Regionalisierung versus Internationalisierung?
Im zweiten Schritt ist nun zu klären, wie die Entwicklung im zentralamerikanischen Bankensektor selbst verlaufen ist. In Nicaragua und El Salvador stand ab 1990 die (Re)Privatisierung der nationalisierten Banken auf der Tagesordnung. Überall in Zentralamerika nutzte der einheimische Privatsektor die ökonomische Liberalisierung der 1990er Jahre zur Expansion, d.h. zur Neugründung finanzieller Institutionen und Unternehmen aller Art – von Banken über Versicherungen und verschiedene Fonds bis zu Gremien für Expertise und Management. Entsprechende Gesetze und Reformen wurden in allen Ländern der Region verabschiedet. Den Anfang machte Costa Rica 1988 mit einem Gesetz zur Modernisierung des Finanzsektors, 1995 folgten eine Reform der Zentralbank und eine gesetzliche Regelung zur Privatisierung von Pensionsfonds. Guatemala reihte sich mit seinem Gesetz über den freien Handel mit Devisen (2000) erst relativ spät in die allgemeine Reformwelle zur finanziellen Modernisierung ein. Honduras liegt mit vergleichbaren Gesetzesinitiativen, die ab 1995 das Parlament passierten, zwischen Frühstartern (Costa Rica, El Salvador) und Nachzüglern (Guatemala).
Den Startschuss zur Regionalisierung der Banken, d.h. zur Ausweitung der Geschäfte auf andere Länder des Isthmus, gaben die führenden salvadorianischen Banken 1996. Diese Strategie kann als eine Art „Flucht nach vorn“ interpretiert werden, die das Ziel hatte, dem Konkurrenzdruck des internationalen Kapitals zu begegnen, indem man auf vertrautem (regionalem) Terrain expandierte. Ein Beispiel dafür ist das Vorgehen der Gruppe um die Banco de Cuscatlán, die es bis 2005 schaffte, in fünf der sechs Länder des Isthmus (einschließlich Panama) zu operieren. Mit 3,1 Milliarden US-Dollar Aktiva stieg sie damit zur führenden Regionalgruppe des zentralamerikanischen Bankensektors auf. Neben der ebenfalls salvadorianischen Banco Agricola Comercial hatten sich zum damaligen Zeitpunkt (2005) auch Banken aus Panama (Grupo del Istmo), Nicaragua (BAC Internacional, Grupo Financiero Uno, Red Promerica, Lafise) und Costa Rica (BICSA, BCT) sowie internationale Finanzinstitute (Citigroup/ USA, Scotiabank/ Kanada) regionalisiert (Rivera/ Rodriguez 2007: 17, 36).
Diese Regionaliserung ging mit einem Fusions- und Konzentrationsprozeß im Bankensektor einher (siehe Tabelle 4).
Tabelle 4: Konzentrationsprozesse im zentralamerikanischen Bankensektor 1998-2014
Zahl Banken (1998) |
Konzentra-tionsgrad (1998)* |
Zahl Banken (2005) |
Konzentra-tionsgrad (2005)* |
Zahl Banken (2014) |
Konzentra-tionsgrad (2014)* |
|
Costa Rica |
23 |
77,57% |
19 |
76,83% |
16 |
79,00% |
El Salvador |
17 |
69,71% |
11 |
91,00% |
20 |
78,00% |
Guatemala |
34 |
38,84% |
25 |
62,15% |
18 |
82,00% |
Honduras |
23 |
51,97% |
16 |
66,08% |
17 |
72,20% |
Nicaragua |
12 |
56,84% |
6 |
99,57% |
7 |
97,80% |
Panama |
85 |
36,80% |
68 |
45,77% |
76 |
41,20% |
Gesamt |
194 |
145 |
154 |
Quelle: Rivera/ Rodriguez 2007:32, 33; www.ratingspcr.com
* Anteil der fünf größten Banken an den Aktiva; bei Nicaragua ohne staatliche Bank Produzcamos.
