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Guatemalas Franja Transversal del Norte – eine Beziehung von Entwicklung und Gewalt

Andrea Lammers | | Artikel drucken
Lesedauer: 12 Minuten

Guatemala: Landkarte - Karte: University of Texas at AustinDas Präsidentiale Sekretariat für Planung (SEGEPLAN) in Guatemala veröffentlichte 2011 einen Entwicklungsplan, der sich zum Ziel setzte, die Region Franja Transversal del Norte wirtschaftlich zu erschließen. Im Folgenden soll näher untersucht werden, was dort im Namen von „Entwicklung und Fortschritt“ seitens der Regierung und des Militärs unternommen wird. Dabei sind besonders folgende Fragen wichtig: Wer entscheidet – die AnwohnerInnen oder eher die verschiedenen ausländischen Institutionen, unter deren Schirmherrschaft und Finanzierung die meisten Projekte betrieben werden? Wie ist dieser Prozess historisch entstanden, und was sind die aktuellen Auswirkungen? Was ist die Rolle des Militärs?

Franja Transversal del Norte (FTN oder auch Franja) ist eine relativ weit ausgedehnte Region von 21.000 km², die von der östlichen Grenze Guatemalas zu Belize bis zur westlichen Grenze mit Mexiko reicht und insgesamt wenig erschlossen ist. Im Durchschnitt leben 77 Prozent der Bevölkerung auf dem Land, der Rest in kleineren Städten. Die Kulturen und Lebensweisen entlang der Franja unterscheiden sich zum Teil stark. Etwa 75 Prozent der Menschen gehören unterschiedlichen indigenen Gruppen an, ein Prozentsatz, der deutlich über dem Landesdurchschnitt von 60 Prozent liegt. Der Entwicklungsplan des SEGEPLAN von 2011 beschreibt die Franja als ein heiß umstrittenes Gebiet, in dem zwei unterschiedliche Entwicklungsvorstellungen miteinander konkurrieren. Auf der einen Seite stünde die lokale Bevölkerung, also hauptsächlich KleinbäuerInnen und Indigene, die teilweise über staatliche wie nicht-staatliche Besiedlungsprojekte seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts in die Region gezogen sind. Diese Bevölkerungsgruppen litten stark unter den bewaffneten Konflikten von 1954 und 1996. Viele von ihnen verloren ihre Heimat und zogen später in andere Gebiete. Auf der anderen Seite stünde das westliche Fortschrittsmodell bzw. dessen Wirtschaft: Die „KleinbäuerInnen wünschen sich eine Stärkung ihrer lokalen Wirtschaft, (…) auf der anderen Seite ist die Region begehrt für Bergbau und den Anbau von Monokulturen (…)”, so der Bericht des SEGEPLAN.

Eine strategische Entwicklungspolitik gab es für die Franja erstmals zu Zeiten der Militärdiktaturen. Bis in die 1960er Jahre schien es, als hätte die Region wenig mehr zu bieten als Dschungel, Mosquitos und versprengte indigene Siedlungen. Aber nachdem kurze Zeit später Öl- und Mineralvorkommen entdeckt wurden, war das Interesse der Regierung, des Militärs, der US-amerikanischen Entwicklungshilfestelle US-AID und privater Unternehmen geweckt. Viele Ölfelder wurden US-amerikanischen Firmen, darunter Monsanto, zugeteilt, und einige hohe Beamte der damals herrschenden Militärregierung wurden zu Großgrundbesitzern. So befanden sich 1983 etwa 60 Prozent des Departements Alta Verapaz im Eigentum hoher Militärs. Allein vier verfügten in der Franja und im benachbarten Petén über insgesamt 285.000 ha. Zuvor waren große Flächen noch nicht eindeutig vermessen oder als Privatbesitz registriert.

1970 wurde unter der Regierung von General Carlos Arana Osorio das Dekret 60-70 erlassen, welches bis heute Gültigkeit besitzt. Im Artikel 1 wird „die Errichtung von landwirtschaftlichen Entwicklungszonen im Gebiet der Franja Transversal del Norte als Gegenstand öffentlichen Interesses und nationaler Wichtigkeit” erklärt. Weiterhin sollen laut Artikel 3 „alle als Leerstand verzeichneten bzw. nicht eingetragenen Gebiete der Zone sofort im Sinne des Gesetzes als Staatseigentum eingetragen werden.“ Zudem wird ausdrücklich die Titulacion Supletoria ausgeschlossen, eine Regelung, die es ermöglicht, durch das Bewohnen einer Fläche über einen festgelegten Zeitraum (in Guatemala mindestens 10 Jahre) zu deren Eigentümer zu werden. Kurz gesagt, das Dekret 60-70 dient als legale Grundlage für die Aneignung von Gelände durch den Staat, da zur damaligen Zeit viele Flächen nicht auf die Namen der dort wohnenden und wirtschaftenden KleinbäuerInnen eingetragen waren.

