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Novela negra. Krimis aus Lateinamerika

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Für Bertolt Brecht war er ein intellektueller Genuss; er liebte ihn, vor allem das Schema, das Schablonenhafte, das ihn auszeichnet. Ernst Bloch hielt ihn für eher minderwertig, nannte ihn „flach“. Dieses Urteil teilt der Philosoph mit vielen Kollegen, vor allem hierzulande, wo man alles Kulturelle gerne in „hoch“ und „trivial“ einzuteilen pflegt. Die Rede ist vom Kriminalroman. Das Genre boomt in den letzten Jahren in unzähligen Varianten, der Buchmarkt quillt über von Serienmördern, eher lustig gemeinten Regiokrimis und und und. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Frauen besonders gerne Krimis lesen, insbesondere die sogenannten True-Crime-Geschichten. Einschlägige Magazine, und davon gibt es reichlich, werden wohl vornehmlich von ihnen gekauft. Das korrespondiert auf jeden Fall mit Blochs Vorstellung vom typischen Krimileser, der „persönlich gut gesichert und ruhevoll“ die abscheulichsten Verbrechen genießt. Obwohl Bloch seinerzeit tatsächlich eher die Männer meinte.

Trotzdem man ihn immer noch als generell leichte Kost abtut, wurde über den Kriminalroman bereits viel theoretisiert, nicht zuletzt mit dem Ziel, Regeln für denselben aufzustellen und das Erfolgsrezept dieses kulturellen Massenphänomens zu entschlüsseln. Was braucht eigentlich ein guter, soll heißen erfolgreicher Krimi? Auf jeden Fall ein Verbrechen – am besten Mord und Totschlag, einen charismatischen Ermittler und natürlich ein gutes Ende.

So einfach stimmt das allerdings schon lang nicht mehr, schließlich gibt es neben dem klassischen Roman mit dem genialen, sympathischen (und was weiß ich) Detektiv bereits seit geraumer Zeit auch Autoren, die u.a. neben die Aufklärung des Verbrechens auch eine soziale Analyse stellen. Verbrechen haben schließlich zumeist auch gesellschaftliche Ursachen.

In Lateinamerika sieht das Ganze dann noch einmal anders aus; dort gibt es ein Subgenre des Kriminalromans, das mit den allgemein üblichen Kriterien für einen erfolgreichen Krimi nicht viel anfangen kann oder will. Man nennt diese Geschichten heute Novela negra. Der Name hat einen unmittelbaren Bezug zum französischen Roman noir und dem Film noir. Doch die jungen Autoren, die seit den Siebzigern des letzten Jahrhunderts unabhängig voneinander ihren Kriminalroman „erfanden“, orientierten sich nicht so sehr an den europäischen Vorbildern, sondern mehr an den US-rezensiert_novela_negra_foto_Quetzalredakion,gtamerikanischen Geschichten à la Chandler und Hammett mit ihren irgendwie gebrochenen Detektiven, die sich weniger dem Recht als vielmehr der Gerechtigkeit verpflichtet fühlten.

Der Film „Novela negra“ von Andreas Apostolidis beleuchtet diese Krimigenre am Beispiel von fünf Autorinnen und Autoren aus fünf lateinamerikanischen Ländern, die zu unterschiedlichen Zeiten Kriminalromane schreiben: Paco Ignacio Taibo II (Mexiko), Luis Sepúlveda (Chile), Leonardo Padura (Kuba), Claudia Piñeiro (Argentinien) und Rafael Roncagliolo (Peru). Allen ist gemeinsam, dass sie nicht so sehr über Verbrechen als vielmehr über ihr Land, ihre Gesellschaft berichten wollen. Das führte die Autoren und Autorinnen zwangsläufig zur Kriminalgeschichte. Die 70er Jahre waren in Lateinamerika ein Jahrzehnt der Diktaturen und Bürgerkriege. Und wie beschreibt man eine Gesellschaft, in welcher das Verbrechen alles durchdrungen hat und quasi zur Normalität, zur Lebensweise geworden ist, wo die schlimmsten Verbrechen vom Staat begangen werden? Der Kriminalroman bietet sich geradezu an, die gesellschaftlichen Aspekte des Verbrechens zu beleuchten. Thema der Bücher sind deshalb Machtmissbrauch und Korruption, Staatsterror und soziale Ungerechtigkeit. Der Detektiv hat letztlich nicht mehr die Aufgabe, ein einzelnes Verbrechen aufzuklären, sondern das Verbrechen des Staates offenzulegen. Dieser Detektiv hat wenig gemein mit den Helden der traditionellen Kriminalgeschichten, und vor allen Dingen ist er kein Polizist. Die Polizei ist Teil des korrupten Staatsapparates, man kann ihr nicht vertrauen. Ein Ermittler, der nach Gerechtigkeit sucht, kann also nichts mit der Polizei zu tun haben. Zudem fehlt vielen Romanen der Novela negra ein Happy End, sie verzichten darauf, letzte Wahrheiten zu präsentieren.

