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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Pinochet und die Mapuche

Christine Schnichels | | Artikel drucken
Lesedauer: 12 Minuten

Die permanente Staatsgewalt der Diktatur

Chile: Verhaftung einer demonstrierenden Mapuche - Foto: AntitezoWährend der Pinochet-Diktatur wurden viele ChilenInnen Opfer der brutalen Repression des Regimes. Auch die Mapuche bekamen das harte Vorgehen der Junta zu spüren. Das lag unter anderem daran, dass viele von ihnen vor dem Staatsstreich 1973 Teil der „Bewegung hin zum Sozialismus“ waren. Denn zahlreiche indigene Organisationen beteiligten sich aktiv an der sozialen und politischen Mobilisierung und unterstützten die Unidad Popular unter dem 1970 zum Präsidenten gewählten Salvador Allende.

Der Grund dafür war, dass viele Mapuche zu diesem Zeitpunkt endlich die Möglichkeit gekommen sahen, ihre Streitpunkte mit dem chilenischen Staat zu lösen, wie zum Beispiel die Erfüllung ihrer althergebrachten Landrechte. So ließen sich 1970 bei den Parlamentswahlen zahlreiche AnführerInnen der Mapuche als KandidatInnen für das Wahlbündnis Unidad Popular oder als Unabhängige aufstellen. Nach dem Wahlerfolg verfügte dieses indigene Volk somit zum ersten Mal in der Geschichte des Landes über eine starke Repräsentation und Teilnahme am politischen Geschehen. Dies kontrastierte stark mit der traditionellen Hegemonie der OligarchInnen im Mapuche-Gebiet Araukanien. Bis dahin hatten sich nur einzelne Indigene als KandidatInnen aufstellen lassen, die jedoch unter strenger Vormundschaft der traditionellen Parteien standen.

In der Folge stellten ab 1973 auch die Mapuche als Teil der sozialistischen Mobilisierung einen politischen Gegner für das autoritäre Regime dar. Wie viele SozialistInnen und KommunistInnen wurden sie unterdrückt und vom politischen Prozess ausgeschlossen. Da für Pinochet und seine Repressionsmaschinerie jedoch keine „Opposition“ sondern nur „Feinde“ existierten, wurden die AnführerInnen und Mitglieder von politischen Organisationen inhaftiert, gefoltert, verschleppt und ermordet. Seit einigen Jahren werden diese Verbrechen an den RegimegegnerInnen zunehmend aufgearbeitet. So gibt es auch einige Studien (zum Beispiel Morales 1999), welche die brutale Unterdrückung der Mapuche während der Diktatur enthüllen.

Offiziell rechtfertigten die Militärs die Repression der Organisationen und Gemeinschaften der Indigenen mit deren politisch-militärischen Indoktrinierung. Die Militärs drangen vielfach in die Häuser der Mapuche ein und verhafteten unzählige Menschen. Offiziell suchten sie nach Waffen oder irgendeinem anderen Beweis für deren Mobilisierung.

Víctor Queipul, Lonko (Gemeinschaftsoberhaupt) von Temocuicui, veranschaulicht die übertriebene Brutalität der Militärs am Beispiel seiner Familie. Er erzählt, dass die Spezialeinheiten beim Betreten des Hauses seine Frau ergriffen und ihr ein Stück Glut in den Mund steckten. Die Tochter und den Sohn banden sie einen ganzen Nachmittag lang an einen Baum, der überall von Ameisen befallen war. Ihn selbst brachten sie von seinem Haus weg und ließen ihn irgendwo wieder frei. Nach den Misshandlungen seiner Frau und der Kinder brannten sie das Haus nieder. Andere Lonkos seien eingeschüchtert, gefoltert oder verschleppt worden. Der Verbleib der meisten sogenannten „verschwundenen“ Mapuche ist bis heute nicht bekannt.

Koordiniert wurde die politische und militärische Repression im Mapuche-Gebiet von Temuco aus – dem Herzen des landwirtschaftlichen Konservatismus. Sie ging von denselben Sektoren aus, die heute „eine harte Hand“ gegen die Mapuche fordern und sich damit für die Anwendung des Anti-Terrorgesetzes [1] gegen die Mapuche-Gemeinschaften aussprechen. Dieses Gesetz aus dem Jahre 1984 wurde ursprünglich von der Junta eingesetzt, um dem wachsenden – gewaltfreien wie gewaltsamen – Protest im Land entgegenzuwirken.

