Beide archäologischen Stätten haben den Ruf, zu den schönsten Monumenten der Maya-Kultur zu gehören. Jeder, der einmal die Gelegenheit hatte, die Tempel, Paläste, Stelen und Plätze von Tikal oder Palenque selbst in Augenschein zu nehmen, kann nicht umhin, dieser Einschätzung zuzustimmen. Tikal liegt ca. 60 Kilometer von Flores, der Hauptstadt des Departements El Petén, entfernt inmitten eines Nationalparks. Mit über 200.000 Besuchern jährlich ist es die meistbesuchte Sehenswürdigkeit Guatemalas. Das beeindruckende Ensemble der Ruinen von Tikal erstreckt sich über eine Fläche von 500 km² und zeugt von der einstigen Macht seiner Könige. Hier steht auch die größte Pyramide der Maya-Kultur, der „Tempel der doppelköpfigen Schlange“ (Tempel IV), der sich wie eine Leiter 65 Meter hoch in den Himmel reckt. Er ist Teil von mehr als 3000 Bauwerken, die das Zentrum von Tikal bilden. Archäologische Forschungen haben ergeben, dass dieses Areal von 800 v. u. Z. bis etwa 950 besiedelt war. Bereits frühzeitig bestanden enge Beziehungen zu Teotihuacan im Tal von Mexiko, wovon nicht nur die zahlreichen architektonischen Einflüsse, sondern auch die Eroberung Tikals durch die Großmacht im Norden (378 u. Z.) zeugen. Nach einer zweihundertjährigen Blütezeit folgte eine Periode des Niedergangs, die erst 696 mit dem militärischen Sieg über den Rivalen Calakmul ihr Ende fand. Als letztes Zeugnis der Bautätigkeit in Tikal gilt eine Stele aus dem Jahr 869. Die letzte Inschrift in Palenque wurde 799 in Stein gemeißelt und 110 Jahre später fand in Tonina die Maya-Klassik unwiderruflich ihr Ende. Der Zusammenbruch dieser Hochkultur gibt bis heute Rätsel auf. Neben demographischen und ökologischen Faktoren wird inzwischen der Zusammenbruch der Machtbalance zwischen den Stadtstaaten der Maya, der zu blutigen Kriegen aller gegen alle führte, als entscheidende Ursache benannt. Auslöser dieser Entwicklung war der bereits erwähnte Sieg der Herrscher von Tikal über die damalige Hegemonialmacht Calakmul im Jahr 695: Der triumphierende (Wieder-)Aufsteiger als Totengräber einer Kultur, die von vielen mit der des antiken Griechenlands verglichen wird.
Auf dem Höhepunkt ihrer Macht unterhielten die Herrscher von Tikal auch enge Beziehungen zu den Königen von Palenque. Neben dem Gesamtensemble, das in die Ausläufer der Sierra Madre eingebettet ist und damit einen herrlichen Ausblick auf die weite Ebene von Tabasco eröffnet, sind vor allem zwei Besonderheiten erwähnenswert, die Palenque aus der Vielzahl vergleichbarer Ruinenstätte herausheben: Hier wurde 1952 erstmals in einer Maya-Pyramide eine Grabkammer entdeckt. Ein enger, feuchter und nur spärlich erleuchteter Gang führt tief in die Erde zu einer Krypta mit einem Sarkophag, in dem Pacal, einer der mächtigsten Könige von Palenque, bestattet wurde. Die bei ihm gefundene Jademaske fehlt in keiner der zahlreichen Darstellungen über die Maya-Kultur. Die Entdeckung im „Tempel der Inschriften“ ist auch deshalb bemerkenswert, weil sich die Maya-Pyramiden von ihren ägyptischen Ebenbildern dadurch unterscheiden, dass sie als Sockel für Tempelbauten dienten. Ihre doppelte Funktion als Kultorte und Grabmonumente wurde erst durch den Fund 1952 in Palenque offenbar. Eine zweite Besonderheit stellt der dreigeschossige Turm des „Großen Palastes“ dar, der dem „Tempel der Inschriften“ gegenüberliegt. Die Funktion dieses in seiner Art einmaligen Bauwerkes ist bis heute unklar. Zwar verweist die Benennung als „Observatorio“ darauf, dass es möglicherweise zur Beobachtung des Sternenhimmels benutzt wurde; der Turm könnte aber auch militärischen Zwecken gedient haben.
Nach der kurzen Vorstellung der wichtigsten historischen und archäologischen Fakten bietet es sich an, einige Worte zum Vergleich von Tikal und Palenque zu verlieren. Beide sind – jeweils auf ganz eigene Art – beeindruckend. Während Palenque vor allem durch seine angenehme Überschaubarkeit und die Randlage zwischen den bewaldeten Ausläufern der Sierra und der Tiefebene besticht, zeigt sich Tikal auf majestätische Weise „entrückter“.
