In einer teuflisch wirren Zeit sind alle Schlußfolgerungen möglich (Pablo Neruda)
Am 23. September 1973 starb der chilenische Lyriker Pablo Neruda. Es ist jedoch reiner Zufall, daß ich „Adiós, Poeta …“ von Jorge Edwards gerade in diesen Tagen im Buchhandel entdeckte. Ich habe es jedenfalls nicht des Jubiläums wegen gekauft, wenngleich ich aus diesem Grunde darüber schreiben soll. Seit mir vor vielen Jahren der erste Gedichtband von Neruda in die Hände fiel, ich glaube, es handelte sich um eine ziemlich wahllose Auswahl, komme ich immer wieder zu ihm zurück. Das hatte zur Konsequenz, daß ich im Laufe der Jahre nicht nur vieles von ihm las, sondern auch so manches Buch über ihn.
Nun also ein weiteres Buch über Neruda…, von einem Eingeweihten. Jorge Edwards ist Schriftsteller und war jahrelang Diplomat. Er hatte bereits in den fünfziger Jahren mit seinem fast dreißig Jahre älteren, schon damals weithin berühmten Landsmann Bekanntschaft und sehr bald auch Freundschaft geschlossen. Seine Erinnerungen an den Dichter kamen 1990 in Barcelona heraus, die deutsche Übersetzung erschien zwei Jahre später bei Luchterhand. Der Verlag preist das Buch als notwendige Ergänzung zu Nerudas Memoiren. Neugierig wie ich bin, habe ich nach einer solchen Ankündigung vermutlich sonst etwas erwartet – und wurde prompt enttäuscht. Titel und Verlagsankündigung sind letzten Endes Hochstapelei.
Zunächst sei einmal festgestellt: Pablo Neruda kommt in Jorge Edwards‘ Buch auch vor, mitunter sogar mehrere Seiten hintereinander. Ansonsten ist das Buch m.E. eine Erinnerung von Jorge Edwards an Jorge Edwards, und in besonderem Maße eine Abrechnung desselben mit seiner politischen -sprich: linken – Vergangenheit. Man muß sich das Ganze folgendermaßen vorstellen: der Autor erklärt sich selbst, warum er einmal an eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus glaubte und warum er das jetzt nicht mehr tut. Dabei erinnert er sich, daß er eigentlich schon immer Probleme mit den Kommunisten (Parteisoldaten, Dogmatiker, stalinistische alte Garde -kennen wir ja) hatte, diese aber verdrängte. Hinzu kamen Auseinandersetzungen mit Fidel Castro während der Tätigkeit als chilenischer Botschafter in Kuba. Diese Auseinandersetzungen hat Edwards sehr ausführlich in seinem Buch „Persona non grata“ dargestellt. Ich weiß das, weil er immer wieder darauf hinweist, daß er dieses Buch geschrieben und eben seine Probleme mit Castro dort dargestellt hat. Und was hat das alles mit Neruda zu tun? Neruda ist Edwards‘ großes Problem. Obwohl er so nebenbei immer wieder betont, daß er zuletzt Neruda gar nicht mehr gelesen habe, so war der Dichter doch sein Freund und die Verehrung für ihn hält offensichtlich an. Ergo möchte er zu dem Schluß kommen, daß Pablo Neruda keinesfalls der Kommunist gewesen sein kann, für den ihn jedermann – ob Freund ob Feind – hält. Man fände in seiner Dichtung zwar eine Phase relativer Unfruchtbarkeit und eine solche des Stalinismus (!) , aber Neruda sei auch ein Dichter der Liebe und der Sinnenfreude gewesen. Schon allein aus diesem Grunde muß er Probleme mit seiner Partei gehabt haben, auch wenn er sich dieser immer wieder unterwarf. Hier erreicht das Buch einsame Höhepunkte an Unausgegorenheit und Verquastheit. Etwa wenn Edwards zu Nerudas Klage, wegen seiner Gicht keinen Kaviar mehr essen zu können, meint, daß das als Klage eines kommunistischen Dichters einen Gewissen Reiz besäße oder in seinen Ausführungen zu Louis Aragon (Hat er nun wirklich mit hübschen jungen Männern?), welche fast BILDreif sind. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Jorge Edwards kolportiert hier Lieschen Müllers Vorstellungen von Kommunisten, um Neruda vor tatsächlichen und vermeintlichen Mißverständnissen und -deutungen zu retten. Stellenweise findet er dabei zu stilistischen Mitteln, die mir nicht einmal in meinen Schulaufsätzen einsetzbar erschienen wären, so unfreiwillig komisch sind sie. Oder für wen hat er dieses Buch geschrieben? Da ist aber auch gar keine Ähnlichkeit mit den Erzählungen, die ich von ihm kenne. Das muß er selbst gemerkt haben; immerhin weist er seine Leser ausdrücklich darauf hin, schließlich keine Literatur machen zu wollen.
So sehr ich mich stellenweise bei der Lektüre dieses Buches geärgert habe, so sehr habe ich wiederum davon profitiert. Ich fühlte mich nämlich veranlaßt, abermals in Nerudas Bücher bzw. in Erinnerungen anderer Autoren an den Dichter zu schauen. Interessanterweise geschah dabei meist etwas, was bei Edwards nie so recht passieren wollte – ich las mich fest.
Da ich hier ein wenig meinem Ärger Luft machte und manches verkürzt dargestellt bzw. vieles gar nicht erwähnt habe, empfehle ich allen, selbst ein weiteres bzw. zum ersten Mal nachzulesen bei:
Jorge Edwards: Adiós, Poeta … Luchterhand Literaturverlag 1992.
Pablo Neruda: Ich bekenne, ich habe gelebt. Memoiren Verlag Volk und Welt 1975. (deutsche Erstausgabe bei Luchterhand 1974).
Volodia Teitelboim: Pablo Neruda. Ein Lebensweg. Aufbau-Verlag 1987.
Matilde Urrutia: Mein Leben mit Pablo Neruda. Aufbau-Verlag 1989.