Gewalt, die ihren Ausdruck in einer der höchsten Mordraten weltweit findet, ist immer noch eines der prägenden Merkmale der zentralamerikanischen Staaten El Salvador, Honduras und Guatemala. Neben Drogenkartellen stellen die Jugendbanden – auch maras oder pandillas juveniles genannt – eines der größten Probleme dar. Ihre Mitglieder sind meist zwischen zwölf und 30 Jahre alt, mitunter sogar jünger. Solidarität und die Zugehörigkeit zu einer machtvollen Gruppe, die in einem Umfeld von Armut beste Möglichkeiten zum Einkommenserwerb verspricht, stellen den primären Zweck der Banden dar. Sie sind gut organisiert und finanzieren sich durch Raub, Diebstahl, Drogen- und Waffenhandel, Erpressung sowie durch Schutzgelder. Dabei schrecken sie vor Mord nicht zurück, wie die Ermordung von zwei Busfahrern in Guatemala-Stadt, die sich weigerten, den geforderten Tribut zu zollen, am 25.03.09 erneut zeigte.
Unter den zahlreichen maras erlangten im Laufe der Zeit zwei herausragende Bedeutung: die Mara Salvatrucha, kurz MS genannt, und die Mara 18. Obwohl die genaue Zahl der Bandenmitglieder umstritten ist, gehen (weit auseinanderliegende) Schätzungen davon aus, dass sich zwischen 70.000 und 500.000 Jugendliche aktiv in maras organisieren. Straßen- und Stadtviertel haben sie untereinander aufgeteilt, wobei sie in clikas von bis zu 25 Mädchen und Jungen agieren. Die einzelnen Cliquen sind auf städtischer, nationaler und sogar internationaler Ebene vernetzt. Vor allem nachts haben die Banden die jeweiligen Quartiere fest unter ihrer Kontrolle.
Im Kampf um neue Viertel kommt es zwischen den verfeindeten Jugendbanden, besonders zwischen den maras MS und 18 immer wieder zu zahlreichen blutigen Auseinandersetzungen. Bei diesen Feldzügen, Rivalitäten innerhalb der Gruppe, Racheakten an Aussteigern oder Verrätern sterben jedes Jahr hunderte an Kindern und Jugendlichen. Das Durchschnittsalter der mareros ist auch deshalb so niedrig, weil kaum einer länger als fünf Jahre die vida loca, das verrückte Leben zwischen Drogenkonsum und Gewaltexzessen, überlebt.
Die Ursprünge der maras sind umstritten. Etymologisch deutet vieles daraufhin, dass sich das Wort von marabuntes ableitet, einer Ameisenart im Amazonas, die ein Gebiet massenweise befällt und dabei alles zerstört, was ihr in den Weg kommt. Aus soziologischer Perspektive liegen die Anfänge der Banden in den USA der 1960er Jahre. Die mara 18 zum Beispiel wurde nach der 18th Street im Stadtteil Rampart in Los Angeles benannt. Die mara Salvatrucha gründete sich ebenfalls in Los Angeles und stand anfangs nur El Salvadorianern offen. Mit der Abschiebung vieler straffällig gewordener Jugendlicher aus den USA in ihre Heimatländer importierten sie dann die Banden in das zentralamerikanische Umfeld aus Armut und Bürgerkrieg, wo sie schnell florierten.
Sie wurden zu solch großem Problem, dass die Regierungen in den drei Ländern mit einer Politik der „harten Hand“ versuchten, die Kontrolle über sie zurückzugewinnen. Das Ley „Antimaras“ von El Salvador verbietet zum Beispiel jegliche Mitgliedschaft in Banden und sieht vor, mareros (erkennbar an ihren Tattoos) auf der Straße aufzulesen und in Schnellverfahren abzuurteilen, wobei Minderjährige ab zwölf Jahren strafrechtlich wie Erwachsene behandelt werden. Abgesehen von den damit in Zusammenhang stehenden Menschenrechtsverletzungen brachte die Präventionspolitik der Staaten bisher keine erkennbaren Ergebnisse. Die maras stellen weiterhin eine der wichtigsten Quellen von Gewalt dar.
QUETZAL hatte Gelegenheit, sich am 27.03.2009 in Leipzig in Einzelgesprächen mit drei Ex-Mitgliedern der mara 18 über die Gründe für ihr Eintreten und ihre Erfahrungen in der Bande sowie ihren Ausstieg zu unterhalten
Wie sind Sie Mitglied der maras geworden?
