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Adrianas Pakt: Ein Film von Lissette Orozco

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

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Die deutsche Sprache hat nicht einmal ein passendes Wort für dieses Phänomen, und im Spanischen findet man selbiges auch nur, wenn man einfach dem männlichen torturador ein „a“ anhängt. In meinem Wörterbuch, das zugegebenermaßen schon ein paar Jahre alt ist, findet sich diese Variante allerdings nicht. Worüber schreibt man hier also? Laut Duden gibt es keine Foltererinnen, Folterknechtinnen oder gar Foltermägde. Wenn die Sprache das wirkliche Bewusstsein ist, fehlt uns allen dann das Bewusstsein von einer bestimmten Ausprägung der menschlichen Spezies?

Lissette Orozco ist eine junge Chilenin, die mit dem Film „Adrianas Pakt“ der Geschichte ihrer geliebten Tante Chani nachspürt. Die Chilenen haben ja mit den Deutschen etwas gemeinsam: Auch bei ihnen gibt es Familiengeheimnisse, die mit der unheilvollen Vergangenheit einer faschistischen Diktatur zu tun haben, lange verborgen, ja versteckt. Adriana Rivas, Chani, war irgendwann nach Australien ausgewandert. Sie war der Star der Familie, diejenige der sechs Geschwister, die es wirklich geschafft hatte. Die Filmemacherin liebt die Tante, ihre Besuche, ihre Geschenke, ihre Art. Doch bei ihrem Besuch im Jahr 2010 wird Chani am Flughafen vor den Augen der wartenden Familie verhaftet. Chani, so der Vorwurf, war ein Mitglied der Brigada Lautaro, der „grausamsten Brigade der DINA“, Pinochets Geheimpolizei. Lissette Orozco sieht sich plötzlich mit dem Verdacht konfrontiert, die geliebte Tante sei eine der Schlimmsten (Folterknechte?) in der DINA gewesen.

Die ganze Familie wehrt sich gegen diesen Vorwurf, auch Lissette. Sie kennt die Tante als humor- und liebevoll, zudem teilt man in der Familie die gleichen Werte – da gibt es keine Grausamkeit, keine Folter. Oder? Lissette versucht, dem Ganzen auf den Grund zu gehen, mit ihrer Kamera. Sie will die Vorwürfe letztlich ad absurdum führen, bestärkt durch ihre Tante selbst, die den Film befürwortet und die Nichte unterstützt.

„Adrianas Pakt“ anzusehen macht keinen Spaß, man empfindet mehr und mehr Widerwillen, dem Film weiter zu folgen. Aber Spaß soll ein Dokumentarfilm wohl auch gar nicht machen. Orozcos Film umspannt mehrere Jahre, der Prozess gegen die Mitarbeiterinnen der Brigada Lautaro zieht sich hin, Chani, unter Auflagen auf freiem Fuß, entzieht sich ihm durch die Flucht nach Australien. Über Skype halten Lissette und Chani weiter Kontakt. Die Tante beteuert ihre Unschuld, immer wieder und immer vehementer: Ja, sie hatte bei der DINA gearbeitet, aber nur als Sekretärin. Sie hatte niemals Kontakt zu Gefangenen und war auch nie in der berüchtigten Kaserne „Simón Bolívar“, die erst 2007 als ein Vernichtungslager identifiziert worden war, da kein Gefangener sie lebend verließ. Von Folterungen wusste sie nichts und überhaupt habe sie erst durch den Prozess erfahren, was ihre Kolleginnen getan haben. Und eigentlich traue sie ihnen so etwas gar nicht zu. Was man ihr vorwerfe, beruhe auf einer Verwechslung, das war nicht sie, sondern ihre Kollegin Chanchi. “Ich schwöre bei Gott. (…) Niemals, niemals, niemals!“

Der Film zeigt den langen Erkenntnisprozess von Lissette Orozco, gegen den sie selbst rebelliert. Sie ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe zur Tante und dem schlimmen Verdacht gegen sie. Würde Chani den Film und die Nachforschungen wirklich unterstützen, wenn sie schuldig wäre? Doch warum droht sie ihren Kolleginnen damit, „die Katze aus dem Sack“ zu lassen, wenn diese vor Gericht nicht in ihrem Sinne aussagen? Was kann sie denn aussagen, wenn sie doch gar nichts weiß?gesehen_adrianas_pakt2_snapshot

Lissette Orozco führt viele Gespräche, um die Wahrheit zu erfahren. Die früheren Kolleginnen der Tante verweigern im Allgemeinen jede Auskunft, sie folgen dem „Pakt des Schweigens“, wollen ruhig sein, vergessen, und sich vor allen Dingen nicht selbst belasten. Doch die Recherchen bestärken den Vorwurf gegen Chani: Sie war als Agentin der DINA an Entführungen und Folterungen beteiligt, und sie arbeitete in der Kaserne „Simón Bolívar“.

