In der Debatte um die Außenpolitik der zweiten Trump-Administration (Trump 2.0) tauchen immer wieder Begriffe auf, die es zu diskutieren lohnt, um zu klären, ob es sich dabei um eine Fortsetzung oder einen Bruch mit der Monroe-Doktrin 3.0 handelt. Schlagzeilen wie „Trump is making the Monroe Doctrine great again“ verweisen eher auf ersteres, während „Trump the revolutionary isolationist“ oder „The Donroe Doctrine: Trump’s vision for hemisphere“ eher letzteres vermuten lassen. Auch wenn Donald Trump erst zwei Monate im Amt ist, kann man aus dem Vergleich mit der Politik seiner Vorgänger dennoch erste, vorläufige Schlüsse hinsichtlich seiner Außenpolitik ziehen. In welchen Punkten gibt es Kontinuitäten zwischen Trump und Biden? Und worin unterscheiden sie sich voneinander?
Trump 2.0 oder: Was folgt auf die Pax Americana? (Teil 2)
Die beiden Markenzeichen der Trump’schen Politikwende – „Make America Great Again“ (MAGA) und „America First“ – signalisieren bereits zweierlei: Erstens befinden sich die USA im Niedergang, den es zu stoppen gilt, wozu zweitens eine Abkehr vom Globalismus und der ihr zugrunde liegenden „liberalen internationalen Ordnung“ notwendig ist. Trump 2.0 basiert auf der Einsicht, dass die unipolare Ära Geschichte ist und dass sich die USA in einer multipolaren Welt neu positionieren müssen. Mit seinem Wahlkampf und seinen ersten Maßnahmen im Amt hat Trump drittens deutlich gemacht, dass es ihm um die Reindustrialisierung der USA, die Neuausrichtung der politischen Kultur des Landes und einen autoritären Staatsumbau geht. Trump hat erkannt, dass er den „endlosen Kriegen“ seiner Vorgänger ein Ende setzen muss, wenn die von ihm angerstrebte Konsolidierung der US-amerikanischen Machtposition gelingen soll. Der Umsetzung dieser Einsichten stehen jedoch zwei grundlegende Defizite entgegen: Erstens verfügen Donald Trump und seine Gefolgsleute, die „American firsters“, nicht über eine kohärente Strategie zur Erreichung ihrer Absichten; zweitens sind die internen Kräfteverhältnisse noch ungeklärt und instabil. Der erratische Politikstil des Präsidenten lässt wenig Hoffnung, dass er diese Defizite zu überwinden imstande ist.
Sieht man sich die bisherigen Aktionen und Verlautbarungen der Trump-Administration an, können folgende Aussagen getroffen werden: Erstens tritt die außen- und sicherheitspolitische Neuorientierung von Trump 2.0 am deutlichsten im Umgang mit dem Ukrainekrieg und dem daraus resultierenden Bruch mit den europäischen „Verbündeten“ zu tage. Dem liegt eine realistische und nüchterne Analyse der Veränderungen zugrunde, die sich in den letzten drei Jahren vollzogen haben. Trump ist nicht länger bereit, in einen verlorenen Krieg zu investieren. Er ist der erste US-Präsident, der nach dem Ende der Sowjetunion bereit ist, die Sicherheitsinteressen Russlands zu akzeptieren und auf dieser Grundlage einen dauerhaften Ausgleich mit dem größten Staat der Erde zu suchen. Ein wichtiger Grund dafür ist zweitens, dass Trump der Auseinandersetzung mit China den absoluten Vorrang einräumt. In diesem Punkt ist er sich mit seinen Vorgängern Barack Obama (2009-2017) und Joe Biden (2021-2025) sowie mit dem US-Establishment einig. Im Zuge der Neuorientierung zeigt sich Trump drittens entschlossen, die bisherigen Bündnisbeziehungen der USA einer generellen Revision zu unterziehen. Nicht zuletzt aufgrund des eigenen Versagens wird Europa – neben der Ukraine – zu den großen Verlierern dieses Kurswechsels gehören. Viertens bildet die Rohstoffversorgung ein weiteres Thema, „das Trump obsessiv beschäftigt, … wobei er entschlossen ist, das Zeitalter der fossilen Energieträger zu verlängern und sicherzustellen, dass die USA über alle Rohstoffe verfügen, die sie für ihre ökonomische und technologische Entwicklung benötigen“ (Klare, S. 8).
