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Perus Präsidentschaftswahl 2011: Neubeginn oder nächste Krise?

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Perus 94. Präsident: Ollanta Humala - Foto: Agencia Brasil, Jose CruzPeru hat gewählt: Ollanta Humala ist der 94. verfassungsmäßige Präsident des Andenstaates. Am Sonntag setzte sich der Linksnationalist mit 50,1 Prozent der Stimmen hauchdünn gegen seine Herausforderin Keiko Fujimori durch. Die Tochter des früheren Diktators Alberto Fujimori erhielt 49,9 Prozent. Aufgrund der Wahlpflicht lag die Wahlbeteiligung bei hohen 85 Prozent – und immerhin 95 Prozent wählten gültig. Denn für die meisten Peruaner war diese Wahl mehr als nur die Stimmabgabe für einen der beiden Kandidaten bei der Stichwahl um das Präsidentenamt: Es ging und geht zugleich um das Schicksal Perus, seine Geschichte, seine Zukunft. Schließlich repräsentieren beide Kandidaten feste politische Lager. Gemein ist ihnen allenfalls der hohe Grad an Skepsis und Zweifeln, den ihnen das Volk entgegen bringt. Am Ende siegte die Unsicherheit des Neuen über die des Alten.

Wieder einmal beginnt für Peru mit dem Sieg Ollanta Humalas eine neue Zeitrechnung: Wie 1985, als Alan García von der APRA gewann und das Land innerhalb von fünf Jahren in die Hyperinflation trieb; wie 1990, als Alberto Fujimori Peru mit den neoliberalen Schocktherapien des Washingtoner Konsensus und Polizeiterror überzog, die Demokratie in seinem Sinne neu erfand und Korruption zu einem Synonym für das politische System wurde; wie 2001, als Alejandro Toledo den Andenstaat zwar demokratisch und ökonomisch stabilisierte, die sozialen Belange aber außer Acht ließ; wie 2006, als Alan García die Hoffnungen der Bevölkerung auf eine sozialdemokratische Politik zu Grabe trug. Nun also Humala.

Bei der Analyse der Wahl dürfte sein Regierungsauftrag klar sein: Die bürgerlichen Kandidaten Pedro Pablo Kuczynski, Alejandro Toledo und Luis Castañeda, mit ihrer stabilen, neoliberalen, die sozialen Belange vernachlässigenden Politik wurden von der Bevölkerung abgestraft. Sie landeten im ersten Wahlgang abgeschlagen auf den Plätzen drei bis fünf. Humala wird sich demnach in besonderem Maße um die sozialen Probleme, die die neoliberale Politik seit 20 Jahren verschärft hat, kümmern müssen. Im Wahlkampf ließ er verlauten, er werde gegen die Korruption ankämpfen und für die Armen regieren. Große Worte, denen nun Taten folgen müssen.

Keiko Fujimori unterlag bei der Stichwahl Ollanta Humala - Foto: Congreso de la República del PeruDenn das Land ist gespalten. Schließlich gab knapp die Hälfte der Bevölkerung ihre Stimme Keiko Fujimori. Das lag nicht daran, dass sie erste Präsidentin des Landes hätte werden sollen. Vielmehr assoziieren viele Peruaner (vor allem in den Städten und speziell in Lima) den Namen Fujimori noch immer mit Zucht und Ordnung, Hilfsprogrammen für die Armen (z.B. „Milchglas“ – „Vaso de leche“), wenngleich sie deren populistischen Charakter nicht erkennen, und ökonomischer Stabilität. Die Gräueltaten des Expräsidenten, für die er in mehreren Prozessen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, sind vergessen. Vergessen ist scheinbar auch, dass nicht Fujimoris Ehefrau Susana Higuchi als First-Lady im Rampenlicht stand – sie hatte die Korruption ihres Mannes publik gemacht und wurde deshalb „degradiert“ – sondern die damals jugendliche Keiko. Beim bewaffneten Konflikt mit Ecuador um die Cordillera del Condor, bei den umstrittenen Wiederwahlen 1995 und 2000, bei der Entmachtung der Justiz, beim Kampf gegen die Guerilla (unter Begehung schlimmster Menschenrechtsverletzungen) – stets stand die Tochter ihrem Vater zur Seite. Sie lernte damals all die Berater (z.B. den bekannten Wirtschaftswissenschaftler Hernán de Soto) und all die Politiker kennen, die Alberto Fujimori in der einen oder anderen Art halfen und die heute in ihrem Team arbeiten. Die Profiteure von damals, die Oberschicht und die durch Wahlgeschenke gekauften Armen dürften auch bei der Wahl am Sonntag Fujimori die Stimme gegeben haben. Unterstützung bekam sie zudem von den Medien – allen voran von der konservativen Tageszeitung „El Comercio“.