Gerade jene beiden Länder, die sich bis dahin führend in der Banken-Regionalisierung engagiert hatten (El Salvador, Nicaragua), verfügten nicht nur über die geringste Anzahl an Banken, sondern wiesen 2005 mit 91 (El Salvador) bzw. 99,57 Prozent (Nicaragua) auch den höchsten Konzentrationsgrad auf. Interessanterweise gingen diese beiden Länder danach bei der Banken-Regionalisierung entgegengesetzte Wege: Während die nicaraguanischen Banken weiterhin in dieser Richtung aktiv waren, zog sich die salvadorianische Oligarchie fast gänzlich aus dem Bankensektor zurück.
In beiden Fällen wurden die nationalen Bankengruppen durch das 2004 abgeschlossene Freihandelsabkommen zwischen den zentralamerikanischen Ländern und der Dominikanischen Republik einerseits und den USA andererseits (CAFTA) vor die grundsätzliche Entscheidung gestellt, ob und wie sie mit dem expandierenden transnationalen Finanzkapital konkurrieren wollten bzw. konnten. Neben der intraregionalen strategischen Ausdifferenzierung der zentralamerikanischen Oligarchien infolge der CAFTA-Abschlusses, auf die noch einzugehen sein wird, öffnete das Abkommen weit die Tür für das Eindringen internationaler Finanzakteure. Vier global player (siehe Tabelle 5) – Scotiabank aus Kanada, Citigroup und GE Consumer Finance aus den USA und HSBC aus Großbritannien – krempelten in nur zwei Jahren den zentralamerikanischen Bankensektor um, indem sie entweder führende Regionalbanken schluckten oder sich ihre regionale Präsenz gezielt zusammenkaufen.
Tabelle 5: Transaktionen von internationalen Finanzakteuren im zentralamerikanischen Bankensektor (2005-2007)
Zeitpunkt Transaktion |
internat. Finanzakteur als Käufer |
Herkunftsland |
Erworbene zentralamerikanische Bank |
2005 (Mai) |
Bank of Nova Scotia (Scotiabank) |
Kanada |
Banco de Comercio (El Salvador) |
2005 (Mai) |
GE Consumer Finance |
USA |
BAC International Bank/ Credomatic (Nicaragua) |
2006 (Juni) |
Bank of Nova Scotia (Scotiabank) |
Kanada |
Corporación Interfin (Costa Rica) 293,5 Mio. |
2006 (Juni) |
Hong Kong & Shanghai Bank (HSBC) |
Großbritannien |
Grupo Banistmo (Panama) Banistmo (Nicaragua) Banco Salvadoreño (El Salvador) BGA (Honduras) BANEX (Costa Rica) |
2006 (Oktober) |
Citigroup |
USA |
Grupo Financiero Uno (GFU)/ Aval (Nicaragua) |
2006 (Dezember) |
Citigroup |
USA |
Banco Cuscatlán (El Salvador) |
2007 (Januar) |
Bancolombia |
Kolumbien |
Banagricola (El Salvador) |
Quelle: Cuevas 2008:10
Während der regionale Newcomer HSBC, damals drittgrößte Bank der Welt, und Scotiabank, seit 1997 in der Region tätig, die zweite Strategie bevorzugten, setzten Citigroup und GE Consumer Finance auf den Aufkauf von Regionalgruppen aus El Salvador (Banco Cuscatlán) und Nicaragua (BAC/ Credomatic sowie GFU). In die Kategorie der regional tätigen Bankgruppen fällt auch die Grupo Banistmo (Panama), die HSBC erworben hatte und außer in Guatemala auf dem gesamten Isthmus aktiv war.
Im Ergebnis dieser Internationalisierung des zentralamerikanischen Bankensektors betrug der Anteil der vier global player an den Aktiva Ende 2006 insgesamt 31 Prozent. Bezogen auf die einzelnen Länder lag dieser Wert in El Salvador (63 Prozent) am höchsten und in Guatemala (10 Prozent) am niedrigsten. Costa Rica (28 Prozent), Honduras (27 Prozent) und Nicaragua (29 Prozent) lagen dicht beieinander in der Mitte (vgl. Angulo 2007:5). Die Jahresbilanz von 2007 zeigt, dass von den insgesamt 76 Banken der fünf Länder 47 vollständig oder teilweise von ausländischem Kapital kontrolliert wurden. Auch hier liegt El Salvador mit 85 Prozent der Banken vorn, während Guatemala mit 42 Prozent das Schlusslicht bildet.