Die Widersprüche und Defizite der Trump’schen Wende in der Außen- und Sicherheitspolitik der USA treten im Nahen und Mittleren Osten am deutlichsten zutage. Zum einen zeigt sich in dieser Region, für die die besser zutreffende Bezeichnung „Westasien“ mehr und mehr üblich wird, ein sehr hohes Maß an die Kontinuität. So gibt es kaum Unterschiede in der Politik gegenüber Israel. Mehr noch als seine Vorgänger scheint Trump bereit zu sein, Krieg gegen den Iran zu führen. Dies ist deshalb besonders gefährlich, weil nicht nur ein regionaler Flächenbrand droht, sondern auch eine Konfrontation mit Russland und China, die mit dem Iran durch die gemeinsame Mitgliedschaft in den BRICS plus und der Schanghai-Sicherheits-Kooperation (SCO) verbunden sind. Besonders zynisch ist Trumps Unterstützung des israelischen Krieges in Gaza, der klare Züge eines Genozids aufweist.
Wie fügt sich die Monroe-Doktrin in die Neuorientierung der Außen- und Sicherheitspolitik unter Trump 2.0 ein? Auch wenn davon auszugehen ist, dass sie eine neuerliche Metamorphose durchmacht, ist damit noch keineswegs geklärt, wie weit Monroe 4.0 von den vorhergehenden Varianten abweicht und wo die Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede gegenüber Monroe 1.0, Monroe 2.0 oder Monroe 3.0 liegen. Ungeachtet aller Schwierigkeiten und Vorbehalte soll hier der Versuch unternommen werden, erste Trends auszumachen. Zu deren Bestimmung ist es zunächst erforderlich, das neue Verhältnis der relevanten Machtpole zueinander auszuloten, um dann den Stellenwert der Westlichen Hemisphäre für Trump 2.0 näher zu bestimmen. Im dritten Schritt sollte es möglich sein, die Frage nach der Vereinbarkeit der Trump’schen Agenda mit der neuen Weltordnung zu beantworten.
Alte und neue Machtpole
Angesichts der vielen globalen Krisen und Konflikte, an denen auch die unipolare Weltordnung Washingtons gescheitert ist, dürfte eines klar sein: Kein Staat, egal wie groß seine Macht ist, kann künftig die Rolle des alleinigen Hegemons ausfüllen. Daraus folgt zum einen, dass im internationalen System eine Politik der Kooperation und friedlichen Koexistenz den Vorrang haben sollte. Zum anderen geht es bei der Gestaltung der internationalen Beziehungen darum, solche Kombinationen und Formen der Kooperation zwischen den maßgeblichen Machtpolen zu finden, die es ermöglichen, sich der Lösung der globalen Krisen und Konflikte zuzuwenden. Im Abgleich dieser normativen Prämissen mit den gegenwärtigen Realitäten lassen sich folgende Machtkonstellationen ausmachen: Erstens haben sich auf der globalen Ebene die Beziehungen zwischen den USA und China zur zentralen Konfliktachse entwickelt. Anders als vielfach behauptet geht es Beijing nicht darum, an die Stelle des im Niedergang befindlichen Imperiums zu treten. Das dem amerikanisch-chinesischen Konflikt innewohnende Eskalationspotential resultiert in erster Linie daraus, dass Washington den eigenen Abstieg mit einer Strategie aufhalten will, die auf die „Eindämmung“ des Rivalen setzt. Ob und wie es gelingt, diese Null-Summen-Logik Washingtons zu überwinden, muss die Zukunft zeigen.
