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Landbesetzungen und Polizeigewalt auf der Osterinsel

Florian Quitzsch | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Rapanui fordern das Land ihrer Ahnen von Chile zurück

Moai-Figuren auf der Osterinsel. Foto: Thomas KaltenbrunnerWeitgehend unbeachtet in den deutschsprachigen Medien blieb der brutale Einsatz der chilenischen Polizei am 3. Dezember 2010 gegen mehrere Rapanui auf der Osterinsel. Die Polizisten sollen massiv gegen die „illegalen Besetzungen“ – so die offizielle Version – von Grundstücken in der Hauptstadt Hanga Roa vorgegangen sein, welche sowohl von den Indigenen wie auch vom chilenischen Staat beansprucht werden. Nach Auffassung der Rapanui hat Chile sich das Land ihrer Vorfahren unrechtmäßig angeeignet. Nach Meldungen von AFP und einigen Nichtregierungsorganisationen gab es bei den Räumungen und Festnahmen mindestens 20 Verletzte, was eindrucksvoll mit Fotos dokumentiert ist. Laut Amnesty International (AI) soll es auch zu Misshandlungen der Festgenommenen gekommen sein. AI rief deshalb die chilenische Regierung zur Untersuchung der Vorfälle auf. Chile stimmte 2007 der UN-Deklaration für die Rechte indigener Völker zu und ratifizierte 2008 die ILO-Konvention 169, welche u.a. die Landrechte indigener Völker anerkennt. Das hat den Staat aber bisher nicht von einer repressiven Politik, wie etwa gegenüber den indigenen Mapuche, abgehalten. Deren auch mittels Landbesetzungen artikulierten Gebietsansprüche mündeten in einen Konflikt, der von fast allen chilenischen Regierungen kriminalisiert und an den meist mit juristischen statt politischen Mitteln herangegangen wurde (Bengoa 2010). Ähnliches scheint sich jetzt auch auf der Osterinsel abzuspielen.

Bereits Ende Juli 2010 hatten dutzende Rapanui-Familien mehr als 30 Grundstücke sowie Regierungsgebäude besetzt und von Präsident Piñera, an den Ende August ein offener Brief adressiert wurde, die Rückgabe des Landes gefordert. Seitdem haben sich einige chilenische Politiker, unter ihnen der Intendant von Valparaiso, der Festlandregion, von welcher die Osterinsel verwaltet wird, zu Gesprächen auf das im Pazifik gelegene Eiland begeben. Der von Piñera ernannte Gouverneur Petero Edmunds Paoa trat Anfang August zurück, um – laut eigener Aussage – so zur Entschärfung der Situation beizutragen. Die Chilenen schickten trotzdem Sondereinheiten der Polizei auf die über 3.500 Kilometer entfernte Osterinsel. Bei deren Einsätzen kam es wiederholt zur unverhältnismäßigen Anwendung von Gewalt, was Marisol Hito, Sprecherin eines der 36 Inselclans, bereits im September veranlasste, vom Scheitern eines Dialoges zu sprechen. Anfang September 2010 kam die nächste Antwort der neuen Rechtsregierung von Piñera. Vizepräsident und Innenminister Rodrigo Hinzpeter schickte Spezialeinheiten der Polizei auf die Insel, um die Landbesetzungen zu beenden – eine klare neokoloniale Attitüde der Chilenen. Am 9. September hatte Hinzpeter einen Runden Tisch zur Lösung des Problems innerhalb von 60 Tagen vorgeschlagen – unter der Bedingung, dass die Besetzungen aufhören. Da die Rapanui dieser Bedingung nicht folgten, demonstrierte der chilenische Staat jetzt Härte, um zu zeigen, wer der eigentliche Herr über die Osterinsel ist. Trotz Aufforderung durch die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) Anfang November hat sich Chile bislang nicht zu den Vorfällen geäußert.