Heute ist der natürliche Reichtum der Franja klar erkennbar; zum jetzigen Zeitpunkt wurden bereits 32 Minenkonzessionen genehmigt. Auch die für den Abbau der Bodenschätze benötigte Elektrizität kann die Region mittlerweile bieten. 1975 hat die Nationale Behörde für Stromversorgung (Instituto Nacional de Electrificacion – INDE) einen Plan für eine umfassende Nutzung der Wasserkraft des Landes entworfen. 1986 wurde das umstrittene Kraftwerk Chixoy erstmals genutzt. Zu dieser Zeit wurden auch Kredite US-amerikanischer und europäischer Banken für die Errichtung weiterer Dämme und Kraftwerke gesichert, unter anderem für das Projekt Xalalá in Ixcán, welches den Bau eines Megastaudammes vorsieht. Dieses wurde zwar bis heute durch den Widerstand der Bevölkerung gebremst, jedoch noch nicht aufgegeben.

Ein wichtiges Projekt des Entwicklungsplanes des SEGEPLAN von 2011 ist eine Verbindungsstraße quer durch die Franja. Diese Straße wird als elementares Strukturprojekt gesehen. Sie soll eine Länge von 341 km haben, Planungen für eine solche Straße wurden erstmals bereits in den 1970er Jahren unter dem damaligen Militärregime aufgenommen. Es dauerte jedoch bis 2006, bis ein entsprechender Regierungsbeschluss das Projekt für Konzessionsgesuche internationaler Firmen freigab. 2009 wurde mit ersten Arbeiten begonnen. Die verbindende Landstraße soll zu einer Hauptverkehrsader umgebaut werden. Dies würde es ermöglichen, schwere Maschinen, Rohstoffe und Endprodukte zu transportieren. Ziel ist es, die Reisezeit der Gesamtstrecke von 24 auf nur sechs Stunden zu verkürzen. Dadurch sollen eine höhere Wettbewerbsfähigkeit im mittelamerikanischem Vergleich und Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Straße wäre damit ein Grundpfeiler für Entwicklungs- und Investitionspläne des Landes. Beauftragt mit dem Bau wurde die israelische Firma Solel Boneh Internacional (SBI). Sie gewann die Konzession 2007 als einziger Bewerber. SBI ist heute der finanziell größte Nehmer bei der Vergabe von öffentlichen Projekten. So wurde es auch mit der Fertigstellung der Wasserkraftwerke Palo Viejo, Xacbal und El Canadá beauftragt. Die Finanzierung der Verbindungsstraße in der Franja wird durch die zentralamerikanische Entwicklungsbank Banco Centroamerica de Integración Economica (BCIE) übernommen.

Vielerorts ist die Landstraße lang ersehnt. Es wird vor allem ein besserer Anschluss an den Markt für den Verkauf regionaler Produkte erhofft. Es gibt jedoch auch viel Widerstand. In Huehuetenengo brachten Proteste gegen die Projektausführung die Bauarbeiten mehrmals zum Stillstand. Francisco Rocael Mateo, Vorstand des Bezirksrats für die Verteidigung der Natürlichen Ressourcen von Huehuetenango fasst zusammen: „Die Gemeinden werden durch die Besetzung ihres Landes beim Ernteanbau behindert, ebenso durch die Schädigung der örtlichen Naturgüter und der Umwelt, die mit solchen Megaprojekten wie dieser Verbindungsstraße zusammenhängen. Das Projekt wird hier abgelehnt, weil die örtlichen Gemeinden niemals befragt wurden. Man hat sie auch nicht ausreichend über die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Auswirkungen informiert. Das Projekt wird als Versuch gesehen, die wirtschaftlichen und politischen Interessen der elitären Klasse durchzusetzen. Außerdem handelt es sich hierbei um ein Versäumnis des Staates, da dieser nicht seiner Pflicht nachgekommen ist, zu informieren oder eine Volksbefragungen durchzuführen, wie es das Übereinkommen 169 zum Schutz der indigenen Völker der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) festlegt.” Mónica Velásquez, Koordinatorin der Stiftung Guillermo Toriello für den Landkreis Barillas, verwies im Januar 2012 darauf, dass bislang keine Zahlungen an GrundeigentümerInnen geleistet wurden, die durch den Straßenbau ihre Anbauflächen verloren haben.

