3. Parteienkrise und die Ära der politischen Bewegungen
Die wirtschaftliche Krise, in die die Politik der Militärs führte, brachte 1980 die Rückkehr zur Demokratie. Aber mehr als zehn Jahre Parteienverbot hatten ihre Spuren hinterlassen. Sämtliche politischen Parteien befanden sich in einer tiefgreifenden Krise. Ihr Apparat musste wieder aufgebaut, Wählervertrauen zurückgewonnen werden. Lediglich die Parteien der (Neuen) Linken blieben intakt, da sie ohnehin meist außerhalb der Legalität wirkten und ihre Organisation in den armen Stadtvierteln oder Universitäten am Leben erhielten. Dies fand besonders seinen Ausdruck in den beginnenden (außerparlamentarischen, terroristischen) Aktivitäten der neuen Abspaltung Partido Comunista del Perú (Sendero Luminoso, PCP-SL).
In den Wahlen konnte sich erneut die Acción Popular mit ihrem Präsidenten Fernando Belaunde Terry durchsetzen, so als hätten die zwölf Jahre der Militärregierung nicht existiert. Doch der Erfolg basierte nicht auf einer breiten, allgemeinen Zustimmung der Massen. Die Gesellschaft war auf der Suche nach neuen Alternativen. Im gleichen Jahr gewann in Lima beispielsweise mit Alfonso Barrantes der Kandidat der Izquierda Unida, der Vereinigten Marxistischen Parteien, die Bürgermeisterwahlen.
In der ersten Hälfte der 1980er Jahre hatten sich das erste Mal Anfänge für ein relativ stabiles Parteiensystem etabliert. Die Izquierda Unida repräsentierte darin die Linken, die APRA mitte-links, AP mitte-rechts und die Partido Popular Cristiano (PPC) den konservativen Flügel des Bürgertums.
1985 gelang es der APRA mit Alan García an der Spitze, erstmals das Präsidentenamt zu erringen, ohne dass das Militär daraufhin einen Putsch durchführte. 1986 folgte der Triumph bei den Bürgermeisterwahlen von Lima. In beiden Wahlen hieß der direkte Verlierer Izquierda Unida, die sich daraufhin in mehrere Splitterparteien auflöste und dermaßen geschwächt wurde, dass sie sich (und mit ihr die gesamte Linke) bis heute nicht davon erholen sollte.
Für die APRA begann der Niedergang ausgerechnet an ihrem bisherigen politischen Höhepunkt. In ihrer fünfjährigen Regierungszeit erlebte Peru nie Dagewesenes: die zunehmenden Aktivitäten des Sendero Luminoso, die Massaker in den Gefängnissen El Frotón und Lurigancho, Ämterpatronage sowie eine florierende Korruption im politischen Apparat, den Bruch mit dem IWF – und den völligen Ruin der Wirtschaft. Anstelle der Umsetzung einer besseren Politik konstatierte das Wahlvolk seine Ohnmacht gegenüber einer inkompetenten Partei, die schließlich zu einer weit um sich greifenden Frustration führte.
Seit Ende der 1980er Jahren befanden sich die politischen Parteien Perus damit erneut in einer Krise, die durch den rapiden wirtschaftlichen Niedergang mit einer Rekordinflation von 7.600 Prozent noch verschärft wurde. Das demokratische System – das sich gerade erst wieder etabliert hatte – verlor seine wichtigste Fähigkeit, nämlich sich gegenüber der Gesellschaft zu legitimieren. Das Muster war ähnlich: Eine Partei gewann die Wahlen, wies in ihrer Regierungszeit eine vernichtende Bilanz auf, wurde fünf Jahre später von einer anderen Partei abgelöst, die ebenfalls versagte, und so fort. Dieses Charakteristikum bestimmt das politische System Perus bis in unsere Tage.
Vor dem Hintergrund der ökonomischen Krise und dem Zerfall der Linken sowie der regierenden APRA organisierte sich die Rechte im Land neu. 1987 gründete sich mit tatkräftiger Unterstützung des nationalen Großunternehmertums die Movimiento Libertad, das sich gegen die von der APRA beabsichtigte Verstaatlichung der Banken wandte. Unter seinen Gründern fungierte der bekannte peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa, der ein Jahr später ein Bündnis mit der AP und der Partido Popular Cristiano zur Frente Democrático (FREDEMO) schloss, um gestärkt in die anstehenden Wahlen von 1990 zu gehen.
