Ein Blick in die Medien rund um den 9. Oktober offenbart, wie gegensätzlich mit der Erinnerung an den lateinamerikanischen Revolutionär umgegangen wird. Während Che Guevara in der spanischsprachigen Presse ausführlich gewürdigt wird, fällt das mediale Echo in Deutschland eher spärlich aus. Beginnen wir mit den hiesigen Medien.
Zu groß, um verschwiegen zu werden
Eine Zeitungsschau am 9. Oktober in überregionalen deutschen Blättern mit Blick auf die Texte zum 50. Todestag von Ernesto Che Guevara erweist sich als eine nicht sehr umfangreiche Aufgabe und ist auch thematisch nicht eben abwechslungsreich. Mit der Sichtung der Blätter kommt die Recherche schnell an ein Ende.
Süddeutsche Zeitung: Fehlanzeige. Die Welt: Fehlanzeige. taz: Fehlanzeige. Lediglich FAZ, nd und jW erinnern am 9. Oktober an Che Guevaras Ermordung.
Gut, seien wir ehrlich: die taz hatte bereits am 6. Oktober einen Bericht über die Feierlichkeiten in Bolivien veröffentlicht. Dieser Beitrag von Bernd Pickert wirkt seltsam konfus, hat von allem etwas: Ein wenig Biographie, ein etwas mokanter Verweis darauf, dass Bolivien jetzt von Leuten regiert wird, denen Che „nicht Feind, sondern Vorbild ist“. Dazu viel Verständnis für die Militärs, insbesondere die Veteranen des Antiguerillakampfes, die nicht mitfeiern wollen. Sogar ein Hinweis auf die Jungen Pioniere der DDR fehlt nicht. Auf taz.de versucht sich Adrian Schulz in einer Art (überlanger) Glosse, und klärt recht launig darüber auf, dass dieses alternative Zeugs (Greenpeace, Weltladen etc.) eh nur albern ist. „Che, sexy wie Christian Lindner“ heißt der Text und bleibt leider ein recht oberflächlicher Beitrag zur schicken Revoluzzer-Attitüde. Tja, taz eben.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, ja die FAZ, widmet der Ikone des Klassenfeinds am 9. Oktober zwei Beiträge. In „Die letzte Ruhe des Revolutionärs“ stellt Solveig Flörke eine deutsche Nonne vor, die als junge Krankenschwester Che in Vallegrande die letzte Ehre erwies und Zeugin der „Präsentation“ des ermordeten Guerilleros wurde. Ein unaufgeregter Beitrag, der zwar wieder die Mär vom Zerwürfnis zwischen Che und Fidel aufwärmt, aber die Geschichte von Leben und Tod des Argentiniers gut mit den Erinnerungen der wohl bis heute eher ahnungslosen Ordensschwester verbindet. „Der Mythos verblasst“ von Matthias Rüb verrät schon im Titel, wo er hin will, bleibt die Belege dafür aber irgendwie schuldig. Dafür erfahren die Leser, dass es in Ches Geburtsstadt Rosario nicht nur Linke gibt (welch Überraschung!) und dass der ebenfalls dort geborene Messi viel populärer sei.
Das nd, die sozialistische Tageszeitung, zeigt sich recht zurückhaltend bei der Erinnerung an Che Guevara. In der Wochenendausgabe vom 7./8. Oktober stellte Karlen Vespen das Buch „Mein Bruder Che“ von Juan Martín Guevara vor, das im Mai erschien. Der Beitrag ist eine Rezension, erweitert zum Bericht. Am 9. Oktober berichtet Die Sozialistische Tageszeitung dann auf ihrer Panorama-Seite, auf der im Allgemeinen „Vermischtes“ (Crime, Katastrophen aller Art und Skurriles) erscheint, über einen deutschen Unternehmer, der das Mausoleum und das Monument Ches in Santa Clara renoviert. Warum Michael Diegmann aus dem Eichsfeld die Arbeiten auf eigene Kosten erledigt, ist leider nicht zu erfahren. Ach ja, am 11.10. erschien im nd dann auch eine kurze Meldung über die Feierlichkeiten in Bolivien.
Eine solche Meldung erscheint auch in junge Welt, diese macht Che am 9. Oktober aber zum Titelthema. Auf zwei Seiten würdigt Volker Hermsdorf „Ein Leben für die Revolution“. In seiner sehr ausführlichen Darstellung der Biographie des Revolutionärs, die sich ebenfalls auf Juan Martín Guevara bezieht, spricht der Autor auch Themen an, die bis heute die Kontroverse über Che bestimmen, wie z.B. die Todesurteile gegen Vertreter des Batista-Regimes. Damit ist Hermsdorfs Beitrag tatsächlich der einzige, der sich bemüht, Che in seiner Zeit zu verorten. Bereits in der Wochenendausgabe vom 7./8. Oktober findet sich ein ausführliches Interview mit Ches Tochter Aleida, die Ärztin in Havanna ist und lernen musste, mit dem Mythos um den Heldenvater zu leben. Es passt zu der politisch motivierten Bandbreite zwischen Verschweigen und Würdigung, dass von den im Bundestag vertretenen Parteien lediglich die Linke den 50. Todestag von Ernesto Che Guevara zum Anlass nimmt, um seiner zu gedenken (nachzulesen unter: https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/hasta-siempre-comandante-che-guevara/).
