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Warum Santos der Präsident war, der letztendlich den Frieden besiegelte

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Lesedauer: 11 Minuten

Kolumbien: Juan Manuel Santos - Foto: Public DomainEin Mann mit dem Image eines Falken hat das geschafft, woran viele seiner Vorgänger mit Berufung zur Friedenstaube gescheitert sind. Ein Porträt des ersten Mannes im Staate.

Mehrere Präsidenten hatten alles dafür gegeben, den Krieg mit der FARC zu beenden. Betancur, Gaviria und Pastrana kamen mithilfe dieses Versprechens an die Macht und – obwohl sie wie dafür geschaffen zu sein schienen – erschöpften sie dabei doch ihr gesamtes politisches Kapital.

Paradox ist jedoch, dass man sich von Juan Manuel Santos, der in drei Wochen gemeinsam mit Timoleón Jiménez das Ende des Krieges unterzeichnen wird, eigentlich das genaue Gegenteil erhofft hatte. Besonders während seiner Zeit als Verteidigungsminister unter Präsident Uribe, als der Armee zwei ihrer größten Schläge gegen die Aufständischen gelangen (der Tod von Raúl Reyes in Ecuador und die Rettung einer Gruppe Entführungsopfer durch die Operation „Jaque“), war Santos eher für eine Führung mit harter Hand bekannt.

Diese zwei wagemutigen und bis dato unvorstellbaren Aktionen tragen die Handschrift Santos‘, eines Mannes fern des kolumbianischen Mamertismus*, geboren auf einem Gelände, welches heute Teil des exklusiven Country Clubs Bogotás ist. Zwar kann dieser Umstand lediglich als eine Anekdote aufgefasst werden, dennoch unterstreicht er noch einmal, auf welcher Seite der derzeitige Präsident während dieses kolumbianischen kalten Krieges stand.

Der berühmte Satz, den Santos zu seiner Antrittsrede am 7. August 2010 äußerte, überraschte all seine Zuhörer. Er behauptete, in seinen Händen den Schlüssel zu halten, der die Verhandlungen über das Ende des Krieges zum Erfolg führen würde und dass man diesen nicht einfach im Meer versenken dürfe.

Nach und nach wurde diese kurze Aussage zu demjenigen Thema, welches die Amtszeit Santos‘ in der Geschichtsschreibung auszeichnen würde. Auf dem politischen Parkett wurde ihm zum Verhängnis, dass die Anhänger Uribes ihn als Verräter ansahen und so kam es dazu, dass Santos mit einer Opposition von nie zuvor gesehener Kampfeslust und Effektivität regierte. Seine Wiederwahl 2014 hingegen wurde durch das Banner des Friedens gerechtfertigt, welches sogar dabei half, seine zweite Amtszeit – trotz des kuriosen Versprechens, präsidiale Wiederwahlen abzuschaffen – zu besiegeln.

Die Beständigkeit, mit der die Verhandlungen in Havanna geführt wurden, rechtfertigte jedoch seine Wiederwahl. Mit einem gewissen Abstand betrachtet, war Santos ein Falke, der auch einmal auf die andere Seite gewechselt hatte, die der Tauben. Nicht ohne Grund hört er gern Kritik sowohl von links als auch von rechts. So kann er beweisen, dass er in Wahrheit der extremen politischen Mitte und somit einer dritten Strömung angehört, in welcher er sich selbst schon immer gesehen hat. Als er im Jahr 1994 – nach seiner Zeit als Minister für Außenhandel – in Südafrika den Vorsitz der UNCTAD (Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) übergab, lernte er Nelson Mandela kennen. Mit ihm hielt Santos lange Gespräche aufrecht, die sein Interesse am Versöhnungsprozess Südafrikas weckten. Zudem waren ihm aufgrund politischer und akademischer Beziehungen auch die Erfahrungen Zentralamerikas bekannt.