Dieser Eindruck mag daher rühren, dass ich in Tikal die Gelegenheit hatte, auf einem der Tempel, die den dichten, weit gedehnten Urwald überragen, den Sonnenaufgang zu erleben. Es ist vor allem die Verbindung von zwei gegensätzlich anmutenden Eindrücken, die dieses Erlebnis für mich einmalig machen: Einerseits vermittelt das schier unendliche, langsam aus dem Dunkel auftauchende und noch nebelverhangene Waldmeer ein Gefühl von der Macht und Größe der Natur. Dieses wird noch dadurch verstärkt, dass die Spitzen einzelner Tempelpyramiden wie verlorene Inseln aus dem anfänglich noch tiefschwarzen, denn immer lichter werdenden Grün auftauchen. Die Ahnung der Vergänglichkeit und Verwundbarkeit menschlichen Wirkens wird noch durch das Wissen um das Schicksal des einst so herrlichen Tikal verstärkt. Der zweite, langsam Raum greifende Eindruck ist dann aber genau dieser: herrliches Tikal! Und je länger man sich auf die Architektur der Maya-Stadt einlässt, umso mehr fühlt man sich mit den längst verblichenen, aber nach wie vor präsenten Erbauern der Tempel, Paläste und Anlagen verbunden.
Doch zurück nach Palenque: Obgleich es nicht die imposante Widersprüchlichkeit Tikals – die Verwobenheit von Majestät und Vergänglichkeit – verkörpert, vermittelt es auf andere Weise ein Gefühl für die Hochkultur der Maya-Klassik. Im Gesamteindruck mehr einem Kleinod ähnlich, überwiegt hier das Gefühl einer verbindenden Harmonie des Gleich¬gewichts: der Harmonie zwischen Natur und Kultur, Gebirge und Ebene, Dauerhaftigkeit und Vergänglichkeit. Der Rio Otolum, zumeist eher Bach als Fluss, der sich durch das Gelände schlängelt, rundet diesen Eindruck noch ab. Aber vielleicht sind sich Palenque und Tikal doch ähnlicher, als ich es in Erinnerung habe. Jeder, die die Gelegenheit hat, sollte sich selbst ein Bild machen. Aber auch hier zeigt sich inzwischen der Pferdefuss des Tourismus: Was dem Besucher – mehr ist der Tourist ja nicht – einen Gewinn an Einblick und Horizonterweiterung bringen mag, hinterlässt bei den Objekten der „Begierde“, den freigelegten Ruinen aus vergangenen Jahrhunderten, Spuren der Zerstörung. So darf der „Große Jaguar“ in Tikal, ein 52 Meter hoher Tempel, der gemeinhin als Wahrzeichen der Maya-Kultur insgesamt gilt, nicht mehr von Touristen bestiegen werden. Auch viele andere Bauwerke sind gefährdet. Als Tourist kann man aber auch die Fauna und Flora des Petén genießen: In den Wipfeln der Urwaldriesen tummelt sich allerlei – auch Brüllaffen, die die Angewohnheit haben, die sich unter ihnen ahnungslos bewegenden Touristen mit ihrem (eher harten) Kot zu bewerfen. Manchmal treffen sie auch.
Bildquelle: Dennis Jarvis.
Grossartiger Schriftsteller und Beobachter ! Sehr lehrreich. Die „Neue Welt“ vor Kolumbus 1492 wurde von tausenden sich bekaempfenten Voelkern bewohnt – kein Karl-May-Ferienlager, sondern wie Europas Geschichte seit der Vorzeit. — Als abenteurerlicher Reisender sind mir einige der Mayaregionen schon seit einem halbem Jahrhundert bekannt. Einst stand ich auch oben, auf dem Tempel CHICHEN ITZA in Yucatan, dort wo „Guter Tag“ noch in Maya verstanden wird: „Malob kin anac tech“(Es wird heute mit lateinischen Buchstaben geschrieben.) CHIZEN ITZA – mit dem bekanntesten aller Maya – sieh youtube Video: PLACIDO DOMINGO ARMANDO MANZANERO MIA. Und Manzanero singt auch einmal in „seiner“ Sprache, das Maya, sieh youtube Video: PLACIDO DOMINGO ARMANDO MANZANERO ADORO : „Ikkatixch tuxkkabi…“ (Doppelt explosives „K“). Von den Afrikanern, welche an die Kuesten von Guatemala und Chipas verschleppt wurden, adoptierten die Maya in der Kolonialzeit die „Marimba“. Die bekannteste sind die Hermanos Dominguez von San Cristobal de las Casas – sieh youtube Video MARIMBA HERMANOS DOMINGUEZ (bestens das Video mit Titel „San Juan Chamula 2008 popurri Marimba Hermanos Dominguez“. —— Ta xi bat !