FREDEMO ist zwar nicht die erste politische Bewegung, die nur zum Zweck der Wahlteilnahme gegründet wurde. Aber sie markiert in gewissen Maßen den Beginn einer Neuausrichtung des peruanischen Parteien-Systems. Fortan dominieren kurzlebige Koalitionen, Bewegungen und Gruppen mit zum Teil charismatischen Führern, zum Teil Newcomern das politische Geschehen. Ein zweiter Wandel betraf die nun fast ausschließliche Konzentration auf den Persönlichkeitswahlkampf. Parteinamen bedeuteten praktisch nichts mehr, weil sie für nichts mehr standen außer ihren Spitzenkanditaten. Die dritte Veränderung, die diesen Prozess maßgeblich mit ermöglichte, war die zunehmende Bedeutung des Fernsehens als Medium, um die potentiellen Wähler zu erreichen. Anstelle von Massenmobilisierungen auf der Straße wie anno 1871 oder 1945 und des Aufbaus eines landesweiten Netzes von Parteizentralen (nur von der APRA verwirklicht) trat die gezielte Kandidatenwerbung im TV.
Zu den neuen politischen Bewegungen der Zeit zählten im linken Spektrum die Unión Cívica Independiente (UCI) von Francisco Díez Canseco, die Movimiento Cívico Independiente Obras von Ricardo Belmont Casinelli, die zweimal das Bürgermeisteramt von Lima gewann und sich 1995 auflöste, die Movimiento Socialista Peruano oder die Movimiento Democrático de Izquierda.
Daneben gab es die Frente Popular Agrícola-Fia del Perú (FREDAP), der politische Arm der Sekte der Israeliten mit Ezequiel Ataucusi an der Spitze, der dreimal sogar für das Präsidentenamt kandidierte – Kennzeichen dafür, dass mit viel Geld politisch in Peru alles möglich war.
Ein spezieller Fall ist jedoch die politische Bewegung Cambio 90. Gegründet 1989 von Alberto Fujimori weist auch diese Partei eine explizite Bindung an dessen Person und Handeln auf. Die sich wie FREDEMO im rechten Spektrum angesiedelte Bewegung, die bald als fujimorismo bezeichnet wurde, tauchte bei verschiedenen Wahlen zudem unter alternativen Bezeichnungen oder Satellitenparteien auf, wie Vamos Vecino, Nueva Mayoría, Perú 2000 oder Sí Cumple.
Mit der überraschenden Niederlage von FREDEMO bei den 1990er Wahlen gegen Cambio 90 und den politischen Newcomer Alberto Fujimori, löste sich das Bündnis wieder auf. Die Niederlage ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass Mario Vargas Llosa offen die neoliberalen Schock-Maßnahmen mit ihren sozialen Folgen propagierte, die Fujimori ablehnte, um sie dann nach der Wahl noch schärfer durchzusetzen. Auch schien vielen Peruanern die kaum verdeckte Nähe FREDEMOs zur Finanzelite des Landes suspekt.