Die Aussage über den Schlüssel war also nicht nur heiße Luft. Obwohl viele seiner Berater Santos vor dem möglichen Kraftaufwand warnten, gab es im Laufe der Geschichte Faktoren, welche die Verhandlungen dieses Mal durchführbar erscheinen ließen: die Schwäche der FARC nach acht Jahren demokratischer Sicherheit und die Gesamtsituation des südamerikanischen Kontinents, welcher im Jahr 2010 beinahe komplett von linken Regierungen regiert wurde. Bereits vor seinem Machtantritt hatte Santos eine klare Haltung zur Verbesserung der Beziehungen mit Venezuela eingenommen, indem er mit Hugo Chavez, seinem vermeintlich „neuen besten Freund“, den Dialog aufnahm.

Die Reihe von Paradoxen reißt nicht ab. Als Verteidigungsminister hatte Santos seine Kenntnisse sowohl über das Militär als auch über die FARC perfektioniert. Dies gelang ihm mithilfe des Geheimdienstes, welcher durch eine Kooperation mit Großbritannien dabei unterstützt wurde, die Effektivität der Operationen gegen die Guerillatruppen zu erhöhen. Doch nachdem er einige persönliche Kontakte geknüpft und einen Weg bestritten hatte, der zeigte, dass Santos nicht unbedingt ein Gegner des Militärs war, war es wichtiger, den Friedensprozess anzukurbeln. Auf diese Weise eröffnete sich die Möglichkeit, die Konflikte, die bei den Verhandlungen vorheriger Präsidenten mit der Guerilla und dem Militär aufkamen, zu vermeiden. Jenes berühmte Säbelrasseln fand seinen skandalösen Höhepunkt zu Zeiten Belisario Betancurs.

Santos, irgendwie mit seinen ‚eigenen Truppen beim Militär‘, holte sich zwei pensionierte Generäle von hohem Prestige und Berühmtheit innerhalb ihrer entsprechenden Kräfte mit ins Boot: Jorge Enrique Mora Rangel aus dem Militär und Óscar Naranjo von der Polizei. Danach bestimmte er Mitglieder aus dem aktiven Dienst für die Verhandlungen in Havanna, die in einer Subkommission über eine entscheidende Angelegenheit verhandeln sollten: Die Waffenruhe und die Beendigung der Feindseligkeiten. Nie zuvor hatten Offizielle der Streitkräfte mit Mitgliedern der Guerilla zusammen an einem Tisch gesessen. Die FARC nahm diese Initiative positiv auf, denn sie war stets der Meinung, dass die Angelegenheiten eines Krieges zwischen denen ausgehandelt werden müssten, die ihn auch bestritten; also den Männern und Frauen des Volkes und nicht den Eliten, die von ihren bequemen Arbeitszimmern aus Anweisungen geben.

Präsident Santos wurde vorgeworfen, den Friedensprozess als sein einziges Steckenpferd zu behandeln. Selbst im inneren Zirkel des Präsidentenpalastes wurde ihm signalisiert, dass er seine Agenda breiter auffächern sollte, besonders um der Kritik der Gegner des Friedensprozesses entgegenzuwirken und um nicht jegliche verbale Angriffe in Kauf zu nehmen zu müssen, die durch die Zugeständnisse, die man gegenüber der FARC machen musste, ausgelöst werden.

Es stimmt, dass Santos als Präsident mehr Zeit in die Friedensverhandlungen investiert hat als in andere Themen. Tatsächlich verfolgt er jedoch einen Führungsstil, in dem er die alltäglichen Abläufe seinen Funktionären überlässt, während Santos selbst dafür sorgt, dass das Schiff nicht seinen Kurs verliert. Angesichts des Friedens agiert er allerdings nach einem anderen Schema: als ein Mikromanager. Er hat noch immer die Fäden in der Hand und sorgt sogar für Beschwerden bei einigen Mitgliedern des Verhandlungskomitees.