„Hasta siempre, Comandante!“
Es liegt in der Person und im Wirken des in Argentinien geborenen Revolutionärs begründet, dass sein 50. Todestag auch in Lateinamerika unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Im Unterschied zu Deutschland versucht dort aber niemand, den Mantel des Schweigens über Che Guevara auszubreiten. Mit öffentlichen Akten wurde er besonders in Kuba und Bolivien geehrt. Bereits am 8. Oktober fand in Santa Clara, wo seine sterblichen Überreste in einem Mausoleum ruhen, eine Gedenkfeier in Anwesenheit von Raul Castro statt. Zu den mehr als 60.000 Kubanern sprach Miguel Díaz-Canel Bermúdez, der zweite Mann der Staats- und Parteiführung des sozialistischen Inselstaates. Nachdem er die Verdienste von Ernesto Che Guevara als Guerillero, Minister und Inspirationsquelle gewürdigt hatte, ging er auf die gegenwärtige Situation in Lateinamerika ein. Wie von Che gefordert, werde Kuba gegenüber den Machenschaften des Imperialismus stets wachsam bleiben und nicht zulassen, dass seine Souveränität und Unabhängigkeit angetastet werden. Mit der diesjährigen Che-Gedenkfeier, die erste nach dem Tod von Fidel Castro, bestätige das kubanische Volk seine feste Bereitschaft, das Vermächtnis der beiden Revolutionäre für immer zu wahren.
In Bolivien, wo Che Guevara seinen Kampf für die Befreiung Lateinamerikas mit dem Leben bezahlt hat, traf sich Evo Morales, der Präsident des Landes, mit Delegationen aus Kuba, Venezuela, Ecuador, Argentinien und Nicaragua, um an den legendären Guerillero zu erinnern. Gemeinsam begingen sie in Villagrande, dem Ort, wo die Leiche von Ernesto Che Guevara am 9. Oktober aufgebahrt und von seinen Mördern später heimlich begraben worden war, dessen Todestag. Die kubanische Delegation wurde von Ramiro Valdés Menéndez, Comandante de la Revolución und stellvertretender Ministerpräsident, geleitet. Neben Aleida, Celia, Camilo und Ernesto, den Kindern von Che Guevara, gehörten ihr Brigadegeneral Harry Villegas Tamayo (Pombo) und Oberst Leonardo Tamayo Núñez (Urbano) an. Beide hatten mit Che in Bolivien gekämpft und waren ihren Verfolgern nur knapp entkommen. In seiner Rede würdigte Evo Morales besonders den Internationalismus des 1967 ermordeten Revolutionärs. In diesem Zusammenhang betonte er, dass von den insgesamt 50 Guerilleros unter dem Kommando Che Guevaras die Mehrheit, nämlich 26, Bolivianer waren. Auch Argentinier und Peruaner gehörten dem Partisanentrupp an. Chino, ein Peruaner namens Juan Pablo Chang Navarro-Levano und Willy, ein bolivianischer Bergarbeiter, der eigentlich Simeón Cuba Sanabria hieß, waren am selben Tag wie der verwundet gefangen genommene Che in La Higuera ermordet worden.
Auch in den USA findet der 50. Todestag von Ernesto Che Guevara seinen Widerhall. So verwies Michael Shifter, Präsident des Inter-American Dialogue in Washington, gegenüber der kolumbianischen Zeitung El Espectador darauf, dass Che Guevara überall in Kuba wie ein „Heiliger der Revolution“ verehrt werde. Er repräsentiere deren „romantischen Jahre“, weshalb die Feststellung nicht übertrieben sei, ihn nach wie vor als „volkstümliche Gestalt“zu bezeichnen, die sich gelegentlich bis „ins Mythische“ steigert. Wie sehr Ches Vermächtnis immer noch politisiert und polarisiert, wird in Uruguay sichtbar. Dort war die Gedenkveranstaltung, die zu Ehren des Revolutionärs am 10. Oktober im Parlament abgehalten worden war, von heftigen Kontroversen überschattet. Während der kommunistische Abgeordnete Gerardo Núñez, der die Veranstaltung beantragt hatte, die historische Größe Che Guevaras umfassend würdigte, sah Jaime Trobo vom rechten Partido Nacional diesen vor allem als „Verlierer“ an und verunglimpfte den Guerillero als „rassistisch“ und „homophob“. Verschiedene Abgeordnete des regierenden Frente Amplio, dem auch die KP Uruguays angehört, wiesen diese Anschuldigungen energisch zurück. Für Iván Posada vom Partido Independiente (PI) war Che ein „Mensch aus Fleisch und Blut“, der für seine Ideale in den Tod zu gehen bereit war. Als echter Revolutionär habe er gewusst, dass er in seinem Kampf entweder siegen oder sterben werde.
Dieses Beispiel zeigt, dass Ernesto Che Guevara weit mehr als der vielfach beschworene Mythos ist. Seine Erfolge wie auch seine Niederlagen, vor allem aber seine Konsequenz, mit der er Wort und Tat – den eigenen Tod eingeschlossen – miteinander verband, fordern uns selbst 50 Jahre nach seiner Ermordung heraus: Was würden wir tun und was würden wir opfern, um die Ungerechtigkeit, die Unterdrückung und die Entfremdung zu überwinden, die der globale Kapitalismus Tag für Tag produziert? In diesem Sinne ist das Vermächtnis des Comandante aktueller denn je.
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Bildquellen: [1] Quetzal-Redaktion, gt ; [2] Antonio Mesa Madero