Dossier: TeguciGolpe – Putsch im Hinterhof
Editorial
Fast auf den Tag genau fünf Monate nach dem Putsch in Tegucigalpa finden am Sonntag den 29. November 2009 in Honduras Präsidentschaftswahlen statt. Diese stehen am Ende einer langen Reihe unrühmlicher Ereignisse, die ihren Anfang am 28. Juni 2009 mit einem Staatsstreich nahmen, bei dem der 2005 gewählte Präsident Manuel Zelaya aufgrund einer geplanten Volksbefragung über die Einsetzung einer Verfassungsgebenden Versammlung vom Militär seines Amtes enthoben und außer Landes gebracht wurde. Dadurch übernahmen die traditionellen Eliten des Landes, denen der im Laufe der Amtsperiode eingeschlagene politische Kurs Zelayas nicht in ihr neoliberales Konzept passte, wieder die Führung. Viele innerhalb (aber auch außerhalb) Lateinamerikas, die geglaubt hatten, dass die Zeit der „Gorillas“, wie Militärdiktatoren dort auch genannt werden, endgültig vorbei sei, wurden eines Besseren belehrt. In diesem Falle machte sich das Militär, auch wenn es keinen aus den eigenen Reihen an die Spitze des Landes setzte, zumindest zum undemokratischen Erfüllungsgehilfen konservativer Politiker und Unternehmer, die Roberto Micheletti zum De-facto-Präsidenten kürten. Obwohl sich auf internationalem und gerade auch lateinamerikanischem Parkett eine breite Ablehnung dagegen zeigte, kristallisierte sich mit der Zeit immer deutlicher heraus, dass Teile des politischen Establishments der USA in die Vorgänge verstrickt waren und dass am Ende des diplomatischen Lavierens der US-Regierung die Anerkennung der Wahlen und ihrer Ergebnisse stehen würde. Honduras, das infolge des Putsches noch stärker in Befürworter und Gegner Zelayas gespalten ist, wird auch mit den Wahlen nicht zur Ruhe kommen. Diese dienen einzig und allein dem Zweck, ein mit unrechtmäßiger Vorgehensweise an die Macht gekommenes Regime mit pseudodemokratischen Mitteln zu legitimieren.
Das Online-Magazin „Quetzal“ nimmt die Wahlen zum Anlass, ein Dossier zu veröffentlichen, in dem wichtige Aspekte der Ereignisse vor und nach dem Putschmonat im Juni 2009 beleuchtet werden. Die Beiträge des Dossiers – eine dreiteilige Analyse über die politischen und sozialen Verhältnisse in Honduras, jeweils ein Interview mit Manuel Zelaya und Eva Golinger, ein Artikel über die Widerstandsfront, biografische Porträts von Manuel Zelaya und Roberto Micheletti sowie eine aus eigenen Noticias bestehenden Chronologie – sollen dem interessierten Leser relevante Fakten, Hintergründe und Zusammenhänge über das in der Geschichte oft als „Bananenrepublik“ verspottete Land vermitteln. Abgerundet wird das Dossier mit einem Bericht über die Wahlen. Die Redaktion des „Quetzal“ wird den Gang der Ereignisse in Honduras weiter aufmerksam verfolgen und darüber berichten. Unseren Lesern wünschen wir eine interessante Lektüre und freuen uns wie immer über Hinweise und Kritiken.
Leipzig, 28. November 2009
Die Redaktion
Analysen
Am Sonntag, den 28. Juni 2009, umstellte eine Einheit von Militärs die Residenz des Präsidenten der Republik, Manuel Zelaya Rosales (2006-2010), nahm ihn fest, brachte ihn zur honduranischen Luftwaffe und schob ihn nach Costa Rica ab. Ein ähnlicher Akt wie der, den die Militärs in der Vergangenheit vornahmen, wenn sie die alten Befehlshaber der Streitkräfte loswerden wollten. Der Hauptauslöser war die Einberufung einer durch den Präsidenten der Republik vorangetriebenen Meinungsumfrage, die am selben Tag stattfinden sollte.