G.C. (Guatemala):
Meine Lebenssituation war nicht ganz einfach. Ich lebte wie ein Straßenkind und irgendwann bekam ich das Bedürfnis, mich ordentlich zu kleiden. Ich wollte zu den maras gehören. Ich hatte schon immer Kontakt zu den jungen mara-Mitgliedern gehabt, die auch auf der Straße lebten. Mein Ziel war es, eines Tages dazu zugehören – also bewarb ich mich mit 12 Jahren darum, Mitglied der mara 18 calle zu werden und wurde aufgenommen.
J.M. (Honduras):
Ich bin, wie man in Mittelamerika sagt, auf traditionellem Wege Mitglied der Bande geworden. Als erstes musste ich ihr Vertrauen gewinnen. Dann war es für uns Neulinge eine Ehre, dass drei der Bandenmitglieder sozusagen als Aufnahmeprüfung 18 Sekunden lang auf uns einschlugen. Diese 18 Sekunden waren sehr lang. Die zählten nicht: eins, zwei, drei, sondern: eins. zwei. drei (langsam, mit Pausen), bis sie bei 18 ankamen. Nach dieser Tracht Prügel bist du sehr stolz aufgestanden, dann hörten sie auf, dich zu schlagen, und sagten: „Willkommen im Viertel“. Und dann gehörten wir dazu. So wurde ich Mitglied der Bande. Wie jeder andere auch. Ungefähr drei Monate vergingen noch, bis ich endlich ihr Vertrauen gewonnen hatte. Sie wollten erst sehen, ob ich wirklich alle Voraussetzungen erfüllte, um Bandenmitglied zu sein.
H.G. (Nicaragua):
Die Gewalt der Banden in Nicaragua ist womöglich geringer als in anderen Ländern, aber leider gibt es sie auch dort. Außerdem existiert in Nicaragua das Phänomen der Gewalt innerhalb der Familien, gegen das ich mit den Bürgerrechtsorganisationen kämpfe. Es gibt Kinder und Jugendliche, die zu Hause von klein auf mit Gewalt leben müssen. Sie haben das Bedürfnis, die familiäre Zuneigung auf der Straße zu suchen, denn zu Hause bei ihren Eltern finden sie diese nicht. Genauso bin auch ich auf die Straße gekommen und habe dort Freunde gefunden – nur waren diese Freunde leider eine Gruppe junger Menschen, die dann zu einer mara wurde. So bin ich in die mara gekommen.
Warum sind Sie in den maras geblieben?
G.C. (Guatemala)
Ich denke, zu diesem Zeitpunkt war es die einzige Möglichkeit, die ich hatte, um Teil von etwas zu sein. Ich konnte entweder zu den Kindern auf der Straße gehören oder zu den maras. Und ich habe mich für die maras entschieden.
J.M. (Honduras):
Ich bin geblieben, weil die pandillas dir Liebe und verschiedene Möglichkeiten bieten, Geld zu verdienen. Wirklich, es ist nicht sehr schwierig, in der pandilla Geld zu verdienen. Außerdem freundest du dich so sehr mit allen an, dass sie wie Brüder für dich sind. Es gibt sehr attraktive Dinge in den pandillas, am reizvollsten ist die Solidarität. Wenn du noch nicht gegessen hattest und jemand etwas zu essen hatte, dann gab er es dir. Da du mit derselben Zahl herumliefst wie sie, gab dir das Sicherheit und wenn du nicht wusstest, wo du schlafen solltest und jemand hatte einen Schlafplatz, dann nahm er dich mit. Diese Solidarität, die in unserer Gesellschaft manchmal fehlt, war es, was die pandilla so attraktiv machte. Deshalb gehörte ich zur pandilla. Und ich gehörte gerne dazu.
H.G. (Nicaragua):
Ich bin in der pandilla geblieben, weil mir Zuneigung, Liebe, Respekt, Ehrlichkeit und Sicherheit fehlten. All diese Werte müssen ein Staat und eine Gemeinschaft dir eigentlich bieten können. Wenn der Staat dir diese Werte, diese grundlegenden Menschenrechte, aber nicht garantieren kann, dann fehlen sie dir. Ich habe sie in der Bande gefunden. Das ist die Bedeutung der maras, deswegen bleibt man dort. Letztendlich macht man auch bei Straftaten mit, aber das hängt mit dem Missbrauch von Alkohol, Drogen usw. zusammen.
Wie sind sie aus den maras ausgetreten, und weshalb?