Nach dem Ende der Diktatur jedoch wurde das Gesetz nicht etwa abgeschafft, sondern 1991 unter Präsident Aylwin so verändert, dass es den kommenden demokratischen Regierungen von Nutzen sein würde. Während das Gesetz ursprünglich nur bei terroristischen Delikten mit einem explizit politischen und ideologischen Hintergrund angewendet wurde, ist es heute viel allgemeiner gefasst und bezieht sich auch auf weniger schwerwiegende Verbrechen. So ist es heute üblich, das Anti-Terror-Gesetz bei Mapuche anzuwenden, wenn diese sich mit Gewalt gegen die Staatsmacht wehren, leere Gebäude, Wälder und Felder in Brand setzen oder Sachschäden anrichten. An diesem Beispiel wird einmal mehr deutlich, wie stark die Diktatur heute noch auf die Demokratie Chile wirkt.

Die Repression hat eine lange Geschichte

Die Unterdrückung der Mapuche während der Diktatur war extrem und grausam. Neu war sie jedoch nicht: Sie lässt sich bis zum Beginn der Kolonialisierung zurückverfolgen. Wehrten sich die Mapuche zu irgendeinem Zeitpunkt gegen die fortschreitende Verletzung ihrer fundamentalen Rechte, unterdrückte sie die jeweilige Staatsmacht brutal. Sie wurden nie in die chilenische Gesellschaft integriert mit der Folge, dass die meisten heute ausgegrenzt und in Armut leben. Auch jetzt setzen sich manche gegen ihre ungerechte Behandlung zur Wehr, indem sie zum Beispiel demonstrierten oder in (Hunger-)Streiks treten, während andere zu gewaltvollen Mitteln griffen und die Polizei mit Steinen und Knüppeln attackierten.

Nach ein paar Jahrhunderten des konfliktiven Verhältnisses des Staats mit den Mapuche verwundert es kaum, dass manche bis heute den Nationalstaat Chile nicht als ihr Vaterland ansehen. Während die Regierungen immer wieder versuchen, die Indigenen an den westlich geprägten Lebensstil der meisten ChilenInnen anzupassen, kämpfen viele Mapuche weiterhin für das Fortbestehen ihrer traditionellen Sozialordnungen, in denen sie eigene Regeln des Zusammenlebens und der Entscheidungsfindung haben. Es wird aber immer schwieriger für sie, die Gemeinschaften und den althergebrachten Lebensstil aufrechtzuerhalten.

Chile: Gemälde von Widerstandskämpfer Lautaro - Bild: Pedro SubercaseauxIm Laufe der Jahrhunderte wurden sie ihrer Lebensgrundlagen, allen voran ihres Landes beraubt. Heute bleiben ihnen kaum noch fünf Prozent ihres ursprünglichen Landes übrig. Nachdem es weder der spanischen Krone noch dem 1818 gegründeten chilenischen Staat gelungen war, die südlich des Flusses Bío-Bío gelegenen Siedlungsgebiete der Mapuche zu unterwerfen, förderte der Staat Ende des 19. Jahrhunderts während der sogenannten „Befriedung Araukaniens“ die Immigration von EuropäerInnen, die Land suchten: Insgesamt kamen rund 36.000 EuropäerInnen, die Territorium dafür erhielten, dass sie dabei halfen, die Indigenen zu unterwerfen. Auf diese Weise wurden große Teile des Volks der Mapuche nach und nach von der spanischen Kolonialmacht, von der chilenischen Staatsgewalt und schließlich von den europäischen EinwandererInnen auf brutale Weise dezimiert. Ihre Dörfer wurden überfallen, ihr Vieh geraubt, ihre Hütten und Vorräte verbrannt und ihr Land enteignet, bis sie sich schließlich unterwarfen.

Zwischen 1962 und 1973 verbesserte sich zum ersten Mal die Situation der Mapuche nachhaltig, als die Regierungen unter den Präsidenten Jorge Alessandri, Eduardo Frei und schließlich Salvador Allende eine Landreform durchführten, die unter anderem den Mapuche Teile ihres ursprünglichen Lands zurückgab und sie zumindest partiell an den politischen Entscheidungsprozessen des Landes beteiligte. Diese Entspannungspolitik nahm jedoch ein jähes Ende, als die sozialistische Regierung Allendes 1973 geputscht wurde. Mit der damit beginnenden autoritären Phase nahmen die Militärs den Mapuche nun umso brutaler das Land wieder weg und gaben es den GroßgrundbesitzerInnen, OligarchInnen und UnternehmerInnen, nachdem diese eine mächtige Allianz mit der Militärdiktatur gebildet hatten.

