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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die Ära des andinato

Yolanda Segnini | | Artikel drucken
Lesedauer: 16 Minuten

Um das Venezuela der Gegenwart verstehen zu können, ist es unumgänglich, auf die ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts zurückzuschauen, auf den Beginn einer vereinigten Republik und einer Serie von Andenregierungen zwischen 1899 und 1945, die natürlich alle aus dem Staat Táchira stammten. Es handelt sich dabei um die Generäle Cipriano Castro (1858-1924), Juan Vicente Gómez (1857-1935), Eleazar López Contreras (1883-1973) und Isaías Medina Angarita (1897-1953). Die zwei ersten schufen die Basis für ein integriertes Land, das bis zu diesem Moment nur als Summe von lokalen Kräften unter der Herrschaft von regionalen Führern existierte. López und Medina gaben dem Land ihrerseits eine bisher unbekannte institutionelle Struktur, die ihre Funktion und Gültigkeit größtenteils bis Anfang der 70er Jahre, als die übermäßige staatliche Zentralisation zunehmend hinterfragt wurde, aufrechterhalten konnte.

Das Fundament dieser neuen Entwicklung lässt sich aus der Tatsache ableiten, dass die Anden eine der wenigen Regionen waren, die bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht mehr an einer politischen und ökonomischen Instabilität litten. Ihre relative geographische Isolation und die engen Wirtschaftsbeziehungen zum Nachbarn Kolumbien, vereinigt in der unzureichenden politischen Partizipation der Andinos, waren die Grundlage für eine nahezu autonome Zone. Diese Berggemeinschaften waren über die permanente Unfähigkeit der anderen Statthalter und die rückständige Wirtschaft des Landes erbost. An diesem Problem setzte Cipriano Castro an und initiierte eine Bewegung zur Führung des Landes unter den andinos. An deren Spitze agierten sechzig Männer aus der Bergregion, die in Caracas „einfielen“, der Stadt, die von nun an zum politischen Zentrum des Gebirgslandes werden sollte. Am Anfang dieses Jahrhunderts sah sich Venezuela einer ersten Krise gegenüber, nicht nur in der sozioökonomischen Ordnung, sondern auch in der Politik. Sie war das Ergebnis einer wachsenden Instabilität des Liberalismus, der als Sieger aus dem Bürgerkrieg hervorgegangen war. Die Bevölkerung überstieg geringfügig die Zahl zwei Millionen, von denen mehr als 91 % Dorfbewohner und 75% Analphabeten waren. Die allgemeine Lebenserwartung betrug nur 43 Jahre, was eine Folge von Unterernährung, Malaria und Infektionskrankheiten war.

Die privilegierten Kreise der Gesellschaft wurden von dieser Situation nur dann berührt, wenn sie direkt ihr Bestreben nach Ruhe und Ordnung zu stören drohte. Die Mehrheit von ihnen lebte in den wichtigsten Städten: Caracas, Maracaibo, Valencia und Barquisimeto. Sie waren die Nutznießer des Bildungssystems, hatten Zugang zu allen Arten von Publikationen und diskutierten die neuesten Artikel über aktuelle geisteswissenschaftliche Strömungen aus aller Welt. Die lokalen Zeitungen und Zeitschriften waren das natürliche Resultat dieser Diskussionen. In den letzten fünf Jahren des 19. Jahrhunderts verlegten allein in Caracas, einer Stadt mit weniger als 100.000 Einwohnern, 23 Druckereien 100 Periodika. Der Inhalt einiger dieser Publikationen zeigt zweifellos den Einfluss des europäischen Positivismus auf die Intellektuellen in Venezuela. Für einen Großteil der Intellektuellen dieser Generation diente die gefeierte Zeitschrift El Cojo Ilustrado von José Manuel Herrera Irigoyen (1847-1929) als Tribüne ihrer Veröffentlichungen zwischen 1892 und 1915. In dieser Zeit entwickelte sie sich zu einem Klassiker unter den venezolanischen Periodika und erntete internationale Resonanz aufgrund ihrer außergewöhnlichen grafischen Qualität. Diese trug die Handschrift vieler Sympathisanten, zu denen auch den Nikaraguaner Rubén Darío, der Peruaner Ricardo Palma und der Spanier Miguel de Unamuno gehörten.

