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Fischer, Karin: Eine Klasse für sich

Sven Schaller | | Artikel drucken
Lesedauer: 11 Minuten

Fischer, Karin: Eine Klasse für sich - Foto: Buch-CoverDie Autorin widmet sich in dem Buch „Eine Klasse für sich“ der chilenischen Wirtschaftsgeschichte. Im Gegensatz zu den meisten Darstellungen wählt sie dafür einen neomarxistisch/neogramscianischen Ansatz. Entsprechend geht es im Kern um die Frage, welche Rolle die „besitzenden Klassen“ seit der Herausbildung des kapitalistischen Systems in Chile Anfang des 19. Jahrhunderts bis hin zur Phase des demokratischen Neoliberalismus in heutiger Zeit spielten. Die zu Grunde liegende These ist, dass den „besitzenden Klassen“ ein gemeinsames Interesse unterstellt werden könne: „die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems und die Verteidigung des Privateigentums“ (S. 14). Und obwohl die Wirtschaftselite interne Auseinandersetzungen um Allianzen und/oder die Führungsrolle ihres Machtblocks führten, erhielten die „besitzenden Klassen“ unter verschiedenen politischen Konstellationen und wirtschaftlichen Ausrichtungen ihre politische Macht und handelten nicht nur in Krisenzeiten als eine kollektive soziale Klasse (vgl. S. 15).

Die Autorin beschränkt sich aber nicht nur auf die Deskription der Elite. Sie möchte zugleich den historischen Prozess der Klassenbildung rekonstruieren. Sie orientiert sich dabei an den – in den genauen Jahreszahlen oft umstrittenen, aber weitgehend anerkannten – Perioden der „abhängig-kapitalistischen Entwicklung in Chile“ (S. 16). Die erste Phase umfasst das „liberale Jahrhundert (1830-1930) mit der englischen Expansion, dem Salpeterboom und dem Übergang zum Industriekapitalismus. Die zweite Periode beginnt mit der binnenorientierten Wirtschaftspolitik der Importsubstitution (um 1920/30) und endet mit dem Putsch von 1973. Die dritte Phase schließlich fokussiert auf die neoliberale Transformation unter dem Militärregime von Pinochet und leitet direkt über in die demokratische Ausrichtung des Neoliberalismus nach 1990.

Die klare Struktur des Buches erleichtert der Autorin, ihr Hauptanliegen, die Herausbildung und Festigung einer „besitzenden Klasse“ und deren politische Macht aufzuzeigen. In ihr Analysemuster bezieht Fischer Elemente von Gramscis Staatsbegriff genauso mit ein wie Kategorien der Regulationstheorie und neogramscianische Ansätze zur Globalen Ökonomie (van der Pijl). Allerdings bleibt die theoretische Herleitung ihrer Untersuchung eher auf schwacher Basis. Das gilt in diesem Abschnitt teilweise auch für die zitierte Literatur (siehe z.B. FN 13).

Die Entwicklung zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Die Stärke der Analyse liegt eindeutig im historisch-empirischen Teil. Sehr kenntnisreich präsentiert die Autorin die Entwicklung Chiles ab den Anfängen des 19. Jahrhunderts, die zunehmende Abhängigkeit von ausländischem Kapital (und Händlern), die Bedeutung des Kupferbergbaus schon zu diesen Zeiten und die Transformation der Landwirtschaft.

Chile: Einer der Oligarchen, Agustin Edwards - Foto: Public DomainDoch genau an dieser Stelle treten erstmals beim Leser größere Fragen auf, etwa wenn Fischer schreibt, „[es gelang] der konservativen Oligarchie, die Gruppen und Einzelakteure der besitzenden Klasse an ihr Projekt zu binden“ (ebd.). Wer ist die Oligarchie? Wer sind die besitzenden Klassen? War es nicht das Ziel der Autorin, diese Fragen zu klären? Man vermutet als Leser, es könnte sich bei der Oligarchie um die Großgrundbesitzer gehandelt haben. Aber wo ist die Abgrenzung zur „besitzenden Klasse“? Schon die Wortsemantik des Großgrundbesitzers weist auf das Problem. Dass zur Gruppe der Oligarchie (? – oder doch zur „besitzenden Klasse“?) auch „eine Handvoll“ reiche Unternehmer aus dem Handels-, Finanz- und Bergbausektor mit Verbindungen in die adligen Kreise (vgl. S. 27) gehörten, führt dann zur Frage: Und wer waren die Liberalen? Die Händler? Die Autorin erkennt die Schwierigkeit der Abgrenzung sogar selbst, wenn sie auf die „engen Verquickungen der Familien“ (S. 28) verweist.