Die Entwurzelung der „Leute der Erde“

Argentinien: Mapuche-Gemeinschaft Kuruwinka Neuquén - Foto: Pepe RoblesObwohl die Ausmaße der Repression gegen die Mapuche während des Pinochet-Regimes wenigen bekannt sind, sind die Folgen der Privatisierungspolitik für das Land und die Lebensbedingungen der Indigenen heute kaum mehr zu übersehen. Aufgrund der Neoliberalisierungspolitik der letzten Jahrzehnte konnte Chile zwar makroökonomische Erfolge, insbesondere in der Forstwirtschaft, verzeichnen. Die weniger privilegierten Bevölkerungsschichten – darunter vor allem auch die Mapuche – konnten davon jedoch nicht profitieren. Im Gegenteil, um die großen Unternehmen zu fördern, wurden die Kleingrundbesitzer von ihrem Land verdrängt. Da dies in Zeiten der Diktatur geschah, benötigte das Regime keine demokratische Mehrheit, sondern setzte seine Gesetzesvorhaben per Verordnung gewaltsam durch.

Die Gesetzesverordnung 701 von 1974 [1] legte die Grundlage für das forstwirtschaftliche Expansionsmodell, welches die industriellen Großunternehmen in der Forstwirtschaft förderte. Mit Hilfe von Subventionen, Enteignungen und Verkäufen mit Preisen weit unter dem eigentlichen Wert der Grundstücke erreichte das Regime, dass sich der größte Teil des Landes wieder in den Händen der OligarchInnen und Großunternehmen befand. Unter ihnen stechen vor allem die Familien Matte und Angelini hervor, die bis heute den chilenischen Forstwirtschaftssektor beherrschen. Hinzu kommt, dass das Regime das Recht auf Gemeinschaftsbesitz aufhob. Die Mapuche hatten ihr Land bisher als Gemeinschaft und nicht als Privatpersonen besessen. Indem die autoritäre Führung jedoch dieses Besitzverhältnis als nicht mehr zulässig ansah, konnte sie die Indigenen ihres Landes entledigen.

Die Verordnung 701 erlaubte es zudem, dass der Staat für bis zu 10 Jahre 75% der Kosten einer Kiefern- oder Eukalyptus-Plantage übernahm und das Unternehmen seinerseits keine Steuern zahlen musste. In Chile werden die beiden genannten Baumarten gern von großen Unternehmen in Monokulturen angepflanzt, weil sie schnell wachsen und ihr Anbau damit sehr rentabel ist. Diese Privatisierungspolitik verursachte einerseits, dass der forstwirtschaftliche Sektor stark wuchs, andererseits, dass der Großteil des nativen Waldes gerodet wurde und schwerwiegende Folgen für die Umwelt entstanden: Neben der Verringerung des Oberflächen- und Grundwasservorkommens, der Erosion der Böden und der Wasser- und Bodenverschmutzung durch den Gebrauch von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf den Monokulturplantagen, kam es zu einem gravierenden Artenschwund in Flora und Fauna [2]. Die Mapuche – „Leute der Erde“ wie sie übersetzt heißen – leben traditionell sehr verbunden mit der Natur. Das ihnen noch zur Verfügung stehende Land ist aber kaum mehr fruchtbar, und die nativen Wälder, aus denen sie sich versorgten, gibt es kaum noch.

Ein weiteres Gesetz, das weitreichende Folgen für das Leben der Mapuche hatte, ist der “Wasser-Code” aus dem Jahre 1981 [1], der das Wasser privatisierte und damit den Besitz von Wasser und Land trennte. Während der Diktatur wurden die meisten Wasserrechte Unternehmen auf unbegrenzte Zeit übergeben. Auf diese Weise geschieht es häufig, dass das Wasser als Gut des Marktes (und nicht mehr als Gemeingut) von Unternehmen konsumiert wird, selbst wenn die Gemeinden vor Ort daraufhin an Wassermangel leiden. Für viele Mapuche-Gemeinschaften bedeutet dies, dass sie zwar weiterhin das Land besitzen, jedoch nicht über die Rechte des Wassers vor Ort verfügen und deshalb ihr Land nicht bewirtschaften können [5].

Die Land- und Wasserwegnahme bedeutet für die Mapuche auch die Zerstörung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Traditionen. Ohne ein funktionierendes Ökosystem und ohne Gemeinschaftsbesitz können die Mapuche nicht mehr von der Erde in Subsistenzwirtschaft und in der Folge nicht mehr ihre Kultur leben. Viele Gemeinschaften lösen sich auf. Heute leben die meisten Mapuche auf kleinsten Grundstücken mit meist unfruchtbarem Boden. Manche bauen Monokulturen für den Export an – in den letzten Jahren fördert der Staat auch kleine und mittlere Unternehmen.