Vor dem Niedergang des Liberalismus führte Cipriano Castro im Jahre 1899 die Revolution der liberalen Restauration an, die eine neue Ära in der Geschichte Venezuelas einleiten sollte: die der Andinatos. Schon gegen Ende des Jahres 1908 wurde der Begriff Restauration durch Rehabilitation ersetzt. Später wurden beide Bezeichnungen von Gatoprado neu bearbeitet, um die Grundlage für den Gomezismus zu bilden. General Gómez setzte geschickt die Politik seines Vorgängers fort, die in dem Prozess der nationalen Vereinheitlichung gipfelte, das Land befrieden und die Vielzahl der Caudillos beseitigen sollte. Außerdem wurde ein Plan für den Ausbau des Straßennetzes entwickelt, das alle Regionen mit dem Zentrum verbinden würde. Des weiteren sollte die Schaffung einer Armee von nationalem Charakter von nun an zu einem Garanten für alle Regierungen werden. Schließlich gab ihm eine grundlegende Reform des öffentlichen Vermögens die Möglichkeit zur Zentralisierung der Staatsfinanzen. Damit sollte der Finanzsektor saniert und die Auslandsschulden reduziert werden. Diese Maßnahmen erzeugten ein bisher unbekanntes Bild von einem zahlungsfähigen Venezuela, das sich auf der internationalen Bühne behaupten konnte.

Eine neue Generation von Intellektuellen, die von 1909, erschien mit dem Beginn des Gomezismus. Der Schriftsteller und Pädagoge Rómulo Gallegos (1884-1969: La trepadora, Dona Barbara y Cantaclaro) gehörte ihr an und rief die Wochenzeitschrift La Alborada (1909) ins Leben, deren Inhalt die vorherrschende Atmosphäre der Anfangsjahre des Regimes widerspiegelt: die Sehnsucht nach Frieden als Forderung des Fortschritts. Im gleichen Jahr erscheint auch eine Tageszeitung, die nicht nur zu den dauerhaftesten, sondern auch zu den bedeutendsten dieser Zeit gehört, El Universal, geleitet von dem Dichter Andrés Mata (1870-1931: Pentélicas). Während das Regime des Gomezismus seine Macht sicherte, schwanden allmählich die Hoffnungen auf eine neue Ära des Friedens in Freiheit. Trotzdem entsteht 1912 der Kreis der Schönen Künste, dessen Einfluss ein Jahrfünft lang bestehen sollte. Die Maler, Bildhauer und Musiker vereinigten sich dann mit jungen Dichtern, die mehrheitlich der Generation von 1918 angehörten, so wie Fernando Paz Castillo (1893-1981: Reflexiones de atardecer), Andrés Eloy Blanco (1897-1955: Canto a España, Poda, Baedeker 2000) und Enrique Planchart (l894-1953: Tres siglos de pintura venezolana). Die Aktivitäten dieser Gruppe sprechen bereits für ein geöffnetes Land, das sich der kulturellen Konfrontation stellt und sich ihr nicht verschließt. Mit zunehmender Machtausdehnung des Gomezismus nahmen auch die Versuche zu, ihn zu stürzen. Die wichtigsten waren dabei die Verschwörung von 1913 unter Román Delgado Chalbaud, die acht „Invasionen“ zwischen 1914 und 1933 von Emilio Arévalo Cedeno und die vier zwischen 1918 und 1931 unter Juan Pablo Penaloza sowie die Studentenrevolte im Februar und der Militäraufstand im April 1928. Im folgenden Jahr fand die Erhebung von José Rafael Gabaldón in Santo Christo, der Angriff von Curazao und die Expedition des „Falken“ statt. Man kann trotzdem verallgemeinernd sagen, dass General Gómez 1914 auf die bedingungslose Unterstützung der wichtigsten gesellschaftlichen Faktoren zählen konnte: Heer, Kirche, Grundbesitzer und nationale sowie ausländische Investoren. Seitdem nahm auch die venezolanische Intelligenz führende Positionen sowohl in der Regierung, als auch im diplomatischen Dienst ein.