Ein flexibles Team

Humberto de la Calle, der Leiter des Teams, und Sergio Jaramillo, sein hoher Berater, bildeten das Rückgrat von Santos‘ Arbeit. Es fehlte ihnen weder an Einsatz noch an Loyalität ihrem Chef gegenüber, ganz im Gegenteil. Santos holte De la Calle aus seinem Ruhestand zurück; dieser widmete sich zu jener Zeit seiner florierenden Anwaltsfirma im privaten Sektor. Jaramillo hatte Santos im Verteidigungsministerium kennengelernt, in dem er Vizeminister war. Das Duo schaffte es, längerfristige Verhandlungen aufrecht zu erhalten, welche am Ende noch länger als erwartet andauerten, denn Santos versuchte stets, das – sicherlich komplexe – Gleichgewicht zwischen dem Rückhalt seiner engagierten Mitarbeiter und der Einführung von Neuzugängen zu halten.

In vier Jahren gab es viele schwierige Momente und kritische Konjunkturen, die mehr als nur einen Rücktritt und viele Spannungen nach sich zogen. Ganz im Gegenteil zu dem, was in ähnlichen Prozessen geschehen ist, vermied es der Präsident, die Verhandelnden abzulösen, obwohl sich deutliche Anzeichen der Zermürbung zeigten. Er zog es vor, die Loyalität seines Teams und die Glaubwürdigkeit des Verhandlungsprozesses abzusichern. Außerdem ließen ihn seine Berater wissen, dass ein jeglicher Wechsel des Teams wie ein Triumph der Gegenseite, der FARC, aussehen könnte.

Doch Santos brachte im richtigen Maße neue Namen ein. Um im vergangenen September (2015) das Übereinkommen bezüglich der Gerechtigkeit, welches sein erstes Treffen mit Timoleón Jiménez zur Folge hatte, zu erreichen, griff er auf die Hilfe der Juristen Juan Carlos Henao und Manuel José Cepeda zurück. Auch Außenministerin María Ángela Holguín holte er als Bevollmächtigte mit ins Boot, sowie während der letzten Tage den Innenminister Juan Fernando Cristo und den Ratgeber für nachfolgende Konflikte Rafael Pardo. Das Eintreffen neuer Personen brachte frischen Wind in die Verhandlungen, obwohl sie aber auch Beschwerden bei den bisher beschäftigten Mitarbeitern auslösten. Santos behandelte dies mit einer Mischung aus Diplomatie und der Einstellung, auch einmal wegzuschauen, um klarzustellen, dass er keine fremden Streitereien zulassen würde. „Diese Einstellung war unerträglich, aber am Ende war sie grundlegend für den Zusammenhalt in der Gruppe“, sagt einer seiner Mitarbeiter.

Und obwohl Santos eine permanente Nähe zum Kern der Gruppe – De la Calle, Jaramillo, Holguín, Rangel und Mora – hatte, bewahrte er doch eine gewisse Distanz. Die ausländischen Berater – Joaquín Villalobos, Shlomo Ben Ami, Jonathan Powell, Dudley Ankerson and Bill Ury – hatten, bis auf einige formelle Treffen mit dem Verhandlungsteam, fast ausschließlich Kontakt mit dem Präsidenten und sie gaben Santos Ratschläge, die er nutzte, um seine Anweisungen für die Verhandlungen klarzustellen. Er übertrug auch Aufgaben auf seinen Bruder Enrique Santos und auf den Ökonom Henry Acosta, welche sich während der Sondierungs- und geheimen Phase in entscheidenden Positionen befanden, und beauftragte sie, punktuell genaue und konkrete Nachrichten an die FARC zu senden.

Vehemente Bemühungen

Santos brachte einige der beachtenswertesten Punkte des Friedensprozesses ins Rollen, selbst ohne die Genehmigung seiner Mitarbeiter. Um mindestens drei Schlüsselthemen bemühte er sich vehement. Das erste war, den Waffenstillstand an das Ende der Verhandlungen zu verschieben, im Gegensatz zum Beginn, wie es die FARC beabsichtigt hatte. Santos berücksichtigte, dass er das Militär während der Gespräche nicht lahmlegen konnte; eine Überlegung, die sich bestätigte, als während der Sondierungsphase Alfonso Cano bei einer Bombardierung durch die Luftwaffe getötet wurde.

