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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Vom Malinchismus zu Moctezumas Rache

Wolfgang Nieklasen | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Mexikanische Eindrücke

Schon bei den Schimpfwörtern scheiden sich die Kulturen: Entgegen der deutschen Vorliebe für anale Grobheiten wirst du, nennst du einen Mexikaner „culero“ (Arschloch), zwar eine gewisse Mißstimmung, aber sonst nur ein müdes Achselzucken hervorrufen. Hingegen, wenn du ihm nachrufst: „Mach doch Deine Mutter an!“ oder gar: „Fick Deine Mutter!“, dann kannst du schon mit einer Prügelei rechnen. Denn die Mutter, das ist der höchste Wert für den Mexikaner, und damit kannst du ihn am meisten beleidigen.

Aber in der Regel wirst du es als Ausländer in Mexiko nicht erleben, beschimpft oder angefeindet zu werden, – höchstens als Frau wirst du schon mal von einem Macho angemacht; und sehr selten ruft dir mal einer „gringo“ nach, da jeder Europäer in erster Linie natürlich für einen solchen gehalten wird.

Indessen kannst du in die elendsten Slumviertel gehen, und die Leute erzählen dir ganz offen ihre Lebensgeschichte und wie sie sich in der Misere fühlen; selbst die Aggressivität der „pandillas“, der Jugendbanden, würdest du erst des Nachts erleben. Doch lernst du einen Mexikaner kennen und wirst von ihm eingeladen, sagt er dir: „Es tu casa.“ (Dies ist Dein Haus), und du wirst schnell in die Brüderlichkeit seiner Familie einbezogen. Und kommst du mit einer Panne oder Notlage, erfährst du sofortige Hilfsbereitschaft.

Die allgemeine Hochachtung, fast Verehrung der Mexikaner gegenüber Ausländern wird auch auf den Begriff gebracht: Sie wird „malinchismo“ genannt, nach der Malinche, der eingeborenen Geliebten des spanischen Eroberers Hernan Cortes.

Haben die Indiovölker den Invasoren auch kriegerischen Widerstand geleistet, haben sie sich der folgenden ideologischen Unterwerfung doch schneller ergeben und vor allem die katholische Religion, vermischt mit Elementen ihrer heidnischen Kultur, voll übernommen.

Und an erster Stelle der Kultrangordnung und der Verehrung der Gläubigen steht kaum die Figur Christi sondern die seiner Mutter, hier in Mexiko verkörpert durch die Jungfrau Guadelupe, die Schutzheilige Mexikos und praktisch ganz Lateinamerikas. Gemäß den örtlichen Traditionen gibt es weitere heilige Jungfrauen-Figuren an den verschiedensten Orten und dann die ungezählten Heiligen, unter denen jeder Ort seinen Schutzpatron hat. Jeder Heilige hat seinen Ehrentag und seine Prozession, aber das Bildnis der Lupita, wie man zärtlich zu Guadelupe sagt, ist tagtäglich und überall zu sehen -uniform und stereotyp, allgegenwärtig und allmächtig, wie es scheint. In vielen Häusern hast du es am Hausaltar, an jeder beliebigen Straßenecke gibt es einen Altar, und selbst in freier Natur erscheint ihr Bild an Blumen, Felsen und Höhlen. Auf jedem Markt, in Geschäften, Werkstätten und Betrieben findest du einen Altar, sei’s beim Bäcker, Schuster, Schreiner oder in der Imbißstube; in manchem Tante-Emma-Laden siehst du ihr Bild Hand in Hand mit Pan-Bimbo-Toastbrot oder beim Schlachter wie ein Heiligenschein über der Schweineschwarte. Aber in den Augen der Mexikaner erscheint die Jungfrau offensichtlich erhaben über die Anzüglichkeiten des Geschäftemachens: Hauptsache, sie gibt ihren Segen dazu, und dafür ist es wohl egal, wo man ihr Bild montiert.

