Der andere 11. September
Am 11. September 2013 jährt sich zum 40. Mal der Militärputsch in Chile. Seit 2001 ist die Erinnerung an diese Zäsur der chilenischen Geschichte überdeckt von den erschütternden Bildern des 11. Septembers in New York und Washington D.C. Auch für die Chilenen wurde aus „ihrem“ 11. September so der „andere 11. September.“ Eine junge Chilenin, 1969 in Concepción geboren, seit 1974 in Hamburg aufgewachsen und von 1992 bis 2000 zum Ethnologie-Studium nach Temuco in ihr Geburtsland zurückgekehrt, kleidet die historische Spannung zwischen beiden Ereignissen in folgende Worte: „Die Yankees haben uns erst den 11.9. aufgestülpt und jetzt nehmen sie ihn uns wieder weg.“ – Nachzulesen in dem von Cristian Alvarado Leyton herausgegebenen Buch zum „anderen 11. September“ (S. 101).
Die Beiträge des genannten Bandes beleuchten drei Dimensionen von Chiles 11. September: die gesellschaftliche Dimension, die Dimension der Erinnerung und schließlich die der Ethik. Dem Ganzen sind eine Einleitung des Herausgebers und ein „Brief aus Santiago“ von Johanna Viktorin über eine Ausstellung über die Zeit der Pinochet-Diktatur vorangestellt. Die ersten vier Beiträge widmen sich Themen der chilenischen Gesellschaft nach dem 11. September 1973, die über die Zeit der Diktatur hinaus bis heute von zentraler Bedeutung sind. Gert Eisenbürger, leitender Redakteur der Lateinamerika-Zeitschrift „ila“, untersucht vergleichend die Rolle der Militärdiktaturen in Chile, Uruguay und Argentinien bei der Durchsetzung des Neoliberalismus in diesen Ländern. Urs Müller-Plantenberg vom Lateinamerika-Institut der FU Berlin und „Urgestein“ der Chile-Solidaritätsbewegung schreibt über den Zyklus politischer Mobilisierung von den Parteien über die Gewerkschaften bis zu den sozialen Bewegungen. Isidoro Bustos, Planungsdirektor im Justizministerium unter Salvador Allende, setzt sich kritisch mit dem „Übergang zur Demokratie“ auseinander. Jens Schneider, Ethnologe, nähert sich der indigenen Frage in Chile.
Die folgenden vier Beiträge betreffen die Dimension der Erinnerung, sind aber nicht gesondert hervorgehoben, sondern ebenfalls unter der Überschrift „Gesellschaft“ abgedruckt. Die Spannbreite reicht von den sehr persönlichen Erinnerungen zweier Schwestern, darunter die bereits zitierte Carla La Mura Flores, an den 11. September und das Exil über die filmische Spurensuche am Beispiel von Patricio Guzmán und Carmen Castillo (Beitrag von Olaf Berg) bis zur Analyse der chilenischen Aufarbeitungsprozesses, die den Bogen zu den deutschen Erfahrungen spannt, aus der Feder von Ingrid Wehr. Der letzte Beitrag dieses Teils über „Chile im 21. Jahrhundert: eine blockierte Gesellschaft“ von Jorge Rojas Hernández, der in Deutschland im Exil lebte und heute als Soziologieprofessor an der Universidad de Concepción arbeitet, gehört inhaltlich zu den vier erstgenannten, da er wie diese die chilenische Gesellschaft analysiert. Erinnerung hat zwar auch immer einen gesellschaftlichen Bezug, wie von Ingrid Wehr mit ihrer These von der wachsenden Entpolitisierung treffend dargestellt, hätte aber aufgrund ihres Eigengewichts, das gerade beim 11. September deutlich hervortritt, einen „eigenen“ Teil im Band „verdient“.
Der letzte Abschnitt des Buches umfaßt fünf Beiträge zur ethischen Dimension des 11. September, die auf sehr unterschiedliche Weise thematisiert wird. Pedro Lemebel, chilenischer Schriftsteller und Anna-Seghers-Preisträger von 2006, bringt dem Leser seine ganz persönliche Auffassung von Ethik in „Fünf Chroniken aus Santiago de Chile“, die „Von Narben und Perlen“ erzählen, näher. Mir haben sich besonders zwei der Kurzgeschichten eingeprägt: Einmal jene über die Begegnung des Autors mit der Tochter des Diktators aus Anlass der Eröffnung einer Ausstellung, die ihn wegen der kriecherischen Servilität der übrigen Anwesenden schockiert und abstößt, und die für ihn – weil er dies öffentlich kundtut – zusammengeschlagen auf den Bürgersteig endet. Zum anderen die Episode über eine Spendensammlung zugunsten der Diktatur unter Angehörigen der Oberschicht, veranstaltet von der Gattin eines Admirals, bei der es um die im Beitragstitel erwähnten Perlen geht. Eine köstlich erzählte und in ihrer treffsicheren Ironie entlarvende Geschichte.
