München, 28. Januar 2014. Einige Aktivisten und Aktivistinnen des Bündnisses aus brasilianischen, US-amerikanischen, französischen und deutsch-österreichischen Organisationen und Netzwerken sitzen um einen gemütlichen Ecktisch in einem Münchner Traditionsgasthaus. Die Gesichter sind erschöpft, aber zufrieden. Man hat an diesem Tag auf der Siemens-Hauptversammlung bei Protesten vor und mit Reden in der Olympiahalle ein paar Tausend Siemens-Aktionäre und Aktionärinnen erreicht: mit scharfer Kritik an den Staudamm-Projekten Belo Monte am Xingu-Fluss im brasilianischen Amazonien und Agua Zarca im Hochland von Honduras. Vorstand und Aufsichtsrat wurden in Sachen Nicht-Beachtung eigener Corporate Governance Richtlinien sowie internationaler Umwelt und Menschenrechtsstandards die Leviten gelesen. Siemens ist an den höchst umstrittenen Projekten über sein Joint Venture Voith Hydro beteiligt, das Turbinen und weitere technische Ausstattung liefern will.
„Gut, diese Brezen“, sagt einer auf Englisch in die Runde, „die gibt’s wohl nur hier in München“, um dann auf Spanisch mit brasilianischem Einschlag zu sinnieren, was den chinesischen Staudamm-Giganten SINOHYDRO wohl bewogen hat, seinen Vertrag mit der honduranischen Betreiberfirma des Staudamms Agua Zarca, der DESA, aufzukündigen. Nach monatelangen Protesten aufgrund fehlender bzw. manipulierter Konsultationen der lokalen Lenca-Bevölkerung, die sich in mehreren großen Versammlungen gegen den Staudamm ausgesprochen hatte, gab es am 15. Juli 2013 zahlreiche Tote. Auf dem Baugelände stationiertes Militär erschoss einen indigenen Gemeindevorsteher, ein 15-jähriger kam unter ungeklärten Umständen auf einem von staatlichen „Sicherheits“-Kräften und örtlichen Sicarios (Auftragsmördern) kontrollierten Grundstück um’s Leben. Kurz darauf war das chinesische Personal verschwunden, im November wurde öffentlich bekannt, dass der weltgrößte Staudammbauer seinen Vertrag mit der honduranischen DESA aufgelöst hatte. Nachdem die Compliance Advisor Ombudsstelle (CAO) der International Finance Corporation der Weltbank angefangen hatte, im Fall Agua Zarca herumzustochern, zog sich auch der Central American Mezzanine Infrastructure Fund (CAMIF) zum Jahresende aus dem Projekt zurück. Die holländische Entwicklungsbank FMO bleibt jedoch unverdrossen dabei. Sie hatte zwar eine Erkundungsmission vor Ort, die konnte allerdings nichts Irreguläres feststellen. „Kein Wunder“, meint ein europäischer Beobachter, der die Vorgänge in Honduras mitverfolgt hatte und nun mit den Holländern sprach: „Kein Wunder, sie wurden von der DESA herumgereicht und haben mit keinem einzigen Gegner, keiner einzigen Gegnerin des Projektes aus den betroffenen Gemeinden gesprochen.“
SINOHYDRO schrieb am 25.November 2013 auf Anfrage des Business & Human Rights Resource Centre:
“Following the official competition bidding process, we, SINOHYDRO Corporation Limited, signed the Contract Agreement on November 16th, 2012, with DESA as the Employer for the construction of the Agua Zarca Dam Project. As defined by the Contract Agreement, January 17th, 2013 was noticed as the Commencement Date on which we initiated the mobilization for the camp construction and simple preparation. Certainly no substantial permanent activities could be undertaken at that early stage. Right from the very beginning of our mobilization, it was noticed that there were serious interest conflicts between the Employer of the Project, i.e. DESA, and the local communities, which were treated as unpredictable and uncontrollable to the Contractor. Therefore, SINOHYDRO Corporation Limited instructed to suspend all the site performance and ongoing preparations, and demobilized all his manpower from the project site on July 15th 2013. On August 24th, 2013, the Contract Agreement between SINOHYDRO Corporation Limited and DESA was agreed officially to be terminated.”
