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Interview mit Daniel Vega
Regisseur des Films „Im Oktober werden Wunder wahr“

Lesedauer: 6 Minuten
Interview mit Daniel Vega (60 Downloads )

Im Oktober werden Wunder wahr, PlakatDer Film „Im Oktober werden Wunder wahr“ ist ein Kleinod des neuen peruanischen Kinos, wenn man so sagen kann. Im Mittelpunkt stehen nicht die indigenen Bewohner des Landes oder die Gräueltaten des Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) – wie in vielen Streifen aus Peru in den letzten Jahren – sondern ein introvertierter Pfandleiher: Clemente. Clemente ist vorsichtig, leiht stets nur kleine Summen, besteht auf Sicherheiten und notiert sich penibel jedes seiner kleinen Geschäfte. Ein ganz geordnetes Leben in einer kleinen Welt eben. Doch eines Tages ändert sich sein Alltag schlagartig. In seiner Wohnung findet er ein Baby. Völlig ratlos, was er tun solle, bittet er seine Nachbarin Sofia um Hilfe. Diese nutzt die Gelegenheit, um bei Clemente einzuziehen und hofft, dadurch endlich ein Zeichen der Zuneigung des Pfandverleihers zu erhaschen. JedenTag betet sie zum Gott der Wunder…

Auf dem Festival in Cannes wurde der Film in der Reihe „Un certain regard“ ausgezeichnet. Anlässlich der Deutschlandpremiere fand am 12. Oktober 2010 einer der beiden Regisseure, Daniel Vega, den Weg nach Leipzig. Für QUETZAL stand er nach dem Ende des Films Rede und Antwort.


Warum heißt der Film „Octubre“?[1]

Nach der Legende malten angolanische Sklaven vor 400 Jahren ein Bild von Christus an eine Mauer [in Lima, Anm. der Verf.]. Dieses Bild blieb trotz der vielen Erbeben, die alles in der Umgebung zerstörten, unversehrt. Die Leute begannen, es als etwas Übernatürliches zu sehen und es um Gefallen zu bitten. Nach der Sage wurden diese Gefallen erfüllt. Deshalb bekam dieses Bild den Namen „Der Gott der Wunder“. Man baute [um die Mauer mit dem Bild, Anm. der Verf.] eine Kirche, und auf Wunsch der Bevölkerung wurde ein tragbares Abbild hergestellt, um damit durch die Straße in eine Prozession zu ziehen. Diese Prozession findet im Oktober auf fünf Strecken mit mehreren tausend Teilnehmern statt. Als wir mit diesen Personen gesprochen haben, erzählten sie uns, dass sie am Anfang der Prozession, während sie auf Christus warten, ihm für ein weiteres Jahr Leben danken. Und am Ende der Prozession bitten sie ihn darum, sie für das bevorstehende Jahr am Leben zu lassen. Für diese Personen sind die „Wunder“ kleine oder einfache Sachen. Die Personen bitten um das Leben, um Gesundheit für ihre Kinder, um Liebe oder um mehr Chancen in ihrem Leben. Wir denken, dass die Möglichkeiten dieses so kalten, bescheidenen und harten Menschen, um sein Leben zu ändern, ein Wunder ist.

Warum hat der Film diese festen Einstellungen und diese langen Schnitte? Wie lange wurde der Film gedreht?

Von Anfang an haben wir uns vorgestellt, den Film auf diese Art und Weise zu machen. Es ist ein Bildnis der Einsamkeit. In dem Film sind alle Personen sehr einsam, und ich glaube, dass auf diese Art das Thema der Einsamkeit sehr gut reflektiert wird.

Wir brauchten insgesamt sieben Jahre, um den Film zu machen. Die Vorproduktion des Films war schließlich von vier Wochen, und die Dreharbeiten dauerten noch mal vier Wochen.

Wie ist es, mit einem Bruder zusammenzuarbeiten? Gibt es eine Formel?