Der Staatsstreich am frühen Morgen des 28. Juni hat zur Herausbildung und Integration neuer Aspekte im nationalen und internationalen Kontext geführt. Die gegnerischen Parteien verfeinern ihre Strategien, festigen ihre Positionen, arbeiten an ihrem Image und führen unablässig Standortbestimmungen durch. Beide Seiten wissen, dass der Zeitfaktor eine wichtige Rolle spielt. Die Zeit drängt und die Situation muss schnell gelöst werden. Zwischen den beiden Parteien findet ein Kräftemessen statt: Unternehmer, Medien und Kirche mobilisieren ihre Angestellten und Gemeindemitglieder, und die andere Seite versammelt neue gesellschaftliche Kräfte um sich – Lehrer, Frauen, Indígenas sowie lokale und regionale NGOs.
Während sich innerhalb der Gesellschaft von Honduras zwei Lager gegenüberstehen – das, welches die Rückkehr des verfassungsmäßigen Präsidenten der Republik befürwortet und das, welches dagegen ist – werden auf nationaler und internationaler Ebene unterschiedliche, ja sogar widersprüchliche Stimmen laut. Sie fordern Respekt gegenüber der Verfassung der Republik sowie die Wiederherstellung von Frieden und Demokratie in unserem Land nach dem Staatsstreich. Dieser hat das nationale Leben und den internationalen Kontext in den letzten Tagen erschüttert.
Das US-Außenministerium wusste von den Putsch-Plänen gegen Präsident Zelaya. Das Außenministerium und der Kongress der USA finanzierten und berieten die Akteure sowie Organisationen, die am Putsch beteiligt waren. Das Pentagon trainierte, bildete aus, finanzierte und bewaffnete die Armee Honduras`, die den Putsch durchführte und das Volk von Honduras nun unterdrückt. Die US-Militärpräsenz in Honduras, in der Militärbasis in Soto Cano (Palmerola), hat den Staatsstreich durch ihre stillschweigende Komplizenschaft und ihrer Ablehnung begünstigt, die Unterstützung für das Militär Honduras zurückzuziehen. Der Botschafter der USA in Tegucigalpa, Hugo Llorens, koordinierte den Sturz des Präsidenten Manuel Zelaya, gemeinsam mit dem Lateinamerika-Beauftragten in Außenministerium, Thomas Shannon, und John Negroponte, der zur Zeit Berater der Außenministerin Hillary Clinton ist.
Fast drei Monate nachdem er durch einen Militärputsch gestürzt wurde, kehrte der honduranische Präsident Manuel Zelaya nach Honduras zurück. „Ich bin hier in Tegucigalpa. Ich bin hier zur Wiederherstellung der Demokratie und um zum Dialog aufzurufen“, sagte er den Reportern. Der hart umkämpfte Weg bis zu seiner Rückkehr stellte die regionale Diplomatie auf die Probe, forderte Washington heraus und rüttelte die sozialen Bewegungen in Honduras wach. Unlängst bei einem Interview am Strand – eine tropische Brise wehte das sandige Ufer entlang – erzählte Roberto Micheletti, der honduranische Anführer des Militärputsches, einem Reporter von Fox News: „Dies hier ist ein ruhiges Land und ein glückliches Land.“ Seit Micheletti am 28. Juni die Macht übernahm, ist Honduras jedoch alles andere als ruhig und zufrieden.
Die Wahlen unter Kontrolle der Putschisten in Honduras Ende November haben die schwere politische Krise in dem mittelamerikanischen Land nicht beilegen können. Am 3. Dezember sprach sich die von putschnahen Kräften dominierte Nationalversammlung in Tegucigalpa zudem gegen eine – auch nur symbolische – Rückkehr des letzten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Manuela Zelaya, in das höchste Staatsamt aus.