Zu Lupitas Ehrentag, dem 12. Dezember, kommen dann die Wallfahrer von nah und fern, zu Fuß, mit Bussen und auch in Fahrradprozessionen. Und die eifrigsten Büßer rutschen dann wieder auf Knien zum Heiligenschrein, oft mit Kleinkindern auf dem Arm. Fehlt nur noch, daß sie sich dazu ’ne Dornenkrone aufsetzen und sich selbst geißeln. So kamen auch dieses Jahr wieder 3,8 Millionen Besucher in Guadelupes Heiligtum zusammen. Und der religiöse Trödelmarkt hatte abermals Hochkonjunktur. Es ist unglaublich, mit welchem Kitsch das Bild der Heiligen verramscht wird; vom Schild, das sich brave Katholiken an die Haustür oder ins Fenster hängen „Dieser Haushalt ist katholisch. Wir akzeptieren weder protestantische noch Propaganda von anderen Sekten. Es lebe die Jungfrau Guadelupe“, – bis zu „Rehaugen“ gegen den „bösen Blick“!

Indessen kommen hinter der Scheinheiligkeit eher andere böse Dinge hervor wie Raub und Totschlag, Korruption, Bestechung und Erpressung: die gewöhnliche Kriminalität, die vor der heiligen Jungfrau und auch vor dem ausländischen Touristen nicht haltmacht. Und in erster Linie hat man es natürlich auf sein Geld abgesehen.

Da kannst du es erleben, daß du mitten in der Stadt und am hellen Tag auf einem zwielichtigen Markt oder auch im überfüllten Stadtbus, meist von teils bewaffneten Jugendlichen angegriffen wirst. Wehrst du dich oder schreist um Hilfe, kriegst du nur die Fresse poliert, und keiner der Umstehenden rührt einen Finger, um dir zu Hilfe zu kommen. Du mußt dich schön ruhig ausnehmen lassen, wenn dir dein Leben lieb ist. Wenn du brav mitspielst, kann es dir passieren, daß die Gauner dir anständigst die leere Geldtasche, Schlüssel, Kamm und Taschentuch wiedergeben, auf daß du dir auch das Blut aus dem Gesicht wischen kannst. Rufst du einen Polizisten, geht der achselzuckend weiter und nimmt nicht einmal ’ne Anzeige auf.

Brauchst du ansonsten die Hilfe der Polizei, vielleicht bei einem Verkehrsunfall, oder die besonderen Dienste einer Behörde, wirst du oft nichts erreichen, bevor du nicht eine „mordida“, einen „Biß“, ein Bestechungsgeld gelöhnt hast. Es kann dir passieren, daß du nur irgendwo ganz artig spazierengehst und von einer Polizeistreife angehalten wirst; und zwar unter der Vorhaltung, Du habest irgendetwas Illegales begangen. Unter der Drohung, man werde dich in die Haftstelle des Bezirksamtes verfrachten, wird dir dann eine bestimmte Geldsumme abgepreßt.

Der Tourist, der nur kurze Zeit im Lande weilt, wird von all diesen Greueln in der Regel nichts mitkriegen; aber der Ausländer, der schon Jahre hier lebt, bekommt von alledem sein Teil ab. Ungeachtet dieser „Unannehmlichkeiten“ lebt der Ausländer in Mexiko wie die Made im Speck, nur muß er aufpassen, daß ihn nicht noch andere Maden anfallen – die „bichos“, die Amöben und Würmer, Viren, Bakterien und andere krankheitserregende Viecher, gegen die du auch nach vielen Jahren hier nicht abgehärtet bist. Und so sucht dich alle naselang wieder eine Diarrhöe heim. Aber auch für dieses Übel gibt’s hier im Volksmund ein schönes Wort: „Moctezumas Rache“.

Wenn man es als Nicht-Katholik nun nicht mit der Guadelupe hält, soll man dann als Nicht-Mexikaner zu Moctezuma beten, daß er diesen Kelch an einem vorübergehen lasse?

Mexiko-Stadt, Dezember 1994

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