Die globale Finanzkrise von 2008 stellt eine weitere Zäsur bei der Regionalisierung des zentralamerikanischen Bankensektors dar. In ihrem Ergebnis (siehe Tabelle 6) ziehen sich die global player ganz (GE Consumer Finance, HSBC, Citigroup) oder teilweise (Scotiabank) aus der Region zurück und überlassen das Feld ab 2010 den großen kolumbianischen Unternehmergruppen, die sich bis Mitte 2014 mit 28,7 Prozent einen ähnlich hohen Anteil am regionalen Bankensektor gesichert haben wie ihre Vorgänger 2006/ 2007 (González Reyes 2015:68).
Tabelle 6: Veränderungen im zentralamerikanischen Bankensektor 2010-2014
Jahr |
erworbene Bank |
vorheriger Eigentümer |
Käufer |
Transaktionpreis in Mio. US-Dollar |
2010 |
BAC/ Credomatic |
GE Consumer Finance (USA) |
Grupo Aval (Kolumbien) |
1920 |
2012 |
HSBC Centroamerica (ohne Panama) |
HSBC (Großbritannien) |
Davivienda (Kolumbien) |
801 |
2013 |
Grupo Agromercantil (Guatemala) |
Bancolombia (Kolumbien) |
216 |
|
2013 |
HSBC Panama |
HSBC (Großbritannien) |
Bancolombia (Kolumbien) |
2100 |
2013 |
Grupo Reformador (Guatemala) |
Grupo Aval |
411 |
|
2013 |
Banco BBVA (Panama) |
BBVA (Spanien) |
Grupo Aval |
490 |
2014 |
Citibank Honduras |
Citigroup (USA) |
Ficohsa (Honduras) |
k.A. |
2015 (März) |
Citibank Nicaragua |
Citigroup (USA) |
Ficohsa (Honduras) |
k.A. |
2015 (Juni) |
AFP Confia (75%)(El Salvador) |
Citigroup (USA) |
Banco Atlantida (Honduras) |
50 |
Quelle: González Reyes 2015:65 (bis 2013) und eigene Recherchen (2014/ 2015)
Während die kolumbianischen Unternehmergruppen Bancolombia, Aval und Davivienda die Nachfolge der beiden global player GE Consumer Finance und HBSC angetreten haben und Scotiabank weiterhin in Zentralamerika aktiv ist, zeigt sich in Hinblick auf den vierten in der Runde (Citigroup) ein dritter Trend. Nachdem die Citibank im Oktober 2014 ihren Rückzug aus der Region angekündigt hatte, sah es zunächst danach aus, dass auch hier die Kolumbianer zum Zuge kämen. Inzwischen haben zwei Bankengruppen aus Honduras (Ficohsa und Banco Atlantida) die Positionen von Citibank in ihrem Land sowie in Nicaragua und El Salvador übernommen. Für Panama und Costa Rica bekundete Stanley Motta, Finanzmagnat aus Panama, sein Interesse.
Damit prägen drei aufeinander folgende Trends die Jahre von 2010 bis 2015: Drei der vier global player ordnen unter dem Eindruck der Finanzkrise 2008 ihre Geschäfte neu und ziehen sich, schon kurz nachdem sie zuvor die Bestimmungen des Freihandelsabkommens mit den USA für ihren Vorstoß nach Zentralamerika genutzt hatten, aus der Region zurück. Ihnen folgen 2010 drei große kolumbianische Unternehmergruppen, die bis 2013 nicht nur die zentralamerikanischen Filetstücke von HSBC und GE übernehmen, sondern durch den Erwerb von Banken aus Guatemala und der spanischen BBVA in Panama ihr neues Imperium abrunden. Ab 2014 tritt in der Konkurrenz um die Nachfolge der global player eine neue Akteursgruppe in Erscheinung: honduranische Banker, die als zentralamerikanische Nachzügler nun ebenfalls regional zu expandieren beginnen. In diesen dritten Trend reihen sich auch die Expansion von Banken aus Guatemala (Banrural 2013 nach Honduras; Banco Industrial 2014/ 2015 nach El Salvador und Panama) und anderen zentralamerikanischen Ländern sowie die Gründung neuer Banken (Banco Azul 2013 in El Salvador) ein.
