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Kleine Schritte zum Frieden

Zeljko Crncic | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Die schwierige Aufarbeitung des Konfliktes in Kolumbien

Kolumbien: Das Awa-Massaker - Auf dem Weg zum Friedhof - Foto: Von BergenKolumbien ist seit Jahrzehnten von einem Krieg gezeichnet, der in erster Linie die Zivilbevölkerung schwer in Mitleidenschaft gezogen hat. In den 60er Jahren traten linksgerichtete Rebellengruppen an, um die Regierung und die alt eingesessenen Eliten bewaffnet herauszufordern. Die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) und die ELN (Ejercito de la Liberación Nacional) kämpften u.a. für eine Landreform und für eine Umverteilung des ökonomischen Reichtums, der in Kolumbien sehr ungleich verteilt ist. In den 70er und 80er Jahren kam in Kolumbien der Handel mit Cannabis und später mit Kokain auf. Die Guerilla versuchte durch die „Besteuerung“ dieses Handels, am Drogengeschäft mitzuverdienen. Auch entführte sie immer wieder reiche Kolumbianer, für die sie Lösegeld erpresste. Die Drogenhändler und die landbesitzende Elite rüsteten in der Folge paramilitärische Gruppen aus, die begannen, gegen die Guerilla-Gruppen zu kämpfen.

Die Zivilbevölkerung – vor allem in ländlichen Gebieten – wurde stark in die Kämpfe zwischen den verschiedenen Gruppen involviert. So kam und kommt es immer wieder zu Übergriffen der Guerilla gegen Mitglieder indigener Gemeinschaften, die sich zum Teil für neutral erklären und sich der Kontrolle der FARC durch eigene Organisationsprozesse entziehen möchten. Die FARC nahm darüber hinaus immer wieder Geiseln, die sie Jahre lang in unzugänglichen Gebieten festhielt. Vor allem Mitglieder der Mittelschicht waren stark von den Entführungen betroffen.

Zur Taktik der Paramilitärs wiederum gehörte es lange Zeit, Dörfer gezielt anzugreifen. Dabei wurden wiederholt ganze Gruppen von Zivilisten auf grausame Weise getötet. Das makabre Kalkül der Paramilitärs und ihrer Hintermänner war es, die ländliche Zivilbevölkerung einzuschüchtern, sie von politischer Mobilisierung oder gar der Zusammenarbeit mit der Guerilla abzuhalten oder sie gänzlich von ihrem Land zu vertreiben. Die Paramilitärs eigneten sich die Ländereien nach der Vertreibung dann selbst an.

Im Jahre 2011 erkannte die Regierung des konservativen Präsidenten Juan Manuel Santos erstmals die Existenz eines bewaffneten Konfliktes im Land an. Ein Novum, denn die vorherigen Regierungen hatten stets nur von Terrorismus gesprochen. Im Zuge dieses Umdenkens wurde auch das Gesetz 1448 zur Entschädigung der Opfer des Konfliktes verabschiedet. Es sieht u.a. eine Rückgabe von enteignetem Land sowie eine ideelle und materielle Entschädigung vor. Die Regierung legte ein Programm auf, das die Umsetzung der Vorgaben auf verschiedenen Ebenen begleiten soll. So entstanden u.a. auf Ebene der Städte, Gemeinden und Departements runde Tische, an denen gemeinsam mit Organisationen der Opfer konkrete Schritte bei der Entschädigung implementiert werden sollten.

Allerdings findet diese Politik der Anerkennung der Opfer und deren Entschädigung inmitten des bewaffneten Konfliktes statt. Zwar werden aktuell Friedensverhandlungen zwischen der FARC und der Regierung geführt, aber in einigen Landesteilen geht die Gewalt unvermindert weiter. Die paramilitärischen Gruppen haben sich in den so genannten Bandas Criminales (Bacrim) reorganisiert. Sie sind weiterhin aktiv und bedrohen politische Aktivistinnen und Aktivisten.

Kolumbien: Forderung nach Frieden - Foto: Martin Giraldo_Das Departement Valle del Cauca liegt im Südwesten Kolumbiens. Es hat einen Zugang zum pazifischen Ozean, Ebenen, in denen Zuckerrohr angebaut wird und bergige Regionen, wo qualitativ hochwertiger Kaffee wächst. Das Departement ist reich an Bodenschätzen, an Ressourcen wie Wasser und fruchtbaren Böden. Gleichzeitig spiegelt das Valle del Cauca viele der Probleme, die mit der Initiative zur Aufarbeitung des Krieges einhergehen, exemplarisch wider. Die FARC sind auf dem Gebiet des Departements ebenso aktiv wie paramilitärische Gruppen und Drogenbanden. Die Region ist für alle bewaffneten Akteure aufgrund der Ressourcen, aber auch als Korridor für den Abtransport von Drogen in Richtung Pazifikküste interessant. So ist die Hafenstadt Buena Ventura in den letzten Monaten zwischen verschiedenen paramilitärischen Gruppen umkämpft, worunter die Einwohner stark zu leiden haben.