Wir können noch nicht von Formel sprechen, weil wir nur einen Kurz- und einen Langfilm zusammen gemacht haben. Aber bis jetzt hat alles gut geklappt. Mein Bruder ist Drehbuchautor. Wir setzen uns hin und besprechen alles, was wir in den Film erzählen wollen. Er fängt an, es zu schreiben. Dann schickt er mir die Skizze, und ich gebe ihm meine Meinung zurück. Das hat für uns gut funktioniert. Am Ende saßen wir zusammen und sagten: „Los, machen wir das“. Wir beherrschten quasi die Story. Dann, als für uns klar war, was wir erzählen wollten, war mein Bruder [Diego Vega – Anm. der Verf.] verantwortlich für die Schauspieler und ich für die visuelle Inszenierung.

Wer hat euch beeinflusst, um den Film zu machen?

Ein Film entsteht aus Vergnügen zum Kino. Während du drehst, denkst du nicht an andere Filme. Aber es gibt Filme, die dich sehr geprägt haben. In diese Sinne sind vor allem Robert Bresson und Aki Kaurismäki zu nennen. Es gibt auch einem uruguayischen Film – „Whisky“. Hervorragend! Als wir anfangen wollten zu drehen, habe ich ihn gesehen, und ich sagte: „Das ist der Ton des Films“. Wir haben den Schauspielern viele Filme von diesem Format gegeben, weil unsere Sorge war, dass wir bei der Bearbeitung eine novela erhalten würden. Deswegen benutzten wir Filme wie „El Custodio“, „El Otro“ und natürlich „Whisky“, weil sie von einer „verhaltenen Aktion“ („acción contenida“) sind.

Regisseur Daniel Vega - Foto: Quetzal-Redaktion, luxAm Ende des Films weiß man nicht, wie er ausgehen mag. Was ist deine persönliche Meinung dazu?

Unser Ziel war es, eine Illusion von Happyend zu lassen. Du fühlst am Ende des Films etwas wie eine Hoffnung, dass etwas Gutes passieren kann. Doch wir wollten keine geschlossene Geschichte schaffen, sondern dass sich jeder Zuschauer ein eigenes mögliches Ende vorstellt. Ich glaube, dass die Optimisten sagen werden: Es gibt ein Happyend – eine gebildete Familie, Liebe, etc. Und die Pessimisten werden sagen, dass sie nie glücklich werden können. Am Ende ist es doch so, dass dir das Leben Möglichkeiten anbietet. Aber die Gelegenheit an sich macht dich noch nicht glücklich. Es liegt an jeder Person selbst, die Chance zu nutzen, um glücklich zu werden. Nun, wegen diesen Sichtweise hat der Film ein offenes Ende.

Welche neuen Elemente gibt es in diesem Film, der ihn von anderen peruanischen Filmen unterscheidet?

Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, was ich dir darauf antworten soll. Viele Personen denken, dass es ein Film ist, der sich von den anderen peruanischen Filmen unterscheidet. Das bisherige peruanische Kino hat versucht, einen sehr harten Realismus zu reflektieren. In diesem Film sind die Personen fast schon eine Karikatur. Es gibt einen schwarzen Humor. Er ist ein bisschen wie ein Märchen. Wir können sogar sagen, dass es ein anachronistischer Film ist. Es gibt kein Handy, kein Internet. Aber das ärgert dich nicht. Das könnte heute genauso passieren wie auch vor zwanzig Jahren. Es ist fast theatralisch. Vielleicht sind es diese Punkte, die ihn von anderen peruanischen Filmen unterscheiden.

Früher war es schwer, in Peru Filme zu machen. Wie ist jetzt?

Ich kann mir vorstellen, dass es in der Zeit des Terrorismus schwierig war, in Peru Filme zu drehen. Es gibt Personen wie Pancho Lombardi oder Chicho Durán, die Filme schon in diesen schweren Zeiten produzierten und jetzt weiter machen. Das ist erstaunlich. Zumindest wurden manche Fonds aufgelegt, die einen helfen können. Alles scheint jetzt einfacher. Natürlich fehlt mehr Hilfe, aber wir kommen zumindest voran.

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[1] Anmerkung der Übersetzerin: Im spanischen Original heißt er „Octubre“.

Übersetzung aus dem Spanischen: Romina Luz Hermoza Cacsire de Schaller

Bildquelle: [1] Im Oktober werden Wunder wahr, Plakat; [2] Quetzal-Redaktion, lux

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