Zur deutschen Erstausgabe ausgewählter Werke von Eduardo Torres
Die Einbildungskraft ist eingebildeter als die Wirklichkeit. (aus dem Tagebuch von E. Torres)
Er ist ohne Zweifel ein herausragender Geist, dieser Eduardo Torres: wißbegierig, scharfsinnig, brillant, unkonventionell. Wiewohl oft miß- oder unverstanden, teilt er dieses Schicksal indes klaglos mit vielen großen Denkern. Dem Verlag Volk und Welt Berlin kann nicht genug dafür gedankt werden, das Werk dieses Mannes endlich auch im deutschen Sprachraum einem breiten und zweifellos sehr interessierten Publikum vorzustellen, mußten doch der spanischen Zunge nicht mächtige deutsche Leser sich bis zum heutigen Tag auf kleinste Auszüge aus dem OEvre von Torres beschränken, die nur hin und wieder von Kollegen des Meisters, deren Schöpferkraft hier wahrlich nicht in Abrede gestellt werden soll, die aber (seltsam genug) bereits in deutscher Sprache veröffentlichen konnten, einfach zitiert worden sind (besonders häufig ist das bei dem möglicherweise dem einen oder der anderen bekannten Guatemalteken Augusto Monterroso der Fall).
Nun liegt sie also auch in Deutsch vor, die bereits im Jahre 1978 zusammengestellte Würdigung des Autors, die nichts (oder fast nichts) ausläßt, was der Interessierte von E. Torres erfahren sollte und erfahren möchte; von dem verehrten Künstler selbst autorisiert – auch wenn er seinerzeit hier und da einige wenige Ungenauigkeiten ausmachte, diese jedoch vernachlässigen zu können glaubte -, von Christel Dobenecker sorgsam übersetzt und vom Verlag in dem Auge schmeichelnder Form zu Papier gebracht. Da finden sich die Erinnerungen des Bewunderers und ehemaligen Privatsekretärs (Erinnerungen an mein Leben mit einem bedeutenden Menschen) ebenso wie die sehr persönlichen Reminiszenzen seines seligen Bruders (E. Torres, ein seltsamer Fall) oder seiner getreuen Ehefrau (Über den eigenen Mann zu reden ist immer schwer). Und nicht zu vergessen natürlich die Kostproben des literarischen Schaffens des hochgeschätzten Don Eduardo selbst, der sich als Herausgeber der Sonntagsbeilage des Heraldo de San Blas, aber auch in überregionalen Druckerzeugnissen, in verdienstvoller Weise mit Rezensionen, Kritiken, Aphorismen und Sinnsprüchen zu Wort meldete und meldet, dabei seine Vielseitigkeit unter Beweis stellend; etwa, wenn er seine Gedanken zu Cervantes‘ Don Quijote äußert (wahrlich exzellent und ungewöhnlich), aber auch in dem Exkurs zum Welttag der Lebewesen oder den bahnbrechenden Ausführungen auf dem kontinentalen Schriftstellerkongreß in San Blas von 1967 über die Beziehungen zwischen der Schriftstellerin und dem Schriftsteller (die dringend verbessert werden müssen). Höhepunkt der vorliegenden Ausgabe dürften jedoch E. Torres‘ Überlegungen zur schwierigen Arbeit des Übersetzers sein (Übersetzer und Verräter), wo er uns nicht nur einen tiefen Einblick in seine theoretische Beherrschung dieser Materie gewährt, sondern auch praktisch exerziert, wie die Kunst des literarischen Übersetzens zu gestalten sei, indem er uns allen (und ich verhehle es nicht – besonders der deutsche Leser sollte und kann hier aufhorchen) seine geradezu kongeniale Übersetzung von Christian Morgensterns wunderbarem und feinsinnigem Gedicht Fisches Nachtgesang vorstellt.
Der sehr verehrte Leser lasse sich gefangennehmen von der Überragenheit und Brillanz dieses Geistes, der einem Mann eigen ist, welcher sich durch viele Tugenden und meines Wissens nur einen einzigen wirklichen Makel auszeichnet, einen Makel freilich, welcher der Größe von Eduardo Torres nichts anzuhaben vermag, aber nichtsdestotrotz hier nicht verschwiegen werden soll: Eduardo Torres existiert überhaupt nicht. So könnte jedenfalls die erschütternde Quintessenz eines Buches von Augusto Monterroso lauten, – aber Vorsicht! – desselben Monterroso, der in seinen eigenen Schriften immer wieder schamlos seinen großen Kollegen Torres plagiiert und vor dem ein anderer Meister (Gabriel Garcia Márquez) in einem anderen Zusammenhang zu warnen sich verpflichtet fühlte: Ich empfehle Ihnen: Hände hoch, wenn Sie dieses Buch lesen! Seine Gefährlichkeit beruht auf seiner hintergründigen Weisheit und der tödlichen Schönheit des Ernstes im Unernst. Dem vermag ich nichts hinzuzufügen, außer vielleicht (und das sei mir nachgesehen) einen Satz, der in Anlehnung an diesen Monterroso lauten könnte: Es war einmal ein Autor namens Eduardo Torres, der träumte, er sei ein Autor namens Augusto Monterroso, der träumte, er sei ein Schriftsteller, der über einen berühmten Mann namens Eduardo Torres schriebe, der träumte, er sei… Aus diesem Stoff werden gute Bücher gemacht, wie z.B:
Augusto Monterroso: Reif sein ist alles und der Rest ist Schweigen. Einzig wahrhaftige und autorisierte Version von Leben und Werk des unsterblichen Don Eduardo Torres aus San Blas. Verlag Volk und Welt Berlin 1992.
eine Verehrerin
(egal, welcher der beiden Herren nun eine Fiktion ist)