Eine weitere Schwierigkeit der Zuordnung von Akteuren in dieser Zeit kann der Autorin allerdings nicht angelastet werden: die Frage nach der „Bourgeoisie“. Ein Bürgertum nach europäischen Maßstäben hat es in Chile nie gegeben. Die Bezeichnung der „Kompradoren-Bourgeoisie“ (siehe z.B. Nicos Poulantzas) oder der „Lumpenbourgeoisie“ (A. G. Frank) verweisen beide auf die enge Verknüpfung dieser Klasse zur kapitalistischen Metropole (England). Dieses weitere Element der Differenzierung macht es allerdings nicht einfacher, die Ausgangsfragestellung nach der Herausbildung einer „besitzenden Klasse“ anzugehen.

Für den Leser bleibt deshalb als ein erstes Zwischenfazit festzuhalten, dass „[a]n der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide […] die Klassenunterschiede [verblassten]“, weil „aufsteigende Bourgeoisie und traditionelle Oligarchie verschmolzen“ (S. 31). Sicherlich wäre es hilfreich gewesen, die Darstellung der Wirtschaftselite in der Gliederung weiter nach vorn zu bringen. Es hätte einige Fragen vermieden, zumal manche Informationen in detaillierterer Form später erneut auftauchen. In Bezug auf die zu klärende Forschungsfrage wird dem Leser aber zunehmend klar, wer sie waren, wie sie verschmolzen und dass „die mächtigsten Gruppen selten nur eine wirtschaftliche Tätigkeit aus[übten]“ (S. 33, Hervorhebung durch den Verf.).

Die Wirtschaftselite bis zum Putsch 1973

Damit hat die Autorin die Grundlagen gelegt und zeigt anhand von verschiedenen Beispielen, wie sich verschiedene Gruppen der Wirtschaftselite untereinander verwoben (z.B. S. 31, S. 33). Vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre gehörten beispielsweise die 42 führenden Industrieunternehmen Chiles denselben Familien oder Gruppen der Unternehmeroligarchie (vgl. S. 51). Wären nicht „Kartelle“, „Konglomerate“ oder „Chaebols“ schon mit gewissen Assoziationen verknüpft, könnte man die Wirtschaftssubjekte Chiles am besten damit beschreiben, auch weil der außenorientierten Entwicklung und dem Handel mit mineralischen und landwirtschaftlichen Rohstoffen dabei eine so große Rolle zukam.

Chile: Wahlen 1915 - Foto: Public DomainAllerdings ergibt sich für den Leser an dieser Stelle eine zweite grundlegende Frage: Wie mächtig waren die nationalen Eliten wirklich? Die Dominanz des englischen (Salpeter) – und später US-amerikanischen (Kupfer) – Kapitals im Land rückte die chilenischen Eliten eindeutig in die zweite Reihe. Das hat die Autorin auch erkannt (vgl. S. 36). Die Darstellung im Buch (v.a. auch die Abgrenzung zwischen nationaler und internationaler „besitzender Klasse“) bleibt aber häufig auf der Metaebene stehen. Problematisch ist zudem, dass die Autorin immer wieder auf die nicht näher definierten Bezeichnungen der „Oligarchie“ und der „Demokraten“ (S. 43) verfällt. Wer machte was warum, um seine Position in der Wirtschaftselite wie zu sichern? Die Analyse der verschiedenen Interessen gerät – man muss schon sagen leider – zu kurz (vgl. S. 44; vgl. auch S. 48-49). Daher bleiben beim Leser auch Unklarheiten darüber, was die Gründe für das Aufsplittern der „besitzenden Klasse“ waren. Warum vereinte die Konservative Partei Chiles (immerhin bereits 1836 gegründet) erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Großgrundbesitzer (und nicht schon früher?), und warum strömte erst zu dieser Zeit die Finanz- und Handelsbourgeoisie zur Liberalen Partei (vgl. S. 45)? Bei diesen Fragen landet man als Leser schnell wieder bei den weiter oben beschriebenen grundlegenden Ungereimtheiten. Vor diesem Hintergrund wäre ein tiefergehendes Kapitel der Definition und Abgrenzung von verschiedenen Bezeichnungen für gesellschaftliche Gruppen zum besseren Verständnis sicherlich hilfreich gewesen, zumal sich dieser Aspekt durch das gesamte Buch zieht (vgl. später z.B. S. 87f.).