Diese erste Phase der massiven Gründung von Bewegungen und Wahlparteien endete 1992 mit dem Selbstputsch (autogolpe) von Alberto Fujimori. Erneut brach das Parteiensystem (oder was davon übrig war) zusammen. Wieder tauchte das Argument auf, dass das Land nur auf autokratischem Wege modernisiert und stabilisiert werden könne. Abermals übernahm das Militär (wenngleich formell im Hintergrund) die Rolle einer Supra-Partei. Der militärische Erfolg gegen die Terrororganisation des Sendero Luminoso (1992 Festnahme von dessen Anführer Abimael Guzmán und damit praktisch die Beendigung des Bürgerkriegs), die Wiedererlangung der wirtschaftlichen Stabilität mit einem neoliberalen shock zusammen mit populistischen Maßnahmen (z. B. vaso de leche, kostenlose Milch für arme Stadtbewohner) brachten Fujimori trotz der semidiktatorischen Amtsausübung große Sympathien beim Volk ein. Nach der Verabschiedung einer neuen Verfassung, in deren Folge die Kompetenzen des Präsidenten gestärkt, zugleich aber die Macht des Kongresses geschwächt wurde, regierte er mit einem Einkammersystem (vorher Zweikammersystem) weiter und wurde 1995 mit großer Mehrheit gegen den Ex-Generalsekretär der Vereinten Nationen, Javier Pérez de Cuellar, wiedergewählt. Nach dem Verfassungsstreit um seine (illegale) dritte Amtszeit verzichtete der Newcomer Alejandro Toledo mit seiner Wahlbewegung Perú Posible im April 2000 auf die Stichwahl. Fujimori wurde zum dritten Mal als Präsident inauguriert.
Neben der Unfähigkeit der Parteien, die Probleme des Landes zu lösen, und neben ihrem ausgesprochenen Hang zum Populismus und Patronalismus gab Fujimori ein weiteres Charakteristikum des politisches Systems Perus ab: Korruption. Ab dem Herbst 2000 tauchten zahlreiche Videos seines engsten Vertrauten und Geheimdienstchefs, Vladimiro Montesinos, auf, die ihn bei der Bestechung von Funktionären zeigten. Diese „Vladivideos“ zwangen Fujimori schließlich zum Rücktritt.
Es begann erneut ein großer Aktionismus bei der Gründung von Wahlbewegungen. Obwohl sowohl die APRA als auch die AP als die beständigsten Parteien Perus fortexistierten, waren sie Mitte der 1990er und bei den Wahlen 2000 nahezu bedeutungslos. Während die APRA unterhalb der Zehnprozentmarke blieb, konnte die AP sogar nur unter drei Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen. Das sich in den 1980ern herausgebildete Parteiensystem mit der Izquiera Unida, der APRA, der AP und der Partido Popular Cristiano hatte in nur zehn Jahren jeglichen Zuspruch verloren (siehe Grafik 1). An ihre Stelle waren neue Bewegungen getreten. Für die Wahlen von 2001 formierte sich zum Beispiel im Mitte-Rechts-Spektrum die Unidad Nacional, hervorgegangen aus der christlich-sozialen Partido Popular Cristiano (PPC), und der Partido Solidaridad Nacional. Ihre Wählerbasis lag jedoch hauptsächlich in Lima, wo sich ihr Kandidat Dr. Luis Castañeda Lossio 2002 gegen den bedeutenden Lokalpolitiker von Somos Perú, Alberto Andrade, im Kampf um das Bürgermeisteramt durchsetzen konnte.
Grafik 1: Veränderung des Zuspruchs der wichtigsten Systemparteien 1978-2001
Quelle: Gutiérrez Sanín (2005), S. 13
Dennoch schaffte es die APRA in diesen beiden Jahren der politischen Krise, ihren Parteiapparat zu restrukturieren und eine neue Wählerbasis aufzubauen. Wenngleich ihr Spitzenkandidat Alan García bei den Stichwahlen 2001 knapp gegen Alejandro Toledo unterlegen war, gewann sie bei den Kommunal- und Regionalwahlen 2002 in zehn Großstädten und zwölf der 25 Regionen. Sie wurde damit wieder wichtigste Kraft im Lande.
Die AP dagegen hatte noch einen letzten Höhepunkt, bevor sie gänzlich in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Nach dem Rücktritt Fujimoris und der Ablehnung der beiden Vize-Präsidenten (z. T. aufgrund politischen Drucks der Opposition) bedurfte es eines Übergangspräsidenten. Der Kongress wählte schließlich den Anwalt Valentín Paniagua in dieses Amt. Es war nach Meinungsumfragen der am meisten geachtete Präsident, den das Land je hervorbrachte. Dessen Tod 2006 wie auch schon zuvor das Ableben Fernando Belaúnde Terrys, des Parteigründers und langjährigen Vorsitzenden der Acción Popular, im Jahre 2002 bedeuteten jedoch den Wegfall jeglicher Wählerbindungen für die AP. Die Partei verschwand. Fortan bildete die APRA die einzige Massenpartei mit Basis und historischen Wurzeln im unüberschaubaren Heer an politischen Fronten und Bewegungen.
