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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Söhne der Sonne. Die Azteken – Eine Dokumentation aus der Reihe Terra X

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Drei Filme über lateinamerikanische Hochkulturen, das klingt interessant und weckt a priori großes Interesse. Söhne der Sonne heißen diese Dokumentationen und beschäftigen sich mit den Maya, Inka und Azteken. Aber wie das nicht selten so ist, sehr schnell mischt sich ein Wermutstropfen in die Quetzal-Vorfreude: Die Dokumentationen gehören zur Reihe Terra X. Und diese hat einen unübersehbaren Hang zum Reenactment und zur Boulevardisierung. Doch die Vorbehalte sollen bei diesen neuen Dokumentationen kurzerhand ignoriert und die Filme in drei Folgen vorgestellt werden.

 

„Die Azteken glaubten nun, in einem fünften Weltzeitalter unter der fünften Sonne zu leben, durch deren tägliche Bewegung ihre Welt aufrechterhalten würde. Deshalb verehrten sie diese Sonne als ihren großen Gott.“ (Ursula Thiemer-Sachse)

Nach langer Zeit habe ich dieses alte Buch aus dem KinderBuchVerlag Berlin wieder in die Hand genommen. Das Büchlein von Ursula Thiemer-Sachse erschien bereits 1992 und beschäftigt sich mit den Azteken. Die Azteken für Kinder, das ist sicher ein Wagnis. Aber „Die rezensiert_Söhne_der_Sonne_Azteken_Snapshot (1)ken. Herren von Mexiko“ ist meines Erachtens sehr gut gelungen und gibt einen recht breiten, leicht verständlichen Einblick in die Geschichte die Kultur und das Alltagsleben dieser altamerikanischen Hochkultur. Auf 67 Seiten erzählt Thiemer-Sachse die Geschichte der Azteken von ihrer Wanderung aus dem Norden ins Hochtal von Zentralmexiko im 13. Jahrhundert bis zu ihrem Untergang knapp 300 Jahre später. Die Ankunft der Mexica auf dem Chapultepec, die Gründung Tenochtitláns, der Aufstand gegen die Tepaneken, der Aufstieg zur Herrschaftsmacht in Mexiko, die Götterwelt, aber auch das Leben der Bauern, Familienstrukturen, Kindererziehung oder eine Hochzeit werden dargestellt. Und selbst die Beschreibung eines Menschenopfers zu Ehren des Kriegs- und Sonnengottes Huitzilopochtlis ist im Buch zu finden. Dazu gibt es Worterklärungen (von Amerika bis Zapoteken), eine Chronik des alten Mexiko und eine solche altamerikanischer Kulturen. Viel Information auf relativ wenigen Seiten, und doch erfährt man sehr viel – detailliert und vor allen Dingen sachlich. Wenn Sie dieses Buch in einem Antiquariat entdecken sollten, dann lassen Sie es auf keinen Fall dort stehen.

Und wenn Sie sich fragen, was Thiemer-Sachses Buch mit dem Terra-X-Film zu tun hat; es war mein Kontrastprogramm zu einem über weite Strecken in dramatischem Ton kommentierten Film mit dem in dieser Reihe offensichtlich unvermeidlichen Hang zur Übertreibung.

Der Film „Söhne der Sonne – Die Azteken“ erzählt die Geschichte der Azteken von ihrem Ende her. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass er recht unausgegoren erscheint. Geschätzt ein Drittel des Streifens beschäftigt sich mit der Ankunft der Spanier und der Zerschlagung des Aztekenreichs. Man könnte fast glauben, die Konquistadoren rechtfertigen überhaupt erst die Existenz der Azteken, als wäre die Geschichte dieser Kultur sonst ohne sie nicht berichtenswert. So weist der Kommentator nicht etwa darauf hin, dass archäologische Funde in Mexiko-Stadt Einblick in das Leben der Azteken gäben, sondern vielmehr „in eine Welt, wie sie die Spanier vor 500 Jahren erlebt haben“. Unter dieser Prämisse bleibt natürlich nicht viel Zeit für die ca. zweihundert Jahre Geschichte der Azteken im zentralmexikanischen Hochtal, die vor der Ankunft der Spanier liegen. Im Übrigen erwähnt der Film mit keinem Wort, dass mit den Azteken ein Nahua-Volk in das Hochtal einwanderte, Bauern, die sich selbst Mexica nannten.