Trotz dieser kleineren Mängel zeichnet Fischer sehr gut nach, wie die Wirtschaftselite Chiles selbst bei geänderten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (z.B. Übergang zur Importsubstitution) oder Weltmarktbedingungen (z.B. Weltwirtschaftskrise von 1930) ihre Macht behauptete. Interessant ist v.a. ihre Darstellung, wie sich die Interessenpolitiken der herrschenden Klassen immer wieder durch Kompromisse in Einklang bringen ließen. Zum Beispiel lieferten die Großgrundbesitzer „billige Lebensmittel für die städtischen Arbeiter“, was niedrige Löhne ermöglichte, und erhielten „im Tausch […] die Aufrechterhaltung der Besitzverhältnisse am Land“ (S. 63), was eine Agrarreform verhinderte. Allerdings ergibt sich für den Leser auch für die Zeitspanne zwischen 1930 und 1970 die gleiche Frage wie oben: Wie mächtig war die einheimische Wirtschaftselite wirklich angesichts der extrem starken Vormachtstellung ausländischen Kapitals (vgl. hierzu z.B. die präsentierten Daten auf S. 71)? Immerhin befanden sich Mitte der 1960er Jahre elf der 25 führenden Firmen mehrheitlich in ausländischem Besitz (vgl. S. 71).

Auch bleibt bei der Darstellung der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen 1930 und 1973 lange Zeit (bis zum Kapitel 3.2.) im Dunkeln, wer die besitzende Klasse war und wie sie ihre Interessen durchsetzten, zumal eine neue entstandene Mittel- und Arbeiterklasse um politische Teilhabe kämpfte (vgl. z.B. S. 74, S. 76, S. 78, S. 81). Die Unterkapitel zum Zeitraum der Importsubstitution fokussieren zunächst mehr auf politische und makroökonomische Aspekte.

Es wird jedoch bei der folgenden Darstellung klar, dass die chilenischen „besitzenden Klassen“ weiterhin sehr starke Verflechtungen aufwiesen (vgl. S. 84f. mit Verweis auf Zeitlin/Ratcliff, vgl. auch S. 16) – eine Konstante in der Struktur der Wirtschaft Chiles. Daran änderten neue Unternehmensformen (Aktiengesellschaften) wenig, weil sich auch diese entweder im Mehrheitsbesitz der traditionellen Wirtschaftselite befanden und/oder von Managern aus dieser Klasse geleitet wurden (vgl. S. 86). Eine Darstellung der „inner group“ der „Groß- und Industriebourgeoisie“ als „Kern der Wirtschaftselite“ (vgl. S. 87ff., jedoch erneut mit dem Problem der Spezifizierung, Definition und Abgrenzung der verschiedenen Bezeichnungen) ergibt denn auch das erwartete Bild, dass sich viele Familienbiographien in der „besitzenden Klasse“ bis in die Kolonialzeit zurück verfolgen lassen.

Ab Mitte der 1960er Jahre, auf jeden Fall zwischen 1970 und 1973, änderten die „besitzenden Klassen“ angesichts der für sie ungünstigen politischen Lage die Strategie. Die Autorin erwähnt sehr kenntnisreich einige Beispiele, bei denen Teile der Wirtschaftselite (bis nach dem Putsch) ins Ausland emigrierten (vgl. S. 91), konspirative Zirkel aufbauten, neoliberale Think Tanks gründeten oder an einem intensiven Ideologietransfer (Chicago School) mitwirkten (vgl. S. 93ff). Gerade auch ihre Recherchen zu den etablierten Netzwerken der Wirtschaftselite (vgl. S. 96-97, S. 102-104) sind in der Zusammenstellung einmalig.