Einer dieser Intellektuellen, der Jurist und Diplomat Diogenes Escalante (1879-1964), war der Begründer und Direktor der offiziellen Tageszeitung des Gomezismus: EI Nuevo Diario (1913-35). Die Verlagslinie dieser Zeitung zeigt in wortgewandter Art den Einfluss des Positivismus auf die nachfolgenden Intellektuellen. Sie legitimierten kritiklos das diktatorische Regime mit dem Argument, dass die politische, ökonomische und soziale Situation eine Regierung erfordere, die stark genug ist, um das Land zu befrieden. Das war das erste Mal, dass die venezolanischen Intellektuellen eine zusammenhängende Theorie entwickelten, um ein Regime zu verteidigen, von dem sie profitierten. Gleichzeitig erlebte das Land 1922 eine Wendung, die ein völlig neues Wirtschaftselement entstehen lassen sollte: die Erdölindustrie. Von diesem Datum an und für mehr als ein halbes Jahrhundert konzentrierte sich Venezuela fast ausschließlich auf diesen Sektor. Schließlich begannen aus sozialer Perspektive nun neue Wertmaßstäbe zu erscheinen, was in dem Auftreten einer heute sogenannten Erdölkultur gipfelte. Die venezolanische Gesellschaft passte sich, ohne es wirklich zu sein, den Verhaltensregeln und den typischen Konsumgewohnheiten der industrialisierten Länder an.

Die internationalen Kulturbewegungen unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg beeinflussten maßgeblich die Intellektuellen der Generationen von 1918 und 1928. Hier ist es wichtig zu wissen, dass sie während der nächsten sechs Jahrzehnte die Hauptfiguren und Verantwortlichen in der Kulturpolitik Venezuelas gewesen sind. Ihre Ideen nahmen in einer Serie von periodischen Veröffentlichungen Gestalt an, die in Umlauf kamen, kaum nachdem der allgemeine Papiermangel durch den Ersten Weltkrieg überwunden war. Die Analyse der Publikationen jener Zeit (s. Rand) ist unverzichtbar, um die herrschenden Vorbilder und Werte in den intellektuellen Kreisen erklären zu können, die Ausdruck einer Elite in einem sich konstruierenden Land waren. Es war ein der offiziellen Version widersprechendes Bild der Geschichte Venezuelas.

Das Gómez-Regime griff nicht in die Arbeit der privilegierten Intellektuellen ein, solange sie nicht, direkt und konkret gegen seine Politik gerichtet war. Unter Konsequenzen hatten „nur“ diejenigen zu leiden, die sich der Diktatur entgegenstellten, wie der Dichter und Pionier der marxistischen Idee in Venezuela, Pi Tamayo (1898-1935), und zahlreiche Mitglieder der Generation von 1928. Besondere Aufmerksamkeit verdient eine kulturelle Institution, die während des Gomezismus ins Leben gerufen wurde: das Ateneo von Caracas. Es ist deshalb so interessant, weil es wichtige Initiativen auf dem Gebiet der Schönen Künste unterstützte und die einzige Institution gewesen ist, die sich ohne Unterbrechung mehr als sechzig Jahre lang halten konnte. Diese lange Beständigkeit ist besonders außergewöhnlich in einem Land, das ansonsten von Provisorien und schnellen Wechseln bestimmt war. Das Ateneo wurde 1931 auf Initiative einer Frauengruppe unter der Leitung der Pianistin und Komponistin Maria Luisa de Escobar Saluzzo (1912-1985) gegründet. Diese Einrichtung hatte enge Beziehungen zu der nationalen Presse, wodurch permanent die wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften die Aktivitäten auf den gleichen Seiten besprachen, auf denen sie auch über die High Society berichteten. Das Soziale und das Kulturelle waren zu Anfang somit Synonyme. Im Laufe der Zeit konnte sich das Ateneo von Caracas jedoch zu einer herausragenden kulturellen Institution entwickeln, die es bis heute geblieben ist.

Die literarisch-musikalischen Stücke, die Ausstellungen, Konferenzen und Konzerte wuchsen ständig an, so dass schließlich der bisherige Aufführungsort zu klein wurde. Schon 1933 bat das Direktorium den Eigentümer des Hauses, den leidenschaftlichen Anhänger des Gomezismus, General Vincencio Perez Soto (1883-1955), um Erlaubnis und die Mittel, seine Räume erweitern und ein neues Auditorium eröffnen zu dürfen. Einige dieser Vorhaben wurden den größten jährlich stattfindenden künstlerischen und sozialen Ereignissen gewidmet. Am 17. Dezember 193 5 starb General Gómez im Alter von 78 Jahren friedlich in seinem Bett nach langer schwerer Krankheit. Sein Tod stellte das Ende der längsten und stabilsten Diktatur dar, die Venezuela je erlebt hatte.