G.C. (Guatemala):
Als ich merkte, dass diese ganzen Reden, die ich so liebte, darüber, dass wir eine Familie seien, dass diese ganzen Reden darüber, dass wir ein Leben lang zusammenbleiben würden, eine einzige Lüge waren. Die anderen entfernten sich weiter von mir, als sie im Gefängnis waren. Sie brauchten uns nur noch, wenn sie festgenommen wurden, weil sie wollten, dass wir ihnen helfen. Da wurde es mir klar.
J.M. (Honduras):
Ich bin aus der pandilla ausgetreten, weil ich die Lust verloren hatte. Ich hatte erkannt, dass all das, was ich hier eben erzählt habe, nicht stimmte. Die pandilla war keine Familie, es waren auch nicht die richtigen Freunde, die ich glaubte, gefunden zu haben. Als ich dies erkannte, hatte sich alles schon ziemlich weit entwickelt, und es war einige Zeit vergangen. Ich verstand mittlerweile, dass es in der pandilla sehr undurchsichtige Strukturen gibt, nach denen Entscheidungen getroffen werden und dass ein beliebiges Mitglied umgebracht werden kann, falls es einer Angelegenheit oder bei einer Entscheidung irgendwie im Weg steht. Als ich also verstand, dass sie gar nicht so solidarisch waren, wie sie immer sagten, verlor ich die Lust.
Ich gebe dir mal ein konkretes Beispiel: Ich verkaufte im Gefängnis Drogen an die Mitglieder der pandilla und wenn ich das Geld für meine Geschäfte bekam, beauftragte ich jemanden, Boxershorts und Unterhosen für die Kameraden zu kaufen, die nicht die gleichen Möglichkeiten im Gefängnis hatten wie ich. Also, da ich dies tat und es andere Anführer gab, die auch Drogen verkauften, setzte ich sie unter Druck: „Hey, jetzt komm! Hilf mir, etwas für die Kameraden zu kaufen.“ Das gefiel ihnen aber nicht, weil sie sich nicht für die anderen interessierten. Sie sagten „Für mich war’s auch schwer, bis hierher zu kommen. Das sollen die auch durchmachen und den Hunger ertragen, so wie wir ihn ertragen mussten.“ Aber dieselben Fähigkeiten ließen sie immer höher aufsteigen, bis sie innerhalb der pandilla auf einer ganz anderen Ebene standen. Besonders deswegen verlor ich die Lust. Ich mochte nicht mehr dabei sein und verstand, dass diese Familie, die sie mir angeboten hatten, nur eine Lüge war; dass ich alles, was sie mir boten, mit meinem eigenen Leben bezahlen musste.
Wie ich dann da rausgekommen bin? Also, ich wollte von Alternativen in der Gesellschaft profitieren, leider bieten dir weder die Gesellschaft noch das System Alternativen. Mein leiblicher Vater sagte mir „Mein Sohn, ich werde dich aus dem Gefängnis holen und den Rest machst dann du. Du bist zu gut für die Straße und du bist so schlau, also zeig es und steh wieder auf.“ Als ich dann aus dem Gefängnis kam, hatte ich vor, weiter in der pandilla zu bleiben. Dann begann ich, meine Gefühle zu analysieren: vier Jahre Gefängnis, acht Jahre in der pandilla, umgeben von Schüssen und Schlägen. Bei einer dieser Konfrontationen wäre ich beinahe draufgegangen. Ich betrachtete also meine Vergangenheit und sah meine Kameraden, die schon seit sieben oder acht Jahren im Gefängnis saßen und wenn sie rauskamen, waren sie nach drei Tagen wieder drin und ihr Leben voller Leid ging weiter. Völlig umsonst, weil es eine Spaltung gab und sie dich dann umbrachten, nur weil du nicht akzeptiertest, was sie wollten. Dieses eine Mal hattest du vielleicht nicht die Entscheidungen der pandilla respektiert, sondern du hattest irgendeiner Entscheidung, die sie getroffen hatten, im Weg gestanden. Einer dieser Fälle war die Geschichte von „E. C.