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Rosende, Mercedes: Úrsulas Mordswut (Montevideo-Trilogie)

Gabriele Eschweiler | | Artikel drucken
Lesedauer: 7 Minuten

Resenzion Der Ursula-Effekt (Bild CoverScan)Úrsula López, die Antidetektivin und unzuverlässige Erzählerin aus Mercedes Rosendes Montevideo Trilogie steht als wütende Frau in einer langen literarischen Tradition.

In dem griechischen Mythos von Medeia und ihrer schrecklichen Rache an ihrem treulosen und wortbrüchigen Ehemann Iason verbindet sich Widersprüchliches. Zum einen sind ihre unmenschlichen Taten eiskalt kalkuliert: Sie schaltet ihre Widersacherin aus und bringt mit dem Mord an ihren gemeinsamen Söhnen den Ehebrecher um seine Stammhalter. Zum anderen ist ihre Grausamkeit in einer unzähmbaren emotionalen Aufwallung begründet, der jede Rationalität abzusprechen ist.

Wut zu zeigen, ja, nur sie zu empfinden, gilt bis heute für Frauen als nicht opportun. Männern wird sie in weitaus größerem Rahmen zugebilligt und als mit maskulinen Tugenden vereinbar bewertet. Frauen Resenzion Falsche Ursula (Bild CoverScan)wurde und wird dagegen vermittelt, dass sie auf derlei Ausbrüche mit Konsequenzen zu rechnen haben.

In Charlotte Brontës viktorianischem Klassiker Jane Eyre (1847) scheint es nur eine Frage der Perspektive zu sein, ob Mr. Rochesters tobsüchtige Ehefrau als im klinischen Sinn psychisch krank oder vielmehr als Rebellin zu bewerten sei, die gegen die gängigen Normen aufbegehrt. Jahrelang weggesperrt in einem versteckten Raum übt sie am Ende furchtbare Rache, indem sie Thornfield Hall, das ihr ein trautes Heim sein sollte, in Flammen aufgehen lässt.

Da der Kriminalroman wie geschaffen dafür ist, gesellschaftliche Phänomene in spannende Handlungen zu verpacken, haben diese Erniedrigten und Beleidigten und ihre Wut unter der Bezeichnung domestic Resenzion Krokodilstränen (Bild CoverScan)noir ihr eigenes Subgenre gefunden. Besonders erfolgreiche Beispiele sind Gillian Flynns Gone Girl. Das perfekte Opfer (2012) und Paula Hawkins Girl on the train. Du kennst sie nicht, aber sie kennt dich (2015). Gemeinsam ist diesen inzwischen zahlreich vertretenen Romanen, dass sich die Abgründe genau an den Orten auftun, an denen man sich sicher und geborgen fühlen sollte. Wer einem am nächsten steht, entpuppt sich als der ärgste Feind. Wohlsituierte Frauen der weißen Mittelschicht fallen in die Fänge jener Männer, die sie einst romantisch verklärt haben. Andere sind bereits als Kinder oder Jugendliche häuslicher Gewalt ausgesetzt. Aus diesen Opfern, die Hawkins als „Menschen, die auf eine Art beschädigt sind“ charakterisiert, können Täter:innen werden. Die von Raymond Chandler bei Dashiell Hammett gefundene „Sorte von Menschen, die mit wirklichen Gründen morden“ muss somit erweitert werden. In domestic noir erweisen sich nicht herkömmliche Kriminelle, sondern vielmehr die, deren Harmlosigkeit garantiert zu sein scheint, als die eigentlichen Urheber der Gewaltspirale. „Als übelster der Menschen hat er sich herausgestellt – mein Mann!“ (Euripides: Medeia, 431 v. Chr.)

