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Der Aufbruch der Kaiowá – Aufbruch ohne Wiederkehr?

Michelle Caldas Meyer | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Mit einem Flug über die Baumkronen des Regenwaldes beginnt die Reportage der Kaiowá-indios – einem von drei Stämmen der Guaraní (Kaiowá, Nhandeva und Mbya) -, deren Lebensraum sich im Bundesstaat Mato Grosso do Sul befindet. Er leitet über zu einem Märchen, was damit beginnt, dass es einmal ein Land gab, in dem die Menschen ständig Streit miteinander hatten. Als dann ein großer Regen kam und alles überschwemmt wurde, wählte Gott das gute Volk und führte es in eine obere Welt, bis die Flut vorbei war und es wieder in die Wälder zurückkehren konnte. Daraus ging der Name dieses indio-stammes hervor: Kaiowá, die Herrscher des Waldes.

Anstatt den geschichtlichen Hintergrund und die Entwicklung der Kaiowá (auf portugiesisch auch Pãi Tavyterã genannt) bis zu diesem Zeitpunkt (1999/2000) kurz darzustellen, fängt die an vielen Stellen zu oberflächliche Reportage in der Nähe der Stadt Dourados an. Es handelt sich um ein Reservat, in welchem auch die Kaiowá leben. Damit fehlen leider jegliche historischen und politischen Grundlagen, die zum Verständnis der Geschichte hätten beitragen können.

Die Reportage von Jörg Altekruse und Eduardo da Cruz geht zunächst auf die alltäglichen Probleme der Kaiowá ein, welche sich alle zwei Wochen auf dem Marktplatz des Reservats einfinden, um sich ihre Lebensmittelrationen abzuholen. Diese sind notwendig, da es die zu geringe Gesamtfläche des Reservates nicht ermöglicht, dass sich die indios durch Ackerbau und Viehzucht selbst versorgen können. Das Problem wird durch die ständige Ausdehnung der Stadt Dourados noch verstärkt. Zwar hört die Expansion an der Reservatsgrenze offiziell auf, jedoch haben sich viele Farmer bereits über dubiose Machenschaften zahlreiche Äcker im Reservat (selbst) gesichert und befinden sich nun paradoxerweise im Konkurrenzkampf mit den indios. Einige Kaiowá müssen deswegen nach Dourados gehen, um zusätzliches Geld verdienen zu können – im Beitrag wird von circa fünf Euro pro Tag gesprochen. Die Perspektivlosigkeit und Ängste der indios machen sich durch die hohen Selbstmordraten, sowie den Alkoholismus unter den jungen Indígenas bemerkbar.

Das Hauptaugenmerk der Reportage liegt jedoch auf dem Umzug einer Familie des Reservates zurück auf das Landstück, das einst ihre Ahnen besiedelten. Nicht nur, dass dies durch die Funai (Nationale Stiftung der indios) verboten ist; auch hinsichtlich der umstrittenen Eigentumsrechte am Boden an ihrem Zielort ist dieser Schritt problematisch. Die Regisseure zeigen nun ausführlich den Weg von Dourados nach Lima Campo und auch den Beginn des neuen Lebens. Die Familie ist glücklich, da sie nun ihr eigenes Land mit Maniok oder Mais bestellen kann, aber gleichzeitig betrübt aufgrund von Erinnerungen an den Regenwald, welcher sich noch vor Jahren über ihren ursprünglichen Lebensraum erstreckte. So gut und authentisch wie die Reportage anhand der gewählten Charaktere ist, so wenig wird leider über den andauernden Kampf zwischen den dortigen Großgrundbesitzern und den Kaiowá berichtet. Vielmehr behauptet die Reportage, dass sich beide Gruppen teilweise doch ganz gut verstehen oder zumindest respektieren. Die Gewalt gegen die indios wird jedoch nicht thematisiert.