Chronologie
Interviews
Interview mit Manuel Zelaya | Interview mit Eva Golinger | ||
„Meine Stimme erhebe ich im Namen der Wahrheit, im Namen dessen, was bewusst versteckt wird – als ob diese sogenannten Wahlen eine demokratische Handlung wären. Das ist nicht die Wahrheit. Diese für den 29. November angesetzte Wahl ist eine Maske, die der Gesellschaft von den faktischen Mächten übergestülpt wurde, ein politisches Geschäft: Der Staat führt die Geschäfte der Oligarchie weiter. In Honduras waren staatliche Institutionen niemals am Wohlergehen des Volks interessiert. Nur an demjenigen der Mächtigen.“
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„Wenn Zelaya sagt, dass sich das Putschregime in Honduras an die Macht hält, weil es von den Vereinigten Staaten unterstützt wird, ist das richtig. Falls die USA tatsächlich das Regime ersticken wollten, um seinen Abgang zu forcieren, hätten sie energischere Maßnahmen ergreifen müssen. Dieses Ziel hatten sie aber niemals. Das Ziel der Amerikaner war, den Verhandlungsprozess bis zu den November-Wahlen zu verzögern, um Manuel Zelaya niemals die Rückkehr an die Macht zu erlauben.“
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Biographien
Roberto Micheletti Bain wurde am 13. August 1943 (anderen Quellen zufolge 1948) in El Progreso, Honduras, als Sohn von Humberto Micheletti Brown und Donatella Bain Moya geboren. Er ist der zweitjüngste von neun Geschwistern. Sein Vater war ein Einwanderer aus Italien, und offensichtlich ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft von El Progreso – das Stadion des Ortes trägt seinen Namen …
Manuel Zelaya | Roberto Micheletti | ||
José Manuel Zelaya Rosales wurde am 20. September 1952 als ältestes von vier Kindern des Großgrundbesitzers Olancho Manuel Zelaya Ordóñez und seiner Frau Hortensia Rosales Sarmiento in Catacamas geboren. Die väterliche Linie der Familie verfügt über baskische Ursprünge und brachte in Honduras ab dem 18. Jahrhundert etliche gesellschaftliche Persönlichkeiten hervor …
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Friedhofsruhe oder die Stille vor dem Sturm?
Honduras drei Wochen nach dem 29. November
Der nachfolgende Beitrag beleuchtet die Situation in Honduras nach dem 29. November 2009. An diesem Tag hielt das Putschregime „Wahlen“ ab, über die auch die deutsche Presse kurz berichtet hat. Seither herrscht Ruhe im Blätterwald. Die Stille um das zentralamerikanische Land suggeriert die Rückkehr zur Normalität. Die Realität ist jedoch eine andere. Der Autorin, die sich hier zu ihrem eigenen Schutz hinter dem Pseudonym „Luna“ verbirgt, ist es gelungen, auf der Basis zahlreicher Interviews (im Text kursiv), die alle in Honduras selbst geführt worden sind, ein authentisches Bild von der aktuellen Situation zu zeichnen. Ihr ausführlicher Beitrag, der aus Gründen der besseren Lesbarkeit von der Redaktion in drei Teile aufgegliedert worden ist, macht deutlich, dass die seit Monaten andauernde Krise keineswegs beendet ist, wie es die Putschisten und ihre offenen wie heimlichen Unterstützer die Öffentlichkeit glauben machen wollen. Die Bedingungen, unter denen die „Wahlen“ stattgefunden haben, sind alles andere als demokratisch. Auch die vermeintlich hohe Wahlbeteiligung, die die Schlagzeilen bereits am Tag danach beherrscht hat, erweist sich aus heutiger Sicht als Fälschung. Noch schwerer ins Gewicht fällt der Umstand, dass über den tagtäglichen, opferreichen Widerstand der Honduraner ein Mantel des Schweigens gebreitet wird. Mit der Veröffentlichung dieser dreiteiligen Artikelfolge will der QUETZAL seinen Beitrag leisten, dass kein Schweigen über Honduras herrscht. Der Leser wird sich selbst eine Meinung bilden können, ob die neue Situation, die von allen Beteiligten zur Umgruppierung ihrer Kräfte genutzt wird und auch deshalb in ihrem Ausgang offen ist, nicht eher als Stille vor dem Sturm zu charakterisieren ist. Wir wünschen allen Lesern eine Erkenntnis steigernde Lektüre und hoffen auf eine umfassende Verbreitung der hier vermittelten Informationen: Geben wir der Stille eine Stimme!
Leipzig, 22. Dezember 2009
Die Redaktion
P.S. Eine kleine Denkaufgabe für den phantasiebegabten Leser: Stell dir vor, all das, was du liest, wäre nicht in Honduras, sondern in Venezuela oder Kuba oder Bolivien passiert …