Umfragen in diesen Jahren offenbarten, dass das Vertrauen in Parteien endgültig verloren war. Nur knapp jeder Siebente der Interviewten gab an, politischen Parteien zu trauen, während für mehr als 80 Prozent das Gegenteil zutraf. Die peruanischen Parteien zählten damit zu den Institutionen, die am wenigsten Glaubwürdigkeit aufwiesen. Entsprechend niedrige Vertrauenswerte besaß mit etwas mehr als 20 Prozent auch der Kongress.
Dies zeigte sich nicht zuletzt bei der Partei Perú Possible des Präsidenten Alejandro Toledo. Obwohl er in den fünf Jahren seiner Regierungszeit eine moderate makroökonomische Politik verfolgte und das Rechtsstaatlichkeitsprinzip wieder verankerte, was Peru zu einem konstanten Wirtschaftswachstum verhalf, verlor er bald unter der Wählerschaft stark an Popularität. Da von dem neuen gesellschaftlichen Wohlstand (fast) nichts bei den armen Massen ankam, findet man seine Partei bei den Wahlergebnissen 2006 am unteren Ende. Auch er konnte das peruanische Charakteristikum, dass die Regierungspartei nach der Amtszeit jeglichen Zuspruch verloren hat, nicht durchbrechen.
Im Vorfeld der Wahlen von 2006 zeichnete sich daher bald ein neuer Dreikampf ab. Im konservativen Lager hatte sich das Mitte-Rechts-Bündnis der Unidad Nacional mit ihrer Spitzenkandidatin Lourdes Flores Nano etabliert. Sie behauptete über die Jahre hinweg etwa ein Viertel der Stimmen, hauptsächlich des Limaer Bürgertums. Dennoch (oder wegen der Begrenzung auf die bürgerlichen Schichten in Lima) reichte es nicht, in die Stichwahl um das Präsidentenamt zu kommen. Im ersten Wahlgang fehlten am Ende die Stimmen, die für die Frente del Centro (Nachfolgerin der AP) und die Fujimori-Partei Alianza por el Futuro abgegeben wurden, um den zweiten Platz zu erobern.
Die APRA mit ihrem Führer Alan García, lange Zeit in den Umfragen weit abgeschlagen, überholte förmlich auf der Zielgeraden die Unidad Nacional. Sie suchte sich mit einer sozialdemokratischen Politik von den Fehlern der Vergangenheit abzugrenzen. Dagegen existierte bei den demokratischen Linken keine bedeutende sozialistische oder kommunistische Partei mehr. Die von Javier Diez-Canseco als Spitzenkandidat vertretene Partido Socialista del Perú errang bei den Wahlen von 2006 gerade mal 0,5 Prozent der Wählerstimmen.
Am ehesten scheint der Linksnationalist Ollanta Humala von der Unión por el Perú (UPP) die breiten Massen der Armen und Enttäuschten zu vertreten. Diese Partei, 1994 vom Ex-UNO-Generalsekretär Javier Pérez de Cuellar gegründet, errang bei den Wahlen 2000 jedoch weniger als ein Prozent der Voten, worauf sich dessen Gründer von der Politik zurückzog. Den kometenhaften Aufstieg der UPP verdankte sie ihrer Koalition mit der 2005 von Ollanta Humala ins Leben gerufenen Partido Nacionalista Peruano (PNP). Mit einer nationalistischen Ideologie wandte sie sich vor allem an die bislang vom politischen Establishment vernachlässigte indigene Landbevölkerung und die marginalisierten Sektoren in den Städten.