Die übrigen Beiträge des „ethischen Teils“ des Buches beschäftigen sich mit der Figur des „Unternehmers an sich“ (Laura Glauger), mit der „Notwendigkeit weder zu vergessen noch zu verzeihen“ (Cristian Alvarado Leyton), mit der politischen Präsenz von Schuld und Sühne (Urs Espeel/ Hans G. Ulrich) und schließlich noch einmal mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem chilenischen und dem US-amerikanischen 11. September. Damit schließt sich auf gekonnte und prägnante Weise der inhaltliche Bogen zur Einleitung, die von Alvarado Leyton verfasst wurde. Diese verdient auch deshalb noch einmal hervorgehoben zu werden, weil sie sprachlich wie inhaltlich überzeugend zwei wichtige Aspekte beider „Nine-Eleven“ an- und ausspricht: die (ungesühnte) Verantwortung der USA für den chilenischen 11. September und das Moment der Verdrängung, das sich – bezogen auf Chile – sowohl im Mainstream-Diskurs über das „Scheitern“ von Allende (veranschaulicht in der Argumentation des deutschen Politikwissenschaftlers Dieter Nohlen) als auch in der nach wie vor geübten Praxis der Straflosigkeit zeigt.
Alvarado Leyton, Cristian (Hrsg.):
Der andere 11. September.
Gesellschaft und Ethik nach dem Militärputsch in Chile.
Westfälisches Dampfboot,
Münster 2010
Davor: Salvador Allende und die Unidad Popular
Explizit mit der Zeit vor dem 11. September 1973 beschäftigt sich Band 28 der „Bibliothek des Widerstands“ aus dem Laika Verlag Hamburg. Mit der namentlichen Nennung von Salvador Allende und der Unidad Popular im Titel sind zugleich die inhaltlichen Schwerpunkte der Publikation benannt. Wirken und Wirkung des 1970 gewählten Präsidenten Chiles, der drei Jahre später, am 11. September, aus dem Amt geputscht wurde und sich nach verzweifeltem Widerstand das Leben nahm, werden aus vier unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet:
- Zum Ersten durch zwei seiner Reden: die erste Rede vor dem chilenischen Kongress vom 21. September 1971 und die an die Vereinten Nationen vom 4. Dezember 1972;
- zum Zweiten durch einen speziellen Beitrag, in dem Allende von dem Kulturhistoriker Maximiliano Salinas Campos als „Mann des Friedens“ gewürdigt wird;
- zum Dritten in Gestalt einer vierseitigen Kurzbiographie (zusammen mit zehn anderen Persönlichkeiten im letzten Teil des Bandes);
- und viertens durch die vielfältigen Bezüge, die in den übrigen Beiträgen zu seiner Person hergestellt werden.
In der Summe ergibt sich das Bild eines Mannes, der sein Leben lang aus tiefster Überzeugung für ein gerechteres Chile kämpft, dabei mutig Neuland beschreitet, jedoch eine Niederlage erleidet und am Ende seines Weges lieber den Tod als die Kapitulation vor den „Verrätergenerälen“ wählt. Es gehört zu den Stärken des Bandes, zu verdeutlichen, dass Allendes Niederlage zugleich die Zerstörung einer großen Hoffnung darstellt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum Erbe des 11. September 1973 gehört nicht nur, dass die chilenische Gesellschaft noch 40 Jahre nach Allendes Tod in der Bewertung des chilenischen Weges zum Sozialismus gespalten ist, sondern ebenso in der Erinnerung an den Putsch vom 11. September. Dieses Moment der gesellschaftlichen Spaltung Chiles wird im oben besprochenen Sammelband von Alvarado Leyton aus unterschiedlichen Perspektiven ausführlicher beschrieben und erörtert.
Um die gesellschaftliche und historische Dimension des Wirkens von Salvador Allende wirklich begreifen zu können, muss der Bogen der Analyse von der „Revolution von oben“ (Franck Gaudichaud, S. 228), die durch die Regierung der Unidad Popular und die Präsidentschaft Allendes verkörpert wird, einerseits hin zur Mobilisierung und Selbstorganisation der Volkssektoren als Revolution von unten“ (ebenda, S. 230) in Gestalt der Volksmacht (Poder Popular) und der „Industriekordone“ andererseits geschlagen werden. Dies leisten in der Zusammenschau die fünf Beiträge von Julio Pinto Vallejos, Tomás Moulián, Mario Garcés, Franck Gaudichaud und Veronica Valdivia in beeindruckender Weise.