Diese Bipolarität auf der Ebene der wirtschaftlichen und technologischen Supermächte wird zweitens durch Machtpole aufgebrochen, deren Verhältnis zur zentralen Konfliktachse sich wie folgt beschreiben lässt: Aufgrund seiner Größe, seines Ressourcenreichtums und seiner militärischen Stärke nimmt Russland eine Sonderstellung ein. Mit China besteht eine gefestigte strategische Partnerschaft, die auf gemeinsamen Erfahrungen, Interessen und Weltbildern beruht. Innerhalb der BRICS und der SCO, die für immer mehr Länder des globalen Südens zu einer attraktiven Alternative werden, bildet die Kooperation beider Länder die zentrale Achse. In Bezug auf die USA war Russland in den letzten drei Jahren der direkte und nunmehr siegreiche Widerpart in einem Stellvertreterkrieg, der auf dem Boden der Ukraine ausgetragen wird. Nachdem Trump faktisch die Niederlage Washingtons eingestanden hat, ist er nun bemüht, Russland gegen China in Stellung zu bringen. Moskau wiederum ist als stärkste Atom-Macht daran interessiert, mit Washington eine stabile Sicherheitsarchitektur auf eurasischer und globaler Ebene aufzubauen. Da der Normalisierungsprozess zwischen den beiden führenden Atommächte gerade erst begonnen hat, ist dessen Ausgang ungewiss. Wie auch immer die konkrete Konstellation zwischen den drei Machtpolen ausfällt: Das Dreieck Beijing-Washington-Moskau bildet den zentralen Kern für die Herausbildung einer multipolaren Weltordnung. Als vierter Machtpol ist Indien zu nennen. Das südasiatische Land gehört einerseits wie China und Russland zu den Gründungsmitgliedern der BRICS, andererseits ist das Verhältnis zwischen Indien und China nicht konfliktfrei, während die Beziehungen zwischen Indien und Russland stabil und eng sind. Die Spannungen zwischen den beiden asiatischen „Riesen“ versuchen die USA für ihre antichinesische Politik zu nutzen, indem sie Indien ihre „strategische Partnerschaft“ anbieten. Neu-Delhi versucht einerseits, aus der Rolle des „Swing State“ Vorteile zu ziehen, ohne andererseits seine tragende Rolle bei den BRICS gefährden zu wollen.
Drittens haben sich in der Interaktion zwischen den vier Machtpolen in den letzten drei Jahren tektonische Verschiebungen vollzogen, in deren Ergebnis auf der einen Seite der kollektive Westen zerbrochen ist, während auf der anderen Seite der globale Süden deutlich an Gewicht gewonnen hat, was in der Erweiterung der BRICS und der wachsenden Rolle der SCO seinen Niederschlag gefunden hat. Die beiden größten Verlierer dieser Entwicklung sind die Ukraine und Europa. Es ist eine kaum zu überbietende Ironie der Geschichte, dass die Europäer unter Führung Großbritanniens und Frankreichs mit aktiver Beteiligung Deutschlands den Krieg in der Ukraine weiterführen wollen, während die USA unter der Führung Trumps gleichzeitig mit Russland über eine Friedenslösung verhandeln. Wie schnell und wie weit der Rückzug Washingtons aus Europa gehen wird, ist derzeit offen. Dass er stattfinden wird, dürfte jedoch klar sein. In Westasien scheint Trumps Politik darauf zu zielen, Israel in eine Position der regionalen Dominanz zu bringen. Die damit freiwerdenden Kräfte will er gegen China einsetzen.
Die hier skizzierten tektonischen Verschiebungen sind Teil des Übergangs zu einer multipolaren Weltordnung, der lange noch nicht abgeschlossen ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lassen sich die globalen Kräfteverhältnisse wie folgt beschreiben: Auf der einen Seite hat sich der Niedergang des Westens infolge seiner Niederlage im Ukrainekrieg weiter beschleunigt und vertieft. Der Bruch der transatlantischen Beziehungen und der von Trump initiierte Zollkrieg, der sich nicht zuletzt gegen bisherige Verbündete richtet, belegen diese Einschätzung. Während die USA versuchen, sich für ihre Auseinandersetzung mit China in Stellung zu bringen, sieht das weitgehend isolierte und zunehmend fragmentierte Europa einer ungewissen Zukunft entgegen. Eine Trendwende ist mit den verwaisten und orientierungslosen Transatlantikern, die die europäische Krise zu verantworten haben, nicht zu erwarten. Auf der anderen Seite hat die nicht-westliche globale Mehrheit unter Führung der Achse Beijing-Moskau wichtige Fortschritte bei der Gestaltung der neuen Weltordnung zu verzeichnen, wovon vor allem BRICS plus und der Ausbau der SCO zeugen. Während die USA – vormals Hegemon der unipolaren Weltordnung – unter Trump auf „America first!“ setzen, kooperieren die drei eurasischen Weltmächte bei der Gestaltung der multipolaren Weltordnung miteinander. Dabei haben China und Russland die Führungsrolle im Prozess der eurasischen Integration übernommen. Indien befindet sich in der Position des „Swing State“, der seine Beziehungen zu USA nutzt, um den wachsenden chinesischen Einfluss auszubalancieren. Trump, der in der Tradition der Monroe-Doktrin „hemisphärisch“ denkt, will und muss in dieser Situation das gesamte Potential der amerikanischen Hälfte des Planeten mobilisieren, um China Paroli bieten zu können.