Die Gründe des Konfliktes sind vor allem darin zu suchen, dass Chile es bislang unterlassen hat, die Rechte der Rapanui angemessen zu achten und die Forderungen nach dem Land ihrer Vorfahren und mehr Autonomie adäquat zu befriedigen. Nachdem es immer wieder Debatten um den Landbesitz von Ausländern (1) gegeben hatte, entzündete sich die Sache nicht zuletzt am ausufernden Massentourismus und den Befürchtungen, Chile könnte die Insel zu einem „Themenpark“ umgestalten, dessen Profite an ausländische Unternehmen abfließen. Das Fass zum Überlaufen brachte einerseits der von der Regierung aufgestellte vierjährige Entwicklungsplan, in dem öffentliche und private Investitionen von über 250 Mio. US-Dollar vorgehen sind, sowie andererseits die Aussage des ehemaligen Gouverneurs Edmunds Paoa, dass er seine Ernennung dem Einfluss einer Wirtschaftsgruppe zu verdanken habe. Wie kurz darauf bekannt wurde, beabsichtigt diese Gruppe, Land von der öffentlichen Hand zu erwerben, um in die touristische Infrastruktur zu investieren.

Die historischen Hintergründe

Um die Ereignisse besser zu verstehen, ist es erforderlich, ein wenig in der Geschichte der Insel und ihrer Ureinwohner zurückzugehen.

Osterinsel. Foto: Thomas KaltenbrunnerMit einem rechtswidrigen Taschenspielertrick annektierte das Andenland die durch ihre monumentalen Steinfiguren (moais) bekannte Insel im Jahr 1888: In einem doppelt aufgesetzten Vertrag war einmal in der spanischen Version von „chilenischer Hoheit, zum anderen – in Rapanui – von „Chile als Freund“, ähnlich einem Protektorat, die Rede. Eine Rapanui-Legende besagt, dass der damalige ariki (Häuptling) ein Grasbüschel ausriss und dem chilenischen Kapitän Policarpo das Gras überreichte, während er sich die Erde einsteckte – ein demonstratives Zeichen, das eigene Land nicht den Chilenen zu überlassen. Die Bewohner der Osterinsel hatten nach der Annexion unter extremen Repressionen seitens der neuen Inselherren – entweder ausländische Besitzer oder der chilenische Staat – zu leiden. In Hanga Roa zusammengepfercht, lebten sie in sklavereiähnlichen Zuständen. 1933 inkorporierte Chile, ohne die Rapanui zu fragen, die Insel als terra nullius (Niemands­land) in seine Verwaltung und sah sie als sein Eigentum an.

Erst 1966, dem Jahr als die Insel als Provinz vollständig in den chilenischen Staat integriert wurde, erhielten die Insulaner mit dem so genannten „Osterinselgesetz“ die Bürgerrechte. Während das Gesetz den Präsidenten ermächtigte, Landtitel an die Insulaner zu vergeben, wurde für die Errichtung öffentlicher Infrastruktur Land enteignet, die versprochenen Entschädigungen aber nie gezahlt. Aufgrund eines während der Militärdiktatur (1973-1989) erlassenen Gesetzes (Decreto Ley 2885 von 1979) wurde ein Anspruch der Rapanui auf das von ihnen bewohnte Land möglich, während Nicht-Einheimische so gut wie davon ausgeschlossen wurden. Die Unstimmigkeiten unter den Insulanern über das Gesetz (u.a. Missachtung der tribalen Rechtsprechung, von Gewohnheitsrecht und die Bestätigung einer für die Rapanui fremden Rechtsform des individuellen Landbesitzes) führten Anfang der 1980er Jahre zur Reaktivierung des traditionellen Rates der Familienoberhäupter. Mit dem 1993 erlassenen Indigenengesetz (Ley Indígena) wurden die Rapanui als Volk anerkannt und ihnen besondere Rechte, u.a. beim Landbesitz eingeräumt. Das Gesetz sowie die Schaffung einer auch für Landfragen zuständigen Entwicklungskommission (CODEIPA) waren so umstritten, dass sich der Ältestenrat in zwei Fraktionen teilte. Die eine befürwortete die Zusammenarbeit mit den chilenischen Behörden, während die andere sich radikalisierte und eine Bevormundung durch Chile ablehnte. Die Vertreter der zweiten Gruppe beriefen 2001 ein eigenes inoffizielles Parlament ein, das sich aus Mitgliedern der wichtigsten Clans der Insel zusammensetzt und sich neben einer Unabhängigkeit auch für eine sofortige Rückgabe des von Chile kontrollierten Landes einsetzt.

