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Archäologie in der Mojos-Ebene Boliviens – Die Fernerkundungsmethode LiDAR eröffnet beeindruckende neue Dimensionen präkolumbischer Kulturen im Amazonasgebiet

Klara Weise | | Artikel drucken
Lesedauer: 9 Minuten

Die Mojos-Ebene im Norden des Tieflands Boliviens erstreckt sich über reichlich einhunderttausend Quadratkilometer. Das Savannengebiet ist geprägt von saisonalen Überschwemmungen und dementsprechend nährstoffarmen Böden und gilt daher ganz und gar nicht als idealer Ort für permanente Niederlassung. Aus diesem Grund ging man lange Zeit davon aus, dass nur wenige Jäger- und Sammlergesellschaften das Gebiet zu präkolumbischen Zeiten bewohnt haben (Prümers, 2010).
Archäologische Forschungen, die verglichen mit den Forschungen zu den Hochkulturen im Hochland Boliviens, in der Mojos-Ebene dann doch eher eine Seltenheit waren, beweisen mittlerweile das Gegenteil. Vor mehr als einhundert Jahren begann die archäologische Arbeit in der Mojos-Ebene in Bolivien durch den schwedischen Ethnologen Erland Nordenskiöld. Anhand verschiedener Keramikfunde von einem der drei von ihm untersuchten Siedlungshügeln (Loma) erfasste er ebenfalls erstmals stratigraphische Beobachtungen. Grundlegende Unterschiede der Merkmale der Keramik des Loma Velarde veranlassten ihn dazu, diese in zwei verschiedene Siedlungsphasen einzuordnen. Sein Werk gilt heute noch als Grundlage der Archäologie der Mojos-Ebene. Der US-amerikanische Geograph William Denevan stellte in den 1960er Jahren erstmals die Vernetzung des Gebiets durch komplexe Erdbauwerke fest. Er überflog das Gebiet und zuvor singulär geglaubte Phänomene stellten sich als komplexe Hügelbeetanlagen und als kilometerlange Kanal- und Dammsysteme aus präkolumbischer Zeit heraus (Prümers, 2004).
1_Das-Forschungsteam-vor-dem-Hubschrauber-mit-LiDAR-Scanner_Bild_DAIAktuelle Forschungen weisen dank einer LiDAR-Landschaftsvermessung (light detection and ranging), durchgeführt von der University of Exeter und der Universität von Bonn, die Existenz einer Gesellschaftsform basierend auf einem Urbanismus mit geringer Bevölkerungsdichte in der Region nach.
Zur Einordnung und Beurteilung der aktuellen Ergebnisse aus den LIDAR-Untersuchungen soll zunächst ein kurzer Abriss der bisherigen Studienergebnisse dienen. Im Jahr 1998 begann das Deutsche Archäologische Institut in Bonn gemeinsam mit der nationalen Direktion für Archäologie in Bolivien (Dirección Nacional de Arqueología de Bolivia) das Projekt „Proyecto Lomas de Casarabe“ und führte archäologische Forschungen zu den Siedlungshügeln in der Mojos-Ebene durch. Unter der Leitung von Dr. Heiko Prümers vom Deutschen Archäologischen Institut in Bonn untersuchten sie die Siedlungshügel Loma Salvatierra und Loma Mendoza in der Region von Trinidad, der Hauptstadt des bolivianischen Departments Beni. Sich einen guten Überblick zu machen, war dem Team aufgrund der dichten tropischen Vegetation fast unmöglich. Nichtdestotrotz erkannten sie zeitig die komplexe Strukturierung des Gebiets anhand der vielen verschiedenen Plattformen und Hügel (Prümers, 2013). Die Archäologen stellten anhand von Radiokohlenstoffdatierung fest, dass die von der Landwirtschaft lebende Casarabe-Kultur im Zeitraum von 500-1400 n.Chr. in der Mojos-Ebene ansässig war. Darüber hinaus konnte durch Bioarchäologie ein großes Vorkommen an Maniok und Mais gefunden werden. Das Forschungsteam vermutet diese als Grundnahrungsmittel der Casarabe-Kultur (Prümers et al., 2012). Darauf beschränkten sich ihre Funde allerdings nicht. Sowohl Spuren von Yams und Erdnüssen als auch von Kürbis wurden festgestellt. Außerdem zeigten archäologische Untersuchungen, dass die Ackerbauern gefischt haben, um ihren Proteinbedarf decken zu können. Dazu wurden mehrere zehntausend Fischreste an der Loma Salvatierra untersucht, die zeigen, dass viele verschiedene Fischarten dem Verzehr dienten (Prestes-Carneiro et al., 2019). Das Dorf Casarabe, das nur wenige Kilometer von den Forschungsstandorten entfernt lieg, wurde Namensgeber der Kultur, die nach heutigen Kenntnissen eine bis zu 16 000 km² große Fläche besiedelt haben soll (Prümers, 2022).
2_Karte-der-Mojos-Ebene_-Bild_DAI_Heiko-PruemersDie Untersuchungen und Ergebnisse der Keramikfunde der Loma Salvatierra im Rahmen des Projekts beschreibt Prof. Dr. Carla Jaimes Betancourt von der Universität Bonn. In ihrer Dissertation (2010) präsentiert sie die Chronologie fünf verschiedener Keramikphasen, die anhand der Funde aufgestellt werden konnten. Diese wurden über die Kombination verschiedener Merkmale (stilistischer, morphologischer, technologischer Art) festgestellt. Diese fünf Keramikphasen entsprechen vermutlich jeweils verschiedenen Phasen der Besiedlung der Loma Salvatierra. Darüber hinaus zeigen die Untersuchungen, dass dieser Siedlungshügel von genau einer Kultur in einem Zeitraum von über 800 Jahren bewohnt wurde. Die stetige Veränderung der Keramik währenddessen spricht für die dauerhafte Besiedlung in diesem Zeitraum. Weiterhin dient das vermehrte Vorkommen spezifischer Formen und stilistischer Merkmale an verschiedenen Orten des Hügels als Beweis, dass bestimmte Keramik in unterschiedlichen Bereichen der Loma benutzt wurde. Dementsprechend war es Jaimes Betancourt möglich, diesen Fundorten klare Funktionen zu zuteilen. Zum Beispiel sollen häusliche Aktivitäten im Bereich der Terrasse stattgefunden haben und zeremonielle Praktiken auf einem höheren Abschnitt der Loma Salvatierra. Dazu fand das Forschungsteam heraus, dass bestimmte flachere Hügel vorwiegend als Orte der Bestattung dienten. Im Vergleich mit anderen Studien zu Keramikfunden an weiteren Siedlungshügeln der Region stellt Jaimes Betancourt fest, dass deren Merkmale stets mindestens einer der fünf festgelegten Keramikphasen der Loma Salvatierra entsprechen. Demzufolge ist es nicht auszuschließen, dass die Lomas teilweise zur selben Zeit genutzt wurden (Jaimes Betancourt, 2010). Verglichen mit den Funden Nordenskiölds am Loma Velarde, decken sich die Merkmale der Keramik, die er der jüngeren Phase zuordnete, mit denen der Phasen 4 und 5 von Jaimes Betancourt. Allerdings passt die Keramik der älteren Phase des schwedischen Ethnologen zu keiner der oben genannten fünf Phasen. Mit Hilfe von Radiokohlenstoffdatierungen und neuen Grabungen am Loma Velarde sollte diese Diskrepanz gelöst werden. Seit dem ersten Lokalisierungsversuch im Jahr 2003 gelang es dem Forschungsteam jedoch nicht, den genauen Standort der Loma Velarde zu identifizieren. Eine Vermessung durch die Fernerkundungsmethode Lidar sollte das ändern (Prümers, Jaimes Betancourt 2020).