“ [einer sehr bekannten Person], die sie umbrachten. Diese Person war 42 Jahre alt, Sohn zweier Mitglieder der mara 18 aus den USA, die wir in Honduras veteranos nennen. Er war ein veterano der pandilla und sie brachten ihn um, weil er uns, die wir Drogen verkauften, dazu zwang, solidarischer zu sein. Die, die Drogen verkauften, kamen immer nur, um Drogen zu verschenken, aber nie, um Essen oder ein paar Schuhe zu verschenken. Wenn du zu ihnen nach Hause kamst, dann hatten sie dort 15 Paar Schuhe stehen und die anderen hatten noch nicht einmal ein Paar Sandalen. Als ich diese ganze Ungerechtigkeit erkannte, frage ich mich, wie können wir Brüder sein und keiner zeigt es? Wie kann es sein, dass sie sagen, wir seien eine Familie und trotzdem lassen sie einen Kameraden verhungern? Das hat mir dann gereicht und ich sagte „so, das ist jetzt wirklich genug, ich muss einen Weg finden, hier rauszukommen.“ Als ich aus dem Gefängnis kam, begann ich gegen das System zu kämpfen. Ich sage dir, ich habe gegen das System gekämpft, denn zu der Zeit, als ich die pandilla verließ, wurde die ley antimaras [das Anti-Maras-Gesetz im Zuge der Politik der „harten Hand“] angewendet. Wenn sie dich gehen ließen und dich später die Polizei aufgriff, dann wurde dieses Gesetz auf dich angewendet, auch wenn du gar keine Straftat begangen hattest. Das ley antimaras ist ein Paragraph (§330), der das Strafverfahren in Honduras verändert hat. Jeder Jugendliche, der ein Tatoo hatte oder der mit zwei oder drei anderen an einer Ecke stand, konnte festgenommen und eingesperrt werden. Sie wurden wegen unerlaubter Vereinigung bestraft. Also sagte ich mir, ich werde kämpfen, ich werde andere Möglichkeiten für mein Leben finden.
Ich hatte das Glück, Ernesto Bardales von der Organisation Jha Ha zu treffen, der mich unterstützte. Ich begann meine Rehabilitation, indem ich anderen Jugendlichen half. Meine Lehrerin würde dir sagen, dass ich Sozialarbeit machte, das kann wohl sein. Während dieser Arbeit konnte ich mich selbst wieder aufbauen und gleichzeitig anderen Jugendlichen helfen. Ich begann, Sport zu machen, wir leisteten Präventionsarbeit und entfernten Graffitis – auch solche die wir selber einmal angebracht hatten. So schaffte ich es, aus der pandilla zu kommen.
H.G. (Nicaragua):
In Nicaragua gibt es nicht besonders viele Möglichkeiten, seine Probleme im Alltag zu lösen. Du brauchst zum Beispiel jeden Tag etwas zu essen, und das ist echt schwierig. Du musst dir also Hilfe suchen, und wenn du etwas wirklich brauchst, dann suchst du dir jemanden, der dir hilft. In Nicaragua gibt es viele Menschen, die dir helfen wollen, du musst sie nur finden. Ich hatte damals das Bedürfnis, ein Lebensprojekt zu machen. Ich wollte nicht mehr unter den Umständen leben, die viele junge Nicaraguaner noch heute ertragen müssen. Wir wollten etwas verändern und es gab Menschen und Organisationen, die uns dabei helfen wollten. Mithilfe des Instituto de la Juventud (Jugendinstituts) in Nicaragua und anderer Organisationen, die sich mit Gewalt beschäftigen, konnten wir uns als Freiwillige einbringen und an Aktionen zur Gewaltprävention teilnehmen. Es ist einfacher, wenn sich Jugendliche untereinander mit dem Thema Gewalt auseinandersetzen, denn wir zeichnen uns dadurch aus, dass wir sie schon kennen und alles darüber wissen, wie es ist, in maras zu leben.
So konnten wir auch den Jugendlichen, die diese Gefahren noch nicht wahrnahmen, die Möglichkeit bieten, ihnen zu helfen. Zumindest konnten wir ihnen helfen, selbst Entscheidungen zu treffen, denn das ist das Wichtigste und der erste Schritt in die richtige Richtung. Im Grunde muss man sich als erstes eine feste Arbeit suchen, um dann zu sehen, wie man studieren kann.
Was waren Ihre wichtigsten Erfahrungen in der pandilla?
G.C. (Guatemala):
In diesen Gruppen erfuhr ich, wie es ist, Anführer zu sein. Ich fühlte mich sehr wichtig, die Leute grüßten mich, auf der Straße hatte ich einen wichtigen Platz. Es war interessant für mich, dass sie mich als einen Boss sahen, aber mit der Zeit merkte ich, dass es wie mit einer Frau ist – du verliebst dich in eine, sie ist deine Freundin und eines Tages merkst du, dass sie gar nicht mehr so hübsch ist.