Eine 2003 durch den Bericht eines UN-Sonderberichterstatters über indigene Völker angestoßene Debatte führte zur Initiierung von staatlichen Arbeitsgruppen, die Lösungsvorschläge für die Probleme Landtitel, Immigration, für ein Autonomiestatut und einen Entwicklungsplan erarbeiteten. Der im selben Jahr ausgearbeitete Entwurf eines Autonomiestatutes wurde, was die Selbstverwaltung angeht, verwässert, dafür jedoch die Überführung von ungenutztem, unter chilenischer Verwaltung stehendem Land in Kollektivbesitz der Rapanui aufgenommen (Gonschor 2006). Das Statut, das auch die Unterstützung der damaligen Präsidentin Bachelet fand, wurde bis heute nicht vom chilenischen Parlament verabschiedet.

Zwar glauben aufgrund der materiellen Abhängigkeit von Chile bei gleichzeitigem Fehlen eigener Ressourcen die Wenigsten auf der Osterinsel an eine Unabhängigkeit. Aber gerade deshalb befindet sich das Andenland in der historischen Pflicht, den Rapanui das Recht an ihrem Land zu verschaffen und mehr Autonomie zu gewähren. Das aktuelle Vorgehen der Polizei und die bisherigen Erfahrungen der chilenischen Indigenen, wie z.B. der Mapuche, sprechen jedoch eine andere Sprache.

(1) Mit 2.200 Angehörigen stellen die Rapanui mittlerweile nicht mehr die Mehrheit der knapp 5.000-köpfigen Inselbevölkerung.

Literatur:
Cayuqueo, Pedro: „Der Terrorismusvorwurf war und ist vom Staat konstruiert”. Interview mit José Bengoa 
Der chilenische Anthropologe zur Lage der Mapuche. In: Quetzal, 10/2010.
Gonschor, Lorenz: Das geplante Autonomiestatut für Rapa Nui – Hoffnungsschimmer der Entkolonisierung oder kolonialpolitisches Manöver Chiles? In: Rundbrief des Pazifik-Netzwerkes e.V., 05/2006.

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Bildquelle: Thomas Kaltenbrunner

1 Kommentar

  1. Eduard Muenzer sagt:

    Auch ein hervorragend recherchierter und formulierter Artikel !
    Es ist mir unverständlich, dass der chilenische Staatspräsident nicht die Chance erkennt, sein Land durch positive Schlagzeilen weiter zu bringen.
    Die Rettung der 33 Mineros hat doch gezeigt, zu welch perfekt orchestrierter PR-Arbeit die Regierung fähig ist. Die glückliche Rettung der 33 Bergleute hat die Frage nach den Ursachen und Mißständen in Chiles Bergwerken völlig in den Hintergrund treten lassen.
    Jetzt hätte die Regierung die Möglichkeit weltweit zu punkten, indem sie den RapaNuis entgegen kommt und der einmaligen Situation auf der Insel Rechnung trägt.
    Nach einer Bereinigung der umstrittenen Besitzrechte sollte die Zuwanderung von Festlandchilenen und Ausländern deutlich zurückgefahren werden.
    Für den Tourismus hat Chile die einmalige Chance. dieses unvergleichliche archäologische Juwel als ein Paradebeispiel verantwortungsvoller Zurückhaltung der ganzen Welt zu präsentieren. Weniger Flüge und weniger Touristen. Gerne dafür zu höheren Preisen. Die Osterinsel darf kein zweites Disneyland werden !
    Nachdem zu befürchten ist, dass die Seilschaft zwischen dem Staatspäsidenten und der deutschstämmigen Investorenfamilie Schiess am längeren Hebel sitzt, wird das umstrittene Luxushotel Hanga Roa früher oder später wohl doch gebaut werden und das falsche Publikum auf die Insel bringen.
    Gegen den Willen der RapaNuis, die nur noch zusehen können, wie ihr Land als Cashkuh ausländischer Spekulanten missbraucht wird.
    Verantwortungsbewusste Reiseveranstalter und Touristen sollten zu einem Boykott dieses Hotels aufrufen. Es logiert sich nicht gut, in einem auf Unrecht, Gewalt und Blut erbauten Hotel.

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