt produzieren sie dort die verschiedensten Nichtholzprodukte, medizinische Pflanzen, ätherische Öle, Grundstoffe für Kunsthandwerksprodukte etc. Ich weiß, daß das nicht alle ihre ökonomischen Probleme lösen wird, aber sie erzielen hierdurch ein Einkommen, das sie nicht mehr zwingt, „auf Gedeih und Verderb“ Viehzucht zu betreiben. Auch in den Indigena-Gemeinden existiert jetzt ein Bewußtsein, daß der Wald mehr ist als nur Holz. Ebenso wie bei Fátima ist meine Arbeit jedoch die der Untersuchungen, Datenerhebungen und Auswertungen, um Pläne für eine ökonomisch und ökologisch nachhaltige Nutzung dieser Gebiete zu erarbeiten.
gekürztes Interview.
* Das Gespräch führten Peter Gärtner, Gabi Töpferwein und Marek Höhn am 13. Dezember 1994.
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Julio Vargas.
Aus Bolivien, ist Dozent für Forstwirtschaft an der Universidad Mayor de San Simón in Cochabamba, beschäftigt sich sowohl mit der Hochebene als auch mit der Zone des tropischen Waldes, hat einen Forschungsauftrag von der Technischen Hochschule für Forstproduktion.
Edgar Vasquez.
Aus Ecuador, ist Director National Forestal und arbeitet im INEFAN, einem Institut, welches die gesamten Waldbestände Ecuadors unter seiner Verwaltung und Kontrolle hat, seien sie in staatlichem oder Privatbesitz.
Alejandro Gómez Silvera.
Aus Peru, Ingenieur für Forstwirtschaft, erforscht Wassereinzugsgebiete innerhalb des „Proyecto National de Manejo de Cuencas Hidrográficas y Conservación de Suelos“, Ziel des Projektes ist die Förderung der Erhaltung des tropischen Waldes sowie dessen rationelle Nutzung und Aufforstung.
Yorleny Chang.
Aus Costa Rica, arbeitet in einem „Projekt für die nachhaltige Entwicklung in Zentralamerika“. Dies ist ein Projekt des Regionalen Forschungs- und Ausbildungszentrums der Forstwirtschaft in Turrialba, sie arbeitet mit indigenas, die im tropischen Wald leben und ihre Arbeitsweise weiterentwickeln wollen. Die Arbeit bezieht sich sowohl auf Holzais auch auf Nichtholzprodukte (wie medizinische Pflanzen, Harz, Kautschuk etc.).
Fátima Mereles.
Aus Paraguay, ist Biologin, beschäftigt sich mit einer biologischen Bestandsaufnahme in der Region des Chaco paraguayo, arbeitet an der Universidad Nacional dea Asunción.
Luis Alberto Sosa Casasola.
Aus Guatemala, ist Forstingenieur und z.Zt. verantwortlich für die Harzproduktion aus Kiefern in einer Indigena-Gemeinschaft im Osten Guatemalas, in einem Entwicklungsprojekt für Kleinproduzenten in Zacapa-Chuquimula.