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Politik und Kultur in Lateinamerika

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Die DEFA und Lateinamerika

Gabriele Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 6 Minuten

Das Leipziger Dokumentarfilmfestival zeigte Retrospektive mit DEFA-Filmen

Lateinamerika: Musik - Foto: Public DomainEs gibt eine Sendereihe, ich glaube auf 3sat, die heißt „Der Soundtrack meines Lebens“, in der mehr oder minder Prominente prägende Ereignisse ihres Lebens anhand von Musikstücken Revue passieren lassen. Auch wenn man den Gesprächen anmerkt, dass die Gäste nicht selten die Musik auswählen, die in der Gegenwart Bedeutung für sie hat, so verweist das Ganze doch auf die Bedeutung der Musik im Leben der meisten von uns. Es scheint so, als bewahre sich so manche Erinnerung am intensivsten in Verbindung mit der Musik.

Und so war es auch die Musik, die beim Ansehen dieser alten DEFA-Filme auf dem Leipziger Dok-Filmfestival sehr schnell Assoziationen schuf und bewirkte, dass sich dieses seltsame „ja, genau“ einstellte. Vermutlich hatte ich diese Filme schon einmal gesehen, bei zwei von ihnen bin ich mir relativ sicher, auch wenn ich mich nicht erinnern kann. Aber die Musik bringt mir diese Erinnerung: die Lieder von Carlos Mejía Godoy oder die stimmgewaltige Maria Farantouri, die Theodorakis singt.

Das diesjährige Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, das 55. übrigens, hatte auch eine Retrospektive zum Thema „Erinnere dich mit Liebe und Hass – Die DEFA und Lateinamerika“ in seinem Programm. Und in dieser Reihe waren am 31. Oktober drei Filme zu sehen, die sich mit lateinamerikanischen Künstlern beschäftigten.

Canto General

Canto General von Joachim Tschirner aus dem Jahr 1982 nimmt den Gedichtzyklus „Der Große Gesang“ zum Anlass, um Leben und Wirken zweier bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts darzustellen: den Chilenen Pablo Neruda, der den 1950 veröffentlichten Zyklus schrieb, und den Griechen Mikis Theodorakis, der in den 1970er Jahren ein Oratorium nach Texten aus dem „Großen Gesang“ schuf. Und so wird der Film in hohem Maße von der Musik des griechischen Komponisten getragen.

Tschirner nimmt Theodorakis‘ „Oratorium für zwei Solostimmen, gemischten Chor und Orchester“ zum Ausgangspunkt, um Parallelen im Leben beider Künstler aufzuzeigen, die nach und nach ihre Kunst – Dichtung und Musik – auch als politische Waffe begriffen und sie in den Dienst der Unterdrückten stellen wollten. Für beide Künstler waren die Folgen ihres linken Engagements ähnlich: Popularität und Verehrung auf der einen Seite und Verfolgung und Verbot ihrer Werke auf der anderen. Abgesehen von einigen (propagandistischen) Vereinfachungen gelingt Tschirner das „Zusammenerzählen“ der beiden in die politischen Kämpfe des Jahrhunderts verstrickten Lebensgeschichten, die sich immer wieder kreuzen. Der „Canto General“, ursprünglich dem von Obristen regierten Griechenland gewidmet, wurde letztendlich zu einer Hommage an Chile, in dem 1973 das Militär putschte.

Ein Bild malen…

Zwei der gezeigten Filme wurden von Karlheinz Mund gedreht, der im Übrigen auch Gast dieser Vorführung war. Ein Bild malen ist wie Mais anbauen – Bauernmalerei aus Solentiname (1984) stellt die nicaraguanische Bauernmalerei von Solentiname vor. Ernesto Cardenal, Priester, Dichter und später Kulturminister, hatte 1966 auf Solentiname im Nicaraguasee eine christliche Kommune gegründet. Die Inselbewohner, zumeist Bauern, begannen sehr bald, sich künstlerisch auszudrücken, und so entstand u.a. eine Schule der naiven Malerei, die weltbekannt werden sollte. Aus zutiefst christlicher Überzeugung schlossen sich Mitglieder der Gemeinde in den 1970 Jahren dem bewaffneten Kampf der Sandinisten gegen die Somoza-Diktatur an. Die Nationalgarde startete einen Rachefeldzug und zerstörte die Gemeinde.