Ohne internen Konsens – nicht einmal Außenministerin María Ángela Holguín war anfangs davon überzeugt – brachte Santos auch die Verbindung zum Sicherheitsrat der UNO zustande. Insbesondere mit der Aufgabe, das Einhalten der Vereinbarungen zu überprüfen. Es erreichten ihn Gegenstimmen, die eine exzessive Intervention dieses Organs in die internen Angelegenheiten des Landes als unangemessen betrachteten und sogar eine angeblich linke Linie seiner Repräsentanten wurde kritisiert. Doch Santos bemühte sich um die Idee der internationalen Legitimität durch die UNO und mithilfe der britischen Regierung erreichte er eine „saubere Resolution“, die die Arbeit des Sicherheitsrates auf das Überprüfen limitiert. Ein Schritt, der Außenministerin Holguín in Verlegenheit brachte.

Ein weiteres Bestreben, das Santos verfolgte, war die Volksabstimmung. Diese hatte er seit Beginn der Gespräche versprochen und hielt trotz der Kritik, die er von allen Seiten erhielt, an ihr fest. Die FARC, die eine verfassungsgebende Versammlung bevorzugte, sprach sich dagegen aus und die Regierung signalisierte, dass eine Abstimmung in einem solch polarisierten Umfeld verloren werden könnte und die politischen Machtkämpfe in jedem Fall fördern würde. Trotz der enormen Risiken rückte Santos nicht von seiner Position ab; nicht nur um die Legitimität der Vereinbarungen zu bestärken, sondern auch um sie für die Zukunft zu rüsten.

Die letzte Anweisung des Präsidenten zielte darauf ab, die Methodik zu wechseln, um die Verhandlungen in den letzten verbleibenden Tagen weiter voranzubringen. Santos berief das sogenannte Konklave ein. Dieses wurde von einem seiner internationalen Berater vorgeschlagen, welcher hierfür Timoleón Jiménez, als er ihn am 23. September des vergangenen Jahres in Havanna kennenlernte, sondierte. Es ging darum, dass sich beide Seiten gemeinsam zurückzuzogen, wobei sie die Anweisung erhielten, sich nicht vom Verhandlungstisch zu erheben bis eine Einigung beschlossen wurde. Genau so hat es sich letztendlich ereignet und nahestehende Personen bestätigen, dass sich der Verhandlungsprozess bei gleichbleibender Vorgehensweise noch bis in das Jahr 2017 hätte ziehen können.

Santos wird schließlich als der Politiker in die Geschichte eingehen, der den Frieden mit der FARC unterzeichnet hat. Es wird sich noch zeigen, ob er auch derjenige sein wird, der die politische Gewalt beenden konnte. Das letzte Paradox besteht darin, dass ihm die Erfüllung dieses Wunsches keine öffentliche Anerkennung zugesichert hat. Ganz im Gegenteil: Santos‘ Image hat starken Schaden genommen und politisch hat es einen großen Verlust im Hinblick auf die Regierbarkeit zu verzeichnen gegeben. Die effektive Arbeit, die Uribes Opposition zur Diskreditierung des Friedensprozesses geleistet hat, das negative Bild der FARC und die Verlängerung der Gespräche in Havanna haben Santos in eine widersprüchliche Situation gebracht: Er ist einer der im Inland am wenigsten beliebten und im Ausland am höchsten angesehenen Präsidenten Kolumbiens.

Original-Beitrag aus La Semana vom 27.08.2016 (Ausgabe 1791). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.

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*Anmerkung der Übersetzerin: Als „mamerto“ werden in Kolumbien all diejenigen bezeichnet, die – ohne sich überhaupt ausreichend informiert zu haben – einer linksgerichteten politischen Ideologie folgen oder sich kategorisch gegen jegliche neoliberale und kapitalistische Ansätze aussprechen. Es handelt sich dabei um einen abschätzigen und bewusst beleidigenden Begriff.

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Übersetzung aus dem Spanischen: Anja Raschke

Bildquelle: Public Domain

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