Andere haben ihr Land verlassen und sich in den urbanen Zentren angesiedelt, wo sie zum Beispiel unter miserablen Bedingungen für die großen forstwirtschaftlichen Unternehmen arbeiten. Auf diese Weise werden die Mapuche nicht mehr so explizit von ihrem Land vertrieben. Allmählich entfremden sie sich von ihrer Sprache und Kultur und werden damit stillschweigend an die westliche, kapitalistische Lebensweise angepasst [3, 4].

Keine Wiedergutmachung für die Mapuche

Auch wenn die Diktatur vor mehr als 20 Jahren offiziell beendet wurde, ist sie für die Mapuche im heutigen Chile weiterhin präsent: zum einen in der andauernden gewaltsamen Unterdrückung und Diskriminierung, und zum anderen im neoliberalen Entwicklungsmodell des Landes.

Der Staat weigert sich weiterhin, die Mapuche als Nation mit einem Recht auf Selbstbestimmung anzuerkennen. In der Konsequenz haben die Verantwortlichen in der Demokratie Chile nicht wiedergutgemacht, was den Mapuche vor und während der Diktatur angetan wurde. Vielmehr werden diese weiterhin unterdrückt und inhaftiert, wenn sie die Rückgabe ihres Landes und die Einhaltung ihrer fundamentalen Rechte verlangen. Anstatt auf die Forderungen der Mapuche einzugehen, werden diese kriminalisiert und mit TerroristInnen gleichgesetzt [3]. Damit bleibt Chiles Ratifizierung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation [7], welche die Rechte der indigenen Völker festlegt, nur eine Farce.

Hinzu kommt, dass die anhaltende neoliberale Politik zu einer großen sozio-ökonomischen Ungleichheit in Chile geführt hat. Die meist zu den ärmeren Schichten gehörenden Mapuche leiden sehr unter dem Ausverkauf aller natürlichen Ressourcen des Landes. So bleibt ihnen nur ein kleiner Teil ihres ursprünglichen Landes. Aber selbst auf diesem können sie zumeist nicht selbstbestimmt, autark und nach ihrer althergebrachten Tradition leben.

Chile: Mapuche mit Cultrún während einer Demo - Foto: Claudio CáceresAls sich das Land nach dem Ende der Diktatur neu gründete, versprach die neue politische Führung das Volk mehr in die Politik zu integrieren. Die Mapuche machen rund zehn Prozent der chilenischen Bevölkerung aus, aber sie werden bis heute von der Politik ignoriert. Die meisten ChilenInnen sprechen kein Mapudungun. Sie kennen die Weltanschauung der Mapuche und deren engen Beziehung zur Natur nicht. Daher verstehen sie auch nicht den Unwillen dieses indigenen Volkes, sich an die Allgemeingesellschaft anzupassen, weil sie damit ihre Kultur und ihre Lebensweise aufgeben müssten.

In jüngster Zeit nimmt aber die Solidarisierung mit den Mapuche zu. Einige Menschen fangen allmählich an, sich mit der Position und der Sichtweise der Mapuche und anderer indigener Völker auseinander zu setzten. Das liegt teils daran, dass auch andere ChilenInnen unter den fortbestehenden Folgen der Diktatur leiden. Auch sie sind davon überzeugt, dass ihre Menschen- und Bürgerrechte nicht ausreichend geachtet werden. Sie solidarisieren sich mit den Mapuche und setzen sich gemeinsam immer lauter für eine neue Verfassung ein, die demokratischen und damit legitimen Ursprungs ist und die Rechte aller ChilenInnen – auch die der Mapuche – garantiert. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg.

 

Literatur:

[1] Bibliothek des chilenischen Nationalkongresses: http://www.leychile.cl/.

[2] Food and Agriculture Organisation: Situación de los Bosques en el Mundo, 2011, United Nation Organization.

[3] CEPAL-ATM.: Desigualdades territoriales y exclusión social del pueblo mapuche en Chile: Situación en la comuna de Ercilla desde un enfoque de derechos, 2012, CEPAL.

[4] Cristián Frêne Conget, M. N.: Hacia un Nuevo Modelo Forestal. Propuestas para el desarrollo sustentable del bosque nativo y el sector forestal, 2011, AIFN.

[5] Carl Bauer: Siren Song: la ley de Aguas de Chile como modelo para reforma Internacional, 2004, REFF Press.

[6] Morales, R. 1999. Cultura Mapuche y Represión en Dictadura. Revista Austral de Ciencias Sociales No 3. Enero-Agosto: 89-108. Valdivia, Chile.

[7] International Labour Organisation: http://www.ilo.org/.

 

Bildquellen: [1] Antitezo, [2]  Pedro Subercaseaux_ [3] Pepe Robles, Public Domain [4] Claudio Cáceres_

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