Andreas Apostolidis‘ Film beschreibt sehr anschaulich die gesellschaftliche Realität in den Heimatländern der AutorInnen und verbindet diese Beschreibungen überzeugend mit deren Büchern. Es ist auf jeden Fall von Vorteil, wenn man die vorgestellten Autoren und Bücher kennt; aber auch ohne diese Kenntnis erschließen sich die Besonderheiten der Novela negra sehr gut. Zumal die AutorInnen selbst ausgiebig zu Wort kommen und mit Philip Swanson von der Universität Sheffield ein Experte die Hintergründe und Absichten dieses Krimigenres erläutert, mit Leidenschaft und nicht akademisch verklausuliert. Es wird deutlich, so unterschiedlich die Sujets der Romane auch sind, sie alle sind auf eine Ziel gerichtet: die dunkle Seite der Gesellschaft aufzudecken.

Paco Ignacio Taibo II, zweifellos der Altmeister der Novela negra, beschreibt in seinen Kriminalromanen die verdeckten Spannungen in der Gesellschaft, konkret im Moloch Mexiko-Stadt. In einer von Korruption und Machtmissbrauch geprägten Gesellschaft, in der das Verbrechen vom Machtapparat nach unten durchgereicht wird, sind die Verbrechen subalterner Täter eher irrelevant – interessant ist vielmehr der korrupte Minister.

Luis Sepúlveda verarbeitet nicht zuletzt seine eigene Geschichte mit seinem Helden Juan Belmonte, einem Exguerillero und Exilanten. Seine Figuren sind geprägt von Militärdiktatur und Exil. Der im letzten Jahr an einer Coronainfektion verstorbene Sepúlveda konnte offensichtlich nicht mehr explizit zum Thema des Films befragt werden, weshalb seine Aussagen leider eher unspezifisch sind.

Santiago Roncagliolo, dessen Heimat über Jahrzehnte vom Bürgerkrieg zwischen Staat und Sendero luminoso beherrscht wurde, machte die Angst zum Thema seiner Arbeit. Staatsanwalt Chacaltana, Held des Romans „Roter April“ ist ein Ästhet der Bürokratie, der sich lieber mit Adverbien beschäftigt als mit Verbrechen. Konfrontiert mit einer grausamen Mordserie, muss er feststellen, dass seine Vorgesetzten nicht an einer Aufklärung der Morde interessiert sind. Zunehmend offenbart sich ihm eine Kultur der Irrationalität und des Chaos, die das Land beherrscht.

Claudia Piñeiro beschreibt eine Gesellschaft, in der alle in die Falle des Neoliberalismus geraten sind. Sie will die neue soziale Ungleichheit darstellen, das Versagen des Systems. In einer Wirtschaftskrise, so erläutert sie, muss der Kriminalroman andere Dinge aufdecken als nur individuelle Verbrechen. Piñeiros Geschichten spielen zumeist in den gated communities, den gesicherten Wohnanlagen, deren wohlhabende Bewohner sich von dem Draußen bedroht fühlen. Sie werden beherrscht von der Angst, ihr Leben könnte plötzlich zusammenbrechen.

Leonardo Padura ist genaugenommen ein besonderer Fall in diesem Film. Ebenso wie seine KollegInnen will er mit seinen Romanen die gesellschaftliche Wirklichkeit in seinem Land darstellen. Allerdings unterscheidet sich Kuba doch sehr von anderen lateinamerikanischen Ländern. Padura betont, dass er die Absicht hatte, einen sehr kubanischen Kriminalroman zu schreiben, der kubanischer ist als der „kubanische Kriminalroman“. Das ist nicht so paradox wie es klingt. Der traditionelle, staatlich geförderte kubanische Kriminalroman soll seine Leser nämlich vor allem zu einem richtigen, sprich sozialistischen Verhalten erziehen und hat mit der Realität im Land nicht allzu viel zu tun. Paduras Romane um den Ermittler Mario Conde haben den Anspruch, eine „Chronik des kubanischen Lebens heute“ zu sein, mit all seinen Widersprüchen, Problemen und der Frustration über die verlorenen Träume der Kinder der Revolution. Paduras Held ist übrigens Polizist. Das unterscheidet ihn von den meisten Detektiven in den modernen Kriminalromanen Lateinamerikas. In Kuba funktioniert das noch, die Stellung der Polizei ist offensichtlich noch eine andere. Der Polizist Conde ist zwar Teil des Systems, testet dessen Grenzen aber ebenso aus wie seine Landsleute; das macht ihn für Leser glaubwürdig.

Leonardo Padura gelingt es ebenso wie seinen KollegInnen, über das Vehikel Kriminalfall ein realistisches Bild seines Landes zu zeichnen. So gesehen ist Rafael Roncagliolo zuzustimmen, der im Film lapidar meinte, wenn man etwas über ein Land erfahren wolle, lese man Bücher.

 

Novela negra. Krimis aus Lateinamerika

Griechenland 2020

Regie: Andreas Apostolidis

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Bildquelle: [1] Quetzal-Redaktion_gt

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