SINOHYDRO, so das chinesische Staatsunternehmen weiter, sei nur Sub-Unternehmer, sämtliche rechtlichen und sozialen Verpflichtungen hätten bei der honduranischen DESA gelegen. Die Runde am Tisch ist skeptisch: Vielleicht habe das Unternehmen nur einen Anlass gesucht, aus dem Schlamassel rauszukommen. Andere meinen, dass es dann aber immerhin der menschenrechtlich passende Anlass gewesen sei, während Voith Hydro bisher nicht einmal einen Ansatz von Verantwortung gezeigt habe.
Eine Woche später mehren sich Hinweise, dass es sich beim chinesischen Rückzug um eine strategisch-taktische Entscheidung gehandelt haben könnte. Pedro Landa vom honduranischen Zentrum für die Förderung von Gemeindeentwicklung (Centro Hondureño de Promoción al Desarrollo Comunitario) berichtet, dass unlängst noch rasch eine große Menge von Gesetzen im honduranischen Kongress durchgewunken (aber noch nicht veröffentlicht) wurde, um vollendete Tatsachen zu schaffen, bevor man es zum ersten Mal mit der lästigen Opposition der Mitte-Links-Partei LIBRE des 2009 weggeputschten Präsidenten Mel Zelaya zu tun bekäme. Eines dieser Gesetze betreffe die Eisenoxid-Vorkommen in Honduras, an deren Ausbeutung China großes Interesse habe: „Dafür kann man ein 22-Megawatt-Wasserkraftwerk schon mal sein lassen.“
Siemens-Investor-Relations-Manager Christof Schwab hatte vorsichtshalber schon mal im Vorfeld in Bezug auf Agua Zarca darauf hingewiesen, die Kritiker mögen sich nicht zu viele Hoffnungen auf konkrete Antworten bei der Hauptversammlung machen: „Ob in so ein Projekt weiter investiert wird oder nicht, wird nicht in öffentlichen Diskussionen entschieden.“
Die Wachsamkeit und die Proteste vor Ort, sei es in der Region Rio Blanco, die vom Agua Zarca-Staudamm betroffen ist, wie auch z.B. im vom Eisenoxid-Abbau gefährdeten Dorf Nueva Esperanza (Tela) gehen trotz Toten, Drohungen, Diffamierung, Spaltung, Kriminalisierung und temporären Teilerfolgen weiter. Ganz ohne internationale Einmischung, aber – wenn es gut geht – mit internationaler Aufmerksamkeit, Solidarität und Aktionen, die am Image des einen oder anderen Unternehmens kratzen mögen. Für die von Minen, Staudämmen und anderen transnationalen Projekten in nie gekanntem Ausmaß betroffenen Kleinbauern und -bäuerinnen geht es um ihr Territorium, ihr Gemeindeland, ihre Äcker, Wälder, Quellen und Flüsse, ihr Zusammenleben (auch mit den Toten), ihre Kultur.
In der Siemens-Banken-Lounge drückte eine modische Businessfrau Monica Brito Soares von „Xingo Vivo Sempre“ herzlich die Hand und wünschte ihr Glück für ihre Rede vor den Aktionären und Aktionärinnen: „Das Universum schickt Ihnen die spirituelle Kraft, die Sie brauchen.“ Ob sie dabei an die ganz alltäglichen, praktischen Kämpfe der indigenen Gemeinden gedacht hat, die trotz 500 Jahren Kolonisierung tatsächlich eine Kosmovision zu verteidigen haben?
Studie zu Agua Zarca unter: www.hondurasdelegation.blogspot.com
Reden und Gegenanträge zur Siemens Hauptversammlung: http://www.kritischeaktionaere.de/
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Bildquellen: [1], [2] Honduras-Delegation