Das Jahr 2014 stellt ohne Zweifel eine globale geopolitische Zäsur dar. Die dramatischen Ereignisse in der und um die Ukraine haben schlaglichtartig klar gemacht, dass die „neuen Gestaltungsmächte“, repräsentiert vor allem durch die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), nicht länger gewillt sind, sich dem unipolaren Dominanzanspruch der USA zu unterwerfen. Auch die Beziehungen Washingtons gegenüber Lateinamerika sind von den weltpolitischen Auseinandersetzungen betroffen. Im Vorfeld des VII. Amerika-Gipfels, der am 10. und 11. April in Panama stattfand, sendete die Obama-Administration höchst widersprüchliche Signale Richtung Süden: Einerseits leitete sie im Dezember 2014 eine Öffnung gegenüber Kuba ein, andererseits verschärfte sie ihren Kurs gegenüber Venezuela. Dass sich Obama in Panama gesondert mit den Staatschefs der Mitglieder des Zentralamerikanischen Integrationssystems (SICA) traf, zeugt von der wieder wachsenden Bedeutung der Region. Nachdem der Isthmus in den letzten 25 Jahren ganz im Schatten der nordamerikanischen Blockbildung (NAFTA) gestanden hatte, rückt er nun erneut in den Fokus Washingtons.
Bereits zum Abschluss der Zentralamerikanischen Sicherheitskonferenz am 26. März 2015 in Tegucigalpa (Honduras) hatte General John Kelly, Chef des US-Southcom, versichert, dass Zentralamerika zu den vier Prioritäten von Präsident Barack Obama gehöre. Auch die Tatsache, dass neben den USA und den zentralamerikanischen Staaten (Belize, Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama) noch Großbritannien, Kanada, Mexiko, die Dominikanische Republik, Kolumbien und Chile an dem Märztreffen teilgenommen hatten, spricht für die wachsende sicherheitspolitische Bedeutung des Isthmus.
Dem neuen Stellenwert der Region wird von anderer Seite ebenfalls Rechnung getragen: Zeitgleich traf sich der russische Außenminister Sergej Lawrow während seiner Lateinamerikatour mit dem nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega in Managua und nahm am diesjährigen SICA-Treffen, dem zentralamerikanischen Integrationsgipfel, in Guatemala teil. Der Bau eines zweiten transisthmischen Kanals in Nicaragua, hinter dem chinesisches Kapital steht, trägt ebenfalls zum gestiegenen Interesse an der Region bei. Zugleich nehmen die Probleme der zentralamerikanischen Länder dramatisch zu. Beides – wachsende Bedeutung und wachsende Probleme – spiegelt sich in geradezu paradigmatischer Weise in der neuesten Regionalinitiative, dem Plan de la Alianza para la Prosperidad para el Triángulo Norte (PAP), wider, der auch beim Gipfeltreffen Obamas mit den zentralamerikanischen Staats- und Regierungschefs eine wichtige Rolle spielte.