Neuer Stellenwert der Westlichen Hemisphäre
Unter den ersten außen- und sicherheitspolitischen Amtshandlungen der zweiten Trump-Administration haben jene besondere Aufmerksamkeit erregt, die fünf Länder der Westlichen Hemisphäre betreffen: Grönland, Kanada, Mexiko, Panama und Kolumbien. Anhand dieser Fälle lassen sich erste Konturen der Neuausrichtung der Monroe-Doktrin (Monroe 4.0) bestimmen. Ein erster Punkt, der ins Auge fällt, sind die Forderungen gegenüber Grönland und Kanada. Während Trump die größte Insel der Welt, die von Dänemark außenpolitisch vertreten wird, käuflich erwerben will, macht er dem nördlichen Nachbarn Kanada Avancen, als 51. Bundesstaat den USA beizutreten. Als Begründung dienen in erster Linie die sicherheitspolitischen und ökonomischen Interessen Washingtons. Diese Vorstöße sind vor allem deshalb interessant, weil sie in Richtung Arktis zielen. Damit wird den bisherigen geopolitischen Vektoren der Monroe-Doktrin (Europa, Lateinamerika, Pazifik) eine vierte hinzugefügt. Neben den zahlreichen Ressourcen, die im Ergebnis der Polschmelze zugänglich werden, ist die Kontrolle über die Nord-West-Passage von besonderem Interesse. Die Expansion Richtung Norden soll ein Gegengewicht zur russischen Nord-Ost-Passage schaffen, deren anstehende ganzjährige Nutzung die Seeroute zwischen Asien und Europa deutlich verkürzt.
Zweitens geht es auch bei Panama um die Kontrolle von strategisch wichtigen Seerouten. Der 1914 eröffnete Panamakanal gehört zu den wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Pro Jahr passieren etwa 14.000 Schiffe die Wasserstraße – das entspricht etwa drei bis sechs Prozent des maritimen Welthandels. Rund zwei Drittel aller Waren, die in US-Häfen be- oder entladen werden, werden durch den Kanal transportiert. Während dieser selbst der Kontrolle Panamas unterliegt, betreibt das Konsortium „CK Hutchison Holdings“ seit 1997 die Häfen Balboa und Cristóbal an dessen beiden Enden. Die Firma gehört einer reichen Hongkonger Familie und nicht dem chinesischen Staat. Dennoch hat Trump dies zum Anlass genommen, China unfairer Praktiken zu bezichtigen. Inzwischen hat eine von Blackrock kontrollierte Gruppe von Investoren die beiden Häfen erworben, was Trump als „großen Sieg“ über China feiert.
Wie die Fälle Mexiko und Kolumbien zeigen, setzt Trump drittens große lateinamerikanische Länder massiv unter Druck, um ihnen seine Bedingungen aufzuzwingen. Mexiko hat nicht nur eine lange Grenze zu den USA, sondern ist durch komplexe wirtschaftliche, politische und soziale Beziehungen mit dem nördlichen Nachbarn verbunden. Trumps Zollpolitik vermittelt einen Vorgeschmack davon, zu welchen Erpressungsinstrumenten er zu greifen bereit ist, um seine Bedingungen durchzusetzen. Mit der Einstufung der mexikanischen Kartelle als terroristische Organisationen, die Trump bereits am 20. Januar 2025 verkündet hatte, hat das Weiße Haus die Tür für eine mögliche militärische Intervention geöffnet. Die Direktive berechtigt die CIA und andere US-Agenturen, zum Aufspüren von Fentanyllaboren und zur Vernichtung von relevanten Zielen auf mexikanischem Boden Drohnen einzusetzen. Dies zeigt nicht nur, dass die Militarisierung des Konflikts bereits im Gange ist, sondern macht auch deutlich, welchen Gefahren dem Land und der ganzen Region bei einer Eskalation des „War on Drugs“ drohen.
