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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Lieber liberal als links
Eine Zwischenbilanz zu Ollanta Humalas Regierungspolitik

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Peru: Ollanta Humala - Foto: Agencia Brasil, José CruzAls Ollanta Humala im Juni 2011 die Stichwahl gegen Keiko Fujimori, Tochter des Ex-Diktators Alberto Fujimori und Potentatin des rechten Lagers in Peru, gewann, schien die Welle der neuen linken Politik in Südamerika über die Anden zu schwappen. In den Reigen von Argentinien, Bolivien, Paraguay, Uruguay, Brasilien, Ecuador und vor allem Venezuela würde sich nun auch Peru einordnen – so die Befürchtung der konservativen Politiker und Wirtschaftsliberalen. In den fünf Jahren zuvor war es ihnen gelungen, Alán García, Präsident der populistischen Programme und Verursacher der Hyperinflation Ende der 1980er, klein zu halten. Er experimentierte jedoch diesmal nicht, legte keine Sozialprogramme auf, förderte dafür den Export, öffnete weiter den nationalen Markt und blieb ansonsten ein blasser Schatten. Die neoliberale Elite des Landes jubelte.

Nun also Humala, das unbeschriebene Blatt, hinter dem anscheinend das Gespenst Hugo Chávez lauert. 2006 reichte diese mutmaßliche Verbindung aus, um im letzten Moment Wählerpotential für García zu mobilisieren.

Und mit dem Sieg Humalas 2011 waren sie plötzlich wieder da, die Befürchtungen der mächtigen Wirtschaftsgruppen im Land. In der Tat, Humalas Wahlkampfparolen lasen sich aus ihrer Sicht wie Schauermärchen: Verfassungsreform, Änderungen im Arbeitsrecht, Neuverhandlung der Bergbauabgaben, breite Unterstützung für die Landbevölkerung und vor allem Umverteilung des Reichtums.

Er schien diese Programmpunkte auch umsetzen zu wollen. Das zeigte sich einen Monat nach seiner Wahl, als der Kongress das Gesetz zur vorherigen Konsultation (Ley de la Consulta Previa) verabschiedete. Demnach müssen fortan bäuerliche und indigene Gemeinschaften vom Staat befragt werden, bevor Projekte im Bergbau-, Öl- oder Gassektor auf ihrem Territorium beginnen können. Obwohl, wie so oft in der peruanischen Wirklichkeit, viel von der Ausführung und Auslegung des Gesetzes abhängt, waren die Menschen in den Gebieten mit reichen Rohstoffvorkommen zufrieden und setzen große Hoffnungen auf die Umsetzung dieses Vorhabens.

Diese Erwartungen hat Humala in seinem Wahlkampf auch selbst genährt. Er wolle sich für ihre Rechte einsetzen und Programme zur Armutsbekämpfung initiieren, verkündete er immer wieder. Dafür gaben ihm die Landwirte aus der mittleren und südlichen Sierra ihre Stimme. Die Zustimmung lag in einigen Departments bei 78 Prozent (z.B. Puno).

Doch schon in den Tagen nach der Verabschiedung dieses Gesetzes tauchten bei seinen Anhängern Befürchtungen auf, ob sich denn all seine Versprechungen würden umsetzen lassen. Denn zum einen erforderte die Strategie für die Stichwahl gegen Keiko Fujimori – das wurde nun deutlich – politische Konzessionen an die konservative Opposition. Entsprechend wurden mit den wichtigsten Ressorts der neuen Regierung Politiker des bürgerlichen Lagers betraut: Luis Miguel Castilla etwa, der neue Wirtschafts- und Finanzminister, oder Oscar Valdés, ein Exmilitär, als Innenminister. Zum anderen beruhigte Humala von Anfang an die Wirtschaftselite, indem er beispielsweise den neoliberalen Julio Velarde als neuen Präsidenten der Zentralbank ernannte und damit ein Signal für eine stabile Währungspolitik aussandte. Und auch das genaue Studium des Gesetzestextes zur vorherigen Konsultation offenbarte dessen mehrdeutigen Charakter, etwa die Frage, ob das Gesetz auf die Zustimmung der lokalen Bevölkerung zu Projektvorhaben zielt oder ob es lediglich zur Konsultation verpflichtet.

Wirtschaftspolitik im Zeichen des Dollars - Foto: Quetzal-Redaktion_ecmUnter diesen Vorzeichen war es nicht verwunderlich, dass der Fokus von Humalas Politik sehr schnell auf der Verbesserung ökonomischer Rahmendaten lag. So wurden beispielsweise die Währungsreserven erhöht (auf jetzt 54 Milliarden US-Dollar) oder die Auslandsverschuldung vermindert (auf jetzt nur noch 21,7 Prozent des BIP), statt Sozialprogramme zu finanzieren. Auch andere Wirtschaftsdaten lassen Rückschlüsse auf die Prioritäten zu: Stabilisierung der Währung, Erhöhung der Auslandsinvestitionen, Senken der Inflation – allesamt Maßnahmen wie aus einem Lehrbuch monetaristischer Wirtschaftspolitik à la Friedman. Sogar der deutsche Außenminister Guido Westerwelle, liberaler Deregulierer par excellence, zeigte sich bei seiner Lateinamerika-Reise von Humalas Wirtschaftspolitik begeistert.