Vom Drogenkrieg zur Migrationskrise: Zentralamerika erneut im Fokus der USA
Der Plan, der den drei Ländern des zentralamerikanischen Triángulo Norte (dt.: Norddreiecks) eine „Allianz für den Wohlstand“ verspricht, ist eine gemeinsame Initiative der Präsidenten von Honduras, Guatemala und El Salvador einerseits sowie der USA und der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank andererseits. Anlass dafür war die Migrationskrise vom Sommer 2014. Vor einem Jahr schnellte die Zahl der Kinder, die ohne Begleitung Erwachsener von den US-Behörden an der Grenze zu Mexiko aufgegriffen wurden, plötzlich in die Höhe (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Zahl der migrierten Kinder ohne Begleitung je US-Finanzjahr
Land | 2009 | 2010 | 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2015* |
El Salvador | 1221 | 1910 | 1394 | 3314 | 5990 | 16404 | 2209 |
Guatemala | 1115 | 1517 | 1565 | 3835 | 8068 | 17057 | 4381 |
Honduras | 968 | 1017 | 974 | 2997 | 6747 | 18244 | 1181 |
Norddreieckgesamt | 3304 | 4444 | 3933 | 10146 | 20805 | 51705 | 7771 |
* vom 1. Oktober 2014 bis 28. Februar 2015
Quelle: Customs and Border Protection, U.S. Department of Homeland Security
Überraschend war nicht nur die hohe Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in die USA gelangen wollen, sondern auch deren Herkunft. Etwa 80 Prozent der minderjährigen Migranten kamen 2014 aus El Salvador, Guatemala und Honduras, den Ländern des zentralamerikanischen Norddreiecks. Noch kurz zuvor stammten die meisten Kinder und Jugendlichen aus Mexiko. Die unerwartete Kindermigration war ein unübersehbares Anzeichen dafür, wie sehr sich die Situation in den drei Herkunftsländern verschärft hatte. Entsprechende Berichte machen vor allem zwei Problemfelder für die Migrationskrise verantwortlich: die ausufernde Gewalt und die schlechten Lebensbedingungen, unter denen die Bevölkerung zu leiden hat (siehe Tabelle 2)
Tabelle 2: Ausgewählte Krisenindikatoren Zentralamerikas
Land | Homizidrate (2012) |
Anteil der Armen an der Bevölkerung in % |
Zahl der Emigranten; in Klammern Anteil an der Gesamtbevölk |
Emigrations- absicht (in %) |
Guatemala | 39,9 | 54,8 (2006) | 830818 (5,8%) | 17,6 |
El Salvador | 41,2 | 46,6 (2010) | 1220987 (19,7%) | 28,4 |
Honduras | 90,4 | 67,4 (2010) | 545683 (7,2%) | 31,8 |
Nicaragua | 11,3 | 58,3 (2009) | 662160 (11,4%) | 23 |
Costa Rica | 8,5 | 18,5 (2010) | 103243 (2,3%) | 10,1 |
Panama | 17,2 | 25,8 (2010) | k.A. | 13,1 |
Quellen: United Nation Office on Drugs and Crime (UNODC): Global Study on Homicide 2013, Wien, S. 126 (Spalte 1 – Homizide je 100.000 Einwohner); CEPAL: Panorama Social de América Latina 2012, S. 14 (Spalte 2); Azpuru/ Hernández 2015:78, 82 (Spalte 3 und 4).
Mit mehr als 90 Tötungsdelikten (Homizide) je 100.000 Einwohner war Honduras 2012 das gewalttätigste Land der Welt. El Salvador und Guatemala folgen auf den Plätzen 4 und 5. Im weltweiten Ranking liegen Venezuela auf Platz 2 (53,7) und Belize, das an Guatemala und Mexiko grenzt, auf Platz 3 (44,7). Gemeinhin wird die organisierte Kriminalität in Gestalt der Drogenkartelle und der Jugendbanden (maras) für die hohe Gewalt verantwortlich gemacht. Die meisten Experten gehen davon aus, dass der seit 2006 in Mexiko tobende Drogenkrieg, dem dort mehr als 100.000 Menschen zum Opfer fielen, inzwischen auf Zentralamerika übergegriffen hat. Daneben verweisen die wachsende häusliche Gewalt und die „normale“ Alltagskriminalität auf den anomischen Zustand großer Teile der Gesellschaft.
Die tatsächliche und beabsichtigte Auswanderung aus den Ländern des Norddreiecks ist außerdem deshalb so hoch, weil die ökonomische und soziale Lage der Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor schlecht ist. Nicaragua, das bei der Armut und der Emigration ähnlich negative Werte wie seine drei nördlichen Nachbarn aufweist, unterscheidet sich dennoch in zwei Punkten von diesen: Erstens ist die nicaraguanische Gewaltrate deutlich niedriger, und zweitens entscheiden sich die meisten Nicaraguaner bei der Auswanderung nicht für die USA, sondern für ihren südlichen Nachbarn Costa Rica. Aus der Sicht der USA liegt damit die eigentliche Problemzone im zentralamerikanischen Norddreieck.
