Leise Intensität – Show, don’t tell
Pradellis Stärke liegt in der Stille. Vor lauten Emotionen quellen die beiden Romane nicht über – weder „Unter Freundinnen“ noch „Das Haus des Vaters“. Beide Romane sind in einem nüchternen Stil gehalten und beschreiben scheinbar faktenorientiert die Geschichten von Frauen.
„Unter Freundinnen“ beginnt mit einem aus der anglophonen Welt bestens bekanntem Frauenfreundschaftsmotiv – eine Gruppe von Frauen trifft sich regelmäßig zwischen Weihnachten und Neujahr zum gemeinsamen Abendessen. Man kennt sich seit der Schulzeit, in der man so manche Schandtat vollbracht und es trotzdem irgendwie immer gemeinsam geschafft hatte, weiterzukommen. Sie widersetzen sich regelmäßig auftretenden Widrigkeiten, um gemeinsame Zeit herauszuschlagen. Im Laufe des Romans lesen wir in Pradellis unaufgeregtem Ton vom Werdegang der Vier, die auf keinen Fall immer Engel waren und es auch bis ins Erwachsenenalter nicht sein werden. Ob sie nun aufgrund eigener Verantwortlichkeit zur Diebin oder Ehebrecherin werden, die Frage stellt sich, und sie verschwindet nach ein paar Seiten auch wieder, man gewinnt den Eindruck, es sei nicht so wichtig… Denn Pradelli fokussiert stets wieder in die Gegenwart, die Gegenwart ist stets stärker als mutmaßliche Handlungshintergründe ihrer Protagonistinnen. Kein Zufall bei einer lateinamerikanischen Autorin, die selbst aus dem krisengebeutelten Argentinien stammt?
„Freundinnen“ steht dem „Haus des Vaters“ diametral gegenüber – hier ist stets klar, wer spricht, die Tochter des Verstorbenen, und die Anzahl der Protagonisten im Roman beschränkt sich auf sie und ihren Nachbarn; und so zeigt sich dem Leser ein Kaleidoskop verschiedener Stimmen, die sich in Zeit und Raum überschneiden
Die Ich-Erzählerin in „Das Haus des Vaters“ – das auf Spanisch noch zielsicherer „El lugar del padre“/„Der Platz des Vaters“ heißt – tritt in einer ungleich geordneteren Welt auf. Der verstorbene Vater ist die große Leerstelle im Roman, die die Protagonistin mit Ramón, ihrem Nachbarn und Freund des Vaters, irgendwie gemeinsam zu füllen versucht – seltsam genug erscheint es, dass diese Frau nie geheiratet hat und dass ihre Mutter in keinem Wort erwähnt wird. Wieder so eine Pradelli-Leerstelle, über die man sich zunächst gerne ärgern möchte, die sich aber auch irgendwann wieder als gegeben hinnehmen lässt.
Die Tochter des Verstorbenen macht sich gemeinsam mit dem oft charakterlich unangenehmen Nachbarn Ramón daran, das immaterielle Erbe des Vaters entgegenzunehmen – dessen Gewohnheiten im nur über ihn verbundenen Alltag neu zu integrieren und auszuhandeln. Dabei kommt es zu keinem bösen Wort, die Trauer der Protagonistin lässt sich nur erahnen, und der neurotische Ramón erleidet gegen Ende des Romans einen Herzinfarkt.
Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Romane ist im „Haus des Vaters“ offensichtlich: Pradelli schreibt von fehlenden Männern. In „Freundinnen“ fehlt der Ehemann, der Liebhaber, der Vater, der Sohn in allen Variationen – die Frauen sind stets da, und erscheinen doch auf seltsame Weise getrennt von ihren Bedürfnissen.
Und dennoch wird am Ende bei „Freundinnen“ ein fröhliches Weihnachtsfest in Patricias Patch-Work-Familie gefeiert; und die Protagonistin im „Haus des Vaters“ durchlebt noch einmal die Erinnerung an einen Urlaub mit ihrem Vater am Meer, was Pradelli unerwartet lebendig beschreibt. Die Autorin beschreibt ihre Protagonistinnen sehr menschlich, mit allen ihren Fehlern – diesen Neurosen, Macken, die sie auszeichnen. Als Leseerlebnis kommen Pradellis Romane ruhig, unaufgeregt und feinfühlig daher – und dennoch sind sie keine ganz so leichte Kost.
————————————-
Ángela Pradelli wurde 1959 in Buenos Aires, Argentinien geboren. Sie hat Romane, Erzählungen und Gedichte veröffentlicht. „Unter Freundinnen“ wurde u.a. mit dem ersten Preis des „Concurso Interamericano de Cuentos de la Fundación Avón” ausgezeichnet.
Angela Pradelli
Das Haus des Vaters
Rotpunktverlag, 2013
Unter Freundinnen
Rotpunktverlag, 2014