Die Wahl spaltete somit einmal mehr das Land: sozial, politisch, ökonomisch – und auch ethnisch sowie geographisch, wobei die beiden letzten Kategorien eng mit den anderen zusammenhängen. Während beispielsweise Fujimori in Lima auf 58 Prozent kam, erreichte Humala in seinen Hochburgen, vor allem den ländlichen Regionen der südlichen Departements, zwischen 65 und 75 Prozent: Nord gegen Süd, Stadt gegen Land, Industrie und Dienstleistungen gegen Landwirtschaft, alte Oligarchie gegen Newcomer.

Die Wahl der beiden politischen Extreme bestimmte auch den Wahlkampf. Der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa – pikanterweise 1990 Alberto Fujimori im Präsidentschaftskampf unterlegen – hatte bereits nach dem Ausgang des ersten Wahlganges verlauten lassen, dass durch das Ausscheiden der bürgerlichen Kandidaten die Präsidentenwahl 2011 lediglich die „Wahl zwischen Aids und Krebs im Endstadium“ sei. Polarisierung, Hass und Diffamierung dominierten in den Debatten. Politische Programme oder Visionen wurden von beiden Kandidaten kaum vorgetragen. Humala hat anscheinend aus seiner Abstrafung nach seinen Ovationen für Hugo Chávez im Wahlkampf vor fünf Jahren gelernt. Sein Programm blieb vage, weitläufig und wies dadurch oft widersprüchliche Züge auf. Fujimori hingegen beschränkte sich in ihrem Regierungsprogramm auf einen Punkt: Fortsetzung der neoliberalen Politik. In verschiedenen Fernsehauftritten versuchte sie, bestimmte Wählergruppen für sich zu gewinnen. Beispielsweise bot sie an, das Programm „Peru aufbauen“ („Construyendo Perú“) – von der APRA-Regierung 2007 begonnen – zu erweitern und armen Frauen temporäre Beschäftigung zu verschaffen. Ein anderer Vorschlag zielte auf einen harten Umgang mit Kriminellen für eine „Sichere Straße“ („Calle segura“). Insgesamt bot sie viel populistische Propaganda, etwa auch zur angeblichen Erhöhung der Bergregalien (regalías), d.h. der Abgaben, die von den Unternehmen zur Erlangung der Verfügungsrechte über im Boden lagernde Rohstoffe gezahlt werden müssen.

Bergbau in Peru generiert Reichtum und verschärft Armut wie hier in Cajamarca - Foto: Quetzal-Redaktion, sscDamit stieß sie in ein Kernthema von Ollanta Humala vor. Denn die vor ihm liegenden Herausforderungen sind riesig – vor allem im sozialen und ökonomischen Bereich. Auf der einen Seite befinden sich schätzungsweise 70 Prozent der Arbeitsplätze im informellen Sektor. In der Regel zahlen die dort Beschäftigten keine Steuern und erhöhen nach der gängigen Methode (da vom Bruttoinlandsprodukt nicht erfasst) auch nicht das Nationaleinkommen. Auf der anderen Seite stehen die Bergbauexporte. Knapp 60 Prozent der Exporteinnahmen in Höhe von 27 Milliarden US-Dollar entfielen 2009 auf den Bergbaubereich, vor allem Kupfer, Gold, Zink, Blei und Silber. Die peruanische Regierung profitiert davon aber nur marginal. Denn aufgrund eingeräumter Steuervorteile an ausländische Investoren müssen die Bergbaufirmen lediglich zwischen einem und drei Prozent des Wertes des produzierten Minerals (en base al valor del mineral producido) als regalía an den Fiskus zahlen. An diesem Prozentsatz ändern auch steigende Weltmarktpreise nichts. Humalas erstes Ziel dürfte es daher sein, eine Steuer auf die Zusatzgewinne wegen der gestiegenen Weltmarktpreise einzuführen oder die regalías generell neu zu verhandeln. Im Gespräch ist eine Verdopplung auf zwei bis sechs Prozent sowie eine Staffelung gemäß Wert des geförderten Konzentrats. Gold und Kupfer sollen Extrasätze für die regalías erhalten. Internationaler, besonders US-amerikanischer Widerstand, ist bei solch einer Maßnahme natürlich vorbestimmt.

Die Politik des neuen Präsidenten wird deshalb zu neuen lateinamerikanischen Kräftekonstellationen führen. Peru dürfte für die nächsten fünf Jahre aus dem Reigen der neoliberalen Staaten (jetzt noch Chile und Kolumbien) in Südamerika herausfallen. Inwiefern sich Humala an Brasilien oder Venezuela annähert, bleibt allerdings offen.

Bildquellen: [1] Agencia Brasil, José Cruz; [2] Congreso de la República del Perú_; [3] Quetzal-Redaktion, ssc

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