„Allianz für den Wohlstand“ – Alter Wein in neuen Schläuchen?
Nachdem OAS, UNO und US-Präsident Obama höchstpersönlich im Juli 2014 tiefgreifende Maßnahmen zur Behebung der Ursachen der Migrationskrise gefordert hatten, legten die drei Herkunftsländer im September erste Richtlinien für einen Plan vor, mit dem eine „Allianz für den Wohlstand“ geschaffen werden soll. Ende Februar 2015 trafen sich die Präsidenten Juan Orlando Hernández (Honduras), Otto Pérez Molina (Guatemala) und Salvador Sánchez Cerén (El Salvador) mit Vertretern des Consejo Empresarial de América Latina (CEAL; dt.: Rat der Unternehmer Lateinamerikas), um über die weiteren Schritte zu beraten. Anfang März bekundete schließlich Joe Biden, Vizepräsident der USA, der sich bereits im Januar in einem Artikel für den neuen Plan stark gemacht hatte, öffentlich die Unterstützung durch die Obama-Administration.
Im Plan de la Alianza para la Prosperidad para el Triángulo Norte (PAP) werden vier strategische Handlungsstränge benannt, die in ihrer Umsetzung den drei Ländern des Norddreiecks Wohlstand und Sicherheit bringen sollen. Der erste Strang zielt auf die Schaffung eines dynamischen produktiven Sektors. Im Mittelpunkt stehen die Verringerung der Energiekosten, der Ausbau der Infrastruktur und ein effizientes Grenzregime. Zweitens soll das notwendige „Humankapital“ akkumuliert und besser genutzt werden. Drittens verweist der Plan auf die Stärkung des Justizwesens und der Verbrechensbekämpfung, um die Sicherheit der Bürger zu erhöhen. Viertens geht es um die generelle Verbesserung der staatlichen Institutionen, wobei der Kampf gegen Korruption und die Umsetzung der längst fälligen Steuerreform Priorität haben sollen.
All diese Forderungen und Bekundungen sind nicht neu. Ähnliches wurde schon vorher mit anderen Regionalinitiativen versucht: Mit dem Plan Puebla-Panama des mexikanischen Präsidenten Vicente Fox (2001), der 2006 im Proyecto Mesoamérica seine Fortsetzung fand sowie mit der 2007 von den USA und Mexiko gestarteten Mérida-Initiative, deren zentralamerikanische Entsprechung unter dem Label CARSI (Zentralamerikanische Regionale Sicherheitsinitiative) seit 2008 praktiziert wird. Da bislang keines dieser Programme, die alle auf Militarisierung und Megaprojekte fokussiert sind, die Situation verbessern konnte, ist auch beim PAP Skepsis angezeigt.
Knackpunkte sind vor allem die Finanzierung der in Aussicht gestellten Vorhaben und das Fehlen des Rechtsstaats in den drei Ländern. Während die Initiatoren des PAP den Bedarf bei 5-15 Mrd. US-Dollar ansetzen, nennt die Obama-Administration für das kommende Finanzjahr (2016) lediglich eine Summe von einer Milliarde. Das Tauziehen um die Fortsetzung der Arbeit der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG), das sich Biden und Pérez Molina liefern, zeigt zudem erneut, dass die herrschenden Eliten des Norddreiecks nicht bereit sind, sich rechtsstaatlichen Regeln zu unterwerfen. Darüber hinaus genügt ein Blick nach Mexiko, wo analoge Vorhaben wie die Merida-Initiative oder die Allianz für Wohlstand und Sicherheit in Nordamerika (ASPAN) seit längerem laufen, um äußerst skeptisch zu sein. Statt die Sicherheitslage zu verbessern, mündeten die genannten Initiativen in einen Drogenkrieg, unter dem nicht nur die mexikanische Bevölkerung, sondern inzwischen auch die im nördlichen Zentralamerika leidet.
