Was bin ich? Ein zivilisierter Mann, der nicht aufgehört hat,
im Kern ein Indigener aus Peru zu sein. Indigen, nicht indianisch.
J. M. Arguedas
Man möchte in Anlehnung an so manche Biografie über den Autor betonen, dass er gar kein Indigener war. Nein, möchte man nicht! Wofür sollte das wichtig sein? Da schreibt ein „weißer“ Peruaner – ja, in Biografien wird das nicht selten betont – Geschichten über Indigene, über Quechua. Das war nicht unbedingt neu in seiner Heimat Peru, denn der sogenannte Indigenismo nahm sich bereits vor ihm der armen Indios an, mit dem Ziel, ihr hartes Los zu verbessern. Aber José María Arguedas schrieb nicht einfach über die Quechua, sondern er schrieb, als wäre er einer von ihnen. Und das war durchaus etwas Neues, wohl auch Unerhörtes in einem Land, in dem die Vertreter des Indigenismo den Indio durchaus befreien wollten, dabei allerdings zumeist sehr paternalistisch agierten.
Barbarei ist ein Wort, das die Europäer erfunden haben, als sie sich sicher waren, dass sie den Menschen der anderen Rassen und der „kürzlich entdeckten“ Kontinente überlegen sind.
Vor nunmehr 50 Jahren schied José María Arguedas freiwillig aus dem Leben. Aus Anlass seines Todestages am 2. Dezember wurde er in seinem Heimatland Peru ausgiebig gefeiert, es fanden kulturwissenschaftliche Konferenzen statt und es erschienen Neuausgaben ausgewählter Bücher. Der Nationalpreis für Erzählung und Essay José María Arguedas wird bereits seit dem Jahr 2000 verliehen und in seiner Geburtsstadt Andahuaylas wurde 2004 eine Universität gegründet, die seinen Namen trägt. Und trotzdem stellte sein Landsmann Santiago Roncaglio einmal fest, man habe „Arguedas, den großen Autor des 20. Jahrhunderts, vergessen“. Und auch wenn man der Aussage des peruanischen Journalisten César Hildebrandt, wonach man Arguedas lesen müsse, um Peru zu verstehen, nicht uneingeschränkt zustimmt, seine Bücher sind es allemal wert, gelesen zu werden, obwohl das hierzulande nicht eben einfach ist.
Im deutschen Buchhandel sind derzeit gerade einmal zwei Bücher dieses großen Autors lieferbar: „Die tiefen Flüsse“ sowie „Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten“. Letzteres ist eine Neuerscheinung: Dieser letzte, nicht vollendete, Roman war 1971 postum erschienen und wurde in diesem Jahr bei Wagenbach erstmals in Deutsch editiert. Mit Ausnahme von „El sexto“ liegen nunmehr alle Romane des Peruaners in Deutsch vor.
Wer also war dieser José María Arguedas. Geboren wurde er am 18. Januar 1911 in Andahuaylas im Departemento Apurimac als Sohn eines reisenden Anwalts. Als Kind begleitete er den Vater auf seinen Reisen und lernte dabei das peruanische Hochland gut kennen. Zeit seines Lebens fühlte er sich den (indigenen) Hochlandbewohnern aufs Engste verbunden.
Ich hatte das Glück, meine Kindheit in Dörfern und Städten mit einer sehr dichten Quechua-Bevölkerung zu verbringen. Ich war bis zum Jugendalter fast ein reiner Quechua.
Nach dem frühen Tod seiner Mutter, er war drei oder vier Jahre alt, und der Wiederheirat des Vaters verbrachte er seine Kindheit auf den Haziendas der Stiefmutter. Diese Zeit seiner Kindheit beschreibt er als Trauma, und dieses sollte sein Leben lang nachwirken. Die Stiefmutter verbannte das ungeliebte Kind zur indigenen Dienerschaft, der ältere Stiefbruder misshandelte es physisch und psychisch. Dieser Stiefbruder sollte später dem Schriftsteller als Vorbild für den gamonal, den grausamen, lüsternen und gewalttätigen Grundbesitzer dienen.
