Dieses Buch, so heißt es in der Verlagsankündigung, wurde mit dem internationalen Dashiell-Hammett-Preis für den besten Kriminalroman ausgezeichnet. Das kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen; vermutlich liegt da eine Verwechslung mit einem anderen Taibo- Buch vor, schließlich schreibt der Mann ja auch Kriminalromane. Man kann über „Vier Hände“ alles Mögliche sagen, aber nicht, daß es ein Kriminalroman sei. Es sei denn, man erweitert die Kriterien dieses Genres ins Beliebige und vertritt die Auffassung, falls in einem Buch jemand ermordet wird, dann könne es sich nur um einen Kriminalroman handeln.
In „Vier Hände“ wären diese Kriterien erfüllt: Es gibt Täter und Opfer, höchst abenteuerliche Wendungen, es gibt Intrigen, die mehr oder weniger gut als solche entlarvt und/oder vereitelt werden, aber das allein kann es ja wohl nicht sein. Nein, um einen Krimi handelt es sich in diesem Fall zweifellos nicht, aber spannend ist das Buch allemal.
- Zunächst muß zugegeben werden, daß auch dieses Taibo-Buch nicht ganz ohne Kriminalgeschichte auskommt. Nur wird selbige heimlich von Leo Trotzki geschrieben, der sich eigentlich einer politischen Schrift widmen sollte. Seinen Roman kann er natürlich nicht mehr beenden, leider. Der Grund dafür ist bekannt.
- Stan Laurel, sie erinnern sich – das ist der Doofe von Dick und Doof-, melancholisch und verzweifelt, macht eine Sauftour nach Mexiko und wird im Städtchen Parral zufällig Zeuge der Ermordung von Pancho Villa.
- Der Mexikaner Julio (der „Dicke“, allerdings nicht der von Dick und Doof) und der US-Amerikaner Greg sind als Journalisten ständig auf der Suche nach interessanten Geschichten, die sie zu Stories für die verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften der Welt machen können. Da ihr journalistischer Jagdeifer sie bevorzugt zu den abenteuerlichen und gefährlichen Schauplätzen von Revolutionen und Kriegen führt, leben sie nicht ganz ungefährlich.
- Elena, Ex-Frau des „Dicken“, versucht, mit z.T. sehr merkwürdigen Themen zu promovieren, die allesamt abgelehnt werden: Wandmalereien der Baja California/Vergleich der Biographien bekannter mexikanischer Drogenhändler mit denen von Großindustriellen/ Neanderthaler-Marxismus und Seminarmarxismus/ „Die vom Nachbarstamm vögeln besser als die von hier“ usw. usf.
- Der bulgarische Revolutionär Stojan Wasilew, der im Laufe seines abenteuerlichen Lebens Stalin, Ché und andere bedeutende Persönlichkeiten unseres Jahrhunderts und mehr als einen Kerker von innen kennengelernt hatte, läßt sich während seiner Haft in Plewen eine neue, wirklich revolutionäre Version von Salgaris Roman „Adieu Mompracem“ einfallen.
- Und überhaupt bringen die drei Freunde Wasilew, Longoria und Max, alle ehmals Interbrigadisten im Spanischen Bürgerkrieg, nicht nur einen Geheimdienst durcheinander; selbst als körperlich alte Herren in Mexiko-Stadt.
- Alex, seines Zeichens Chef des höchst mysteriösen SD, eines Büros für Desinformation der CIA, arbeitet mit seinen Kollegen an einer Kampagne, die sich gegen einen angesehenen sandinistischen Politiker richtet.
Weitere handelnde Personen in diesem Buch sind Drogenhändler, Killer, der Entfesselungskünstler Houdini, Politiker und viele, viele andere. Und alle haben sie irgendwie und irgendwann miteinander zu tun.
Der Großvater des „Dicken“ hatte seinerzeit Stan Laurel getroffen, was für seinen Enkel nicht ohne Bedeutung ist. Trotzkis Romanfragment könnte eine sensationelle Story für die beiden Journalisten werden. Die sollen übrigens einen Hauptrolle in der neuen Desinformationskampagne von Alex spielen, wovon sie allerdings nicht die geringste Ahnung haben. Freiwillig würden sie dergleichen nie tun. Auch Wasilew und Longoria geraten unfreiwillig in diese Aktion und geben ihr einen unerwarteten Ausgang.
Diese und noch weit mehr Geschichten durchziehen das Buch wie ein roter Faden. Taibo verläßt seine Helden ebenso unvermutet, wie er wieder zu ihnen zurückkehrt. Darüber hinaus beweist Paco Ignacio Taibo II, daß er nicht nur Schriftsteller, sondern auch Historiker ist und würzt das Ganze mit einer gehörigen Portion an historischem Hintergrundwissen über beinahe ein ganzes Jahrhundert. Wobei der Schriftsteller das Ganze sehr kurzweilig zu gestalten weiß.
Die Geschichte besteht schließlich aus so vielen Geschichten, daß es nicht immer ganz einfach ist, den Überblick zu behalten. Wer also bei bei höchst verzweigten Geschichten schnell den Überblick verliert, sollte sich entweder einen Merkzettel anlegen oder das Buch gar nicht erst in die Hand nehmen.
Entscheidet man sich für das Lesen, dann erwartet einen sehr viel Spannung, wie das Spiel der Rivalen, von denen die eine Seite sich dieser Rivalität nicht einmal bewußt ist, ausgehen wird. Eins ist hier allerdings schon irgendwie enttäuschend: So spannend und verwickelt die Geschichte auch ist: Am Ende hat sich nichts grundlegend geändert. Die Helden stehen ebenso wie der Leser wieder da, wo sie am Anfang des Buches waren, und die Geschichte(n) scheint(en) sich zu wiederholen.
C’estlavie…
Paco Ignacio Taibo II: 4 Hände,
Verlag der Buchläden. Schwarze Risse/Rote Straße/Verlag Libertäre Assoziation 1996