Washingtons vierfaches Dilemma
Die durch Gewalt, Instabilität und soziale Ungleichheit geprägte Situation in Zentralamerika ist Ausdruck eines Dilemmas, das durch die Politik Washington verschärft statt gelöst wird.
Derzeit sehen sich die USA in der Region in einer Sackgasse. Einerseits nimmt die geopolitische Bedeutung Zentralamerikas wieder zu, während sich andererseits die Probleme der Region weiter verschärfen. Das zentralamerikanische Dilemma Washingtons lässt sich an vier miteinander verknüpften Aspekten festmachen:
Erstens das wirtschaftliche Dilemma: Das neue Wirtschaftsmodell, das sich nach dem Ende der bewaffneten Konflikte in den 1990er Jahren etabliert hat, bildet eine der Hauptursachen für die anhaltende Unsicherheit und Instabilität. Die meisten Menschen müssen ihr ökonomisches Überleben durch prekäre, teilweise kriminelle Aktivitäten sichern. Zur Auswahl stehen Maquila, informeller Sektor, Drogenökonomie. Ohne die finanziellen Überweisungen von Angehörigen aus den USA, Kanada und anderen Ländern (remesas) würden es vielen Familien noch schlechter gehen. Auf dem Land sind Vertreibungen an der Tagesordnung, um den Export von Metallen und Biotreibstoffen zu forcieren sowie Megaprojekte aus dem Boden zu stampfen. Während es für die Mehrheit der Bevölkerung immer schwieriger wird, ökonomisch zu überleben, profitiert eine kleine oligarchische Elite, die mit der Globalisierung transnationale Züge anzunehmen beginnt, und große Multis, die die Ressourcenplünderung zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben, von diesem System. Zwar soll der PAP dazu dienen, die Wirtschaft anzukurbeln, um mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Allerdings wird dafür der Ausbau genau jenes Modells empfohlen, das für die zunehmende Emigration verantwortlich ist und das ohne die Rücküberweisungen der Migranten gar nicht funktionieren würde.
Zweitens das Sicherheitsdilemma: Dieses Klima wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit sorgt zusammen mit den klassischen Defiziten der zentralamerikanischen Politik wie Korruption, Straffreiheit und Exklusion für ein ideales Klima zur Implementierung und Expansion der Drogenökonomie. Hinzu kommt die geopolitische Lage Zentralamerikas. Über den Isthmus führt der einzige Landweg, der die südamerikanischen Drogenproduzenten mit den nordamerikanischen Drogenkonsumenten verbindet. Nach der Zerschlagung der kolumbianischen Drogenkartelle und dem damit verbundenen Aufstieg ihrer mexikanischen Konkurrenten hat der „zentralamerikanische Korridor“ noch an Bedeutung gewonnen. Inzwischen sollen 90 Prozent der Kokaintransporte in die USA über ihn laufen.
Der von Washington initiierte Drogenkrieg gegen die mexikanischen Kartelle hat die Gewalt im nördlichen Dreieck Zentralamerikas, das in unmittelbarer Nachbarschaft zu Mexiko liegt und eine Drehscheibe für die verschiedenen Transitrouten des Drogenhandels darstellt, in den letzten Jahren deutlich erhöht. Besonders hohe Gewaltraten verzeichnen jene Gebiete, die als Umschlagspunkte und Transportwege der Drogenkartelle dienen. Die Militarisierung der Antidrogenpolitik durch die USA hat sich bisher als kontraproduktiv erwiesen.