J.M. (Honduras):
Vier Jahre lang hatte ich eine Persönlichkeit, ich war ein Anführer in der pandilla, so wie die anderen. Aber in den folgenden vier Jahren, in denen ich im Gefängnis war, machte ich mir Gedanken, wie ich einen höheren Lebensstandard erreichen konnte als meine Kameraden, weil ich zu erkennen begann, dass man in den pandillas nicht einfach nur da sein durfte, sondern auch versuchen musste, nach oben zu kommen. Ich war jedoch ziemlich ruhig geblieben und machte mir wegen dem Aufsteigen keine Sorgen. Eine der wichtigsten Erfahrungen war es, dass ich eine der „Cliquen“ (eine Zelle der pandillas) repräsentieren durfte und sie so organisieren konnte, wie ich es wollte. Ich versuchte, sie dazu zu bringen, einander zu respektieren, nicht zu lügen und ehrlich und treu zu jedem von uns zu sein. Ich war für die Disziplin in der pandilla verantwortlich und diese Aufgabe gefiel mir. Sie gefiel mir wirklich und ich erinnere mich, dass ich, als ich im Gefängnis war, mich weigerte, diese Aufgabe weiter auszuführen. In der Woche, in der ich dann nicht für Disziplin sorgte, herrschte ein großes Chaos im Gefängnis. Einige spülten ab und andere nicht, manche wuschen in ihren Zimmern Wäsche, sie standen auf, wann sie wollten, und machten keinen Sport. Wenn ich der Verantwortliche war, stand ich um fünf Uhr morgens auf und weckte die anderen, damit sie sich duschen. Es war mir egal, dass das Wasser eiskalt war. Alle mussten sich waschen. Und ich machte es ihnen vor. Ich wusch meine Boxershorts und duschte mich. Wir schrieen vor Kälte, weil das Wasser so eiskalt war, es war wohl wie beim Militär. Dann kamen wir aus der Dusche, zogen uns schnell die Boxershorts an, jeder stellte sich in die Tür seiner Zelle, und ich fragte „sind alle fertig?“ „Ja!“ „Runter mit euch, Kniebeugen und Liegestütze“. Das dauerte 45 Minuten bis eine Stunde. Wenn wir mit den Übungen fertig waren, gingen alle in ihre Zellen, wuschen sich und ich sagte ihnen Bescheid, wann Essenszeit war. Das Essen war nicht gut, aber wir versuchten, das Beste daraus zu machen. Im Gefängnis ist das Essen furchtbar, in den Bohnen waren Steinchen und der Reis war wie Brei. Deshalb sprachen wir mit dem Gefängnisdirektor und sagten, dass sie uns den Reis und die Bohnen geben sollten, damit wir sie selbst waschen und zubereiten konnten. Wir taten Brühwürfel in den Reis und Tomaten an die Bohnen, damit sie etwas Geschmack bekamen. Das Essen war dann nicht mehr so furchtbar schlecht, aber trotzdem ist es nicht leicht, vier Jahre lang jeden Tag Reis und Bohnen zu essen. Ich glaube, dass eine meiner wichtigsten Erfahrungen, an die ich mich erinnern kann, diese Entwicklung im Gefängnis war, dass ich verantwortlich war für die Disziplin und auch für die Graffitis an den Wänden, die wir zusammen erneuerten. Ich glaube, das war eine der Aufgaben, die mein Leben am stärksten beeinflusst hat und ich bin stolz darauf, diesen Posten innerhalb der pandilla erreicht zu haben.
H.G. (Nicaragua):
Ich habe viele Erfahrungen gemacht, leider sind die meisten davon negativ. Die wenigen positiven Erfahrungen sehe ich jetzt auch nicht mehr als solche, denn im Grunde waren es auch schlechte Erfahrungen. Ich machte Erfahrungen im Stehlen, im Gefängnis, im Krankenhaus, in gefährlichen Situationen auf der Straße, mit der Angst vor dem Staat und vor meiner eigenen Gruppe und auch vor den anderen maras, die gefährlich werden konnten. Nie konnte man alleine unterwegs sein und auch nicht frei in der Öffentlichkeit sprechen, ohne Angst zu haben, ein anderer aus einer anderen mara könnte dich umbringen. Entweder würde ich ihn umbringen oder er mich. Also musste man immer in Begleitung rausgehen. Das sind wahrhaftig keine schönen Erfahrungen.
Was sehen Sie für Möglichkeiten, um die Probleme der organisierten Gewalt und insbesondere der maras zu lösen?
