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Kinderbücher stellen Frida Kahlo und Che als neue Superhelden dar

La Semana | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Comics_Bild_La SemanaEine Kinderbuchsammlung präsentiert u.a. Frida Kahlo, Che Guevara und Julio Cortázar als neue Comicsuperhelden. Dahinter steht die Kritik an den Stereotypen der Industriebranche. Am 3. März 1816, zu Pferde und mit 200 indigenen Gefolgsfrauen, besiegte Juana Azurduy die spanischen Truppen in Bolivien. Sie hatte nichts weiter als Knüppel, um sich dem Königlichen Heer entgegenzustellen, aber damit befreite sie ihren Mann, den General Manuel Ascencio Padilla, der zu jener Zeit schon zwei Jahre in Gefangenschaft saß. Wegen ihres Mutes ernannte man sie zum Oberstleutnant und überreichte ihr den entsprechenden Säbel. Somit wurde sie zur ersten Frau mit Militärgrad. Sie brauchte weder High-Heels noch einen perfekten Lippenstift, und genau deshalb gehört sie neben weiteren tapferen Frauen wie Frida Kahlo und der Sängerin Violeta Parra zu den Antiprinzessinnen der Kinderbuchsammlung des argentinischen Verlags Chirimbote.

Durch interaktive Gestaltung versuchen die Autorin Nadia Fink und der Zeichner Pitu Saá, die Kleider der Prinzessinnen von heute außer Acht zu lassen: „Wir wollen aufzeigen, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, Frau zu sein, und das stellt die traditionell physische Schönheit in Frage“, teilt Fink der SEMANA mit. In diesem Sinne dürfen die neuen Heldinnen ihren Wünschen nachjagen, sie können unverheiratet glücklich sein und müssen auch keinen top-fotogenen Körper erlangen, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Alles begann im April 2015, und heute sind die Antiprinzessinnen Realität in sechzehn Ländern. In Kolumbien gibt der Verlag La Fogata diese Geschichten neu heraus und verbreitet sie, sodass sie sogar bis zur Jugendleseparade von Medellín vorgedrungen sind, die am vergangenen 15. Juli gefeiert wurde. In Bezug auf ihren durchgängigen Sechzehn-Stunden-Arbeitstag vertritt die Redaktionschefin für Literaturevents Adriana Cooper die Ansicht, dass “Lesen ein machtvolles Mittel darstellt, um Stereotypen abzuschaffen, da es Reisen in andere Welten ermöglicht, fern von Disneyvorstellungen“. Und sie bekräftigt, dass diese Heldinnen, mit ihren lateinamerikanischen Flaggen, die Rollen der Frauen umkehren, die sie, ob sie wollen oder nicht, gewohnt sind einzunehmen.

Nun mahnt die Geschichte an, dass sich die Schöne in ein Biest verliebt haben soll, das sie entführt und schlecht behandelt; sie stellt auch in Frage, dass die Meerjungfrau ihre eigene Identität für einen Mann aufgibt und kritisiert Aschenputtels gläserne Schuhe. Und im Einklang mit diesem Gender-Kampf entstehen Kampagnen wie “Prinzessinnen furzen auch” und Kinderbuchsammlungen wie “Es war zweimal” von Belén Gaudes und Pablo Macías, die klassische Märchen für Leserinnen des 21. Jahrhunderts neu schreiben.

Fink fügt hinzu, dass Frauen in den Erzählungen von früher untereinander wetteifern und dabei die Bösen im Märchen sind: Als Beweis reicht es schon, sich Aschenputtels Stiefschwestern anzuschauen, oder die Schurkinnen Úrsula, Lady Tremaine und die Königin Grimhilde. Wegen dieser falschen Repräsentationen kämpfen die Antiprinzessinnen gemeinsam und erheben – wie die argentinische Cumbia-Komponistin Gilda – ihre Stimmen, um zu beweisen, dass Frauen hier auch mitreden.

