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Gerchunoff, Alberto: Jüdische Gauchos

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten
Rezension - Jüdische Gauchos (143 Downloads )

Ein altes Buch neu entdeckt

Wer sogt as jidn kenen nor handlen, esn fete jojch mit mandlen, nor nit sajn kejn arbejtsman?*

Alberto Gerchunoff - Jüdische GauchosIm Jahr 1889 kamen Hunderte russische Juden nach Argentinien. Die Initiative für die Einwanderung ging von der Jewish Colonization Association aus, die in Argentinien Land gekauft hatte, um dort jüdische landwirtschaftliche Kolonien zu gründen. Die Einwanderer waren orthodoxe, strenggläubige Juden. Die Bedingungen bei ihrer Ankunft waren äußerst widrig, so dass nicht wenige von ihnen nach Europa zurückkehrten. Zu denen, die blieben und die landwirtschaftlichen Kolonien aufbauten, gehörte auch die Familie des damals fünfjährigen Alberto Gerchunoff, der den Kolonisten später als Journalist und Schriftsteller ein Denkmal setzen sollte. Sein Buch „Jüdische Gauchos“, in Argentinien erstmals 1910 erschienen, nun bei Hentrich & Hentrich in deutscher Übersetzung veröffentlicht, gilt als ein Wegbereiter jüdischer Literatur in Argentinien.

Die jüdischen Kolonisten kamen aus einem Europa, dessen christliche Herrscher ihnen seit Jahrhunderten verboten, ein Handwerk oder Ackerbau zu betreiben. Nun, in Argentinien, bekamen sie endlich wieder die Möglichkeit, Bauern zu sein und das – wie es in der Bibel heißt – „einzig erträgliche und des göttlichen Segens würdige“ Leben zu führen. (S. 31) Dieser Hintergrund gibt der jüdischen Kolonisierungsbewegung in Argentinien eine nachgerade religiöse Dimension. Und er erklärt wohl auch die Euphorie, die Gerchunoffs Geschichten mitunter auszeichnet. Dass das Kolonistenleben hart, voller Rückschläge und auch nicht frei von antisemitischen Anfeindungen war, wird bestenfalls angedeutet. Die Herausgeberin Liliana Ruth Feierstein schreibt, der Autor hätte immer – in alter jüdischer Tradition – mehrdeutig geschrieben, und man müsse deshalb auch zwischen den Zeilen lesen. Aber wichtiger und auch schlüssiger erscheint mir ihr zweites Argument. Gerchunoff schrieb sein „Jüdische Gauchos“ nicht für Juden, sondern für Argentinier, in spanischer Sprache. Er wollte das Leben der jüdischen Kolonisten bekannt machen und zeigen, dass diese zu Argentinien gehören.

Manchmal erinnern mich die kurzen Geschichten ein wenig an Erzählungen von Isaac Bashevis Singer: Sie beschreiben einen nahezu in sich geschlossenen Kosmos, mit fremdartigen, teils fast archaisch anmutenden Regeln und Denkweisen. Doch bei Alberto Gerchunoff bricht diese scheinbare Geschlossenheit immer wieder auf, und das nicht nur, weil er den Argentiniern das Leben der Juden nahe bringen will. Mag das Leben der Kolonisten subjektiv ein Weg zurück gewesen sein, hin zu biblischen Wurzeln, zu einem gottgefälligen Leben als Bauern, objektiv war es der Beginn einer neuen Entwicklung. Gerchunoffs Geschichten zeigen, wie sich die fest gefügte chassidische Gemeinschaft der russischen Juden in Argentinien verändert. Der Autor lässt einen seiner Protagonisten über diese Veränderungen klagen: „In Russland (…) lebt man schlecht, aber man fürchtet Gott und hält die Gebote ein. Hier werden unsere jungen Männer bald noch zu Gauchos.“ (S. 47) Die Gauchos – wild, Legenden umwoben, abenteuerlich – sind die Projektionsfläche für Gerchunoff und seine Protagonisten. Fremd, aber irgendwie auch Vorbild. Die jungen Männer lieben Vidalitas, tragen Pluderhosen wie die Gauchos und schmücken ihre Pferde ausgerechnet am Sabbath. Auch die Mädchen sind nicht viel besser. Eine Braut brennt sogar von ihrer arrangierten Hochzeit durch, mit einem Gaucho. Außer von der sich ungebührlich betragenden Jugend liest man von wilden, unberechenbaren, frommen und weisen Männern, Helden und Feiglingen, Hexen und Geistern, Heuschreckenplagen, dem Stolz der Kolonisten auf ihrer Hände Arbeit und ihrem Willen, Argentinier zu sein – auch wenn ihnen das nicht immer leicht gemacht wird. Das wird manchmal geradezu hymnisch, manchmal märchenhaft und oft mit sehr viel Humor geschildert. Und Gerchunoffs Humor (von Borges hochgepriesen) lässt diese 100 Jahre alten Geschichten überhaupt nicht alt erscheinen.

Das Vorwort von Liliana Ruth Feierstein informiert nicht nur über Alberto Gerchunoff und seine Bedeutung für die jüdisch-argentinische Literatur, sondern ordnet auch die Kolonistenbewegung in die Geschichte Argentiniens ein.

Alberto Gerchunoff: Jüdische Gauchos.
Hentrich & Hentrich Berlin 2010.
ISBN 978-3-942271-08-0

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* Wer sagt, dass Juden nur Handel treiben, fette Suppe mit Mandeln essen und keine Arbeitsleute sein können?

Dshankoje (Lied von der Krim, entstanden in den 1920er Jahren, als nach der Oktoberrevolution auch Juden im Zuge der Bodenreform Land erhielten und wieder Bauern sein konnten.)

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