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Im Fadenkreuz der ELN

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Hintergründe zur Entführung der beiden Deutschen durch die kolumbianische Guerilla-Organisation

Kolumbien: Guerilla der ELN - Foto: Public DomainDie Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Zwei deutsche Rentner im Dorf Teorama nördlich von Santander (Kolumbien) von Mitgliedern der Guerillagruppe Nationale Befreiungsarmee (Ejército de Liberación Nacional, ELN) verschleppt. Aus diesem Winkel der Welt erfährt der Leser in Deutschland ja sonst wenig. Die Entführung der beiden Deutschen rückte die Region jedoch kurzzeitig in den Fokus der Medien.

Was war geschehen? Am 3. November 2012 wurden die Brüder Uwe und Günther B., die sich auf einer gemeinsamen Amerikareise befanden, vom ELN gefangen genommen. Wie die zuständige Polizeibehörde berichtete, seien sie vor ihrer Entführung zwischen Ecuador, Kolumbien und Venezuela mit einem Campingbus unterwegs gewesen. Mit ihrem grünen Fahrzeug, das das Nummernschild der Gemeinde Fürstenfeldbruck trägt, wollten die 69 und 73-Jährigen ganz Amerika von Süden nach Norden durchqueren. In Teorama, etwa 670 Kilometer nördlich von Bogotá, endete ihre Reise jedoch abrupt mit ihrer Gefangennahme durch revolutionäre Kämpfer.

Auf ihrer Homepage bestätigte der ELN Anfang Februar, dass die beiden Deutschen seit Wochen im nordöstlichen Catatumbo in ihrer Gewalt seien. Die Gefangenen hätten ihre Anwesenheit in dieser Gegend nicht erklären können und gelten deshalb als Spione. Weshalb die Entführung aber erst drei Monate später bekannt gegeben wurde, bleibt unklar.

In ihrer neuesten Stellungnahme fordert der ELN Informationen und Dokumente zu Familie und früheren Arbeitsverhältnissen der Deutschen. Das Auswärtige Amt hat einen Krisenstab eingerichtet. Kolumbien setzte eine Vermittlungskommission ein, um die Befreiung friedlich zu erreichen. Von einem Militäreinsatz sehe der kolumbianische Präsident offiziell ab, der unterdessen noch immer Friedensgespräche mit der FARC auf Kuba führt, an der der ELN nicht teilnimmt.

Gegen diese offizielle Erklärung sprechen allerdings Beobachtungen von Anwohnern, die dem Nachrichtenjournal redcolombia.org folgendes berichteten: „Am 26.01.2013 haben wir von Bewohnern aus Guamocó, Gemeinde Santa Rosa del Sur, Verwaltungsbezirk Bolívar die Informationen erhalten, dass sich Truppen des Militärs – ohne Kennzeichnung der Einheit – sowie regionale Paramilitärs (…) in Richtung des Dorfes Marisosa (Guamocó) bewegen.“ Dies könnte auf eine Militäroperation zur Befreiung der Gefangenen hindeuten.

Auch wenn man sich fragt, was den ELN bewogen haben mag, ausgerechnet in den beiden Rentnern Spione zu vermuten, noch zumal deutsche, von denen der eine kaum Spanisch spricht, so erstaunt vor allem ihre Forderung. Denn dass sie anstelle von Lösegeld eine Dokumentation über die Entführten verlangt, ist merkwürdig. Vielleicht zeigt dies zunächst nur, dass die Guerilla-Organisation scheinbar weiterhin eine stärkere ideologische Ausrichtung aufweist als die vergleichbare FARC.

Das hätte vor allem historische Ursachen. Im Gegensatz zur FARC, die sich 1964 in der Tradition bäuerlicher Selbstverteidigungsgruppen gegründet hatte, orientierte sich der ELN von Anfang an eher am kubanischen Modell. Die FARC wirkte denn auch vorrangig in den isolierten Gebieten des Südens und Ostens, wo der kolumbianische Staat nicht präsent war, sehr wohl aber mächtige Großgrundbesitzer, und schützte die ansässigen Kleinbauern vor den oft willkürlichen Hacendados. Sie verstand sich – zumindest am Anfang – auch keineswegs als antikapitalistisch, sondern nahm eine defensive, soziale, entwicklungsfördernde (z.B. durch die Errichtung von Infrastrukturprojekten) und eine ordnungsstiftende Rolle (z.B. durch Ausübung der Gerichtsbarkeit) ein. Die FARC wurde deshalb von der Landbevölkerung als eine Alternative zum Staat wahrgenommen. Und obwohl sie später – mit Rückendeckung der kommunistischen Partei – den Übergang zum Sozialismus anstrebte, so sollte dieser Weg nicht mit gewaltsamen Mitteln oder gar Revolution eingeschlagen werden. Zu Gewalt kam es gleichwohl schon, aber nicht aus ideologischen Gründen.

