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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die Schlacht um Chile: Der Kampf eines unbewaffneten Volkes (II)

Gonzalo Compañy | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Der 50. Jahrestag des Putsches gegen Salvador Allende war für uns Anlass, noch einmal die Trilogie La Batalla de Chile anzuschauen. Während wir noch einmal in jene drei Jahre voller Hoffnung und harter Kämpfe eintauchten, kam uns die Idee, das bewegende Werk des Regisseurs Patricio Guzmán zu rezensieren. Der zwischen 1975 und 1978 entstandene Film setzt am Vorabend der letzten freien Wahlen im März 1973 ein und endet am Tag nach dem Putsch vom 11. September 1973. Teil 1 (La insurrección de la burguesía – Der Aufstand der Bourgeoisie) und Teil 2 (El golpe del estado – Der Staatsstreich) folgen der Chronologie der Ereignisse, während Guzmán im dritten Teil (El poder popular – Die Volksmacht) als eigenständigen Film konzipiert hat, der ein tieferes Verständnis der solidarischen Praxis der Arbeiter und des Klassenkampfes vermittelt. Nach der Besprechung des ersten Teils konzentriert sich nun der Quetzal auf den zweiten Teil.

Teil 2: Der Staatsstreich

Von März bis September 1973 prallen die Linke und die Rechte auf der Straße, in den Universitäten, im Parlament und in den Frabiken und Medien aufeinander. Die US-Regierung von Richard Nixon und sein Außenminister Henry Kissinger finanzieren Streiks (u.a. Kupferindustrie, öffentlicher Nahverkehr, Kleingewerbe), die Chile lahmlegen und schüren das soziale Chaos, das für nötig gehalten wird, um die Intervention der Regierung Salvador Allendes durch einen Staatsstreich zu rechtfertigen. Der Präsident versucht erfolglos, eine Einigung mit den Kräften der politischen Mitte zu erzielen. Die Widersprüche auf der Linken verstärkten die Lähmung und das Militär bereitete eine Verschwörung in der Hafenstadt Valparaíso vor. Unterdessen ermutigte ein großer Teil der Bevölkerung die bewaffnete Konfrontation mit denjenigen Sektoren, die die Demokratie bedrohten. Nicht weniger als 700.000 Menschen (man bedenke, dass die chilenische Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt etwa 10 Millionen betrug) zogen am dritten Jahrestag der Regierungsübernahme vor Regierungspalast La Moneda, wo endlich ein Plebiszit angekündigt wurde – das seit langem als grundlegende Maßnahme anerkannt worden war. Das Plebiszit kam jedoch nicht zustande, da die Luftwaffe La Moneda bombardierte, wo sich der Präsident befand.

In diesem zweiten Teil des Films, der 1976 auf Kuba der Öffentlichkeit präsentiert wurde, bietet Guzmán chronologisch die Abfolge der, oben erwähnten, sechsmonatigen Ereignisse dar. Selbst wenn die historische Perspektive es uns erlaubt, das Ende dieser tragischen Geschichte (den Putsch vom 11. September) zu kennen, gelingt es dem Filmemacher nach wie vor zu zeigen, dass dieser nicht unvermeidlich war – was den Zuschauer einerseits in die Rolle eines kritischen Analysten der Ereignisse versetzt. Andererseits vermittelt der Regisseur aus dem Exil die Botschaft, dass das chilenische Volk nach Wegen suchen kann, um sich von der Niederlage zu erholen (und einen neuen Versuch zu unternehmen?). Wie im ersten Teil (1975) greift Guzmán auch hier auf Sequenzen zurück, die auf dramatische Weise nicht nur die Vorbereitung des Putsches übertragen, sondern auch die verzweifelten Versuche, ihn zu verhindern, abbilden. Zum einen sind da die illegalen Razzien der Streitkräfte auf der (erfolgslosen) Suche nach Waffen (in Fabriken, Arbeitervierteln und sogar auf Friedhöfen), die demokratiefeindliche Haltung der Massenmedien und das Scheitern der Verhandlungen zwischen Allende und den Christdemokraten – sowie der gescheiterte Versuch, den Rektor der Universidad Católica in das Kabinett zu holen, um somit politische Bündnisse zu schmieden. Zum anderen zeichnen die Kameras hitzige Diskussionen in den Versammlungen und im Parlament auf, die Maßnahmen des Volkes gegen den Boykott der Wirtschaft. Ein weiterer Aspekt, der Berücksichtigung findet, ist der Entschluss dafür, den Spielraum von undemokratischen Militärangehörigen zu neutralisieren. Der Film vermittelt deutlich, wie versucht wird, die Unterstützung von loyalen Militärangehörigen zu gewinnen – indem diese aufgefordert werden, nicht teilzunehmen oder gegebenenfalls die Befehle der potenziellen Putschisten zu missachten. In diesem Zusammenhang bereitet Unbehagen, zu sehen, wie Augusto Pinochet weniger Zeit vor dem Putsch in den Reihen der Verfassungstreuen stand.

