Vogelgezwitscher. Das ist das erste Geräusch, das man zu hören bekommt, noch bevor das Bild erscheint und die Kamera langsam beginnt, über den Amazonas hinwegzuschweben. Dem Zuschauer bietet sich ein beeindruckender Anblick des nicht enden wollenden Flusses, der sich durch den dichten Regenwald schlängelt. Doch nach ein paar Sekunden voll unberührter Natur stört Motorbootlärm die Idylle. Nicht mehr von oben, sondern nun aus der Perspektive der Menschen im Boot wird weiter der Wald gezeigt. Einerseits die ursprüngliche Natur mit ihren Bewohnern, deutlich gemacht durch das Singen der Vögel. Andererseits die modernisierte Welt der Weißen, inklusive von ihnen eingeführter Neuerungen, symbolisiert durch das Motorengeräusch. Dieser Kontrast ist schon zu Beginn nicht deutlicher hervorzuheben.
Während die Touristen im Boot die Vögel durch Ferngläser beobachten, taucht am Ufer eine Gruppe Indigener auf. So als wären diese auch nichts anderes als Tiere, wird das Fernglas gar nicht erst heruntergenommen, als man sie bemerkt und interessiert anstarrt. Die Antwort der Guaraní-Kaiowá, um die es sich handelt, sind grimmige Gesichter – und Pfeile, die ihr Ziel allerdings verfehlen.
Das sollen sie auch. Denn die Guaraní sind lediglich eine, von der weißen Touristenführerin und ihrem Mann, dem Großgrundbesitzer Moreira, engagierte Attraktion, um das Bild der wilden Natur für die Touristen perfekt zu machen. Kaum ist das Boot außer Sichtweite, wird der viel zu geringe Lohn abgeholt und Pfeil und Bogen gegen T-Shirt und Jeans eingetauscht.
Die weiße Familie, die Land im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul bewirtschaftet – Land das ursprünglich den Indigenen gehörte – kennt keine Geldsorgen. Die „Birdwatching“- Touren der Frau, die wie ein kleines Hobby wirken, um den Reichtum nur noch zu vergrößern, bieten zusätzlich ein gutes Geschäft. Das ansehnliche Haus mit Pool, in dem die beiden Töchter sich von der indigenen Haushälterin bedienen lassen, ohne diese auch nur anzusehen, macht den Eindruck von der Bilderbuchfamilie perfekt. Weiß und reich, auf Kosten der verarmten indigenen Bevölkerung. Doch gerade durch diese sehr strikte, emotionslose Haltung der anderen Kultur gegenüber werden die Weißen, vor allem die Erwachsenen, zu den eigentlichen Verlierern des Films. Doch gleichzeitig wird deutlich: Geld ist Macht und im Gegensatz zur weißen Bevölkerung können die Guaraní von Reichtum nur träumen. Vertrieben vom fruchtbaren Land ihrer Vorfahren müssen sie in von der Regierung zugeteilten Reservaten ein Leben führen, das nur mit Alkohol erträglich scheint und keine Aussicht auf Besserung bietet.
Die Handlung erfährt eine Wendung, als die Verzweiflung zu groß wird, auch weil zum wiederholten Male Mitglieder des Stammes keinen anderen Ausweg für sich sahen, als Selbstmord zu begehen. Es kommt zur Rebellion. Der Kazique der Gruppe, der die eigene Situation sehr treffend mit den Worten beschreibt: „Wir können nicht mehr leben im Reservat, nur noch sterben“, bringt die Gruppe zu einem abgerodeten Feld. Ein verlassener Baum steht darauf, im Hintergrund ist der Regenwald zu sehen. Wieder ein trauriger Kontrast. Auf diesem Land liegen die Ahnen der Guaraní- Kaiowá begraben, und auf diesem Land lässt sich die Gruppe nieder. Doch das Land ist seit drei Generationen im Besitz von Moreira. Für den Weißen und seine Familie sind die Guaraní nichts weiter als billige Arbeitskräfte, die er nicht auf seinem Land duldet. Es kommt zum Konflikt zwischen beiden Parteien. Doch spielt sich dieser mehr unter den Älteren ab, während der junge Osvaldo sogar eine Liebesbeziehung mit der Tochter des Landbesitzers eingeht.
Der Film zeigt beeindruckend ruhig und nüchtern die Probleme der Guaraní- Kaiowá auf. Ohne aufwendige Effekte und mit sparsam, dafür sehr treffend eingesetzter Musik wird einfach nur die Geschichte eines Volkes erzählt, dessen Lage sich durch die europäische Landnahme immer mehr verschlechtert. Durch diese Nüchternheit zieht der Film den Zuschauer in seinen Bann und lässt ihn bis zur letzen Sekunde nicht mehr los. Die Problematik wird ohne Übertreibungen klar transportiert, und lässt am Ende ein betroffenes und nachdenkliches Publikum zurück.
Birdwatchers. Das Land der roten Menschen (Original: La terra degli uomini rossi). Italien/ Brasilien 2008. Regie: Marco Bechis
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Bildquelle: Snapshot