Neue Heldinnenvorbilder führen zu einer größeren Akzeptanz von Vielfalt, bei der zum Beispiel ein kleines Mädchen nicht immer mit der ‘Puppenküche’ spielt. Catalina Ruiz-Navarro von der Feministinnengruppe “Stereotypen” bestätigt dies und erinnert sich, dass es in ihrer Kindheit nicht immer lustig war, Thundercats zu spielen: „Es gab nicht genügend weibliche Charaktere. Die wenigen, die es gab, waren immer „das Mädchen“, und ihre einzige Funktion bestand darin, romantisch zu sein“. Hierzu ergänzt sie, dass Personen mehrere Facetten haben und dass der eigentliche Kampf über „die binäre Idee von dem, was Gut und Böse ist“, ausgefochten werden sollte.

Im Zuge dessen bezieht die Sammlung von Chirimbote auch die Antihelden ein: Männer ohne Umhang und Schwert, die sich weigern, ihre Prinzessin wach zu küssen. Sie sind keine Retter und wollen es auch nicht sein; ihre echte Waffe sind Ideale. In diese Sammlung passen also Che Guevara mit seinen revolutionären Bestrebungen, Eduardo Galeano mit kritischer Feder und Julio Cortázar mit seinem Surrealismus.

Das Vermächtnis des Che wieder aufleben zu lassen und an Violeta Parra zu erinnern, erweckt den Verdacht, dieses Werk sei von links geschrieben. Darüber äußert Fink, dass die Auswahl der Charaktere darauf zielt, Geschichten, die verschwiegen wurden, wieder ins Bewusstsein zu rufen. Sie zitiert zum Abschluss Silvina Garré und Juan Carlos Baglietto: “Wenn die Gewinner die Geschichte schreiben, heißt das, es gibt da noch eine andere Geschichte”. Die Welt ist voller Begebenheiten, die verschwiegen wurden, und viele davon finden im Grafikformat eine Form der Wiedergeburt. Als Beispiel dient der Fall von Persepolis, ein Grafikroman, der das Leben der Iranerin Marjane Satrapi inmitten eines fundamentalistischen Regimes erzählt: Der Erfolg war so groß, dass er 2007 auf die Leinwand kam und eine Auszeichnung in Cannes erhielt. Ebenso kreierte die Japanerin Chie Inudoh die erste Pharaonin im Manga-Stil und stellte Hatshepsut als große Anführerin der achtzehnten Dynastie dar, die ein Königreich des Friedens im Land der Götter erreicht hatte.

Die Schöpfer der Antiprinzessinnen und Antihelden mögen es nicht, ihre Bücher als Comics zu bezeichnen. Vielmehr nennen sie dieses Format lieber “von Link zu Link”, weil die Kinder heutzutage auf diese Weise ihr Wissen aus elektronischen Geräten beziehen. Davon ausgehend gehört auch ein wissbegieriges „Fragetierchen“ zum Design, das die Neugier des Kindes fördert, sowie andere didaktische Mittel, von Schriftfeldern bis hin zu Spielen.

Letztendlich sind es Geschichten für Kinder, aber sie gehen mit „Erwachsenenthemen“ ganz natürlich um: Es ist weder anrüchig noch sündhaft, festzustellen, dass sich für Frida Liebe in Männern und Frauen gespiegelt hat und dass „sie andere Liebesbeziehungen hatten, während sie zusammen waren“, wie man über die mexikanische Künstlerin in der ersten Geschichte der Antiprinzessinnensammlung lesen kann.

„Man darf die Leserinnen und Leser nicht unterschätzen“, sagt Janeth Chaparro, Koordinatorin des Zentrums für Leseförderung. Aus ihrer Sicht hat sich die Kinderliteratur in den letzten Jahren verfeinert, dank der Autorinnen und Autoren, die ihr Publikum verstehen und für dieses Bilder mit Symbolgehalt schaffen, die über den einfachen Text hinausgehen. Sie erklärt ebenfalls, dass der Erfolg dieses Angebots in den plausiblen Geschichten und entsprechenden Erzählstrategien begründet ist.

Die Idee ist es, zu den Kleinsten zu sprechen, weil „wir neue gestärkte Generationen brauchen, mit neuen Beziehungspraktiken und neuen Visionen, die über die Praxis hinausgehen“, sagt Sebastián Quiroga, vom La Fogata Verlag. Denn, wie es in einem dieser Bücher heißt, um zu spielen, muss man sich schmutzig machen“.

 

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Original Beitrag aus La Semana vom 22.7.17. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.

 

Übersetzung aus dem Spanischen: Uta Hecker

Bildquelle: La Semana

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