rezensiert_Söhne_der_Sonne_Azteken_Snapshot (2)Grundsätzlich gibt es aus der relativ kurzen Existenz dieser Hochkultur sehr viel zu berichten, was im Film auch getan wird. So z.B., dass das Aztekenreich in vielem moderner war als Europa. Es gab ein strukturiertes Rechtssystem, Kanalisation, eine Trinkwasserversorgung, eine Stadtreinigung sowie ein staatliches, für alle Kinder obligatorisches Schulsystem. Die Azteken waren nicht nur geübte Krieger, sondern auch erfolgreiche Bauern, deren System der Chinampas, der schwimmenden Gärten, die sie dem Texcocosee abrangen, bis zu acht Ernten im Jahr ermöglichte. Aber, was bauten sie eigentlich außer Mais an? Wie war die Feldarbeit organisiert? Oder das Leben überhaupt?

Der Film verschenkt, wie schon seine beiden Vorgänger über die Maya und die Inka viele Möglichkeiten. So berichtet er, dass der im 16. Jahrhundert entstandene „Kodex Mendoza“, das Alltagsleben der Azteken schildert, bleibt bei der Schilderung desselben aber meist an der Oberfläche. Der Markt in Tenochtitlán wird quasi mit den Augen der Spanier beschrieben. Das Schulsystem wird gewürdigt, schon weil in Europa zur gleichen Zeit daran gar nicht zu denken war. Aber, was lernten die Kinder eigentlich? Genaugenommen könnten an dieser Stelle die Fragen wiederholt werden, die sich schon bezüglich des Films über die Inka stellten? Wie war diese Gesellschaft eigentlich aufgebaut? Wie wurde das alltägliche Leben organisiert? Von der Feldarbeit zum Beispiel erfahre ich in dem Kinderbuch mehr als im Film. Ebenso von der Kindererziehung. Und das auffallend sachlicher.

Stattdessen lässt man sich lang und breit über die Menschenopfer aus; zugegeben ein Lieblingsthema, wenn es um die Azteken geht. Anlass ist hier die Entdeckung des Huei Tzompantli in der Nähe des Templo Mayor in Mexiko-Stadt im Jahr 2015.

Ich verstehe, ehrlich gesagt, nach wie vor nicht, wie die im Film geschilderte „Menschenopferindustrie“ der Mexica mit jährlich zehntausenden Opfern funktioniert haben soll. Die Priester dürften doch für nichts anderes mehr Zeit gehabt haben. Ich habe also noch einmal anderswo nachgelesen. Besagter Tzompantli besteht Schätzungen zufolge aus ca. 10.000 Schädeln, aufgetürmt über einen Zeitraum von gut 30 Jahren. Das sind immer noch viel zu viele, aber definitiv kein Beleg für Zehntausende Jahr für Jahr. Warum diese Übertreibung?

Und obwohl die Geschichte der Azteken von ihrem Ende her erzählt wird und dieses einen meines Erachtens zu großen Teil des Filmes ausmacht (schließlich heißt dieser nicht Untergang der Azteken), wird auch hier wenig in die Tiefe gegangen. Das liegt u.a. auch daran, dass die Ereignisse zum Teil von einem Aztekenschreiber geschildert werden, was die Erzählung mitunter zur Legende werden lässt. Und die muss naturgemäß eher vage bleiben. Die „noche triste“ wird zum Beispiel nicht nur sehr verkürzt, sondern auch verfälschend dargestellt. Dass ihr ein Massaker der Spanier vorausging, spielt keine Rolle. Damit ist natürlich auch nicht nachvollziehbar, wieso kolportiert wird, dass Moctezumas Tod auf seine eigenen Leute zurückzuführen sein könnte. Im Übrigen ist es verwunderlich, wieso Malinche nicht einmal erwähnt wird.

Um noch einmal auf „Die Azteken. Herren von Mexiko“ von Ursula Thiemer-Sachse zurückzukommen: Wie das obige Zitat deutlich macht, hat das Kinderbuch sogar besser erklärt, warum der Film über die Azteken in eine Trilogie unter dem Titel „Söhne der Sonne“ gehört.

Söhne der Sonne. Die Azteken

ca. 43 Minuten. 2020

 

Bildquellen: [1; 2] Snapshots

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