Kolumbien: Guerilla der ELN - Foto: Julian Ortega MartinezDas Ziel des ELN dagegen, wenngleich sich ebenfalls vorrangig in den ländlichen Gebieten (allerdings des Nordostens) etablierend, lag im Übergang zum Sozialismus mit einer Revolution analog zu den Ereignissen auf Kuba. Den Ausgangspunkt sollten die so gennanten revolutionären Brennpunkte (focos) bilden – eine Strategie, die sich an den Grundsätzen von Che Guevara orientierte. Dabei ging es von Anfang an um Systemveränderung und nicht um Partizipation wie bei der FARC. Entsprechend radikal agierte der ELN nach außen und nach innen. Friedensgespräche – wie zuletzt zwischen der FARC und der Regierung begonnen – lehnte sie 1984 noch ab.

Die auf Umsturz ausgerichtete Guerilla-Taktik wurde durch die Errichtung der Volksmacht, der Poder Popular, ergänzt. Der ELN unterstützte daher zunehmend auch urbane soziale Bewegungen, vor allem Selbstverwaltungsstrukturen (vergleichbar denen nach der Krise in Argentinien). Zugleich sabotierte er Ölpipelines und Förderanlagen, mit dem Ziel, ausländische Investoren abzuschrecken, da deren in Kolumbien erzielte Gewinne nicht der lokalen Bevölkerung zugute kämen. Davon erhoffte er sich einen Sympathiezuwachs in breiten Teilen des Volkes.

Durch die militärische Schwächung des Guerilla-Flügels änderte der ELN allerdings Mitte der 1990er Jahre erneut seine Strategie. Er wollte nunmehr eine Nationalkonvention unter Einbeziehung aller gesellschaftlich wichtigen Gruppen einberufen. 1998 gab es dann sogar unter der Schirmherrschaft der deutschen Bischofskonferenz erste Kontakte zwischen Vertretern des ELN und kolumbianischen Politikern. Diese Gespräche brachen jedoch 2001 ab. Es folgten ein paar erfolglose Sondierungsgespräche, und mit der Wahl von Álvaro Uribe dominierte in der Politik wieder das militärische Element, der Plan Colombia.

Seitdem hat die Zahl der Mitglieder im ELN stark abgenommen. Heute gibt es schätzungsweise 2000 bis 3000 Kämpfer (gegenüber immer noch etwa 9000 bei der FARC). Und es ist in den Medien still um den ELN geworden. Hier liegt möglicherweise der Schlüssel zum Verständnis der Entführung. Denn bereits am 18. Januar 2013 wurden fünf Minenarbeiter gekidnappt. Der ELN sucht offensichtlich mediale Aufmerksamkeit, um – wie die FARC – mit der Regierung Friedensgespräche aufzunehmen. Militärisch derart in die Defensive gedrängt – auch und gerade infolge der Unterstützung der kolumbianischen Armee durch US-Berater – sieht die Guerilla in den Entführungen ein althergebrachtes Mittel zum Zweck.

Eine andere Ursache der Geiselnahme könnte darin liegen, dass der ELN neue Finanzierungsquellen sucht. Waren es in den 1980er Jahren vor allem „Schutzgeldzahlungen“ (speziell der Ölindustrie), verschob sich das Finanzierungsmuster in den 1990er Jahren hin zu Lösegeldzahlungen für Entführungsopfer. Etwa um das Jahr 2006 soll schließlich der Drogenhandel zur wichtigsten Einnahmequelle aufgestiegen sein, eine Entwicklung, die dahingehend überrascht, als dass der ELN den Kokaanbau und -handel in den von ihm kontrollierten Gebieten mehrfach verbot. Es gab deswegen sogar Auseinandersetzungen mit der FARC in den Zonen, in denen beide Organisationen operierten. Da jedoch der Drogenhandel immer mehr in die Hände spezialisierter Drogenkartelle gelangt (und nicht der FARC, die sich anscheinend auf den Anbau und/oder die Finanzierung über den Anbau beschränkt), verfällt der ELN möglicherweise wieder auf das Modell „Lösegeldzahlung“. Obwohl Schätzungen schwierig sind, wurde in den 1990er Jahren geschätzt, dass der ELN etwa 14.000 US-Dollar pro Kämpfer (und seiner Familie) im Jahr aufwendet – die FARC etwa die Hälfte.

Die weitere Entwicklung in diesem Fall wird zeigen, welche der Vermutungen die mysteriöse Entführung am besten erklären kann.

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Bildquelle: [1] Public Domain; [2] Julián Ortega Martínez_

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