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Über Astronomie, Dresdner Codex und die Superzahlen von Xultún

Jens Rohark | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Welch ein Zitat! Bezugnehmend auf eine dpa-Meldung wurde am 11. Mai 2012 bei Zeit Online bekanntgegeben: „Amerikanische Forscher haben in Guatemala die bislang ältesten kalendarischen Aufzeichnungen der Maya entdeckt. Das astronomische Zahlenwerk ist nach Angabe der Experten von verschiedenen US-Universitäten 1200 Jahre alt. Damit sind sie vier Jahrhunderte älter als die Kalender, die bislang als die ersten der Maya galten. […] Dem Archäologen William Saturno von der Boston University zufolge soll es sich um verschiedene Kalendersysteme der Maya handeln: Dem zeremoniellen Kalender mit 260 Tagen, dem Sonnenkalender mit 365 Tagen und sogar Kalender nach Venus und Mars mit 584 und 780 Tagen. […]“ Zeitnah erschienen diverse diesbezügliche Artikel, so auch in unserer regionalen Mitteldeutschen Zeitung. Die mir meistgestellte Frage lautete sinngemäß: „Haben die tatsächlich einen neuen Mayakalender gefunden?“

Bringen wir mal ein wenig Licht ins Dunkel: Der Schreiber, möglicherweise der Bruder des Königs der betreffenden Stadt Xultún, vermerkte einige für ihn wichtige Daten an seiner Zimmerwand. Am spannendsten sind vier Zahlen, die uns in verschiedener Hinsicht verblüffen. Bevor wir einen genaueren Blick darauf werfen, sollten wir uns einmal den Dresdner Codex, diejenige der drei erhalten gebliebenen Mayainschriften vornehmen, die uns den besten Einblick in entsprechende kalendarische und astronomische Angaben vermittelt. Auch das Zitat scheint sich mit der Erwähnung der bislang ersten bekannten Mayakalender auf dieses Leporello aus dem 13. Jahrhundert zu beziehen.

Der Dresdner Codex enthält unter anderem Finsternisprognosetafeln, Marstafeln und jene Tafeln zur Venus, die etwa zur Berechnung der heliakischen Auf- und Untergänge der Venus verwendet wurden. Die Finsternisprognosen beruhen auf sehr alten Beobachtungen. Dass die Datenreihen als Prognose gedacht waren, erkennt man daran, dass nicht nur der vorhergesagte Tag, sondern jeweils der Vorgänger- und der Folgetag mit aufgeführt sind. Zur Ermittlung der Finsternistage wurden ausgehend von einem Starttag sukzessive Distanzzahlen addiert. Die Trefferquote ist hoch und kann in „Don Eric und die Maya – 23. Dezember 2012 – Werden die Götter wiederkommen?“ mitsamt der zugehörigen Auswertung betrachtet werden. Zum Mars beschränken sich die Ausführungen auf 1 ½ Seiten. In den Tabellen der Vielfachen der Marsumlaufzeit haben sich Fehler eingeschlichen, die ich auf unserer Webseite erkläre.

Die theoretische Glanzleistung des Codex ist die elegante Erfassung des Venuslaufes auf fünf Seiten. Nach fünf Venusjahren sind genau acht Sonnenjahre vergangen (584 × 5 = 365 × 8), sodass sich dann die Venus am selben Kalendertag im Sonnenkalender an derselben Stelle am Himmel befindet und alles geht wieder von vorn los. Jedoch hat man nach fünf Venusjahren einen anderen Tag im heiligen Tzolkinkalender. Deshalb haben die Mayaastronomen 13 entsprechende Reihen auf die Venustafeln geschrieben. Damit sind dann insgesamt 5 mal 13 Venusjahre erfasst, also 65 Venusjahre. Sind diese vergangen, fällt derselbe Venusstand am Himmel wieder auf denselben Sonnenkalendertag und denselben Tzolkintag wie zu Beginn dieser Periode. Die Maya haben also das Kunststück fertiggebracht, eine Venusstandvorhersagetafel gleich einem modernen Computerprogramm quasi für die Ewigkeit zu kreieren. Leider konnten die Maya nicht mit gebrochenen Zahlen rechnen. Damit konnten sie die synodische Umlaufzeit nicht genauer angeben. Sie rechneten mit 584 Tagen, während die Venus nur 583,92… Tage braucht. Da sich die Priester nicht blind auf die Vorhersagen verließen, bemerkten sie den Fehler und führten eine entsprechende Korrektur im Codex ein. Nun konnten sie die Tafeln jahrhundertelang benutzen.