Die Ära der Neoliberalen

Dass es unterschiedliche Ansichten in der Junta nach dem Putsch gab (Marine: neoliberal; Luftwaffe: keynesianisch; Heer: z.T. korporatistisch), ist bekannt. Fischer gelingt es jedoch, für den von der Junta verordneten Übergang zur neoliberalen Öffnung klar dazulegen, welchen bedeutenden Einfluss die Wirtschaftselite (und ihre ausländischen „Verbündeten“ wie Milton Friedman) dabei hatte (vgl. S. 100-122) und wie sie von den Privatisierungen des Militärregimes profitierte. Die wichtigsten „Gruppen“ konnten zwischen 1969 und 1978 ihr Kapital verdoppeln bis vervierfachen (vgl. S. 106-107). Ein neuer Garant für den Erhalt der Macht wurde nunmehr die ideologische Geschlossenheit der Wirtschaftselite. Basierend auf einer universitären Ausbildung an der Katholischen Universität, einer Promotion in den USA mit Auslandsstipendium und anschließender Jobgarantie im Staatsdienst war der Fortbestand der neoliberalen Politik durch loyale Führungskräfte gesichert (vgl. S. 130-131).

Chile: Der Finanzsektor in Santiago - Foto: Quetzal-Redaktion, sscEine der bekannten Folgen war, dass Chile nach der Diktatur Pinochets – und bis heute – eine der höchsten Einkommensungleichheiten weltweit aufweist. Gerade auch im Vergleich mit anderen Ländern Lateinamerikas liegt eine Besonderheit der chilenischen Situation darin, dass es zwar weniger Armut oder gar extreme Armut gibt, dafür die Einkommenskonzentration in den „besitzenden Klassen“ ausgesprochen hoch ist. Der Gini-Koeffizient (ein Maß zur Darstellung der Einkommensungleichverteilung) liegt bei 0,56 – im globalen Maßstab ein (negativer) Spitzenwert. Denn die lokale Wirtschaftselite ist nach wie vor stark (vgl. S. 149) – trotz Fortsetzung der neoliberalen Politik, zunehmender Weltmarktintegration und Transnationalisierung. Und so wundert man sich als Leser nicht, dass bei den mächtigsten Familiengruppen die gleichen Namen auftauchen wie schon zu Zeiten der Diktatur, zum Teil seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch hier hat die Autorin sehr akribisch den Nachweis geführt (vgl. S. 150-156, vgl. auch S. 164). Sie zeigt zudem auf, dass sich die in den späten 1980er Jahren neu herausgebildeten Familientrusts bald mit den alteingesessenen „besitzenden Klassen“ verbunden hatten.

Interessant für die aktuellen Entwicklungen ist – und damit schließt die Analyse –, dass auch (oder gerade durch) die neoliberale Transformation unter Pinochet die Einflussnahme der Wirtschaftselite weit über den Bereich der Ökonomie hinausreicht. Sebastian Piñera (selbst Angehöriger der „besitzenden Klasse“) scharrte beispielsweise nach seiner Wahl als Präsident des Landes die Ideologen aus den neoliberalen Think Tanks um sich und bezog sie mit in die Regierung ein. Fischer belegt diese Entwicklung ebenfalls eindrücklich (vgl. S. 169-174).

Es bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass das Buch ein großer Gewinn ist – auch wenn es die Autorin nicht durchweg geschafft hat, ihren hoch gesetzten Anspruch einzuhalten, die Wirtschaftsgeschichte Chiles in Beziehung zu setzen zu den machtpolitischen Ambitionen und interessengeleiteten Interventionen der „besitzenden Klasse“. Mögen Laien auf dem Gebiet von der Fülle an Information vielleicht überfordert sein, so bietet es einen weitgefassten, zugleich detaillierten Überblick über die Entwicklung der chilenischen Ökonomie zwischen 1830 und 2010. Selbst für Experten bietet es zahlreiche neue Aspekte. Die verwendete Literatur ist (bis auf einzelne Ausnahmen) systematisch ausgewählt und eine sehr gute Referenz. Dabei weiß die Autorin mit ihrem flüssigen Schreibstil den Leser wahrlich in ihren Bann zu ziehen, wozu sicherlich auch die ergänzenden Erläuterungen in den Fußnoten beitragen. Dass bei solch umfassenden Analysen kleinere Fehler auftreten (etwa der triviale Satz: „Dem Kongress kam die Aufgabe zu, Gesetze zu verabschieden“, S. 26, oder der Zitierfehler auf S. 64, FN 95, Jahr der letzten Publikation), fällt nicht ins Gewicht. Fazit: Eine klare Leseempfehlung!

