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Cortázar, Julio: Die Gewinner

Gabi Töpferwein | | Artikel drucken
Lesedauer: 4 Minuten

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Gelesen: Julio Cortazar: Die Gewinner
„Die Gewinner“ war mein erster Cortázar. Das ist schon eine paar Jahre her, doch als ich das Buch jetzt wieder in die Hand nahm, war die Geschichte gegenwärtig, als hätte ich sie gestern erst gelesen. Der Inhalt prägte sich einfach ein: Eine vom Zufall zusammengewürfelte Gruppe von porteños, Bewohnern von Buenos Aires, gewinnt in einer staatlichen Lotterie eine Kreuzfahrt. Das Ganze spielt Ende der 1950er Jahre, also vor der Zeit der riesigen Kreuzfahrtschiffe mit ihren durchorganisierten Reisearrangements. Die 20 Gewinner sind quasi ein kleines Abbild der Bevölkerung der argentinischen Hauptstadt, sehr unterschiedlich nach sozialer Stellung und Alter. So differenziert die Passagiere sind, so mysteriös ist die Kreuzfahrt. Die Gewinner werden vor Reiseantritt in ein Café bestellt und wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, wo es überhaupt hingehen soll. Die Reise beginnt verspätet und erst auf Drängen der Passagiere gibt es vage Informationen über die Fahrt. Es soll in Richtung Japan gehen, der nächste Hafen wird das chilenische Arica sein. Mehr erfahren die Passagiere nicht. Bei dem Kreuzfahrtschiff handelt es sich um den Frachter „Malcolm“, auf dem bequeme Kabinen eingerichtet wurden. Allerdings wird den Gästen bereits am ersten Reisetag das Betreten des Hecks und zudem jeglicher Kontakt mit der Besatzung untersagt. Als Grund für das Verbot wird ein Ausbruch von Typhus 224 unter der Mannschaft genannt, auch der Kapitän sei krank. Der Leser erfährt ebensowenig wie die Passagiere, was hinter dieser Anordnung steckt, ja selbst die Herkunft von Schiff und Mannschaft bleiben im Dunkeln.

An der verordneten Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf dem Schiff scheiden sich die Geister: Die einen wollen nur die Fahrt genießen, die anderen sind nicht bereit, das Verbot und die ihrer Meinung nach fadenscheinige Begründung dafür zu akzeptieren. Die Auseinandersetzung um den hinteren Teil des Schiffes, die Versuche, dorthin vorzudringen – aus dem alleinigen Grund, sich nicht in der Bewegungsfreiheit behindern zu lassen, „die Demütigung dieser Reise“ nicht zu dulden – bilden einen Handlungsstrang, der den gesamten Roman über den Spannungsbogen halten kann. Cortázar schuf hier mit den 20 sehr unterschiedlichen Unbekannten auf kleinstem Raum eine Ausnahmesituation wie in einem klassischen Kriminalroman. Doch das „normale“ Schiffsleben unter den Passagieren ist an sich schon spannend genug. Die Protagonisten müssen – notgedrungen – Beziehungen aufbauen, sie tasten sich quasi ab, bilden Allianzen, die sich immer wieder verändern, Liebeleien bahnen sich an. Sehr schnell bilden sich zwei Lager: Auf der einen Seite die jungen „Intellektuellen“ und auf der anderen die Älteren und die „Kleinbürger“.

Gelesen: Julio Cortazar: Los Premios
Die Fahrt wird schließlich in ein Fiasko münden und nach nur drei Tagen beendet sein. Einer der Passagiere wird die „Malcolm“ nicht lebend verlassen und die anderen sehen sich nicht nur mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert, sondern aufs Neue auch mit der Brüchigkeit und Unbestimmtheit menschlicher Beziehungen. Sie gehen schließlich auseinander, den Ausgang der neu geknüpften Beziehungen lässt der Autor offen. So gesehen ist der im Buch wiederkehrende Bezug auf Picassos Gitarristen, der „einst Apollinaire gehörte“ eine Referenz an die Unbestimmtheit des menschlichen Lebens, denn dieser Gitarrenspieler hat kein Gesicht, er ist“ein unbestimmtes schwarzes Viereck, (…) ein blindes Geschehen ohne Wurzeln, ein driftendes Schiff, ein Roman, der endet“.

„Die Gewinner“ war der erste Roman, den Julio Cortázar veröffentlichte. Er ist allemal ein guter Grund, den Argentinier kennenzulernen oder auch wiederzuentdecken. Mehr als 50 Jahre nach seiner Entstehung hat das Buch nichts von seiner Kraft eingebüßt; es ist nach wie vor höchst fesselnd, seine Protagonisten bei ihrem Kampf mit den feindlichen „Gluciden und Lipiden“ zu begleiten.

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