„Wenn die Einstufung der mexikanischen Kartelle als Terrororganisationen Trumps Vorwand für künftige militärische Interventionen ist, dann ist seine Migrationspolitik der andere Pfeiler seiner Destabilisierungsstrategie. Trump hat versprochen, eine Million Menschen pro Jahr abzuschieben, eine Maßnahme, die, wenn sie umgesetzt wird, in mehr als einem lateinamerikanischen Land eine humanitäre Krise auslösen wird. Mexiko, Mittelamerika und die Karibik werden mit der massiven Ankunft von abgeschobenen Migranten überfordert sein ‒ ohne Unterstützungsnetzwerke oder ausreichende institutionelle Strukturen, um ihre Eingliederung in die Arbeitswelt zu erreichen. … Eine abrupte Migrationswelle ohne jegliche Planung könnte die Wirtschaftssysteme mehrerer Länder zum Kollaps bringen und eine soziale Krise von enormem Ausmaß auslösen.“ (Arkonda, 7.3.2025)
Als der kolumbianische Präsident Gustavo Petro sich im Januar weigerte, US-Militärflugzeuge mit abgeschobenen Migranten die Landerlaubnis zu erteilen, ließ Trump die Muskeln spielen und erreichte unter Androhung von Zöllen und Sanktionen die Rücknahme dieser Entscheidung. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, konnte am 26. Januar 2025 in einer Stellungnahme verkünden, dass „die kolumbianische Regierung allen Bedingungen von Präsident Trump zugestimmt hat, einschließlich der uneingeschränkten Aufnahme aller illegalen Einwanderer aus Kolumbien, die aus den USA zurückgeführt werden, auch in Militärflugzeugen der USA, ohne Einschränkung oder Verzögerung“. (amerika21 vom 28.1.25)
Monroe 4.0 nimmt rasch Konturen an
Die geschilderten Beispiele zeigen, dass die Monroe-Doktrin bei der Anpassung der USA an die neue Ära der multipolaren Weltordnung für Trump unverzichtbar ist, wobei er auf eine Reihe neuer bzw. erneuerter Elemente setzt. An erster Stelle ist die Aufwertung der gesamten Westlichen Hemisphäre als maßgebliche geopolitische Plattform zur Verteidigung der Vormachtstellung der USA zu nennen. Auf der einen Seite erinnert dieser strategische Rückzug an die Zeit zwischen 1898 und 1941 (Monroe 2.0). Auf der anderen Seite agieren die USA unter völlig anderen Bedingungen. Der entscheidende Unterschied ist ein epochaler. Während Monroe 2.0 zentraler Bestandteil der imperialistischen Expansion der neuen Weltmacht ist, fällt Monroe 4.0 in die Ära des Abstiegs der USA und dient der Konzentration der Kräfte im Kampf gegen den chinesischen Rivalen.
Daraus leitet sich zweitens eine Neujustierung der Allianzen ab, die anders als bei Monroe 3.0 nicht mehr global angelegt sind. Der Bruch der transatlantischen Achse zeigt, dass Europa für Trump bestenfalls als Manövriermasse dient, während die transpazifische Achse weiter an Bedeutung gewinnt. Im Idealfall soll Indien gegen China in Stellung gebracht werden. Die Haltung gegenüber Westasien ist insofern von Bedeutung, als dass von hier aus die Energieimporte Chinas kontrolliert und ggf. unterbrochen werden können. Dazu bedarf es der Ausschaltung des Iran, der sich – im Verbund mit Russland und China – zu einem strategischen Akteur bei der Gestaltung der multipolaren Weltordnung entwickelt hat. Bei der von Trump angestrebten „Befriedung“ Westasiens und der damit verbundenen Freisetzung der dort gebundenen Kräfte für die direkte Auseinandersetzung mit China kommt Israel eine Schlüsselstellung zu. Trumps Dilemma besteht jedoch darin, dass sich der vermeintliche Aktivposten immer mehr zur Belastung entwickelt.