General Eleazar López Contreras war Kriegs- und Marineminister unter Gómez und in dieser Position nach dessen Tod zum Präsidenten ernannt. Die offizielle Ernennung wurde jedoch durch Unruhen, Plünderungen und öffentliche Kundgebungen gestört, die in verschiedenen Städten des Landes nach dem Erhalt der Nachricht vom Tod des Diktators stattfanden. Dieses Erwachen der Massen wird oftmals als der wahre Beginn des 20. Jahrhundert angesehen, das mit sechsunddreißig Jahren Verspätung eintrat und so, als ob López Contreras nichts mehr mit dem repressiven Regime seines Vorgängers zu tun gehabt hätte.

Seit Beginn seiner Amtszeit unternahm General López einige bisher beispiellose Aktionen. Zuerst entwarf er ein Regierungsprogramm, das als „Februar-Programm“ bekannt geworden ist. Es ist das Resultat einer Diagnose der dringendsten Probleme im Bildungs- und Gesundheitswesen, um diese vorrangig und angemessen lösen zu können. Zweitens schlug er einen Dreistufenplan zur Durchführung der politischen Inhalte des genannten Programms vor. Und drittens rief er die klügsten Köpfe des Landes auf, inklusive derjenigen, die unter Gómez die Opposition bildeten, um sich an der Schaffung eines modernen Landes zu beteiligen, was als neue Realität proklamiert wurde. Dieser Aufruf wurde mit ungewöhnlicher Begeisterung aufgenommen, vor allem von den Intellektuellen der Generation von 1918/1928. Des weiteren erreichte die Regierung von López Contreras politische Entscheidungen auf dem Gebiet der Bildung und des öffentlichen Gesundheitswesens. Um dem Problem des Analphabetismus begegnen zu können, führte er eine Reform durch, welche die Verlagerung dieser Aufgabe von den einzelnen Abteilungen auf das nationale Bildungsministerium zum Ziel hatte. Das Pädagogische Institut und neunzehn Schulen für Lehrerausbildung wurden gegründet sowie das Bildungsgesetz von 1940 verabschiedet, um auch die juristische Absicherung dieser Maßnahmen zu gewährleisten. Das Bildungsministerium rief bereits 1936 als eine seiner Sektionen die Direktion für Kultur und Schöne Künste ins Leben, welche alle Arten von künstlerischen Aktivitäten unterstützen sollte, wie beispielsweise auch die Veröffentlichung von Werken nationaler Schriftsteller. Gleichzeitig war sie für die Revista National de Cultura (gegr. 1938) und die Revista Educación (gegr. 1939) verantwortlich, die seitdem verlegt werden. Während der Jahre des Postgomezismus begann sich auch die Arbeiterbewegung zu organisieren und Forderungen an die Regierung zu stellen. Im Jahre 193 8 wurde eine neue Abteilung im Arbeitsministerium geschaffen, die „Direktion für Soziale Kultur und Wohlstand“.

Auch in Bezug auf die Zivilgesellschaft waren diese Jahre günstig für die Entstehung von Vereinigungen, Verbänden und Gruppierungen aller Art, insbesondere 1936, dem geschäftigsten Jahr, was organisierte Aktivitäten betrifft. Gleichzeitig erschienen neue Zeitungen und Radioprogramme, von denen die wichtigsten die Tageszeitung Ahora (1936-45) und die Sendungen von Radiodifusora Nacional waren. Auch das Ateneo von Caracas versteckte sich nicht hinter der allgemeinen Aufbruchstimmung. Die Mehrzahl der Gründungsveranstaltungen neuer Organisationen fanden mittlerweile in den Räumen des Ateneos statt. Mehr noch, seit 1937 besaß man auch sein eigenes wöchentliches Radioprogramm bei Radio Caracas. Im darauffolgenden Jahr übernahmen Löpez und sein Bildungsminister, der Arzt Enrique Tejera (1899-1980), die Schirmherrschaft über zwei jährlich vergebene Preise für Bildhauerei, die aus Anlaß des siebenten Geburtstages der Einrichtung gestiftet worden waren. Schon 1939 war die Zahl der Veranstaltungen so groß, dass das Ateneo unter Platznot litt. Aus diesem Grund wandte sich der Vorstand an das Bildungsministerium, mit der Bitte, ein anderes Gebäude zur Verfügung zu stellen, was ihnen allerdings bis 1943 nicht zugestanden wurde. Das war jedoch kein Hindernis. Eine Gruppe junger Dichter, unter ihnen Pablo Rojas Guardia (1909-1978: Espejos de noviembre para sueños de abril), Vicente Gerbrasi (1913-199?: Mi padre, el inmigrante) und Pascual Venegas Filardo (geb. 1914), trafen sich wöchentlich auf engsten Raum und gründeten die Zeitschrift Viernes (1939-41). Das Ateneo unterhielt auch enge Beziehungen zu dem Musiker Vicente Emilio Sojo (l 887-1974), dem Gründer und Leiter des Sinfonischen Orchesters Venezuelas. Einige seiner Mitglieder boten regelmäßig Rezitationen und Konzerte an, die zum festen Bestandteil des Programmes wurden. Während des Jahres 1940 beinhaltete dieses Programm auch einen Zyklus von Diskussionsveranstaltungen, die als Venezolanische Konferenzen bezeichnet wurden. In ihnen wurde jeder der zwanzig Staaten und föderalen Territorien des Landes, das noch immer nicht seine innere Einigkeit als Nation gefunden hatte, vorgestellt.