Weitere Sorgen sind, dass die Straße dem ohnehin schon erheblichen Drogenschmuggel Vorschub leisten oder den illegalen Holzschlag begünstigen könnte. Zudem wurde bei der Planung kritisiert, dass die Straße einige Naturschutzgebiete wie die Laguna Lachua in Alta Verapaz durchquert und dadurch für die Zerstörung von noch unberührtem Wald und die Verschmutzung von Naturgebieten verantwortlich sein wird. Laut einer Untersuchung der Stiftung für ökologische Entwicklung und Naturschutz (FundaEco) sind direkte Auswirkungen auf das Tier- und Pflanzenleben in einem Korridor von bis zu ca. fünf km zu beiden Seiten der Straße zu erwarten. 2010 schien es, als würde die Regierung die Sorgen der Bevölkerung endlich in ihre Pläne einbeziehen. So wurde das SEGEPLAN beauftragt, den sozialen Kontext der Franja zu untersuchen und einen Plan für eine integrierte Entwicklung auszuarbeiten. Die Baugenehmigungen waren zu diesem Zeitpunkt jedoch schon längst erteilt, so dass die Möglichkeit einer tatsächlichen Änderung der Pläne nicht mehr bestand. Violeta Reyna Contreras, Koordinatorin des Plans, gibt zu, dass das Straßenprojekt einige Risiken berge. Damit die betroffene Bevölkerung solche Großprojekte annehmen würde, brauche es einen Prozess, der aus einem Dialog mit der Zivilgesellschaft heraus entstehe. Es müsse genügend Zeit im Vorfeld vorhanden sein, damit die Betroffenen selbst zu Meinungen, Lösungen und Entscheidungen kommen könnten, so Contreras. Da es diesen Prozess nie gegeben hat, stehen viele Gemeinden den Plänen der SEGEPLAN ablehnend gegenüber. Besonders große Projekte, wie im Bereich des Bergbaus, beim Bau von Wasserkraftanlagen und eben dem Bau der Verbindungsstraße haben Widerstand hervorgerufen. In 10 der insgesamt 22 Landkreise der Franja wurden bereits lokale und indigene Volksbefragungen abgehalten, die von der Zivilgesellschaft organisiert wurden. Ohne Ausnahme hat sich jeweils eine große Mehrheit gegen die Verwirklichung der Projekte ausgesprochen und eingefordert, bei Entscheidungen über ihr angestammtes Land mitwirken zu können. Obwohl Guatemala das betreffende Übereinkommen 169 der ILO unterzeichnet hat, sind diese Befragungen rechtlich nicht bindend.

Das Militär hat in den vergangenen Jahrzehnten, in denen sich die Regierung mit der Entwicklung der Franja beschäftigt hat, eine große Rolle gespielt. So verschwanden ab den 1970ern immer wieder verschiedene Personen, u.a. BauernführerInnen, die sich gegen verschiedene Entwicklungspläne ausgesprochen hatten. Dies wurde dem Militär angelastet. Auch die Rolle, die letzteres im Siedlungsbau spielte, deutet auf die wirtschaftlichen Interessen hinter der Handlungsweise des Militärs in der Zone hin. General Lucas Garcia, damaliger Verteidigungs­minister und späterer Regierungschef, ließ sich sogar zum „Direktor der Entwicklung der Franja Transversal del Norte” ernennen.

Die vom Militär ausgeübte Gewalt zwang in den 1980er Jahren einen großen Teil der Bevölkerung zur Flucht. Laut einem Bericht der Interdiazösen Kommission für Vergangenheitsaufklärung (REMHI) fanden 160 der in dieser Zeit verübten Massaker, das sind 39 Prozent der Gesamtfälle, in der Franja statt. Es gibt Untersuchungen, die den auffällig schnellen und hohen Anstieg der Militärgewalt mit den zu erwartenden Profiten in der Region in Zusammenhang bringen. Ein anderer Teil der Einwohner wurde durch das Militär zwangsumgesiedelt. Diese massiven Vertreibungen zeigen noch bis heute Auswirkungen: Viele Familien verloren in dieser Zeit ihr angestammtes Land und haben es bis heute nicht zurückerhalten, da die Gebiete in der Zwischenzeit neuen Besitzern zugesprochen wurden. Legitimiert wurde dies durch das oben erwähnte Dekret 60-70. Die neuen Bewohner blieben auch nach Unterzeichnung der Friedensverträge von 1996 und leben heute zusammen mit den Zurückgekehrten. Oft handelt es sich dabei um verschiedene kulturelle Gruppen, die unterschiedliche Sprachen sprechen. Bis heute ist der soziale Zusammenhalt solcher Gemeinden daher schwach.