Bei den Autoren handelt es sich um ausgewiesene Kenner ihres Faches, zumeist Historiker und Soziologen, die zentrale Aspekte der Debatte über Verdienste, Schwächen und Fehler der Unidad Popular kritisch analysieren. Bedauerlicher Weise haben es die Herausgeber versäumt, Quellenangaben und -nachweise zu den Beiträgen im Band aufzuführen. Aufgrund der Fußnoten und Literaturhinweise kann man nur vermuten, dass diese (abgesehen von den beiden Reden Allendes) in der Zeit zwischen 2003 und 2013 verfasst worden sind. Wie auch immer: Ihre Lektüre vermittelt entscheidende Einsichten in die kurze, aber wirkungsmächtige Geschichte der Unidad Popular.
Im einzelnen kommen Themen zur Sprache, die schon vor dem 11. September unter den chilenischen Linken (und darüber hinaus) heiß und kontrovers diskutiert wurden: die Machbarkeit der Revolution und die damit verbundene Frage des friedlichen bzw. demokratischen Weges (Pinto Vallejos, Moulián), die (abnehmende) Einheit der Linken und die strategische Krise bzw. Spaltung der UP (Moulián, S. 69ff), die Rolle der chilenischen Streikräfte (Valdivia), das Problem der Mittelschichten (Moulián), die Mobilisierung und Selbstorganisation der „pobladores“ (Garcés) und die Bildung alternativer Machtorgane in Gestalt der „poder popular“ (Gaudichaud). Der spanische Historiker Mario Amorós untersucht außerdem die weniger bekannte Bedeutung der „Christen für den Sozialismus“, und Pavel Eichín geht dem (historischen) Zusammenhang zwischen Liedern und Gemeinschaft im Chile der Unidad Popular nach.
Zusammen vermitteln die Beiträge eine kritisch-sachliche, sehr detaillierte, fundierte und spannende Sicht auf eine Entwicklung, die zwar mehr als 40 Jahre zurückliegt, neben ihrer unstrittigen historischen Bedeutung aber nach wie vor aktuell wichtige Einsichten vermittelt. So dürfte der „große Widerspruch“ zwischen dem Versuch, den oligarchisch geprägten Staat aus der Gesellschaft heraus zu reformieren einerseits und der (Notwendigkeit einer) Revolution von unten andererseits (Gaudichaud, S. 230) gerade für eine Linke, die den Sozialismus des 21. Jahrhunderts auf ihre Fahnen geschrieben hat, von höchster Aktualität sein. Zu den Verdiensten des Bandes gehört nicht zuletzt, dass er mit bestimmten Mythen aufräumt (Valdivia hinsichtlich der Militärpolitik der UP), kritische Momente und verpasste Chancen im revolutionären Prozess benennt (Moulián S. 71, 74) sowie die Spannung zwischen historisch Zufälligem oder Besonderem und Allgemeinem plausibel thematisiert (so der Hinweis von Moulián, dass der Sieg Allendes 1970 keiner „unentrinnbaren Notwendigkeit“, sondern einer Verkettung von Zufällen geschuldet gewesen sei, S. 55). Alles in allem liegt der Fokus der Analyse der Allende-Zeit klar auf den endogenen Faktoren, während die äußeren Rahmenbedingungen, Gegenkräfte und Widerstände weitgehend ausgeblendet bleiben. Dies betrifft in Sonderheit die zentrale Rolle der USA beim Sturz Allendes. Dieses Ungleichgewicht ist umso bedauerlicher, weil damit ein entscheidendes Element für jene zentrale Einsicht fehlt, die Alvarado Leyton in seiner Einleitung klar benennt (siehe oben, S. 20): Allende „wurde gescheitert“.
Baer, Willi/ Dellwo, Karl-Heinz (Hrsg.):
Salvador Allende und die Unidad Popular.
Bibliothek des Widerstands, Band 28.
Laika Verlag,
Hamburg 2013 (408 S.)