Diese Ausrichtung ließ ihn zwar den ersten Wahlgang der Wahl 2006 gewinnen. Aber im entscheidenden zweiten Durchgang entschieden sich fast alle Wähler der konservativen Unidad Nacional für Alan García, ihrer Meinung nach das kleinere Übel, zumal Ollanta Humala mehr als vage bei seinem beabsichtigten Regierungsprogramm blieb und sich auf Schlagwörter oder links-nationalistisch-populistische Agitation beschränkte. Die erfahrenen Wahlkampfstrategen der APRA wiederum schafften es, von den innenpolitischen Problemen abzulenken, um immer wieder Humala in die Nähe von Hugo Chávez und dessen angeblich dunklen Plänen eines internationalen Umsturzes zu bringen.
Angesichts der Schwäche und Schnelllebigkeit der politischen Bewegungen scheint derzeit in Peru die auf einer festen Organisationsstruktur basierte APRA als neuer Sieger hervorzugehen. Nicht nur, dass sie 2005 die Präsidentschaftswahlen gewann und Alan García zum zweiten Mal das Land regiert, sie kontrolliert zugleich zahlreiche Regional- und Kommunalregierungen. Mit ihrem neuen Programm versucht sie nun ausdrücklich auch die indigene Bevölkerung zu erreichen, z. B. mit dem Plan Sierra exportadora, d.h. der Förderung des Exports von Agrarprodukten wie Maca. Zugleich wird diese Gruppe durch die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit den USA jedoch am meisten zu leiden haben, während bürgerliche Anhänger profitieren dürften.
In der (zentralen und südlichen) Sierra hat sich mit Humalas UPP dennoch eine politische Kraft etabliert, die langfristig der APRA Paroli bieten könnte. Die UPP stellt denn auch mit 45 Abgeordneten neun Delegierte mehr als die APRA. Inwiefern sich aus dieser Konstellation in naher Zukunft ein Zweikampf entwickelt, kann unter den geschilderten Charakteristiken der hohen Volatilität des politischen Systems in Peru im Moment nicht beurteilt werden.
Zusammenfassung
In der historischen Betrachtung wurde deutlich, dass das politische System Perus durch eine ausgesprochene Instabilität geprägt ist, die sich durch sämtliche Epochen zieht. Waren es in den Jahren nach der Gründung der Republik zahlreiche Militär-Caudillos, die sich in loser Folge im Präsidentenamt ablösten, gilt gemeinhin 1871 als das Jahr, in dem sich ein ziviles (nicht demokratisches!) Parteiensystem herauszubilden beginnt. Die Politik blieb jedoch den einflussreichen Oligarchen vorbehalten, die im Wechsel mit ebenfalls mächtigen Militärs bis 1919 regierten.
Die Unfähigkeit und der Unwillen der Elite, neuen sozialen Klassen (städtischem und ländlichem Proletariat) eine Artikulationsplattform zu geben, führten dann zu einer Krise, die in einer Diktatur mündete. Trotz der Unterdrückung linker Bewegungen findet ausgerechnet in den Jahren 1919-1930 die Gründung der wichtigsten kommunistischen, sozialistischen und Arbeiterparteien statt. Als bedeutendste unter ihnen gelten die Partido Socialista del Perú sowie die erste Massenpartei, die die Interessen der Arbeiterklasse vertrat, die Alianza Popular Revolucionaria Americana (APRA).
Nach dem Ende der Diktatur kam zur es Herausbildung weiterer Massenparteien, vornehmlich entlang eines ideologischen Links-Rechts-Spektrums. Demokratische Wahlerfolge der linken Parteien, vor allem der APRA, führten jedoch stets zum Eingreifen der Militärs und zur Unterdrückung der Parteitätigkeit.
Unter diesen Bedingungen, im Einklang mit der weiterhin gegebenen Konzentration der wirtschaftlichen Macht in den Händen einer kleinen Elite, konnte sich kein stabiles politisches System mit Parteien als Instrument der Interessenartikulation und -aggregation etablieren. Erst mit der Gründung der Acción Popular 1956 gab es fortan zwei wichtige Parteien (die andere war die APRA), die um die politische Macht konkurrierten.
Die zunehmend opportunistische Ausrichtung der APRA, ihre antikommunistische Haltung und ihre Koalition mit rechtsgerichteten Kräften mit dem Ziel einer Blockade im Parlament hatten in den 1960er Jahren wichtige Folgen für die weitere Entwicklung des politischen Systems. Zum einen spaltete sich von der APRA der linke Flügel ab, der politisch immer mehr radikalisiert wurde und in einer Linie direkt zum Sendero Luminoso führte. Zum anderen mischte sich erneut das Militär ein, weil es der Meinung war, dass die Parteien nicht in der Lage seien, die Probleme des Landes zu lösen.