Die Tante leugnet hartnäckig weiter; und man glaubt ihr sogar, dass sie selbst fest davon überzeugt ist, „nichts Falsches getan“ zu haben. Sie hat diesen Teil ihrer Erinnerung offensichtlich regelrecht abgespalten. Ein Psychiater bezeichnet das im Film als „destruktives Vergessen“. Doch mehr und mehr verstrickt sich Adriana Rivas in Widersprüche und in ihrer Selbstgerechtigkeit redet sie sich zunehmend um Kopf und Kragen, zum Entsetzen der Nichte. Folter, so erklärt sie einmal, sei die einzige Art, um Menschen zu brechen; Kommunisten seien schließlich verschlossen. Auch die Nazis haben das gemacht(!).

Man merkt beim Zuschauen sehr schnell, was Lissette Orozco erst allmählich begreift: Ihre Tante Chani manipuliert sie sehr geschickt; sie nutzt die Liebe der Nichte aus, um sich reinzuwaschen. Es entsteht mehr und mehr der Eindruck, dass Adriana Rivas diesen Film für sich ganz persönlich braucht. Ja natürlich, ihre Situation belastet sie, es geht ihr schlecht: Sie leidet unter der Trennung von der geliebten Familie, dem Auslieferungsersuchen der chilenischen Justiz, den Medienberichten und den Aktionen gegen sie, die auch in Australien immer heftiger werfen. Aber die Entlastung mit Hilfe eines Films braucht sie vor allem für ihren Seelenfrieden. Die sie liebende Nichte soll zu den richtigen Schlussfolgerungen kommen, was dann beweist, dass sie unschuldig ist. Und so beharrt sie allen Anschuldigungen und Beweisen zum Trotz unbeirrt auf ihrer Unschuld, selbst als auch die Familie, die sie immer verteidigte, langsam auf Distanz geht. Ernüchtert und entsetzt bricht Lissette Orozco den Kontakt zu ihrer Tante schließlich ab.

Jorgelino Vergara, einst selbst Bediensteter in der berüchtigten Bolívar-Kaserne, beschreibt die jungen Frauen, zu denen Adriana „Chani“ Rivas gehörte, als damenhaft, „aber wenn sie folterten, waren sie Bestien“. Die Frage, wieso Menschen zu solchen Grausamkeiten fähig sind, ist auch nach diesem Film nicht einfach zu beantworten. Zumal es sich hier um kultivierte junge Frauen handelt, den Bildern nach zu urteilen gut gekleidet und ausgelassen feiernd. Gibt es wirklich Leute, die da glauben, die Welt wäre friedlicher, wenn mehr Frauen an der Macht wären? Chani bietet ihrer Nichte gegenüber selbst eine Erklärung für ihre Lebensentscheidungen an, als sie mit leuchtenden Augen ihre „besten Jahre bei der DINA“ beschreibt. Als einfache Fremdsprachensekretärin aus der Mittelschicht hätte sie dergleichen niemals erleben können, die Welt der Reichen war ihr vorher verschlossen. Aber während ihrer Arbeit bei der DINA habe sie mit Botschaftern und ausländischen Regierungschefs gespeist, selbst mit Pinochet, seiner „Frau Lucía und den Kindern“, sogar einer Krönung wohnte sie bei. „Ich saß an einer weißen Tafel und speiste mit all den anderen.“

Sie ist wohl tatsächlich so banal, die Banalität des Bösen.

 

Adrianas Pakt

Regie: Lissette Orozco

Chile/Kolumbien 2017, ’93.

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Bildquellen: Snapshot [1] Lissette und Chani halten weiter Kontakt [2] Berechtingung für den Staatsbesuch eines Diktators.

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