G.C. (Guatemala):
Besonders in den maras ist die Gewalt ein so großes Problem, dass es schwierig ist, ein Konzept dagegen zu entwerfen. Aber ich glaube, es würde den maras helfen, wenn wir anfangen würden, das soziale Netz zu stärken. Wenn wir es schaffen, dass die Gemeinschaft die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen wirklich befriedigt. So würden wir, denke ich, die Zahl der Jugendlichen reduzieren können, die auf der Suche nach Alternativen für ihr Leben bei diesen Banden landen. Und diese Jungs werden dann das Gleiche erzählen, was ich hier gerade erzähle.
J.M. (Honduras):
Ich glaube, dass wir die Gewalt niemals ausrotten werden, da bin ich mir sehr sicher, denn ich habe mit der Gewalt gelebt. Aber ich glaube auch, dass wir daran arbeiten können, die Gewalt zu reduzieren. Du weißt, in unserem Land und in Mittelamerika ist es leider so, dass die Bevölkerung wächst, es immer weniger Möglichkeiten und Arbeitsplätze gibt und es an Bildung mangelt – all das bringt die Leute dazu zu stehlen, Überfälle zu organisieren und zu töten, nur um in dem System leben zu können. Ich denke, wir müssen uns wie die Organisationen hinsetzen, bei den Ergebnissen der Studien ansetzen und so Alternativen zur Gewalt finden. Ich bin mir sicher, dass wir die Gewalt nicht ganz beseitigen können, es sei denn, wir können unser Leben jeder für sich so organisieren, wie es hier in Deutschland geschieht. Wer hier in Deutschland geboren wird, hat angeblich eine sichere Bildung und genug zu essen, er braucht nichts. Wenn man so ein Leben hat, dann muss man nicht stehlen, aber damit es in Honduras so weit kommen kann, müssen die Korruption und der Kapitalismus, der in unserem Land wächst, beseitigt werden. Ich glaube, dass wir uns zusammentun müssen, um gemeinsam nach Alternativen zu suchen. Wir müssen bereits entwickelte Projekte testen, denn falls diese schon sehr erfolgreich waren, können vielleicht auch wir von ihnen profitieren. Daran glaube ich; daran, dass wir gemeinsam für eine bessere Lage kämpfen und auch die anderen miteinbeziehen können. Manchmal wollen wir alles nur von einem akademischen Blickpunkt aus sehen, wir haben das Thema pandillas studiert und kennen uns mit der Theorie aus. Aber diejenigen, die zu den pandillas gehören, die sich wirklich damit auskennen und die wissen, wie Gewalt entsteht, die fragen wir nicht, ob sie unsere Projekte mitentwickeln wollen. Ich weiß, dass die Menschen häufig wollen, dass die am besten ausgebildeten Leute an Projekten arbeiten. Aber man sollte auch darüber nachdenken, dass die Jugendlichen aus den pandillas bei diesen Prozessen nicht nur zuschauen, sondern ebenfalls mitmachen sollten. Für mich ist das eine Alternative zur Gewalt und für die Suche nach neuen Möglichkeiten. Den Leuten können neue Wege zu Bildung, Ernährung und einer besseren Gesundheit eröffnet werden, also zu einem besseren Leben. Bis wir so ein Land oder auch ein Land wie Deutschland geschaffen haben, müssen wir gegen die Gewalt in unserem Land ankämpfen.
H.G. (Nicaragua):
Eine der besten Alternativen in Nicaragua ist die Gemeinschaftsarbeit. Aber die müsste eigentlich von der Gesellschaft für die Gesellschaft organisiert werden. Und zwar gibt es einige wichtige Personen, die da mitmachen sollten. Dazu gehören die Jugendlichen, die schon Erfahrungen mit den maras gemacht haben und jetzt in der Gewaltprävention arbeiten. Und dazu gehören die Bürgerrechtsorganisationen, die diesen Bereich unterstützen wollen, denn es wird nicht nur Geld benötigt, sondern vor allem Menschen, die mit anderen Menschen und besonders mit Gruppen zusammenarbeiten wollen.
In welchem Bereich arbeiten Sie heute?
G.C. (Guatemala):
Mein Job ist es, den Jugendlichen, die nicht mehr Mitglied einer mara sein möchten, sondern in die Arbeitswelt integriert werden wollen, Möglichkeiten zu eröffnen und ihnen das richtige Handwerkszeug dafür zu vermitteln.
