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Tango Argentino – Eine Weltkultur der Umarmung

Regina Tamkus | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Der Tango wurde im Hafen geboren. Die ersten Tangueros waren Männer, die ihre Sehnsucht, Einsamkeit, Hoffnung und Enttäuschungen im Tango miteinander tanzend und singend zum Ausdruck brachten und die besser sein mussten als die anderen Männer, denn Frauen waren Mangelware. Derjenige bekam eine Frau ab, der den Tango am besten konnte und sie beeindruckte!

Er ist der einzige Paartanz, der keine vorgegebene Schrittkombination hat. Er kann in jedem Moment neu geführt sein. Wie das Leben! Sich diesem Ungewissen und Nichtwissen neugierig und offen zu überlassen, die Schönheit des Augenblicks spürbar zu erleben und sich selbst darin als geliebt, vollständig und richtig zu erfahren, gehören zu den schönsten Momenten, die der Tango uns schenkt.

Der Tango Argentino ist seit 2009 UNESCO-Weltkulturerbe! Man kann ihn überall auf der Welt tanzen, unabhängig von Alter, Stand und Einkommen. Er gibt, neben der wunderbaren Musik, dem Gehen und den Elementen des Tangos, der Welt die Kultur der Umarmung, eine Kultur der Liebe!

Der Argentinische Tango entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der einfachen Bevölkerung von Buenos Aires und Montevideo, im Becken des Rio de la Plata. An dem Grenzfluss zwischen den Argentinien und Uruguay hatten sich zwischen 1880 und 1930 neben den Ureinwohnern, sechs Millionen europäische Einwanderer und ehemalige Sklaven angesiedelt. Hinzu kam ein florierender Mädchenhandel und Prostitution. Am Silberfluss war ein Schmelztiegel aus unterschiedlichen Völkern und Kulturen entstanden.

„Und die Musik der Heimat hatten sie nicht zurückgelassen, sondern mitgenommen, ganz konkret in Form des Bandoneons, das seine Bezeichnung von Herrn Heinrich Band aus Deutschland haben soll. In Musik und Tanz flossen wie in eine Flussmündung aus vieler Herren Länder die Musikströme und Tanzstile wie z. B. Walzer, Polka, Mazurka, Ländler, der Habanero aus Kuba, und Maxixe, ein brasilianischer Tanz, ein. Und die afrikanische Trommelkultur, von den Sklaven eingebracht, findet sich in vielen Tangos als Grundrhythmus wieder, als tragende Begleitung, wie ein kontinuierliches Pochen des Herzens“[i]

Der argentinische Tango ist faszinierend!

Ein Tango-Paar zu sehen, das mit seinem Tanz die Seele berührt, öffnet das Herz und man weiß intuitiv, so kann Beziehung zwischen Mann und Frau im besten Sinne sein: intim, lustvoll, dem Moment und der Musik hingegeben, spannend, ein fließendes Aufeinander achten und Beantworten der Körperimpulse, was das Schönste in der Frau und Edelste im Mann hervorbringt. Es ist spürbar ein Genuss für den Betrachter und eine wunderschöne Erfahrung, miteinander zu tanzen.

So erging es mir vor 30 Jahren, als ich mit meinem Mann Tango tanzen lernen wollte. Ich hatte diese Berührung in der Seele erfahren und musste ihr folgen. Doch die Erfahrung, Tango zu lernen, war natürlich komplett anders; schwierig, oft frustrierend und nicht selten wollten wir aufgeben.

Wir haben nicht aufgegeben und das erfüllt mich mit Dankbarkeit. Wir haben viel über uns gelernt und lernen immer noch weiter. Der Tango selbst ist ein lebendiger und weiser Mentor für Liebe und Intimität! Er bringt schnell hervor, was dazwischen kommt, wie auch was an Themen, Sehnsüchten und Potenzial im Paar lebt, dass erweckt und seine Schönheit in der Beziehung enthüllen will.