Danach: Diktatur und Widerstand
Band 29 der „Bibliothek des Widerstands“ mit dem Titel „Diktatur und Widerstand in Chile“ schließt inhaltlich und zeitlich direkt an seinen Vorgänger an. Er beginnt mit der letzten Rede von Salvador Allende, die er am Tag des Putsches, dem 11. September 1973, unmittelbar vor seinem Tod gehalten hatte. Der Beitrag von Mario Garcés und Sebastián Leiva über die Población La Legua als Symbol des Widerstandes liest sich als Fortsetzung der Darstellung von Garcés im Band 28. Mit 85 Seiten ist er nicht nur der längste Beitrag im Band 29, sondern auch der am besten dokumentierte. In Auswertung zahlreicher Interviews mit pobladores zeichnen die beiden Autoren ein authentisches Bild des 11. Septembers aus der Sicht des spontanen Widerstandes von unten. Im anschließenden Beitrag berichtet Tamara Vidaurrázaga Aránguiz über den Widerstand der Frauen gegen die Diktatur.
Der bewaffnete Widerstand wird von Willi Baer und Sergio Apablaza Guerra „Salvador“ beschrieben und analysiert. Es folgen drei Darstellungen über die Beziehungen zwischen der DDR und Chile von Karlheinz Möbus, der die Zeit vor und während der Regierungszeit von Allende sowie das Schicksal der chilenischen Emigranten in der DDR beleuchtet, und Gotthold Schramm, der über die tätige Hilfe der DDR-Botschaft in Santiago de Chile bei der Rettung verfolgter UP-Anhänger und der Organisierung des Widertandes berichtet.
Insgesamt vier Beiträge stammen aus der Feder von Urs Müller-Plantenberg (siehe auch oben), die ein breites Spektrum von Themen behandeln: die Beziehungen der BRD zu den Putschisten (S. 243-248), die Wirtschaftspolitik der Diktatur im Allgemeinen (S. 311-327) und „Die schwarze Utopie der Chicago-Boys“ (S. 329-342) im Speziellen, sowie das Plebiszit vom 5. Oktober 1988 als Weichenstellung der Übergangs zu einer „Enklavendemokratie“, in der die Militärs nach wie vor über entscheidende Machtpositionen verfügen (S. 343-347). Müller-Plantenberg war neben Dieter Boris und Klaus Meschkat ebenfalls Teilnehmer eines im Jahr 2000 geführten Gesprächs über „Chile und die deutsche Linke“ (S. 249-266), in dem auch Themen diskutiert wurden, die die Politik der UP betreffen (siehe Band 28). Am Ende des „deutsch-deutschen Blocks“ (gemeint sind die sechs Beiträge über die Beziehungen beider deutscher Staaten zu Chile im Band 29, S. 209-287) findet sich ein sehr spezielles und zugleich entlarvendes Thema: die von (West-)Deutschen gegründete und bewohnte Colonia Dignidad. Friedrich Paul Heller, der zu diesem Thema bereits Bücher publiziert hat, beschreibt im ersten Absatz seiner Darstellung (S. 267) die Einzigartigkeit dieser „Einrichtung“ treffend: „Das ehemalige deutsche Gut Colonia Dignidad in Chile ist in vieler Hinsicht einzigartig, auch als Folterlager. Als einziges Geheimgefängnis der Pinochet-Diktatur war es schon vor dem Putsch ein (Sekten-)Lager und bestand nach Ende der Diktatur weiter. Alle anderen Haftorte wurden umfunktioniert oder zu Gedenkstätten gemacht, die Colonia Dignidad ist bis heute ein umzäumtes Gelände und ein politischer Skandal.“
Hoch interessant sind die engen Kontakte der Colonia Dignidad zum Auswärtigen Amt, zur (west-)deutschen Botschaft, zur bayrischen Landesregierung und zur CSU. Heller kommt diesbezüglich zu folgendem Schluss: „Es war letztlich ein Übermaß an ideologischer Verblendung, dass die deutsche Diplomatie dazu getrieben hat, eine Sektierergruppe von Kinderschändern, Folterern und Mördern, Lügnern und Betrügern in Schutz zu nehmen“ (S. 279). Der interessierte Leser kann sich anhand der sechs Beiträge des „deutsch-deutschen Blocks“ selbst ein Bild davon machen, wie sich DDR und BRD sowohl gegenüber der demokratisch gewählten Regierung Allendes als auch gegenüber der Pinochet-Diktatur verhalten haben und wem beider Sympathie galt.