Drittens bedarf der Ausbau der Westlichen Hemisphäre zur Plattform der Niederhaltung Chinas einer regionalen Neustrukturierung, bei der Nordamerika das strategische Zentrum bildet. Diese geostrategische Rückbesinnung auf den eigenen Kontinent ist auf die Stärkung der faktischen Insellage der USA gerichtet. Neben der Einbindung Kanadas, Grönlands und Mexikos rückt damit die Karibik ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Aus Trump’scher Perspektive bilden hier jedoch drei Länder – Venezuela, Kuba und Nicaragua – „Störfaktoren“, die es aufgrund ihrer anti-imperialistischen Ausrichtung sowie ihrer engen Beziehungen zu China und Russland zu beseitigen gilt. In Südamerika steht Washington generell vor dem Problem, dass der ökonomische Einfluss Chinas in den letzten 20 Jahren rasant gewachsen ist. Aber selbst Brasilien, Gründungsmitglied der BRICS und enger Handelspartner Chinas, sieht sich dem zunehmenden Druck der Trump-Administration ausgesetzt. Die Präsidentschaft von Jair Bolsonaro (2019-2022) zeigt ebenso wie sein argentinisches Pendant Javier Milei, der seit dem 10. Dezember 2023 regiert, dass Washington nach wie vor über zahlreiche Möglichkeiten verfügt, die Entwicklungen in Südamerika in seinem Sinne zu beeinflussen.
Wie steht es um die Erfolgsaussichten von Monroe 4.0? Bei der Beantwortung dieser Frage muss man drei Ebenen – die objektive, die situative und die subjektive – unterscheiden. Auf der erstgenannten Ebene geht es um die Bewertung der Stärken und Schwächen der US-amerikanischen Machtpositionen und -ressourcen. Einerseits sind die USA immer noch die größte Militär- und Wirtschaftsmacht der Welt, die sich andererseits in einer tiefen Krise befindet. Ob sich Monroe 4.0 als neue Variante etablieren kann, hängt davon ab, welchen Verlauf die Krise nimmt und wie sich die Interaktionen mit den anderen Weltmächten gestalten (situative Ebene). Mit Blick auf die Persönlichkeit von Donald Trump und seine gespaltene Regierungsmannschaft (subjektive Ebene) sind jedoch Zweifel angebracht, dass er seine Agenda auch umzusetzen imstande ist. Sein Vorgehen ist bislang darauf angelegt, kurzzeitige Vorteile und Gewinne zu erzielen, ohne die langfristigen Folgen zu bedenken. Auch wenn sich seine Absichten relativ gut erkennen lassen, liegt ihnen keine kohärente Strategie zugrunde. Es ist zu befürchten, dass Trump in seinem Bestreben, Amerika wieder groß zu machen, das Gegenteil bewirkt. Zwar werden sich die lateinamerikanischen Regierungen immer wieder gezwungen sehen, sich den Drohgebärden Trumps zu beugen. Mittel- und langfristig werden sie aber bestrebt sein, ihre Souveränität zu verteidigen. Dank des wachsenden Einflusses von China und Russland in Lateinamerika bieten sich ihnen Alternativen, um sich besser wehren zu können. Der Widerstand der Völker der Region gegen Monroe 4.0 ist und bleibt ein maßgeblicher Faktor, der über den Ausgang von Trump 2.0 entscheiden wird.
Monroe 4.0 als neue US-Strategie für die multipolare Ära?
In einem ersten Resümee lässt sich die Außen- und Sicherheitspolitik von Trump 2.0 als hybrider Ansatz beschreiben, bei dem Elemente des „Strategic Balancing“ und des „multipolaren Realismus“ miteinander kombiniert werden (Ganchev 2025, S. 40). Was ist damit gemeint? Grundlegend ist Trumps Abschied vom „liberalen Internationalismus“. Nachdem die unipolare Weltordnung Washingtons im Ergebnis des Ukrainekrieges krachend gescheitert ist, sehen sich die USA gezwungen, unter den veränderten Bedingungen einer multipolaren Welt um den Erhalt ihrer „Führerschaft“ (eng.: leadership) zu kämpfen. Die Losung „America first!“ steht dabei für zweierlei: Erstens für den Anspruch auf Platz Nummer 1 im multipolaren Klub der Weltmächte; und zweitens für die „Einsicht“, dass die angestrebte Führerschaft nur zu erreichen ist, wenn einerseits die imperialen Lasten der Vergangenheit drastisch reduziert werden und andererseits die gebündelten Kräfte auf jene strategischen Bereiche konzentriert werden, die über die künftige Stellung des Landes entscheiden (Hochtechnologien, Energie, Versorgung mit strategischen Rohstoffen, Finanzmärkte). Dabei nehmen der Umbau des Staates und die Reduzierung der globalen Präsenz der USA eine Schlüsselstellung ein.