In der Vergangenheit war das Departement immer wieder Schauplatz von Massakern und Gewalttaten der verschiedenen Gruppen. Dies begann bereits in den 50er Jahren, in der Zeit der so genannten Violencia, einer Phase der Gewalt, die zwischen 1948 und 1957 zwischen Liberalen und Konservativen im ganzen Land tobte. Maria Ortiz*, Vertreterin der Opferorganisation Nuevo Amanecer aus der Kleinstadt Caizedonia, die sich an der Grenze des Departements zum so genannten Eje Cafetero, dem wichtigsten Kaffeeanbaugebiet des Landes, befindet, berichtet:

„Caicedonia war zu der Zeit eigentlich liberal. Als die Konservativen kamen, töteten sie jeden, den sie für liberal hielten.“

Die Gewalt im Departement verschwand auch während der nächsten Dekaden nicht. Neben den Auseinandersetzungen zwischen Guerilla und Paramilitärs kam es immer wieder zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung. So in der Nähe der Ortschaft Buga, nördlich der Departementshauptstadt Cali im Jahre 2002. Ein Bataillon der Armee war in der Nähe stationiert, griff jedoch nicht ein, als Bewaffnete eine Gruppe von Zivilisten angriffen.

„Das Massaker hat am 10. Oktober 2002 stattgefunden, und es wurden mehr als 24 Personen getötet. Die regulären Soldaten haben die Paramilitärs praktisch an den Ort gebracht, an dem sie dann ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung begingen. Die Armee hat die Paramilitärs in einem Militärfahrzeug an den Ort des Geschehens gebracht. Sie haben die Frauen in einem Haus in der Nähe der Kirche und des Verwaltungsgebäudes eingesperrt und die Männer in einer Reihe aufgestellt. Die jüngsten ließen sie laufen, und die Älteren behielten sie, dann töteten sie die Männer. An diesem Tag regnete es. Eine Frau sah aus ihrem Versteck, wie das Blut sich mit dem Regen in einem Rinnsal vermischte“, berichtet Lucia Perez* , eine Anwältin aus Cali, die selbst Opfer eines Bombenanschlages geworden ist und Betroffene auf verschiedenen Ebenen vertritt.

Die Aufarbeitung von Massakern wie diesen kommt jedoch nur mit Mühe voran. Lucia Perez beklagt im betreffenden Fall:

„Man sieht, wie der Staat eine symbolische Wiedergutmachung leisten will. Sie haben eine Gedenktafel mit 24 Kreuzen aufgestellt und dachten, damit hätten sie den Schaden und das Leid wieder gutgemacht, das der gleiche Staat verursacht hat. Die Gemeinschaft hat einen Bagger genommen und die Gedenktafel in den Fluß geworfen. Denn das war nicht die Form von Wiedergutmachung, die sich die Bewohner vorgestellt hatten. Sie empfanden die Gedenktafeln als Stigmatisierung.“

Kolumbien: Erschreckende Bilanz des Bürgerkriegs - Foto: Streetart, Dj LuDie Zukunft sieht die Opferanwältin mit gemischten Gefühlen. Änderungen seien möglich, aber Präsident Santos unterstütze den Prozess aus taktischen Überlegungen, denn er möchte wieder gewählt werden. Dieses Ziel erreichte der konservative Kandidat unlengst auch. Auf dem Weg zum Frieden und zur Aufarbeitung gibt es nach Meinung von Perez aber noch viele Hindernisse:

„Es ist schwierig, denn der Prozess, der mit den Paramilitärs begonnen wurde, hat das Problem der bewaffneten kriminellen Banden (Bacrim) hervorgebracht. Es ist noch schlimmer geworden, weil sie jetzt nicht mit politischen Zielen auftreten, sondern als gewöhnliche Kriminalität deklariert werden. Es gibt also keine Entschädigung für Akte des gewöhnlichen Verbrechens. Außerdem sind sie vom Land in die Stadt gekommen. Dies hat zu einer chaotischen Situation geführt. Jetzt gibt es in verschiedenen Barrios von Cali Gruppen, die Kinder rekrutieren. Sie werden weiter ihre Verbrechen begehen. Und auch Teile der Guerilla sind nicht mit dem Friedensprozess einverstanden. Sie wollen ihre Waffen nicht abgeben. Aber wo werden diese ganzen Waffen hinkommen?“

Die ersten Schritte zum Frieden und zur Wiedergutmachung finden also in einer Atmosphäre von Gewalt und Einschüchterung statt. Der Prozess, der mit dem Gesetz 1448 auf institutioneller Ebene begonnen wurde, ist ermutigend, sein Ausgang ist jedoch offen. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass der Buchstabe des Gesetzes auch in der Wirklichkeit der kolumbianischen Provinz Anwendung findet.

*In Kolumbien werden Menschenrechtsverteidigerinnen und Verteidiger immer wieder zu Opfern von Angriffen. Aus diesem Grund wurden die Namen der Gesprächspartnerinnen geändert.

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Bildquellen: [1] Von Bergen_; [2] Martin Giraldo_; [3] Streetart, Dj Lu_

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