Wichtige Schritte bei der Transformation Perus (Landreform, Industrialisierung) und der gesellschaftlichen Machtstruktur (Entmachtung der Agraroligarchie) unternahm zwischen 1968 und 1980 das Militär, wobei zugleich das sich herausbildende demokratische System mit dem Verbot der Parteien erneut einen herben Rückschlag erlitt.
Erst nach der Militärherrschaft bildete sich ab 1980 erstmals ein relativ stabiles Parteiensystem mit der Izquierda Unidada bei den Linken, der APRA mitte-links, AP mitte-rechts und der Partido Popular Cristiano (PPC) bei den Konservativen heraus. Desaströse Ergebnisse der jeweiligen Regierungsparteien (AP 1980 bis 1985; APRA 1985 bis 1990) und parteiinterne Grabenkämpfe nach Wahlniederlagen (mit der Folge der Auflösung der Izquiera Unida) führten jedoch innerhalb von zehn Jahren zum Zusammenbruch des noch jungen Parteiensystems. Fortan bestimmten personalisierte, populistische Bewegungen die politische Entwicklung des Landes, das 1992 abermals in semidiktatorische Zeiten zurückfiel.
Im Heer der Fronten und Allianzen erlangte ab 2001 Perú Posible für fünf Jahre Bedeutung, bevor sie wie andere Bewegungen wieder von der Bildfläche verschwand. An ihre Stelle traten bei den Wahlen 2006 neue Namen: Unidad Nacional bei den Konservativen und vor allem die Unión por el Perú (UPP) im links-populistischen Spektrum. Ob diese beiden Parteien zusammen mit der APRA in der Lage sind, den Grundstein für eine partizipative (Parteien-)Demokratie zu legen, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden. Die nächsten Präsidentschaftswahlen 2011 scheinen dafür möglicherweise richtungsweisend zu sein.
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Quellen:
– Alcántara Sáez, Manuel; Freidenberg, Flavia (Hg) (2001): Partidos políticos de América Latina. Países andinos, Salamanca.
– Dietz, Henry; Myers, David (2003): Political Party System Collapse in Peru and Venezuela. An Institutional-Behavioral Approach, Paper presented at the annual meeting of the American Political Science Association, Philadelphia, Aug 27, Online: <http://www.allacademic.com/meta/p63960_index.html> [17.03.2009].
– Gonzales, Oscar (1998): La crisis de los partidos peruanos. Apuntes para una lectura socio-histórica, in: Espacio Abierto 8, 3 (September/Dezember), S. 305-324.
– Gutiérrez Sanín, Francisco (2005): Deconstruction without Reconstruction? The Case of Peru (1978-2004), Crisis States Research Center at the London School of Economics, Working Paper 63, (June), London.
– Lemoine, Maurice (2006): Peruanischer Populismus, in: Le Monde diplomatique Nr. 8098 vom 13.10.2006
– Minkner-Bünjer, Mechthild (2006): Präsidentschaftswahlen in Peru. Weichenstellung, aber in welche Richtung?, in: GIGA Focus 8/2006, S. 1-8.
– Mücke, Ulrich (2008): Das politische System Perus, in: Stüwe, Klaus; Rinke, Stefan (Hg.) (2008): Die politischen Systeme in Nord- und Südamerika. Eine Einführung, Wiesbaden, S. 487-506
– Rénique, José Luis (2002): Partidos políticos y democracia en el Perú. Una hoja de ruta histórica, in: Cyberayllu, 07.05.2002, <http://www.andes.missouri.edu/andes/Especiales/JLR_HojaDeRuta.html> [20.03.2009].
Bildquellen: Public Domain, außer [Foto von Alejandro Toledo]: Marcello Casal Jr./Agencia Brasil; [Foto von Alberto Fujimori]: Karen L. Sanders, US Air Force, Public Domain