López Contreras wurde im Präsidentenamt von seinem Kriegs- und Marineminister General Isafas Medina Angarita abgelöst. Dieser erweiterte das politische Spektrum zwischen 1941 -45 noch mehr, indem die zuvor verbotenen politischen Parteien, wie die Acción Democrática (AD) und die Partido Comunista de Venezuela (PCV), nicht nur legalisiert wurden, sondern sich auch zu Bewegungen von nationaler Dimension und zu Vermittlern des Gewerkschaftskampfes entwickelten. Intellektuelle wie Arturo Uslar Piertri spielten eine entscheidende Rolle in den hohen Regierungskreisen und gründeten schließlich sogar ihre eigene politische Organisation, die Partido Democrático Venezolano (PDV), um mit größerer Wirksamkeit der von der AD geführten, eisernen Opposition entgegentreten zu können.

Während des Medinismo verschärften die Folgen des Zweiten Weltkrieges den Papiermangel, wodurch sich Druckereien und Zeitungen strengen Quoten unterwerfen mussten. Trotzdem beeinflusste diese Schwierigkeit nicht den Auftrieb der „neuen“ Presse. Im Gegenteil, jede der neuen politischen Organisationen unterstützte ihr eigenes Sprachrohr und in diesen Jahren erschienen, neben dem offiziellen Organ der Regierung El Tiempo (1941-45), beispielsweise die humoristische Wochenzeitung El Morrocoy Azul (1941-58) unter dem Schriftsteller und Journalisten Miguel Otero Silva (1908-85: Fiebre, Casas Muertas, Oficina No 1) und die Tageszeitungen Ultimas Noticias (gegr. 1941) mit dem Essayisten und Universitätsprofessor Pedro Beroes (1908-) und El National (gegr. 1943), geleitet von dem Schriftsteller Antonio Arráiz (1903-62: Áspero, Puros hombres). Die „neue“ Presse wuchs nicht nur quantitativ und in ihrem Einfluss, den die auf die Gesellschaft ausübte, sondern entwickelte sich auch zu einem Instrument der verschiedenen Interessengruppen. So gründete sich 1942 die Vereinigung der Venezolanischen Zeitungsmacher (AVP) und veranstaltete schon im folgenden Jahr ihren ersten Nationalkongress.

Was das Bildungswesen angeht, so führte Präsident Medina ein umfangreiches Programm zur Gründung von Schulverbänden und Gymnasien im gesamten Land durch, schuf die Basis für die Universitätsstadt, indem die ersten Maßnahmen zur Enteignung des Landgutes Ibarra ergriffen und das Projekt dem Architekten Carlos Raúl Villanueva anvertraut wurde. Diese Initiativen waren ein neuer Meilenstein im Kampf gegen den Analphabetismus seit López. Die Regierung konnte in ihrem letzten Jahresbericht eine Reduzierung der Analphabetenrate um 50% bekanntgeben. Die staatliche Kulturpolitik lag auch weiterhin in der Verantwortung der Direktionen für Kultur und Schöne Künste sowie dem Nationalen Bildungsministerium und dem Arbeitsministerium. In der Zwischenzeit gründete man das Haus des Arbeiters, das Theater der Arbeitenden, das Freie Institut für Volkskunst und zahlreiche weitere Einrichtungen.

