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Magnus, Ariel: Die Schachspieler von Buenos Aires

Gonzalo Compañy | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Ariel Magnus_Die Schachspieler von Buenos Aires_DeckblattScan1939 ist Buenos Aires Gastgeber der Internationalen Schacholympiade. Unter den Gästen und Delegationen aus verschiedenen Ländern reist der Schachweltmeister Mirko Czentovic an. Bekanntlich ist Czentovic eine der fiktiven Romanfiguren aus Stefan Zweigs Schachnovelle. Der Großvater vom Autor-Erzähler Ariel Magnus, der Jude Heinz Magnus, ist ein Zweig-Bewunderer und teilt mit ihm ein gemeinsames Schicksal – denn beide mussten aufgrund der nazistischen Verfolgung aus Deutschland fliehen. Anhand der Tagebücher vom Opa Heinz macht sich der Autor an die Aufgabe, einige Aspekte dessen Lebens zu rekonstruieren bzw. zu verstehen. An diesem Punkt berühren sich biographische Elemente (die ersten Zeiten Heinz Magnus in Buenos Aires) mit historischen Ereignissen (das Schachturnier, der deutsche Faschismus, der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs).

So beginnt eine Schacherzählung, wobei sich reale und fiktive Charaktere begegnen. Berühmte Persönlichkeiten wie die Schachweltmeisterin Sonja Graf, der Crítica-Tageszeitungsdirektor Natalio Botana und die Schriftsteller Macedonio Fernández und Ezequiel Martínez Estrada treten im Buch auf. Neben diesen besonderen Gästen werden Figuren aus Roberto Arlts Das böse Spielzeug oder Vladimir Nabokovs Gambit erwähnt, welche ebenso wie Czentovic fiktive, literarische Figuren sind.

Bei dem Thematisieren der Verwendung der Schach-Metapher im Alltag wählt der Autor unumgängliche Beispiele (Borges, Kant, Beckett, Martínez Estrada, Pound etc.) aus der umfassenden Literatur aus. Schach-Metaphern werden sowohl anhand direkter Zitate als auch indirekt präsentiert. So ist nicht immer der Autor-Magnus, sondern vielmehr seine Figuren, die sich metaphorisch ausdrücken – in einigen Fällen explizit im Rahmen von Schach-Diskussionen als auch eher unbeabsichtigt und auf quasi natürliche Weise: So werden „Waffen“ gesetzt, „Eröffnungsstrategien“ und „direkte Attacke“ fortgeführt, „Gegenangriffe“ auf Vorschläge übergangen, „Revanche“ genommen, „Figuren“ getauscht etc. Der ganze Roman verwandelt sich in ein Schachbrett, wobei die Charaktere zum Leben erwachen: Behührt – geführt. Auch wenn der Autor zwar sehr präsent in der Erzählung ist, scheint es so, als ob er mit den anderen Figuren verschmelzen würde. Ariel Magnus tut also, als ob er eine Figur unter vielen sei, ohne zu berücksichtigen, dass derartige Spielereien erhebliche Folgen nach sich ziehen kann.

Von Anfang bis Ende des Romans spannt Magnus die Realität, so dass die Vorstellung des Geschehens als bereits abgeschlossene Ereignisse infrage gestellt bzw. erneut aufgenommen wird: „Welchen Sinn hat es, Romane zu schreiben, wenn die Geschehnisse darin letztlich bloß das wiederholen, was auch in Wirklichkeit geschehen ist? […] ist das imaginäre Brett nicht weniger real als das andere“ (S. 301 f.). Magnus zeigt, dass einerseits das literarische Schreiben ebenso wirklich ist wie die allgemein akzeptierte Vorstellung der Wirklichkeit. In diesem Sinne ist die Literatur wirklich gerade deshalb, weil sie ist. Andererseits ermöglicht es die Fiktion, von der Geschichtsschreibung hinterlassene Lücken zu schließen: „eine Ungerechtigkeit, der wir in diesem Roman Abhilfe verschaffen wollen, indem wir ihn, wenn schon keinen richtigen, immerhin einen Künstlernamen geben“ (S. 189). Ähnlich wie im Radu Mihăileanus Film Der Zug des Lebens stellt das Erzählen bei Die Schachspieler von Buenos Aires einen Weg dar, um die Dinge anders geschehen zu lassen. Der Autor erlaubt es sich, nicht nur den Roman zu schreiben, den sein Großvater nicht schreiben konnte, sondern auch diesen Roman zusammen mit ihm zu schreiben. Der Roman macht deutlich, dass es bei dem Schreiben bzw. dem Leben darum geht, das Vergangene auf eine persönliche Weise wiederaufzunehmen und fortzusetzen.

Wenn man bedenkt, dass es sich dabei um ein Buch handelt, in dem die Metapher so eine zentrale Rolle spielt, fällt der (deutschen) Buchtitel umso mehr auf. Während der originale Buchtitel El que mueve las piezas (dt.: Der, der die Figuren bewegt) lautet, wird dieser als Die Schachspieler von Buenos Aires übersetzt. Aus dem Buch geht hervor, dass Magnus vielmehr die Betonung auf diese Person bzw. ihre Handlungsfähigkeit setzt, was nun nicht berücksichtigt wird. Außerdem stellt sich die Frage, wer die Figuren bewegt? Der neue Titel entspricht zwar durchaus dem Inhalt des Buches, stellt jedoch eine Vereinfachung dar, die m. E. mehr darauf abzielt, die Aufmerksamkeit des potenziellen Käufers so schnell wie möglich zu gewinnen. Nicht zuletzt wird der Leser unterschätzt. In unserem kapitalistischen Sozialsystem, welches die Freiheit verkündet, stellt der Erwerb von Übersetzungsrechten verführerische Gelegenheiten dar, mittels präziser Überarbeitung des Titels, literarische Werke den gesättigten Kunden zu präsentieren. Dieses Phänomen ist auf dem Literaturmarkt nichts Neues, wenn zwar nicht so extrem wie bei der Filmindustrie – eine lange Reihe anderer Beispiele könnte angeführt werden, die vom eher harmlosen Titel Aufstand in Patagonien (aus dem spanischen Originaltitel Osvaldo Bayers: La Patagonia rebelde bzw. Los vengadores de la Patagonia trágica – dt.: Das rebellische Patagonien bzw. Die Rächer des tragischen Patagoniens) bis zu Witold Gombrowiczs Verführung (im polnischen Original: Pornografia) reicht.

Auf den ersten Blick könnte den Ausgangspunkt des Romans – das wiedergefundenes Tagebuch eines Großvaters, der Zweite Weltkrieg und die Nazizeit, Buenos Aires, das Schachspiel – als Gemeinplatz gesehen werden. Dagegen gelingt es Ariel Magnus einen recht originell strukturierten, spannenden Roman zu schreiben, welcher Virtuosität zeigt, ohne den Humor und die Schlichtheit zu verlieren.

Ariel Magnus

Die Schachspieler von Buenos Aires

Aus dem argentinischen Spanisch von Silke Kleemann

Kiepenheuer & Witsch, Köln: 2018, 366 Seiten

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