Der argentinische Tango hat keine Tanzhaltung, sondern die Umarmung. Er weiß um die seelische Bedeutung des sich Umarmens für das Paar und entlässt uns nicht daraus: Wir können beim Tango wie in der Liebe nicht weg. Wenn wir die Liebe behüten wollen und auch schön miteinander tanzen lernen wollen, dann kommen wir nicht umhin, uns so, wie wir sind, aufeinander einzulassen.

Was verlangt der Tango von uns und was gibt er uns?

Führen und Folgen ist essenzielle und tief erfüllend, wenn es fließend gelingt.

Führen im Sinne von „ich gebe vor und Du musst folgen wie ich es will“ berührt Macht und Unterwerfung in der Erfahrung. Die Wenigsten wollen das. Und doch: es gibt Situationen und Zustände, in die wir kommen, wo wir uns berechtigt fühlen darauf zu bestehen: Du führst nicht, Du folgst nicht! Du machst es nicht richtig! Dann wird es ein Kampf und ein Wissen, wer Schuld daran ist, dass ich jetzt nicht so schön tanze und mich fühle, wie ich es ersehne, nämlich Du, ist implizit darin enthalten. In diesen Zuständen spüre ich nicht mehr die Schönheit der Musik, lasse mich nicht verzaubern, sehe meinen Partner reduziert und bin selber eng. Ich kenne einige Paare, die dann sagen, „ich kann das nicht mit dem Tango“ und aufhören.

Wir hatten einen Lehrer, der auch Psychotherapeut und begeistert davon war, was der Tango leistet. Er sagte immer: „Wir können die Welt nicht ändern, doch der Tango ist ein Mikrokosmos des Großen im Kleinen und ein Labor, wie wir Beziehung gestalten können, wie wir aus festgefahrenen Gewohnheiten herausfinden, wie wir unsere Schwierigkeiten miteinander beilegen können. Wie wir dahin finden, einander besser zu verstehen und gleichzeitig lernen schön miteinander zu tanzen.“

Der Tango scheint von uns zu verlangen aus den Gewohnheiten der Schuldzuweisung herauszutreten. Er konfrontiert sie, damit wir freier werden und ihn tanzen können, vielleicht sogar mit ihnen tanzen können. Und er gibt uns sein weises Wissen um das „Wie“, welches in ihm präsent ist. Das oft schwierige und schöne Geheimnis seiner Magie: Einander umarmen und in jedem Schritt einander zugewandt sein, auch wenn es schwierig wird und wir uns verloren haben. Das Ich wird erst am Du zum Ich und dadurch zum Wir.

Was bietet der Tango dem Paar an?

  • Präsenz
  • Aufeinander achten
  • Nonverbale Impulse verstehen und beantworten können
  • Führen und Folgen als „Dem Tanz dienen“ erfahren
  • Die eigene seelische und körperliche Achse anbieten können
  • Miteinander Tanzen, auch wenn es schwierig wird
  • Hingabe ohne Macht und Unterwerfung
  • Intimität und Erotik
  • Mann und Frau sein
  • Glück und tiefe Freude
  • Metaphorisch in einer Umarmung durchs Leben gehen

Der Tango ist mehr als ein Tanz, er umarmt alle menschlichen Gefühle und Erfahrungen, er ist ein großartiges Lebensgefühl, eine faszinierende Leidenschaft und eine weltweite Gemeinschaft!

Wen er findet, den lässt er nicht mehr los.

 


 

Zur Autorin: Regina Tamkus hat ein Diplom in Philosophie und Psychologie und ist Tango-Argentino-Lehrerin. Sie verbindet ihre Liebe zur seelischen Arbeit mit ihrer Liebe zum Tango. Sie unterrichtet mit ihrem Mann Tango Argentino in Berlin und sie veranstalten den Tangosalon „Unter den Augen des Alten Fritzen“ im historischen Ratssaal in Berlin-Friedrichshagen.

Veranstaltungshinweis: Am 4. Juli. 2025 hat sie vier Weltklassemusiker und Freunde nach Berlin Köpenick eingeladen, die lateinamerikanische Musik und Tanz präsentieren: „Morgenstern von Ipanema“

Info: 0173 2013 424 www.regina-tamkus.de

[i] Martina Hoppe-Grosshennig: Leben ist Tango, Verlag Agentur Altepost 2015, S. 29/30

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