Neben der „Narco-Gewalt“, die nach 9/11 von den USA vorrangig aus der Perspektive der Terrorismus- bzw. Aufstandsbekämpfung wahrgenommen wird, stellen die sozialen Bewegungen und die Migration zwei weitere Facetten des Sicherheitsdilemmas Washingtons dar. Wie eng alle vier Aspekte (Expansion der Drogenökonomie, Gewaltexzesse, Migrationskrise sowie Aufschwung der sozialen Bewegungen und ihre Bekämpfung) miteinander verbunden sind, zeigt Honduras in exemplarischer Weise. Das zentralamerikanische Land ist inzwischen nicht nur „Weltmeister der Gewalt“, sondern gilt vielen Beobachtern bereits als „Narco-Staat“. Diese Entwicklung korrespondiert damit, dass innerhalb der jüngsten Migrationswelle (2014) Honduraner den höchsten Anteil stellen. Für den letzten Aspekt – die Bekämpfung des Widerstandes der sozialen Bewegungen – stehen der Staatsstreich gegen Mel Zelaya von 28. Juni 2009 und seine Folgen in ebenfalls beispielhafter Weise (siehe Quetzal-Dossier „TeguciGolpe – Putsch im Hinterhof“).
Drittens das Dilemma der Grenze: Noch 2008 galt die Südgrenze Mexikos, hinter der das zentralamerikanische Norddreieck sowie Belize liegen, als „vergessene Grenze“ (vgl. Johnson, Jennifer: The Forgotten Border. Latin American Working Group, Washington D.C.). Inzwischen hat Washington diese Grenze zu seiner eigenen, dritten Grenze (neben Kanada und Mexiko) deklariert. So erklärte Alan Bersin, als Chefdiplomat des Homeland Security Departments für Internationale Angelegenheiten verantwortlich, bereits 2012: “The Guatemalan border with Chiapas is now our southern border.” Flankierend will Mexiko mit einem eigenen Programm, Programa Frontera Sur, das im Juli 2014 verkündet worden war, die Kontrolle an der als „porös“ eingeschätzten Grenze verstärken.
Zugleich soll der Isthmus der Wirtschaft und dem Handel als das dienen, wofür ihn bereits die Drogenkartelle benutzen: als Korridor zwischen Nord- und Südamerika. Darüber hinaus verbindet er die beiden wichtigsten Verbündeten der USA in Lateinamerika – Mexiko und Kolumbien – miteinander. Im PAP 2015 sind beide Zielvorgaben enthalten: sowohl Investitionen zur Verbesserung der Korridorfunktion als auch der Aufbau eines sicheren und effektiven Grenzregimes. Wie sich aber bereits an der Grenze zwischen USA und Mexiko im Norden seit mehr als 20 Jahren zeigt, lassen sich handelspolitisch erwünschte Freizügigkeit für Waren, Dienstleistungen und Kapital einerseits und die sicherheitspolitisch gewollte Kontrolle von illegalen „Grenzgütern“ (Drogen, Waffen, Menschen) nicht unter einen Hut bringen. Hin- und hergerissen zwischen beiden Imperativen reagiert Washington auf sein Grenzdilemma höchst widersprüchlich und letztendlich konfliktverschärfend. Gerade hier tritt das Dilemma zwischen der wachsenden Bedeutung Zentralamerikas und den wachsenden Problemen (in) der Region besonders deutlich zutage.
Viertens das geopolitische Dilemma: Alle drei zuvor beschriebenen Dilemmata kulminieren im geopolitischen Dilemma, dem sich Washington in Zentralamerika gegenübersieht. Dies beginnt bereits mit dem Norddreieck selbst, dem oft das Süddreieck aus Costa Rica, Panama und Nicaragua gegenübergestellt wird. Letzteres bildet in puncto Sicherheit und Wohlstand (hier mit Abstrichen im Falle Nicaraguas) gewissermaßen den isthmischen Gegenpol zur Problemzone im Norden. Auch die (geo)politische Anlehnung Zentralamerikas an die USA bröckelt seit der erneuten Wahl von Daniel Ortega zum nicaraguanischen Präsidenten 2006. Der zentralamerikanische Linkstrend setzte sich 2009 einerseits mit dem Wahlsieg von Mauricio Funes fort, erfuhr andererseits mit dem Putsch gegen den honduranischen Präsidenten Manuel (Mel) Zelaya im selben Jahr einen herben Rückschlag. Allerdings war der politische Preis dieser „Kurskorrektur“ für Washington hoch: Aus den Protesten gegen den Putsch entwickelte sich eine breite Widerstandsfront und sowohl Nicaragua (2011) als auch El Salvador (2014) blieben auf Linkskurs. Bei den Wahlen 2014 erwies sich sogar das zentralamerikanische „Musterländle“ Costa Rica anfällig für linke „Überraschungen“.