J.M. (Honduras):
Ich arbeite jetzt schon seit acht Jahren im Bereich der sozialen Prävention. Ich habe mir meine Arbeit mit meinen eigenen Erfahrungen aufgebaut und unterstütze andere Jugendliche, indem ich nach Alternativen für sie suche. Das war nicht immer leicht. Ich habe keine besonders großen oder bedeutenden Erfolge erzielt, aber immerhin einige konkrete. Ich habe schon immer gesagt, dass mir empirische [er meint sicherlich „theoretische“] Erfolge nicht gefallen. Ich mag Ergebnisse, die man sehen und anfassen kann. „Schau dir das an, das haben wir geschafft“. Ein Erfolg, der auf Papier gedruckt ist, interessiert mich nicht. Mich interessiert nur das, was man anfassen kann, was man spürt, was real ist, was jemandem wirklich aus seiner schwierigen Lage heraushilft. Man sucht eine Alternative für einen Menschen. Die Leute sagen mir zwar „er verändert sich schon“, aber wenn er dann nach einem Werktag nach Hause geht und sein Sohn vor Hunger umkommt, dann weiß er nicht, woher er etwas zu essen für ihn und seine Frau bekommen soll. Ein Freund hat einmal gesagt: „Es gibt Menschen, die sind tagsüber Schäfer und nachts sind sie Wölfe, weil sie im Leben keine andere Möglichkeit haben.“ Ich denke, diese Arbeit ist sehr wichtig; wir müssen sie sehr gut machen und so, dass man die Ergebnisse sieht, dass man sie anfassen kann – erst dann kann man sagen, dass wir wirklich helfen. Ich weiß, dass sich die Ergebnisse der Sozialarbeit schnell wieder verflüchtigen. Niemand möchte die Gewaltprävention mehr unterstützen, da sie sehr teuer ist und die Ergebnisse nicht lange anhalten. Du kannst drei oder vier Monate lang in einer Gemeinschaft gegen die Gewalt arbeiten und die Menschen dort unterstützen. Aber wenn du dann wieder gehst, steigt die Gewalt innerhalb von fünf Monaten aufgrund verschiedener Faktoren auf das Doppelte. Wenn du diese Faktoren nicht behandeltst, wird es an diesen Orten immer Gewalt geben.
H.G. (Nicaragua):
Ich habe das Glück gehabt, viele wichtige Menschen in Nicaragua kennen zu lernen und diese Leute haben mir viele Möglichkeiten eröffnet. Während meiner Rehabilitation haben mich viele Menschen unterstützt. Als erstes habe ich einen zweijährigen Kurs über das Führen von Gemeinschaften gemacht, weil ich mich für die Gemeinschaft interessiere, denn sie ist die Basis dieser ganzen Thematik. Dieser Kurs hat mich sehr interessiert. Dann fing ich an, Sozialarbeit an einer Universität in Nicaragua zu studieren. In dem Studium ging es um soziale und humane Förderung, es ist ein eher neuerer Studiengang. Meine Gemeinschaftserfahrungen haben mir im Studium geholfen. Im dritten Studienjahr habe ich angefangen, bei CEPRESI (Zentrum für AIDS-Aufklärung und Prävention), einer NGO in Nicaragua, zu arbeiten. Drei Jahre arbeitete ich dort als Lehrer, in spielerischen Aktivitäten versuchten wir, unterschiedliche Gruppen über AIDS aufzuklären. Danach lernte ich viele andere Menschen kennen und kam dadurch zur PASMO. PASMO ist die Panamerikanische Organisation des sozialen Marktes. Auch da haben wir mit spielerischen Methoden gearbeitet und so Aufklärungsarbeit über HIV geleistet. Ich wurde in dieses Projekt aufgenommen und jetzt arbeite ich als Berater bei PASMO.
Möchten Sie noch etwas Persönliches hinzufügen?
G.C. (Guatemala):
Ich möchte den Jugendlichen, die in ihrer Ausbildung und in ihrer Freizeit nach Antworten auf ihre Bedürfnisse suchen, sagen, dass schlechte Dinge früher oder später das Schlechte anziehen werden.
J.M. (Honduras):
Ich möchte nur noch eine Sache ergänzen. Und zwar möchte ich den jungen Menschen in Deutschland sagen, dass sie die Möglichkeiten, die sie haben, nutzen sollten und dass sie aber auch an andere Menschen denken sollten. Es soll ihnen nicht egal sein, dass Menschen in anderen Ländern verhungern, während sie in diesem Land Bildung, genügend Nahrung und ein sicheres Leben haben. Sie müssen beginnen, die Brüder und Freunde der anderen zu werden und ihre Erfahrungen mit ihnen teilen und sie müssen die Chance nutzen, in einem Land geboren zu sein, in dem sich die Probleme des Lebens lösen lassen – denn wir haben dieses Glück nicht.