Wenn mein Stiefbruder in die Ferien kam, passierte wirklich Schreckliches. (…) Ich wurde in die Küche verbannt, (…) musste Hausarbeiten verrichten, mich um die Kälber kümmern, ihm wie ein Diener das Pferd bringen. (…) Er behandelte die Indios sehr schlecht, und das schmerzte mich sehr. Und so begann ich, ihn zu hassen, so wie alle Indios ihn hassten.
1931 schrieb sich Arguedas an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät an der Universität San Marcos in Lima ein, wo er Literatur studierte. Nebenher musste er nach dem Tod des Vaters im Jahr 1931 seinen Lebensunterhalt als Postbeamter verdienen. Diese Stelle verlor er 1937 nach einem achtmonatigen Gefängnisaufenthalt, zu dem er verurteilt worden war, weil er an einer Kundgebung gegen den Besuch eines italienischen Faschisten teilgenommen hatte. Diese Erfahrung verarbeitete er 1961 in seinem Roman „El sexto“. Überhaupt ist Arguedas‘ Prosa sehr autobiografisch gefärbt, besonders deutlich wird das in seinem Hauptwerk, dem Roman „Die tiefen Flüsse“. Mit „Agua“ erschienen bereits 1935 seine ersten Erzählungen, die bei einem internationalen Wettbewerb der argentinischen Revista Americana den zweiten Preis gewannen. Das war nur die erste Auszeichnung für sein literarisches Werk. Arguedas etablierte sich als Erzähler und Dichter, er legte Romane, Erzählungen und mehrere Gedichtbände vor. Seine Gedichte schrieb er ausnahmslos auf Quechua und übersetzte sie dann ins Spanische.
Ich bin kein Akkulturierter; ich bin ein Peruaner, der stolz (…) als Christ und Indio spricht, in Spanisch und in Quechua.
Das schwierige Verhältnis zwischen den weißen sowie mestizischen und den indigenen Peruanern war das wichtigste Thema nicht nur seines literarischen, sondern auch seines wissenschaftlichen Schaffens. Denn Zeit seines Lebens beschränkte sich Arguedas nicht auf ein Leben als Künstler. Er arbeite als Dozent an verschiedenen Universitäten und übernahm auch kulturelle und administrative Ämter, so z.B. im Bildungsministerium sowie als Direktor der Casa de Cultura und des Historischen Nationalmuseums. Seine universitäre Ausbildung hatte er mit einem Studium der Ethnologie fortgesetzt und 1963 mit einer Arbeit über den kulturellen Austausch in peruanischen Hochlandgemeinden den Doktorgrad in Ethnologie und Archäologie erworben. Sein wissenschaftliches Œuvre ist umfangreicher als sein literarisches. Die unterschiedlichen Kulturen, in denen er heranwuchs, waren zweifellos zwei widerstrebende Seelen in seiner Brust; doch er machte nie einen Hehl daraus, welcher er den Vorzug gab.
Ich verstehe die sogenannte westliche Kultur und habe sie in relativ hohem Maße aufgenommen; ich bewundere Bach und Prokofjew, Shakespeare, Sophokles und Rimbaud, Camus und Eliot. Aber die traditionellen Lieder meines Volkes genieße ich mehr. Ich kann mit der authentischen Reinheit eines Chanka einen Ernte-Harawi singen.
Er war fest davon überzeugt, dass die andine Kultur der westlichen überlegen sei und diese viel von ihr lernen könne. Heute, mit Fridays for future und der Diskussion über Buen Vivir wissen wir, dass er damit so falsch nicht lag.
*Ich bin bereits bei meinem Volk. (Quechua; Inschrift auf dem Grabstein von J. M. Arguedas)
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Verwendete Literatur:
Cortéz, Enrique E.: José María Arguedas, etnógrafo: campo cultural y mestizaje. In: Letras 87 (125), 2016
José María Arguedas 1911-1969. www.perueduca.pe/recursosedu/fasciculos/secundaria/comunicacion/arguedas.pdf
José María Arguedas, un cultor de letras mestizas en América. https://www.elciudadanoweb.com/jose-maria-arguedas-un-cultor-de-letras-mestizas-en-america
López Baralt, Mercedes/ Murra, John: Las Cartas de Arguedas. Fondo Editorial Pontificia Universidad Católica del Perú – PUCP. Lima 1998.
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Bildquellen: [1] santiago-Stucci_CC; [2] Quetzal-Redaktion_solebiasatti