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Bioy Casares, Adolfo: Morels Erfindung

Gonzalo Compañy | | Artikel drucken
Lesedauer: 5 Minuten

Wiedergelesen_Bioy-Casares_Morels Erfindung_CoverScanGenau vor 80 Jahren wurde vom argentinischen Schriftsteller Adolfo Bioy Casares (Buenos Aires 1914) das Buch La invención de Morel (dt.: Morels Erfindung) veröffentlicht. Die Biografie des Autors ist inzwischen bekannt: Der aus gutem Hause stammend Bioy Casares begann zunächst ein Jura und Literaturstudium an der Universität Buenos Aires. Nachdem er es unterbrach, konnte er sich nun dank seiner Mehrsprachigkeit voll ins Lesen der Weltliteratur stürzen und dem Schreiben widmen. Anfang der 1930er Jahre beteiligte er sich an dem Kulturkreis der einflussreichen Literaturzeitschrift Sur und schloss Freundschaft mit Jorge Luis Borges, mit dem er den fiktiven Autor Honorio Bustos Domecq erfand und „vierhändig“ sechs Bücher publizierte. Bis zu seinem Tod im Jahr 1999 veröffentlichte Bioy über ein Dutzend Erzählungsbände und sieben Romane.

Als Morels Erfindung 1940 publiziert wurde, hatte der Autor bereits sechs Bücher veröffentlicht, die er nun jedoch mit Abscheu betrachtete. Der Roman markiert also einen Wendepunkt in seiner Laufbahn, die schließlich dazu geführt hat, dass er als einer der Meister der Literatur in spanischer Sprache angesehen wird. Der Roman inspirierte bereits 1961 den Film L’Année Dernière à Marienbad (dt.: Letztes Jahr in Marienbad) des französischen Regisseurs Alain Resnais. 1974 wurde das Buch ein zweites Mal verfilmt. Dabei hielt sich sein Regisseur, der Italiener Emidio Greco, mit L’invenzione di Morel stärker an das Original. Die (west)deutsche Erstausgabe des Buches im Jahr 1965 im Nymphenburger Verlag erhielt von der damaligen deutschen Literaturkritik keine besonders gute Bewertung. Doch diese Haltung änderte sich im Laufe der Zeit, da der Roman seitdem mehrmals aufgelegt und neu übersetzt wurde. 1994 wurde das Buch vom deutschen Komponisten Reinhard Febel und Regisseur Lukas Hemleb sogar in Form von einer Oper hierzulande uraufgeführt.

Bioy schildert in erster Person die Erlebnisse des Helden auf einer scheinbar unbewohnten Insel, auf die dieser vor der Justiz geflüchtet war. Ebenso wie bei anderen argentinischen Schriftstellern wie beispielsweise Jorge Luis Borges und Rodolfo Walsh entfaltet sich Bioys Erzählung auf wenigen Seiten. Knapp und präzise beschreibt der Autor die Erlebnisse seines Protagonisten – er folgt damit nicht zuletzt praktischen, sich aus der Handlung ergebenden Gründen: Schreibpapier steht auf Wüsteninseln normalerweise nicht in großer Menge zur Verfügung. Als die Hauptfigur plötzlich anderen Personen begegnet, wird er gezwungen, sich erneut zu verstecken. Erst die Anwesenheit einer Frau, die ihm auffällt, bringt ihn zum Entschluss, aus dem Untergrund aufzutauchen. Doch zu seiner Überraschung entdeckt er, dass es bei den beobachteten Personen um Aufnahmen handelt, die immer wieder in die Landschaft projiziert werden. Die Erfindung des Wissenschaftlers Morel bietet ihm die Möglichkeit, sich an der Seite der bewunderten Frau zu verewigen. Doch die Ewigkeit beschränkt sich auf die Wiederholung der stets gleichen Ereignisse weniger Tage und das scheinbare Glück des Helden ist nichts anderes als eine Parodie des Lebens.

Gewiss greift der Autor auf zwei Erfindungen zurück, dank denen es seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts möglich ist, Aktivitäten aufzuzeichnen, um diese für die Zukunft aufzubewahren und wiederzugeben: der Phonograph, das 1877 von Thomas A. Edison erfundene Gerät zur akustisch-mechanischen Aufnahme und Wiedergabe von Schall sowie der von den Brüdern Lumière erfundene Kinematograph zur Projektion von bewegten Bildern. Auch wenn diese Elemente auf den ersten Blick keine besonders originellen Gedanken darstellen, werden diese in der Handlung ad extremis geführt. Dabei gelingt es dem Autor, Fragen vorzubringen, die erst Jahre später beispielsweise bei der Entwicklung von Technologien zur virtuellen Realität gestellt wurden und nach wie vor kontrovers diskutiert werden. Dies gilt auch bezüglich der Insel als Handlungsort. Im Unterschied zum Bild der Insel als Gemeinplatz in der Belletristik handelt es sich hierbei nicht um die den Schauplatz für Abenteuer eines Schiffbrüchigen, sondern um den Zufluchtsort eines zum Tode verurteilten Justizflüchtlings, dem der Ort als sichere Zuflucht empfohlen wurde – der sogar mit seinerzeitiger Spitzentechnologie ausgestattet war: einem damals wie Pilze aus (deutschem) Boden geschossenen Luftschutzbunker.

Über die Hauptfigur und den Ort erfährt man wenig. Die Informationen fließen eher tropfenweise, wobei dadurch ein mystisches Gebilde entworfen und zugleich wird die Stellung ethischer Fragen abgeschreckt. Gleichzeitig wird die Durchsetzung der Fiktion und Gegenwart gegen die Realität und die Vergangenheit angedeutet. Somit setzt sich das Streben nach Ewigkeit als zentrales Thema des Romans durch. Der Wunsch des anonymen Helden fortzubestehen, der beginnend mit seiner Flucht vor der Justiz und der Ankunft auf der Insel, kommt zunächst in Form von Eintragungen in ein Tagebuch zum Ausdruck. Im Laufe der Erzählung mündet dies in die Verewigung von fiktiven Szenen mittels Filmaufnahmen. Bioy Casares legt die Spannung zwischen zwei unterschiedlichen Formen des Gedächtnisses dar: Während das Tagebuch es ermöglicht, die Wahrnehmung der Realität des Erzählers darzustellen, führt die Einmischung in den Projektion-Loop zu einem Übergang in die Fiktion. Trotz Digitalisierung, Twitter, Facebook und Instagram bleibt dieser achtzigjährige Roman immer aktuell – als ob sein Autor ein gewisser Morel wäre. Ein unbestreitbarer Meilenstein der Science-Fiction.

 

Adolfo Bioy Casares

Morels Erfindung

Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2003

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