Gegen Ende dieses zweiten Teils, unmittelbar nach dem Angriff auf den Präsidentenpalast, werden wir Zeuge der offenen Repression gegen die bis dahin regierungstreue Bevölkerung, die zu einem Netz von Konzentrationslagern, Folter und Tod und Tausenden von Ermordeten und Verschwundenen führt. Diesem Aspekt und den politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Folgen der langen Jahre der Pinochet-Diktatur (1973–1990) widmete der Regisseur einen großen Teil seines Œuvre.

Wenngleich die politische Stellung Guzmáns mehr als deutlich ist, nimmt er sowohl die Stimmen von Regierungsgegnerinen als auch von Befürworterinnen der Demokratie auf und gelingt es ihm so, den Zeitgeist zu erfassen. Die Nutzung des Films als Mittel der politischen Aufdeckung und Instrument der historisch-anthropologischen Dokumentation und der politischen Bildung lässt sich auch in anderen Branchen der zeitgenössichen lateinamerikanischen Kunst und Literatur beobachten. Im Falle des Filmwesens ist dies bereits seit den späten 1950er Jahren und zunehmend in den 1960er Jahren mit großem Nachdruck in den Ländern der Region zu beobachten – was 1967 als der „Neue Lateinamerikanische Film“ bezeichnet wurde. Insofern ist Guzmáns Aktivität u. a. mit der Filmproduktion der Grupo Cine Liberación (Fernando Pino Solanas und Octavio Gettino), Raymundo Gleyzer, Jorge Cedrón im Nachbarland Argentinien und mit dem Schaffen des so genannten Cinema Novo in Brasilien (vor allem vor dem Staatsstreich 1964) verbunden – an dem Regisseure wie u. a. Nelson Pereira dos Santos, Glauber Rocha, Paulo César Saraceni, Leon Hirszman beteiligt waren –; sowie steht auch zu dem Werk von u. a. Alberto Miller, Mario Handler, Mario Jacob, Walter Tournier, Dardo Bardier, Rosalba Oxandabarat und Jan Lindquist in Uruguay in Beziehung.

In seiner Heimat reiht sich Guzmáns filmische Tätigkeit in das so genannte „Neue chilenische Film“ ein, zu der auch Filmemacher wie u. a. Miguel Litín gehören. Das Werk dieser damals neuen Generation chilenischer Regisseure basierte im Wesentlichen bekanntlich auf dem Willen, die Art und Weise des Filmemachens zu verändern – was einerseits auf den behandelten Themen und andererseits auf den verwendeten kinematografischen Mitteln beruhte. In diesem Zusammenhang nimmt Der Straatsstreich Elemente vorweg, die später zum Markenzeichen von Guzmáns Filmen werden sollten, sowohl sein Voice-over als auch die Kombination von Fernaufnahmen (teilweise aus der Luft) mit Großaufnahmen. Auf diese Weise wird sich der Zuschauer der großen Dimensionen bewusst, was dann durch Blicke, Körpergesten, verbale Artikulation usw. ergänzt wird, wodurch der Fokus auf die anonymen Akteure der Geschichte gelegt wird. Vor dem Hintergrund einer nach wie vor tief gespaltenen chilenischen Gesellschaft war Guzmán offensichtlich davon überzeugt, dass es wichtig ist, mikrosoziale Aspekte zu dokumentieren. Dies zeigt sich sowohl bei Versammlungen und Demonstrationen auf der Straße als auch in den Reihen des Militärs, zum Beispiel in den Aufnahmen bei der Beerdigung des ermordeten Generals Araya Peeters, der als Bindeglied zwischen der Regierung und den loyalen Streitkräften fungierte. Es ist bezeichnend, wie Guzmán minutenlang mit großem Fingerspitzengefühl die Gesichter und Gesten mehrerer Anwesenden einfängt.

Auch 50 Jahre nach den geschilderten Ereignissen stellt kurzum Der Staatsstreich ein grundlegendes Dokument dar, nicht nur um die Entwicklung des Putsches Schritt für Schritt zu verfolgen, sondern auch um die verschiedenen sozialen und politischen Faktoren, Loyalitäten und Verrat nicht aus den Augen zu verlieren, die schließlich der Regierung der Unidad Popular ein Ende setzten und den Weg für die Errichtung einer der blutigsten Diktaturen Lateinamerikas ebnen sollten. Auch wenn die Zeit leider nicht zurückgedreht werden kann, ermöglicht dieses Material eine Analyse der politischen Entscheidungsfindung, der Rolle der Massenmedien und der allgegenwärtigen US-Außenpolitik, sowie der Notwendigkeit, die Forderungen der verschiedenen Sektoren in einen Kontext zu stellen – Elemente, die für den Erfolg einer Regierung, die die Forderungen und Bedürfnisse der Bevölkerung widerspiegelt, nach wie vor maßgeblich sind.

 

Der Kampf um Chile – Teil II: Der Staatsstreich

Regie: Patricio Guzmán

Chile/Kuba 1976, 90. Min.

 


 

BIldquellen: [1] CoverScan; [2-3] Snapshots

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