Nicaragua: Naive Malerei (Wandbild auf dem Monimbóplatz in Berlin) - Foto: lotseMund berichtet nach der Vorführung in Leipzig, wie einfach und schnell der Film entstanden war, der die Geschichte von Solentiname erzählt, in dem er sich einfach an die Bilder hält. In Berlin gab es 1984 eine Ausstellung mit Fotos und Werken der nicaraguanischen Bauern. Die Filmemacher sahen dort die Bilder, übernahmen Selbstzeugnisse der Maler und Malerinnen, die – wenn ich mich recht entsinne – ebenfalls in der Ausstellung zu sehen waren, dazu kamen Fotos der Protagonisten und Musik. Viel Musik, hauptsächlich Lieder von Carlos Mejía Godoy und seiner Gruppe. So einfach das Konzept war, der Film entstand wohl in nur drei Tagen, es ging auf. Entstanden ist ein sehr interessanter, informativer und kurzweiliger Film. Auch wenn festgestellt werden muss, dass kein Film und keine Reproduktion die tatsächliche Ausstrahlung dieser farbenprächtigen Bilder wiedergeben kann. Leider.

Ganz Berlin…

Der zweite Film von Mund, Ganz Berlin ist in deinen Augen – Erinnerungen an Otto René Castillo, erinnerte an den guatemaltekischen Dichter. Castillo hatte um 1960 herum hier in Leipzig Germanistik studiert, eine Familie gegründet und war schließlich nach Berlin gegangen, um Filmkunst zu studieren. Mitte der 1960er Jahre kehrte er schließlich in seine Heimat zurück, wo er 1967 ermordet wurde. Die „besondere Atmosphäre“ in Leipzig mit den vielen ausländischen Studenten, darunter zahlreiche Lateinamerikaner, regte den Regisseur zu diesem Film an. Otto René Castillo kannte er vom Hörensagen, aus Berichten von Deutschen und Lateinamerikanern, die ihn kennengelernt hatten. Das Ergebnis ist das Portrait eines Künstlers, der seine Heimat so sehr liebte, dass er nicht aus der Ferne zusehen konnte, wie seine Landsleute unter der Diktatur leiden mussten, und der schließlich Familie, Freunde und Geliebte zurückließ, um sich diesem Kampf anzuschließen.

Mund verwob in seinem gut zwanzigminütigen Streifen Castillos Geschichte mit der Lateinamerikas, einer Geschichte von Hoffnungen, Kämpfen und Niederlagen. Dabei wollte der Regisseur m.E. manchmal zu viel des Guten, viele Themen konnte er nur anschneiden. Aber das war wohl auch der Zeit geschuldet, schließlich entstand der Film in der DDR, wo es üblich war, so ziemlich jedes Ereignis dialektisch-historisch-konkret in den großen Zusammenhang einzuordnen. Dazu passt auch, dass der Film am 31.10.2012 zum ersten Mal unter seinem eigentlichen Titel laufen durfte. „Ganz Berlin“ ging in der DDR überhaupt nicht, so kleinkariert ging es zu. Hinzu kommt, und das konnte nun nicht mehr korrigiert werden, dass die im Film zitierten Gedichte von Otto René Castillo z.T. unvollständig oder sehr frei übersetzt wurden. Der Dichter aus Guatemala hielt sich nun einmal nicht an die offiziellen DDR-Sprachregelungen und thematischen Tabus.

Und hier schloss sich gewissermaßen ein Kreis in dieser Veranstaltung in Leipzig. Festivaldirektor Claas Danielsen hatte es sich nicht nehmen lassen, diesen Filmnachmittag persönlich zu eröffnen, was wohl insbesondere auch dem Film über Otto René Castillo geschuldet war. Der Dichter hatte einst der Jury des Festivals angehört, und während der Dokfilmwoche 1983 war sein Sohn in Leipzig verhaftet worden, weil er zusammen mit anderen Jugendlichen bei einer „Kerzenkundgebung“ Meinungsfreiheit einforderte. Danielsens Anwesenheit zeigt die Bedeutung, die der Festivalchef der Wiederaufführung dieses Films von Karlheinz Mund beimisst. Sie war nicht zuletzt eine Art Wiedergutmachung des Leipziger Festivals für jahrelanges Schweigen zu den Ereignissen vor fast 30 Jahren.

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Bildquellen: [1] Public Domain; [2] Lotse_

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