Im Ergebnis dieser drei Trends kann man innerhalb der Regionalbanken zwei Sektoren ausmachen (siehe Tabelle 7): einen, der vom internationalen Kapital kontrolliert wird und einen weiteren, in dem sich zentralamerikanische Unternehmergruppen etabliert haben. 2013 verfügte der erste Sektor über 55,2 Mrd. US-Dollar an Aktiva (26,8 Prozent aller Aktiva in der Region), der zweite über 43,8 Mrd. (21,3 Prozent der regionalen Aktiva).
Tabelle 7: Anteile innerhalb der Regionalbanken nach Ländern 2008 und 2013 (in %)
Land |
2008 |
2013 |
Veränderung |
Kolumbien |
10,1 |
37,7 |
25,6 |
Kanada |
9,7 |
8,6 |
-15,6 |
USA |
24,7 |
6,9 |
-17,8 |
Venezuela |
– |
3,5 |
3,5 |
Mexiko |
0,2 |
0,6 |
0,4 |
Deutschland |
0,8 |
0,5 |
-0,2 |
Großbritannien |
15,6 |
– |
-15,6 |
internationales Kapital gesamt |
61,1 |
55,8 |
-5,3 |
Guatemala |
15,5 |
16,8 |
1,3 |
Panama |
12,6 |
11,7 |
-0,9 |
Nicaragua |
6,3 |
8,3 |
2 |
Honduras |
– |
2,8 |
2,8 |
Costa Rica |
1,2 |
1,1 |
-0,1 |
Zentralamerikanisches Kapital gesamt |
35,6 |
40,7 |
5,1 |
Dominik. Republik |
3,3 |
3,5 |
0,2 |
Quelle: Estrada 2014:5. Dem (S.1) sind auch die Zahlen im Abschnitt vor Tabelle 6 entnommen.
Der im Oktober 2014 eingeleitete Rückzug der Citigroup (USA) hat einerseits die Dominanz der kolumbianischen Banken innerhalb der internationalen Akteure weiter verstärkt, andererseits die Proportionen zugunsten der zentralamerikanischen Akteure verschoben. Innerhalb letzterer sind Guatemala, Panama und Nicaragua führend bei der Regionalisierung der Banken. Honduras ist neu in dieser Runde, während El Salvador gänzlich fehlt. Costa Rica stagniert auf niedrigstem Niveau.
Gegenwärtig sind also innerhalb der Regionalbanken drei Gruppierungen auszumachen: die Kolumbianer als nicht nur neue, sondern dominante Akteure, die Zentralamerikaner (unter Ausschluss El Salvadors und mit Aufsteiger Honduras) sowie das internationale Kapital außerhalb Lateinamerikas, das sich inzwischen weitgehend aus der Region zurückgezogen hat und fast nur noch durch die kanadische Scotiabank repräsentiert wird.
Die wechselnde Dynamik der Regionalisierung des zentralamerikanischen Bankensektor und die derzeitige kolumbianische Dominanz in diesem Prozess werfen die Frage auf, wie sich die seit 2004 zu beobachtende Internationalisierung dazu verhält.
Zu Beginn (1996-2004) ist die Regionalisierung des Bankensektors eine vornehmlich zentralamerikanische Veranstaltung, die von salvadorianischen Unternehmergruppen initiert und angeführt wird. Mit dem CAFTA-Abschluss beginnt eine Phase der Internationalisierung (2005-2010), die durch vier große transnationale Akteure aus Nordamerika und Großbritannien kurzzeitig dominiert wird. Mit der fast vollständige Übernahme des salvadorianischen Bankensektors durch die global player scheiden die oligarchischen Unternehmergruppen des Landes aus der Regionaliserung des zentralamerikanischen Bankensektors aus. Die Invasion kolumbianischer Kapitalgruppen ab 2010 eröffnet eine dritte Phase, die durch den Rückzug der global player aus der Region gekennzeichnet ist und in der die Internationalisierung ein lateinamerikanisches Gesicht bekommt. In diesem Sinne bildet die Internationalisierung ab 2005 einen wesentlichen Teil der Regionalisierung, wobei innerhalb der Internationalisierung die dominanten Akteure wechseln. Auf die zentralamerikanischen Akteure wirkt sich dies unterschiedlich aus, was im folgenden Teil genauer betrachtet werden soll.
Bildquellen: [1], [2] Quetzal-Redaktion, tp