H.G. (Nicaragua):
Ja, ich möchte noch etwas hinzufügen, was eher wie eine kleine Botschaft ist. Ich glaube, dass die Jugendlichen aus Mittelamerika nur wenig Möglichkeiten haben, etwas für sich zu verändern. Solche Möglichkeiten, wie die Jugendlichen in Deutschland sie haben, fehlen ihnen. Das größte Problem ist, glaube ich, dass diese Möglichkeiten nicht zu einem kommen. Man muss sich die Möglichkeiten selbst suchen oder sie erschaffen. Wenn man sie sucht und nicht findet, dann muss man eben selbst welche schaffen. Ich denke, dass dies eine sehr wichtige Botschaft ist, denn wir haben sehr oft nur wenige Möglichkeiten und letztendlich wissen wir alle, dass wir selbst neue Möglichkeiten schaffen müssen. Oft denken wir, dass wir in einem armen Land leben, aber wenn alle dazu beitragen – wir wissen schließlich alle, was uns fehlt – dann denke ich, dass sich da etwas ändern würde. Und dann würden die Menschen, die wirklich helfen wollen, auch erkennen, welches die Probleme sind. Und dass diese Probleme nicht nur auf dem Papier gelöst werden müssen, sondern dass konkrete Aktionen nötig sind, um mit der Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, die in Mittelamerika so gefährdet ist.
Übersetzung: Charlotte Navitzkas
Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion, lux; [2], [3], [4]: Ina Radtke
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Das Interview wurde am 27.03.2009 in Leipzig geführt. Auf Bitte der Interviewten veröffentlichen wir nur ihre Namensinitialen und ausschließlich die deutsche Übersetzung.
liebe romina, lieber sven,
ich habe heute auf der suche nach informationen ueber die verschiedenen maras dieses interview gefunden. es hat mich wirklich beeindruckt und verstaerkt mich nur in meiner hoffnung mein buch so schnell wie moeglich fertig zu stellen. ich kann niemandem eine garantie geben das es jemals veroeffentlicht wird oder auch nur einen kleinen erfolg hat jedoch denke ich das es das wichtigste ist die erfahrungen mit den menschen zu teilen, die weniger davon haben. wie mr. honduras schon gesagt hat. es ist wichtig die unwissenden oder unterinformierten menschen aufzuklaeren. ich weiss in deutschland sie diese gangs nicht so sehr bekannt, ich jedoch lebe in kanada und habe freunde die aus el salvador und honduras fluechten mussten, weil es um das leben ging. einer meiner besten freunde hat seinen bruder verloren in einem dieser taeglichen strassenkaempfe. ich finde das schrecklich und mit jedem tag an dem ich daran denke das menschen wie ich es bin taeglich auf offener strasse hingerichtet werden, weil sie einfach im weg waren. all das ist unglaublich bedrueckend fuer mich das ich es los werden muss und mit anderen teilen moechte. ich wuerde mich ueber unterstuetzung freuen z.b. durch tipps, informationen und geschichten die ich mit einbringen kann. ich weiss nicht ob sie mir antworten werden oder ob diese mail ueberhaupt ankommt, jedoch verliere ich den glauben nicht an die mitfuehlenden mitmenschen auf dieser welt. ich bedanke mich im voraus fuer eine antwort von ihnen. meine e-mail adresse ist folgende: knuddelteddy_90@yahoo.de
vielen dank,
jacy
Hallo,
mein Name ist Alexandra Kosakowski.
Ich schreibe meine Seminarfacharbeit über die Mara Salvatrucha und dabei hat mir diese Artikel sehr weitergeholfen!
Durch meine Arbeit möchte ich vor allem die Menschen aufklären, ihnen zeigen, dass es solche Jugendbanden überhaupt gibt und was für Auswirkungen diese haben können.
Falls sich jemand, der sich schon intensiv mit den Mara Salvatrucha beschäftigt hat oder auch Interesse daran hat, bei mir melden würde und sein Wissen und seine Erfahrungen mit mir zu teilen, wäre das großartig.
Im Voraus schon vielen Dank!
(meine E-mail: A.Kosakowski@web.de)