Einen Kontrastfall zum Verhalten der BRD-Botschaft während des Putsches und in den Wochen nach dem 11. September stellt der schwedische Botschafter Harald Edelstam dar, dessen „Mut in Zeiten des Terrors“ von Willi Baer beschrieben wird (S. 147-167). Als Edelstam am 9. Dezember 1973 nach Schweden zurückehrte, wurde er zu Hause wie ein Held empfangen. Nach dem 11. September hatte er mehr als 900 Verfolgte aus Chile sicher ins Exil bringen können. 400 weitere konnten nach seiner Ausweisung ebenfalls noch in Sicherheit gebracht werden. „Edelstams Engagement in Chile stand in scharfem Kontrast zum Verhalten der meisten westlichen Botschafter. Weder der Botschafter der BRD noch die Vertreter Englands und Frankreichs wollten sich aktiv an der Rettung von Flüchtlingen beteiligen. Der Botschafter der USA Nathaniel Davis verweigerte nicht nur jede Hilfe, er hielt Edelstam für einen ’sowjetischen Einflussagenten‘.“ (S. 163)
Damit kommt endlich auch der Faktor USA ins (chilenische) Spiel, dessen Wirkung Willi Baer in der „Chronik eines angekündigten Todes“ (gemeint ist Präsident Allende) – leider nur kurz, aber immerhin prägnant – beschreibt (S. 303-310).
Baer, Willi/ Dellwo, Karl-Heinz (Hrsg.):
Diktatur und Widerstand in Chile
Bibliothek des Widerstands, Band 29.
Laika Verlag,
Hamburg 2013 (357 S.)
Ausblick
Selbst wenn manches nur angerissen wird oder zu kurz kommt, bietet die Lektüre der drei vorgestellten Bücher über Chiles 11. September eine umfassende, detail- und facettenreiche Gesamtschau. Dem Laika Verlag ist es mit den Bänden 28 und 29 seiner „Bibliothek des Widerstandes“ gelungen, punktgenau zum 40. Jahrestag des Putsches gegen Allende und die Unidad Popular zwei wichtige Bücher zu diesem Thema zu publizieren. Leider lag Band 30 über „Postdiktatur und soziale Kämpfe in Chile“, der für September 2013 angekündigt war, dem Rezensenten noch nicht vor. Sobald dies der Fall sein wird, folgt beim QUETZAL eine Ergänzung zu dieser Besprechung. Das bereits 2010 vom Münsteraner Verlag „Westfälisches Dampfboot“ herausgebrachte Buch über den „anderen 11. September“ unterscheidet sich zwar in Schwerpunktsetzung, Diktion, Darstellungsvielfalt und Spannbreite von den beiden anderen Bänden, bildet aber zusammen mit diesen eine komplementäre „Einheit“.
Die „Bibliothek des Widerstands“ – dort sind mit Band 7 „Die Schlacht um Chile“ (März 2011) und 11 „MIR – Die Revolutionäre Linke Chiles“ (Februar 2011) zwei „Vorgänger“ zur „September-Triologie“ erschienen – zeichnet sich generell dadurch aus, dass sie reichlich mit gut kommentierten Fotos bestückt ist und zusammen mit den Bänden thematisch zugehörige Filme geliefert werden.
Im vorliegenden Fall gehören zu Band 28 und 29 je sechs Dokumentar- und Interviewfilme (siehe Rezension von Gabriele Töpferwein). Bei Band 29 sei speziell auf die erhellenden Kommentare zu Henry Kissinger (S. 30-31), Milton Friedman (S. 120), Edward M. Korry, von 1967 bis 1971 US-Botschafter in Chile (S. 26), und den Botschafter der BRD in Chile (Mai 1973-1975), Kurt Luedde-Neurath (S. 143), hingewiesen. In Band 28 werden mit Raúl Kardinal Silva Henríquez Hernandéz (27.9.1907-9.4.1999) (S. 238) und Helmut Frenz (4.2.1933-13.9.2011), evangelischer Bischof von Chile (S. 239), zwei mutige Vertreter der Kirche gewürdigt, die nach dem Putsch das „Komitee für den Frieden“ gründeten und sich gemeinsam für Menschenrechte einsetzten. Präzise bibliographische Angaben zu den in beiden Bänden abgedruckten Beiträgen fehlen leider (was weiter oben bereits angemerkt wurde). Eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse wäre sinnvoll und vor allem für den jüngeren Leser hilfreich gewesen.
Alles in allem handelt es sich um drei sehr gehaltvolle Bücher zu einem wichtigen, vom Mainstream jedoch vernachlässigten Thema. Chiles 11. September verdient es, dem Schatten des US-amerikanischen „Nine Eleven“ entrissen zu werden. Alle drei, von denen Band 28 (mit Chronologie und mehr zum Widerstand ab 1983) vielleicht sogar das Zeug zu einem deutschsprachigen Standardwerk hat, liefern dafür einen gewichtigen Beitrag.
——————
Bildquellen: [1], [4] Buchcover; [2] Biblioteca del Congreso Nacional de Chile_; [3] Public Domain