Im Kontext weiterer Berechnungen taucht nun im Codex die Mayazahl 9.9.16.0.0 auf, die gemäß unserer Umrechnung dem gregorianischen Datum 17.2.629 entspricht. Nun, was soll an dieser Zahl so spektakulär sein? Die Antwort auf diese Frage findet man auf der folgenden Folie aus einem meiner Vorträge:

Maya: die Superzahlen von Xultún aus dem Dresdner Codex - Bild: Quetzal-Redaktion: Jens Rohark und Mario Krygier

Dass die synodischen Umlaufzeiten von Venus, Mars und eigentlich auch von Merkur neben den anderen genannten Zyklen Teiler dieser Zahl sind, muss auf den mathematisch geschulten Leser beinahe gruselig wirken. Die damalige Aufgabenstellung hieß wohl: „Gesucht sind die Zahlen, die alle oben aufgeführten Zyklen als Teiler enthalten und als Mayazahl ein Datum innerhalb der klassischen Mayazeit ergeben.“ Zur Beantwortung suchen wir mathematisch gebildete Menschen des 21. Jahrhunderts mit dem Taschenrechner oder Computer das kleinste gemeinsame Vielfache (kgV), hier: 341.640. Das ist im Mayasystem 2.7.9.0.0, ein Datum im Jahre 2179 v. Chr. Das Doppelte des kgV, 4.14.18.0.0 fällt in das Jahr 1243 v. Chr. Das Dreifache, also 7.2.7.0.0 entspricht dem gregorianischen Datum 1.10.308 v. Chr. Das Fünffache, 1708200, der Tag 11.17.5.0.0, ist bereits der 5.7.1564. Es gibt also nur diese eine Zahl aus dem Dresdner Codex, das Vierfache des kgV, die unsere Aufgabe erfüllt. Und diese wurde von den Maya gefunden!

Kehren wir zurück zu den Entdeckungen in Xultún. Hier erregten vier Zahlen das besondere Interesse der Archäologen. Und eine der Zahlen lautet 2.7.9.0.0, exakt das kgV der Codexaufgabe! Aber was bedeutet die eigentlich erste der drei Zahlen 8.6.1.9.0? Wollen wir zusätzlich eine der Lieblingszahlen, nämlich die 819 aus Palenque, die in den dortigen Planetenformeln auftaucht, mit als Teiler unterbringen, vergrößert sich das kgV auf 2391480. Als Datum scheint diese Zahl 16.12.3.0.0 unbrauchbar zu sein, passt leider nicht in die Mayazeit. Aber die Hälfte passt und entspricht der ersten Xultún- Zahl 8.6.1.9.0! Das ist im gregorianischen Kalender der 10.6.161. Übrigens gehört das erste im Dresdner Codex verwendete Datum zum Jahr 176.

Die anderen zwei geheimnisvollen Xultún- Zahlen lassen sich wie folgt darstellen:
12.5.3.3.0 = 7.10.5.3.0 + 2 × 2.7.9.0.0 und 17.0.1.3.0 = 7.10.5.3.0 + 4 × 2.7.9.0.0. Es scheint so, dass hier ausgehend vom Startdatum 25.8.152 v. Chr. einmal die Hälfte der Codex-Superzahl und einmal die Superzahl selbst addiert wird. Ohne den tieferen Sinn begreifen zu müssen, ist auch hier die Brücke zwischen klassischem Xultún und postklassischem Codexfund erkennbar. Der Dresdner Codex enthält Abschriften „uralten Wissens“.

Uralt ist auch der Mayakalender selbst. Entsprechende Inschriften gibt es in der klassischen Mayazeit, entgegen der Aussage des obigen Zitates, wohl Tausende. Der für uns heute wichtigste Kalenderteil, die Lange Zählung, könnte am 6. Februar 747 v. Chr., zu einer Zeit als es den Tzolkin und den Haab bereits gab, initiiert worden sein, wie man in „Don Eric und die Maya“ nachlesen kann. Leider wurde die Lange Zählung nach der klassischen Mayazeit nicht mehr verwendet, sodass genaue Umrechnungen in unseren Kalender umstritten sind. Dazu sowie zum Aufbau und Alter des Kalenders äußern wir uns in „Faszination 2012 – Das Buch zum Mayakalender“ ausführlich. Hier werden auch interessante Datumsinschriften sowie die verblüffend anspruchsvolle Mathematik mit Hilfe des antiken Rechencodex erörtert.

Bildquelle: Quetzal-Redaktion, Jens Rohark und Mario Krygier

weitere Informationen zum Thema:
http://www.faszination2012.de
http://www.faszination-maya.de

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