Das Ateneo von Caracas bildete seinerseits weiterhin das Zentrum der Aktivitäten der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Versuche, das kulturelle Leben zu organisieren. Unter der Präsidentschaft von Anna Julia Roja richtete sich die Aufmerksamkeit besonders auf die Unterstützung der Theaterkunst des Landes. Neue künstlerische Gruppierungen, wie die Konzertvereinigung Venezuelas und die Gesellschaft der Theaterfreunde tauchten auf, um die Arbeit einer neuen Dramaturgen-Generation zu fördern. Schließlich begann auch die feministische Bewegung Resultate vorzuweisen. Weitere Organisationen wie die „Gruppe der Weiblichen Tat“ traten in Erscheinung und das Wahlrecht für Frauen war das logische Ergebnis ihres Kampfes für die gleichberechtigte und freie Teilhabe an der nationalen Politik. Es existiert ein zentraler Aspekt in der nationalen Politik und Wirtschaft während der Regierungszeit Medinas, der hervorgehoben werden muss: innerhalb sehr kurzer Zeit entwickelte sich Venezuela zum größten Exporteur und drittgrößten Produzenten von Erdöl in der Welt. Die neuen sozio-ökonomischen Bereiche, die als Resultat der Entwicklung in der Erdölindustrie auftraten, begannen nun einen Platz im politischen Spektrum zu beanspruchen. Aus diesem Grund war die Frage nach dem Präsidentschaftsnachfolger von Medina im Jahre 1945 von lebenswichtiger Bedeutung. Der Staatsstreich vom 18. Oktober diesen Jahres gab die Antwort: eine Allianz aus bürgerlichen Vertretern der neuen Wirtschaftszweige mit den gleichen Militärs, die unter dem andinato formiert wurden, und das nur sechs Monate vor dem Ende der Amtszeit Medinas.

Übers. a. d. Spanischen: Nora Pester

* Historikerin, Dr. phil. an der Universidad Central de Venezuela

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[1] Zu den wichtigsten Repräsentanten des Positivismus zählten Soziologen, Essayisten und Diplomaten wie Pedro Manuel Arcaya (1874-1958: Autor von Estudios de sociología venezolana), Laureano Vallenilla Lanz (1870-1936: Cesarismo democrático, Disgregación e Integración) und auch der Historiker José Gil Fortoul (1861-1943: El hombre y la historia, Historia constitucional de Venezuela). Die herausragendsten Denker dieser geistigen Strömung gehören der Generation von 1895 an, zu denen auch die modernistischen Schriftsteller Rufino Blanco Fombona (1874-1944: El hombre de hierro, El hombre de oro, El conquistador español del siglo XVI) und Manuel Díaz Rodriguez (1871-1927: Cuentos de color, idolos rotos) zu rechnen sind.

[2] Einige der wichtigsten Periodika der 20er Jahre: Actualidades (1917-22), verlegt von Aldo Baroni und Rómulo Gallegos; Cultura Venezolana (1918-32) vom Arzt und Politiker José A. Tagliaferro hrsg.; Billiken (1919-58) des Journalisten Lucas Manzano; Fantoches (1923-33), ein gefeiertes humoristisches Wochenblatt von Leoncio Martínez; Elite (gegr. 1925) des Unternehmers und Journalisten Juan de Guruceaga und die einzige Nummer von válvula (1928), die als Sprachrohr der Avantgarde angesehen wurde.

[3] Zur Generation von 1918/1928 gehören: der Ökonom und Essayist Alberto Adriani (1898-1936); der Schriftsteller und Diplomat José Rafael Pocaterra (1889-1955: El doctor Bebe, Cuentos grotescos), der Ökonom, Politiker und Schriftsteller Arturo Uslar Pietri (geb. 1906: Las lanzas coloradas, El camino de El Dorado, La isla de Robinson, La visita en el tiempo), der Pädagoge und Essayist Augusto Mijares (1897-1979: La luz y el espejo, El Libertador), der Journalist und Historiker Ramón Díaz Sánchez (1903-1968: Mene, Cumboto, Guzmán: elipse de una ambición de poder), der Historiker und Diplomat Mario Briceno Iragorry (1895-1958: Casa León y su tiempo, Los Riberas), der Journalist und Diplomat José Nucete Sardi (1897-1972: Aventura y tragedia de Don Francisco de Miranda, La ciudad y sus tiempos), der Journalist und Essayist Enrique Bernardo Nuñez (1895-1964: Cubagua, El hombre de la levita gris) und der Universitätsprofessor und Essayist Mariano Picón Salas (1901-1965: Comprensión de Venezuela, Los dias de Cipriano Castro).

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