Zwischen Ende September bis Anfang Oktober des Jahres 2019 fanden die Flüge zur LIDAR-Datenerhebung statt. Gemeinsam mit Prof. Dr. José Iriarte und Mark Robinson von der University of Exeter (UK) scannten Heiko Prümers und Carla Jaimes Betancourt acht verschiedene Gebiete in der Mojos-Ebene. Insgesamt vermaßen sie eine über 200 km² große Fläche mit einem am Hubschrauber befestigten Laserscanner, der pro Sekunde ungefähr 1,5 Millionen Laserimpulse ausstößt. Anschließend wurden die Aufnahmen dahingehend bearbeitet, dass die dichte Vegetation des Regenwaldes digital beseitigt werden konnte. Dadurch wurden die Topographie und gleichzeitig die archäologischen Funde des Gebiets erkennbar. Neben der Identifizierung des Loma Velarde, die 3_3D-Animation-der-Loma-Cotoca-_Bild_DAI_Heiko-Pruemersdank der LiDAR-Scans möglich wurde, war das Team von den Dimensionen der präkolumbischen Siedlungen überrascht. Prümers et al. Prümers et al. dokumentierten zwei ihnen schon bekannte Siedlungsgebiete, die Fundorte Loma Landívar (315 ha) und Loma Cotoca (147 ha), deren Gestaltung der Architektur und tatsächliche Größe jedoch erst über die Fernerkundung erkennbar wurden. Weiterhin dokumentierte das Team 24 kleinere Siedlungen, von denen nur 15 vorher bekannt gewesen waren (Prümers et al., 2022).
Prümers et al. bezeichnen Loma Landívar und Loma Cotoca jeweils als Hauptzentren eines Siedlungsnetzes, das sich in der Region erstreckte. Die Architektur der großen Siedlungsgebiete zeichnet sich dadurch aus, dass sie von drei Verteidigungsanlagen umgeben sind. Die Größe der künstlich errichteten Basisplattformen sowie die Ausarbeitung und Gestaltung der zeremoniellen Strukturen seien bemerkenswert. Darunter versteht man kegelförmige Pyramiden und U-förmige Plattformbauten, die auf den Basisplattformen errichtet wurden. Dabei beträgt die Gesamthöhe dieser Erdbauten ungefähr 30 Meter. Im Gegensatz dazu sind die sekundären und tertiären Zentren weitaus kleinere Siedlungsstätten, die auf der Basisplattform nur wenige oder gar keine zeremonielle Architektur besitzen. Als vierte Stufe in der Hierarchie der Siedlungsstätten gliedert das Team noch sogenannte islas ein. Dabei handelt es sich um Waldinseln, die sich auf etwas erhöhtem Terrain befinden. Den islas schreibt das Team die mögliche Funktion als Standort für temporäre Unterkünfte zu. Die noch bis heute sichtbaren Dammwege und Kanäle, ausgehend von den primären Zentren, dienten als Bindeglied des Siedlungsnetzes. Prümers et al. schließen nicht aus, dass es weitere noch kleinere Dörfer gab, unabhängig von der Hügelarchitektur, die sich nicht mit Lidar feststellen ließen.
Die vorliegenden Daten der Lidar-Landvermessung und deren Auswertung sind unter anderem deshalb von großer Bedeutung, da die aktuelle landwirtschaftliche Nutzung eine Gefahr für die Langlebigkeit der präkolumbischen Erdbauwerke darstellt. Aus diesem Grund eröffnen die Daten die Chance zur digitalen Archivierung des historischen Landschaftsbildes. Weiterhin haben sie die regionale Organisation der Casarabe-Kultur sichtbar gemacht und sie lassen ein besseres Verständnis der Architektur der zivilen und zeremoniellen Siedlungsstätten und eine hierarchisierte Klassifizierung ebendieser zu. Letztendlich ermöglichten die Daten, dass Prümers et al. beweisen konnten, dass im südwestlichen Amazonasgebiet ein sogenannter agrarischer Urbanismus mit niedriger Dichte existierte. Dazu sei dies das erste bekannte Siedlungssystem dieser Art in tropischen Gebieten Südamerikas. Dementsprechend können vorherige Annahmen, dass die Mojos-Ebene vor der Kolonialzeit eine menschenarme Region gewesen sei, widerlegt werden. Prümers et al. (2022) argumentieren, dass diese Daten „helfen werden die Kategorien für vergangene und gegenwärtige Gesellschaften des Amazonasgebiets neu zu definieren“. Die Aufnahmen verdeutlichen somit die Dimensionen einer Kultur, wie man diese bisher in Südamerika nur von den Hochkulturen der Anden kannte.