Karin Fischer

Eine Klasse für sich

Nomos-Verlag

Baden-Baden, 2011

Bildquellen: [1] Buch-Cover; [2]-[3] Public Domain; [4] Quetzal-Redaktion, ssc

1 Kommentar

  1. Lemmy Caution sagt:

    Die Autorin scheint auszublenden, dass die mächtigen Familien heute oft von armen Teufeln abstammen. Namen wie Luksic, Angelini, Saieh oder Paulman hören sich nicht gerade nach alter kolonialspanischer Elite an. Sie sind es auch nicht. Und diese Leute erhielten nicht zuletzt einen hohen Anteil der Privatisierungs-Geschenke zwischen 1983 und 2006, als sie sich schon zur Elite hochgeboxt haben und die heute einen gewaltigen Einfluss auf die chilenische Politik haben.
    Oder anderes Beispiel: Pinieras Großvater zog als nicht vermögender Soldat in den Salpeterkrieg (70er Jahre des 19. Jhdt, zu faul zum nachschauen), erkannte die geschäftlichen Möglichkeiten des Salpeters und wurde dort reich. Er zog dann nach Paris, um dort von den Renten seines Reichtums zu leben. Pinieras Vater wuchs dort auf. Als kein Geld mehr da war, ging er mit einer vergleichsweise guten Ausbildung nach Chile zurück und wurd ein hoher Staatsbediensteter im Umfeld der aufsteigenden Christdemokraten. Die Kinder wurden zwar auf gute Schulen geschickt, das Leben der Familie war aber alles andere als finanziell sorglos. Piniera studierte in den USA, kehrte zurück und wurd durch seine geschäftlichen und spekulativen Bemühungen zu einem der 5 reichsten Personen Chiles.
    Klar spielt Herkunft in Chile eine gewaltige Rolle. Nur ist es viel komplizierter. Sie beschränkt sich aber nicht nur auf die Wirtschaftselite. Auch bei den Stammbäumen linker Politiker trifft man auf illustre Familien. Toha etwa. Oder Enríquez Gumucio, Hab mal irgendwo gehört, dass es zwischen 1891 und 1973 nur 4 Jahre gab, in denen nähere Vorfahren von MEO nicht im nicht sonderlich üppig besetzten Parlament sassen.
    Man darf auch nicht vergessen, dass es zwischen 1964 und 1973 in Chile eine wirkliche Landreform gab und Pin8 diesen Besitz sehr weitgehend bei den neuen Eigentümern beliess. Und tatsächlich begann diese Neuverteilung unter Frei Montalva. Die UP verteilte deutlich weniger Land.
    Auch der Kupfer wurde ja verstaatlicht und dem entsprechenden Gesetz stimmten 1971 alle Parteien zu, selbst die Nationale, d.h. der Zusammenschluss von Konservativen und Liberalen. In der Diktatur fand auch keine Re-Privatisierung des Kupfers statt. Die internationale und chilenische Privatwirtschaft drang erst unter der Concertación wieder massiv in den Sektor. Und heute wird oft vergessen, dass zwischen 1990 und 2002 das gar nicht so ein dolles Geschäft war, weil der Kupfer bei etwa 2000 Dollar pro Tonne oder weniger gehandelt wurde. Erst in den letzten Jahren gabs dank des Aufschwungs Chinas diese immensen Preissteigerungen auf zwischen 7000 und 9000 Dollar.
    Chilenen können eigentlich schon sehr lange sehr gut über sich selber schreiben, da brauchts keine Deutschen, die mit großen Eifer nach der Bestätigung irgendwelcher Makro-Theorien suchen.
    Es wäre besser, wenn Bücher wie Alberto Mayol, No al Lucro oder Manuel Gárate Chateau: La revolución capitalista de Chile (1973-2003) einfach übersetzt oder bei entsprechenden Sprachkenntnissen gelesen würden. Man kann dort viel darüber lernen, wie der Neoliberalismus in Chile scheiterte.
    Liebe Grüße
    Lemmy

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