Humala, so scheint es, hat sich vom Revolutionär in den Wahlen von 2006 zum gemäßigten Linken beim ersten Wahlgang 2011 gewandelt. Nach der Ernennung zum Präsidenten war er mindestens in der politischen Mitte angekommen. Und seine Reise nach rechts ging weiter. Zuletzt atmete Mario Vargas Llosa, genialer Schriftsteller, aber zugleich auch Apologet des Neoliberalismus‘, erleichtert auf: Ollanta Humala folge zum Glück nicht dem schlechten Beispiel Hugo Chávez‘.

Die großen Streitthemen blieben derweil auf der Agenda, wurden jedoch von ihm anders angegangen als seine Unterstützer hofften. Am deutlichsten zeigte sich dies bei den Auseinandersetzungen um die Goldminen Yanacocha und Conga im Department Cajamarca. Hauptanteilseigner beider Minen ist die Newmont Mining, ein US-amerikanisches Bergbauunternehmen mit einem Jahresumsatz von 9,5 Milliarden US-Dollar. Während Humala im Wahlkampf die großen Bergbauunternehmen – darunter Newmont – noch heftig kritisierte, Umweltauflagen nicht zu befolgen, lokale Wasserressourcen zu verschmutzen oder soziale Standards nicht einzuhalten, befürwortete er fortan deren Projekte. Schließlich stellen die Exporteinnahmen aus der Primärgüterindustrie eine wesentliche Stütze für das Staatsbudget dar. Aus „zuerst das Wasser, dann das Gold“ war das Gegenteil geworden.

Dieser Umschwung in seiner politischen Ausrichtung führte dazu, dass Anfang Dezember 2011, die Regierung war kein halbes Jahr alt, die Hälfte des Kabinetts zurücktrat. Auf Salomon Lerner, der sich für Verhandlungen mit der betroffenen lokalen Bevölkerung einsetzte, folgte der bis dato amtierende Innenminister, Oscar Valdés, als neuer Ministerpräsident. Die Ernennung des ehemaligen Armeeoffiziers als Kabinettschef wurde im linken Lager als Affront aufgefasst. Ja, diesen Regierungswechsel betrachteten Teile der Linken sogar als endgültigen Bruch Humalas mit seinen Wahlversprechen und den angekündigten Reformen. Dessen Regierungsprogramm rückte immer mehr nach rechts. Nicht von ungefähr erfuhr Humala von da an zunehmende Zustimmung aus dem Lager von Keiko Fujimori, während zugleich der Expräsident Alejandro Toledo und seine Partei Perú Posible jegliche Zusammenarbeit aufkündigte. Humalas politische Popularität im Land stieg, hauptsächlich in der Ober- und oberen Mittelklasse. Umfragen zufolge lag die Zustimmung zu seiner Politik bei diesem so genannten sozioökonomischen Sektor A bei 75 Prozent.

Auch international stieß seine wirtschaftspolitische Ausrichtung auf zunehmendes Wohlwollen. Er wurde in Spanien hofiert und lud Investoren ein, in Peru zu investieren. Er war auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos dabei. Und er festigt die peruanische Rolle in der Allianz des Pazifiks (Alianza del Pacífico), die – nicht zufällig – durch die derzeit konservativ regierten Staaten Mexiko, Kolumbien, Chile und Peru gebildet wird und einen Gegenpool zum Mercosur darstellt. Humala führte also das aus, wozu ihn die Globalisierung und das gegebene Wirtschaftsmodell zwangen, wie es eine Kommentatorin bezeichnete.

Bergbauproteste in Cajamarca - Foto: Quetzal-Redaktion, sscAber war der peruanische Präsident wirklich verpflichtet, die Linke zu verraten, die armen Landwirte der Sierra ihrem Schicksal zu überlassen, seine Wahlversprechen zu brechen, nur um Peru weiterhin auf dem Tablett liberaler Marktpolitik zu präsentieren? Die Frage scheint rhetorischen Charakter zu tragen. Dennoch hat sie konkrete Folgen für die linke Opposition im Land. Inzwischen ist die Linke offenbar in drei Sektoren gespalten: Ein radikaler Flügel vor allem mit Basis-, Menschenrechts- und Umweltbewegungen, die sich den Bergbauprojekten – und damit inzwischen auch Humala – entgegen stellen; eine breite Gruppe, mit der Humala an die Macht gelangte (vor allem die Parteienallianz von Gana Perú) und die nun z.T. konsterniert abwartet, wohin die Reise geht; eine dritte Gruppe, die Humalas Weg zu folgen bereit ist (vor allem um Oscar Valdés) und das Minenprojekt Conga sowie direkte Auslandsinvestitionen (speziell im Bergbausektor) befürwortet.

Diese Spaltung wirkt natürlich zurück auf die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse. Es ist zu erwarten, dass die Unterstützung für Humala im Kongress zunehmend schwindet und sich – gemäß dem Trend der letzten 20 Jahre – wieder ein volatiles Parteiensystem etabliert. Durch den Wegfall der politischen Vermittlung im Parlament drohen die sozialen Proteste dann einen außerparlamentarischen Charakter anzunehmen – mit unklarem Ausgang.

Bildquellen: [1] Agencia Brasil, José Cruz; [2] Quetzal-Redaktion, ecm; [3] Quetzal-Redaktion, ssc

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