 

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Literatur:

Dickau, R., Bruno, M. C., Iriarte, J., Prümers, H., Betancourt, C. J., Holst, I., & Mayle, F. E. (2012). Diversity of cultivars and other plant resources used at habitation sites in the Llanos de Mojos, Beni, Bolivia: evidence from macrobotanical remains, starch grains, and phytoliths. Journal of Archaeological Science, 39(2), 357-370.

Jaimes Betancourt, C. (2010): La cerámica de la Loma Salvatierra. Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Online-Ausgabe in bonndoc: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:5-23542

Lombardo, U., & Prümers, H. (2010). Pre-Columbian human occupation patterns in the eastern plains of the Llanos de Moxos, Bolivian Amazonia. Journal of Archaeological Science, 37(8), 1875-1885.

Prestes-Carneiro G, Béarez P, Shock MP, Prümers H, Jaimes Betancourt C (2019) Pre-Hispanic fishing practices in interfluvial Amazonia: Zooarchaeological evidence from managed landscapes on the Llanos de Mojos savanna. PLOS ONE 14(5): e0214638. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0214638

Prümers, H., Betancourt, C. J., Iriarte, J., Robinson, M., & Schaich, M. (2022). Lidar reveals pre-Hispanic low-density urbanism in the Bolivian Amazon. Nature, 606(7913), 325-328.

Prümers, H. (2004). Hügel umgeben von “schönen Monstern”: Ausgrabungen in der Loma Mendoza (Bolivien). Expeditionen in vergessene Welten, 25, 47-78.

Prümers, H. (2013). Volver a los sitios—el Proyecto Boliviano-Alemán en Mojos. Para quê serve o conhecimento se eu não posso dividi-lo, 375-396.

 

Bildquellen: [1] DAI; [2-3] HeikoPrümers/DAI

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