Ob und wie es Donald Trump gelingen wird, diese Agenda umzusetzen, ist wie gesagt offen. Ein Blick in die Geschichte genügt, um zu prognostizieren, dass der erneuerte Dominanzanspruch der USA gegenüber den Ländern der Westlichen Hemisphäre auf wachsenden Widerstand stoßen wird. Wie wird Trump darauf reagieren? Gelingt es ihm, mit seiner aggressiven Politik, Washingtons „Hausrecht“ durchzusetzen? Welche Möglichkeiten haben jene Länder, die ihren eigenen Weg gehen wollen? Auch wenn wir die konkreten Antworten nicht kennen, so lässt sich in Bezug auf Monroe 4.0 ein inhärenter Widerspruch konstatieren: Auf der einen Seite hat der amerikanischen Doppelkontinent für Washington eine neue Funktion als Plattform im Kampf um die Gestaltung der multipolaren Weltordnung erhalten. Die dazu notwendige Rekonfiguration der inter-amerikanischen Beziehungen ist ohne tiefgreifende Eingriffe in die Souveränität der nördlich und südlich von den USA gelegenen Länder nicht möglich. Auf der anderen Seite agiert Washington aus einer Position der Schwäche und der gesteigerter Aggressivität. Als Teil des globalen Südens profitiert Lateinamerika von den tektonischen Verschiebungen auf globaler Ebene und von der wachsenden Präsenz Chinas und Russlands in der Region. In dieser Situation stellt Trump den Nachbarländern ein Ultimatum: Entweder ordnen sie sich Washingtons Sicherheitsbedürfnissen unter und nehmen schmerzhafte Einbußen ihrer Souveränität hin, oder sie fallen einer Politik des „Big Stick 2.0“ zum Opfer. Damit greift Trump zu Mitteln, die dem Erreichen seiner Ziele entgegenwirken. Dieses Dilemma, das Monroe 4.0 innewohnt, gilt nicht nur für die Westliche Hemisphäre selbst, sondern auch für die Gestaltung der multipolaren Weltordnung insgesamt.
Lesehinweise:
Arkonda, Kartu: „Terroristische Kartelle“ = imperialistische Gewalt in Lateinamerika, 7.3.2025, Abruf unter: https://amerika21.de/analyse/274039/lateinamerika-usa-kartelle-terrorismus
Brands, Hal: America’s Best Strategy for Cold War II Is 200 Years Old, unter: https://www.bloomberg.com/opinion/features/2023-12-03/america-s-best-strategy-for-cold-war-ii-the-200-year-old-monroe-doctrine
Crandall, Britta/ Crandall, Russell: „Our hemisphere“? The United States in America, from 1776 to the Twenty-First Century. New Haven & London 2021
Capote, Raúl Antonio: US-Militärbasen in Lateinamerika: Washingtons Hauptinteresse liegt in den Bodenschätzen, unter: https://amerika21.de/blog/2023/03/262950/us-militaer-lateinamerika-rohstoffe
Gantchev, Ivo: Trump’s New Foreign Policy: Strategic Repositioning in a Multipolar World? Centre for Regional Integration CIC, Regional Policy Insights, Volume 3, Issue 1, Policy Paper No. 6
Klare, Michael: America First 2.0, in: Le Monde Diplomatique, Deutsche Ausgabe, Januar 2025, S. 8-9
Merlati, Mariele/ Vignati, Daniela: More than One? The Monroe Doctrine, Cold War Style, in: Nuovi Autoritarismi E Democrazie: Diritto, Istituzioni, Società (NAD-DIS), vol. 7 (Feb. 2025) no. 1 1https://doi.org/10.54103/2612-6672/28321
https://thedispatch.com/article/the-monroe-doctrine-then-and-now/ by Dr Evan Ellis was first published in December 2023 at the website of The Dispatch
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