Die nach den Vertreibungen entstandenen Konflikte um Land setzten sich auch nach den Friedensverträgen von 1996 fort. Nach Daten des Sekretariates für Landangelegenheiten gab es in diesem Zusammenhang allein 2011 in der Franja 464 registrierte Konfliktfälle. 215 der genannten Fälle fanden in dem Gebiet statt, in dem die Verbindungsstraße gebaut werden soll. Insgesamt zählte das Sekretariat 200.673 betroffene Personen.

Die Rolle des Militärs änderte sich nach 1996 nur kurzzeitig. So wurde nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zuerst eine Verkleinerung des Militärs angestrebt; mehrere Stützpunkte wurden geschlossen. Diese Entwicklung wurde in der Regierungszeit von Álvaro Colom (2008-2012) gestoppt, und man kehrte wieder zu alten Mustern zurück. So wird das Militär seitdem wieder ausgebaut. Unter anderem wurde am 2. Dezember 2009 die 6. Brigade in Playa Grande, Ixcán, wieder eingesetzt, welche eine besondere Rolle beim Bau der Verbindungsstraße spielen soll. Auf der Internetseite des Militärs liest sich dies folgendermaßen: “Die Brigade, die am Ende des Prozesses über 1.000 Mann stark sein könnte, stellt eine Speerspitze im Versuch der Regierung dar, der Region einen wirtschaftlichen und sozialen Impuls zu geben. Der Bau der Landstraße der Franja Transversal del Norte, soziale Programme und Sicherheitsmaßnahmen werden eingeleitet. […] Mit der neuen Einheit wird versucht, die territoriale Kontrolle wiederzuerlangen, die seit der Demobilisierung des Heeres im Jahr 2004 nicht mehr bestand. […] In Zusammenarbeit mit der Nationalpolizei wird illegalen Gruppierungen, die die Sicherheit der lokalen Bevölkerung als auch die des Staates gefährden, der Handlungsraum entzogen.”

Am Tag der Wiedereröffnung des Stützpunktes erklärten mehr als 30 zivilgesellschaftliche Organisationen, dass „die Rückkehr des Militärs ein Angriff auf unsere Erinnerungen“ sei. Außerdem sei dies eine „Verletzung der Menschenrechte einer Bevölkerung, die sich immer noch nicht von den Traumata des internen Konflikts erholt hat. In Wirklichkeit wird die Präsenz einer Militärbrigade im Ixcán dem Schutz der Investitionsobjekte großer transnationaler Firmen dienen, die unsere natürliche Ressourcen ausbeuten wollen und Gemeinden einschüchtern, die solche Megaprojekte ablehnen”. Auf ähnliche Art und Weise wurde auch der Ausnahmezustand kritisiert, der im Dezember 2011 im Departement Alta Verapaz erklärt wurde – offiziell zur Bekämpfung der Drogenkartelle. Schlussendlich bremste er jedoch vor allem die kommunale Entwicklung und die zivile Organisationskraft.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Franja, ebenso wie der Süden des Departement Petén und das Gebiet um den Polochic-Fluss, heute (wieder) Schauplätze von Zwangsräumungen ganzer Gemeinden sind. Ausgelöst wurden diese durch die neuerlichen Pläne, die Gebiete wirtschaftlich zu erschließen – obwohl die Art und Weise der Erschließung auf Kosten des Großteils der dort lebenden Bevölkerung geht. Die Bedürfnisse letzterer und die Pläne der Regierung, welcher es vor allem um die Verwirklichung eines westlichen Fortschrittsmodells und um persönliche Bereicherung zu gehen scheint, stehen sich dabei gegenüber. Zivilgesellschaftliche Organisationen und einzelne Gemeinden versuchen seit langem, sich durch Abstimmungen und andere Aktionen gegen die Pläne zu wehren. Auch andere Arten des Widerstandes werden häufiger: Im April 2012 wurde im Landkreis Barillas (Departement Huehuetenango), der zur Franja gehört, der Ausnahmezustand verhängt. Dies war eine Reaktion auf Ausschreitungen, die mit dem Widerstand eines großen Teiles der Bevölkerung gegen ein weiteres Wasserkraftprojekt in Zusammenhang standen. Auch in anderen Gebieten brodelt es, so in San José del Golfo, San Juan Sacatepéquez, San Miguel Ixtahuacán (Departement San Marcos) und San Rafael Las Flores (Departement Santa Rosa) – um nur einige zu nennen. Lokaler Widerstand und staatlich-militärische „Vorbeugungsmaßnahmen” scheinen vorprogrammiert, so dass eine erneute Eskalation der Lage wahrscheinlicher wird.

Bildquelle: University of Texas at Austin.

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