Besonders problematisch ist aus der Perspektive Washingtons, dass außerregionale Mächte wie Russland und China versuchen, ihren Einfluss auf dem Isthmus zu erweitern. Nicht minder misstrauisch reagieren die USA auf die antihegemoniale Politik Venezuelas in Zentralamerika. Im Gegenzug versuchen sie nun offensichtlich, das Norddreieck zum zentralen Pfeiler ihrer Präsenz in der Region auszubauen. Guatemala, Honduras und El Salvador sollen die Südgrenze von „NAFTA-Land“ zusätzlich geopolitisch absichern und zugleich als Sprungbrett für die weitere ökonomische Erschließung des zentralamerikanischen Isthmus dienen. Dass aber gerade das dafür prädestinierte Norddreieck zugleich zum größten Sicherheitsproblem geworden ist, zeugt von der Tiefe des zentralamerikanischen Dilemmas Washingtons.
Ausblick
Ein Schwenk auf den Nahen und Mittleren Osten oder die Ukraine zeigt, zu welch brandgefährlichen Eskalationen das Eingreifen Washingtons in Regionen führt, die nicht zuletzt wegen der US-Politik auf der Kippe stehen. Was im Großen gilt, gilt auch im Kleinen: Der zentralamerikanische Hinterhof der USA steht wieder einmal in Flammen, und Washington gleicht nun einem Feuerwehrmann, der versucht, den Brand mit Öl zu löschen, während an der Seite schon andere auf ihre Chance warten. Solange die USA in Zentralamerika auf Militarisierung und Ressourcenplünderung setzen, kommt die Region aus dem Teufelskreis von Gewalt, Armut und Instabilität nicht heraus. Dafür steht die Entwicklung in Honduras seit dem Putsch von 2009 als Menetekel. Zugleich verweisen die Kraft und Kreativität des honduranischen Widerstandes darauf, dass ein anderer Weg möglich ist. Mit ihrer Unterstützung für die alten Eliten haben die USA einerseits erneut eine reaktionäre Position bezogen und sich damit aber andererseits noch tiefer im selbst verursachten Dilemma verstrickt – ein Dilemma, für das vor allem die Völker Zentralamerikas zu zahlen haben.
Literatur:
Azpuru, Dinorah/ Hernández, Violeta: Migration in Zentralamerika. Umfang, Gründe und Lösungsansätze. KAS-Auslandsinformationen 2-3/ 2015, S. 75-99
Farah, Douglas/ Reyes; Liana Eustacia: Russia in Latin America: The Strategic Challenge. University of Miami, Center for Hemispheric Policy, 15. Januar 2015
Isacson, Adam et al.: La otra frontera de México. Seguridad, migración y la crisis humanitaria en la línea con Centroamérica. WOLA, Washington D.C., August 2014
Lineamiento del Plan de la Alianza para la Prosperidad del Triángulo Norte. September 2014
Noriega, Roger: Testimony „Securing the Border: Understanding and Adressing the Root Causes of Central American Migration to the United States“. Committee on Homeland Security and Governmental Affairs, United States Senate, 25. März 2015
Solano, Luis: Alianza para la Prosperidad: Un proyecto de la élite empresarial. Guatemala, 2. März 2015
Wilson, Christopher/ Valenzuela, Pedro: Mexico’s Southern Border Strategy: Programa Frontera Sur. Wilson Center, Mexico Institute, Washigton D.C., 11. Juli 2014
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Bildquellen: [1], [2], [3] Quetzal-Redaktion, tp