Der Aufbruch der Kaiowá: 26.05.08, 14:00 Uhr auf EinsFestival

Quelle der Bilder: Geoprocessamento do Programa Kaiowá/Guarani, NEPPI, UCDB (2005) und Centro de Trabalho Indigenista (CTI).

Aktuelles:

Seit der Reportage im Jahr 2000 haben sich viele Dinge geändert. Teilweise hat sich „der Aufbruch der Kaiowá“ von ihrem Reservat weg – hin zu ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten fortgesetzt. Er wird jedoch von erneuten Vertreibungen geprägt – es kommt zur Situation, dass sich die Kaiowá weder in dem Dourados Reservat noch in ihrem ursprünglichen Lebensraum befinden. Aus diesem Grund folgt an dieser Stelle ein Überblick über die Geschichte der Kaiowá bis heute (Mai 2008).

Die Kaiowá wurden bereits in den 60er und 70er Jahre von ihrem ursprünglichen Land im Süden von Mato Grosso do Sul durch Großgrundbesitzer vertrieben. Die Vertreibung geschah mit indirekter Unterstützung der damaligen expansionistischen Regierung, die das Gebiet bis zur Grenze Paraguays besiedeln wollte. Durch den billigen Verkauf der Ländereien an Siedler sollte die brasilianische Souveränität in der Region bestätigt werden. Dies erfolgte parallel zum Boom des Agrobusiness und der hohen Nachfrage nach Boden, um Zuckerrohr für die Produktion von Ethanol anzupflanzen.

Die indios wurden zum Dourados Reservat gebracht, welches als Sammlungbecken vieler Indianerstämme fungierte. Wie schon in der Reportage erklärt, ist das Reservat zu klein, um die Existenz der dort ansässigen Familien zu garantieren. Es wird geschätzt, dass etwa 40.000 Kaiowá auf 50.000 Hektar Land wohnen. Dies verstößt zudem gegen ihre eigene Kultur, die sehr familienbezogen ist. Denn wenn sich zwei Klans bekriegen, hat die schwächere Familie keine Rückzugschance. Durch diese Enge und die fehlenden Entwicklungschancen sind die Mordraten unter den indios mittlerweile doppelt so hoch wie der brasilianische Durchschnitt.

Deshalb versuchen die Kaiowá seit den 80er Jahren, das Land ihrer Ahnen wieder zu bekommen – jedoch ohne Erfolg. Zwar erklärte im März 2005 die Regierung von Präsident Lula die ursprünglichen Gebiete der Kaiowá zum offiziellen Reservat. Doch die indios, die bereits umgezogen waren, hatten keine Ruhe, da der Oberste Gerichtshof Brasiliens (Supremo Tribunal Federal) die Entscheidung Lulas annullierte. Gemäß Begründung des Gerichts sollten die Großgrundbesitzer auch die Chance haben, ihr Land gesetzlich zu verteidigen. Dadurch wurden die Kaiowá von den Farmern gewaltsam aus ihrem kürzlich demarkierten Reservat vertrieben. Jetzt leben sie am Rand einer Bundesstraße in Mato Grosso do Sul und versuchen immer wieder in ihr ursprüngliches Gebiet zurückzukehren.

Die Gewalttaten der Großgrundbesitzer gegen die Kaiowá sind schon zur Routine geworden. Die führenden Mitglieder der Kaiowá wurden ermordet, und auch die Felder der Familien werden ständig zerstört. Viele Farmer bieten den indios im Austausch gegen Grund und Boden z.B. ein Haus in anderen Städten der Region. Am Ende werden die Kaiowá jedoch nur dorthin gebracht und in den marginalisierten Vororten zurückgelassen, ohne etwas zu bekommen.

Leider brachten die 8 Jahre seit dem Ende der Reportage nur noch mehr Mord und Unglück für die Kaiowá. Sie lassen sich aber nicht entmutigen – ihr Aufbruch geht weiter.

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