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Die Rückkehr der »Weißen Garden«

Andreas Henrichs | | Artikel drucken
Lesedauer: 3 Minuten

In Guatemala-Stadt werden Mitglieder von Jugendbanden durch bezahlte Auftragsmörder hingerichtet

In Guatemala-Stadt sterben nach Angaben der Policía Nacional Civil (PNC) jede Nacht zwischen zehn und 15 Personen eines gewaltsamen Todes. Die Opfer sind in der Mehrzahl jung, männlich und tragen auffällige Tätowierungen. Viele Leichname sind verstümmelt und weisen Folterspuren auf. Bei den getöteten jungen Männern handelt es sich um Mitglieder der gefürchteten Jugendbanden Mara Salvatrucha und Mara 18. Deren Zahl wird alleine in der Hauptstadt auf 65.000 geschätzt. Seit dem Einstieg der Maras in den lukrativen Drogenhandel führen sie den Kampf um Marktanteile mit immer brutaleren Mitteln. Schauplatz dieser Konflikte sind neben den Straßen der Hauptstadt auch die überfüllten Haftanstalten des Landes.

Ihren Ursprung haben die Maras in der kalifornischen Stadt Los Angeles, die während des Bürgerkriegs in El Salvador (1979 – 1992) Zehntausende Flüchtlinge aufnahm, darunter viele Minderjährige. Um sich vor den Übergriffen der von mexikanischen Immigranten beherrschten Mara 18 zu schützen, gründeten die salvadorianischen Jugendlichen ihre eigene Bande – die Mara Salvatrucha. Im Laufe der Jahre öffneten sich die Maras auch für Angehörige anderer ethnischer Gruppen. Bedingt durch die Strafverfolgung der US-amerikanischen Behörden und der anschließenden Deportation der Delinquenten in ihre Herkunftsländer, verbreitete sich auf diese Weise das Phänomen der Maras in den Staaten Mittelamerikas.

In Guatemala entdeckten sehr bald die lokalen Drogenkartelle das Potential der Jugendbanden und machten sich ihre starke Präsenz auf den Straßen und in den Schulen zunutze. Heute beherrschen die Maras nicht nur den Kleinhandel mit Drogen aller Art, sie betreiben auch die gewerbsmäßige Erpressung von Privat- und Geschäftsleuten. Die guatemaltekische Regierung steht dem Problem der wachsenden Gewalt zunehmend hilfloser gegenüber. Die Politik der »harten Hand«, mit der sich Präsident Óscar Berger noch zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2003 profilierte, ist offensichtlich gescheitert.

Während Berger unbeirrt einen weiteren Ausbau des Polizeiapparates fordert, haben Unternehmer und Händler aus dem Zentrum der Hauptstadt das Recht in die eigenen Hände genommen. Wie zu Zeiten der Militärdiktatur, als sogenannte Weiße Garden Jagd auf vermeintliche Guerilleros machten, werden Mitglieder der Jugendbanden von bezahlten Auftragsmördern hingerichtet. Von den Behörden werden diese Verbrechen stillschweigend geduldet und nicht weiter verfolgt. Polizeiintern werden sie gar als »sozialer Dienst an der Gesellschaft« bezeichnet.

In den Medien Guatemalas sind die Maras seit Jahren ein Dauerthema. Die sozialen Ursachen der Gewalt spielen in der öffentlichen Diskussion hingegen kaum eine Rolle. Das mittelamerikanische Land ist immer noch eines der ärmsten der Region. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. »Angesichts der unerträglichen Lebensbedingungen in den zerrütteten Familien erscheint vielen Kindern und Jugendlichen die Mara als ihre einzige Perspektive«, erklärt Leonel Dubón Bendfeldt, Direktor der nichtstaatlichen Kinderhilfsorganisation Casa Alianza Guatemala. »Haben die Neuankömmlinge jedoch erst einmal die brutalen Aufnahmerituale überstanden, gibt es kaum noch eine Möglichkeit, die Banden lebend wieder zu verlassen.«

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Original-Beitrag aus: Junge Welt vom 12.04.2006. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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