In Rosendes Krokodilstränen zählt die zunehmend an Profil gewinnende Kommissarin Leonilda Lima „Eifersucht, Geldgier, Neid, Rachsucht, sexuelle Frustration. Wut.“ als die gängigsten Mordmotive auf. In der antiken Vorstellung sorgten die Erinnyen mit ihrem Furor dafür, dass kein Täter ungeschoren davon kam. Úrsula López hingegen nutzt ihre Wut nichts. Sie schafft es nicht, sich von den ihr in der Kindheit zugefügten Verletzungen zu befreien. So wie in ihrer Wohnung die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, kommt ihr Leben ihr vor, als läge es unter einer „feinen Staubschicht“. Für ihre Qualen gibt sie ihrem überstrengen Vater mit den stahlharten Augen die Schuld. Wenn er seine zur „hemmungslosen Fresssucht“ neigende kleine Tochter auf frischer Tat ertappte, schloss er sie über Nacht in das komplett abgedunkelte Kinderzimmer ein. Diese als Strafe und zur Umerziehung dienende Maßnahme wirkte traumatisch und ließ das Mädchen beben „vor Angst und Wut“, verfehlte aber letztlich die gewünschte Wirkung. „Wenn Papa sie einen Tag später dann wieder rausließ, war Úrsula nicht mehr dieselbe, ihr Blick hatte sich verändert, Verrücktheit lag darin, die im Lauf der Zeit zunehmen und deutlich sichtbar werde sollte.“ Wut und Hass kochen regelmäßig in ihr hoch, wenn sie an die Vergangenheit denkt. Schon als Kind konnte sie blitzschnell zuschlagen. Spöttische Bemerkungen der Hauswirtschafterin bringen Úrsula dazu, sie mit einem Zirkel zu attackieren. Als sie nach dem frühen Tod ihrer Mutter das Liebesverhältnis ihres Vaters mit Tante Irene, der Schwester ihrer Mutter, aufdeckt, schreckt sie auch vor Mord nicht zurück. Beim Anblick ihres Vaters im Sarg ist sie sich zunächst sicher, nun endlich von ihrem Peiniger befreit zu sein: „Den Leichnam, die Überreste, die Hülle ihres Vaters, die bläulich angelaufene Haut, den fest zusammengepressten Mund, der sich nie wieder öffnen wird, keine Worte mehr aussprechen wird, die sie wie Schüsse treffen, die bleichen Hände, die nie wieder den Schlüssel im Schloss ihrer Zimmertür umdrehen werden.“

Úrsula gibt sich Tagträumen hin, eine andere zu werden, lässt es allerdings am nötigen Engagement vermissen, um ihre Situation tatsächlich zu verändern. Für sie ist die erhoffte Verbesserung etwas, was ihr von außen zugetragen wird. „Ich bin die Frau, die auf einen Anruf wartet, der nicht erfolgt, auf die immer wieder aufgeschobene Veränderung in ihrem Leben, auf ein neues Aussehen, die Frau, die endlich den alten Schutzpanzer abstreifen und eine andere werden möchte.“ Die teuren Behandlungen in einer luxuriösen Diätklinik, die sie sich von dem von ihrer Tante geerbten Geld geleistet hatte, blieben ohne anhaltenden Erfolg. Zu den Weight Watchers Treffen geht sie nur halbherzig und ihrer Psychotherapeutin tischt sie haarsträubende Lügen auf.

Als Kriminelle und Strippenzieherin scheint sie allerdings unschlagbar zu sein. Beim großen Showdown in Krokodilstränen erweist sie sich als „wahre Meisterin in der Kunst des Entkommens“. Nachdem sie einen mit viel männlicher Brachialgewalt inszenierten und ziemlich missglückten Raubüberfall zu ihren Gunsten drehen kann, gelingt es ihr, dem „Dickwanst“, auf wundersame Weise durch ein komplexes Labyrinth aus Geheimgängen, Leitern und Falltüren zu flüchten. In Der Ursula-Effekt entkommt sie durch den geschichtsträchtigen Tunnel, durch den 1971 in Montevideo 111 Tupamaros eine aufsehenerregende Flucht aus dem damaligen Punta-Carretas-Gefängnis gelang. „Beim Eindringen in den Tunnel, in die kompakte Finsternis, ist plötzlich eine uralte Angst in Úrsula erwacht, die Erinnerung an die Strafen, die der Vater ihr einst auferlegte. Es beunruhigt sie, erleben zu müssen wie hartnäckig ihre Erinnerungen ausgerechnet in solchen Augenblicken wieder auftauchen, als wäre die Vergangenheit nicht vergangen, als wäre ihr Vater nicht gestorben. Sosehr sie versucht, vor alldem endgültig den Vorhang zu ziehen, es dringt dennoch als dunkler schwerer Nebel durch jede sich bietende Ritze.“

Neben den von Mercedes Rosende genannten Texten: Stadt aus Glas (1985) von Paul Auster und Prótesis (1980) von Andreu Martín, denen die Initialzündungen der Kriminalhandlungen geschuldet sind, fallen Gemeinsamkeiten mit Lewis Carrolls Weltklassiker Alices Abenteuer im Wunderland (1865) auf. Wenn die fettleibige Úrsula sich behende und geschickt durch ein Gewirr von engen Fluchtwegen bewegt, dabei noch kurz eine Katze streichelt, am Ende in einem Buchladen ankommt oder über sich einen halb verwilderten Garten weiß, dann erinnert das stark an Alice, die – mal groß, dann auf einmal winzig klein oder riesenhaft– durch einen Kaninchenbau ins Wunderland gelangt. Und wenn Úrsula wieder mal die Dämme brechen und sie ganze Nächte bis zum Morgengrauen durchweint, fällt einem der Teich aus Tränen ein, in dem die kleine Alice um ein Haar zu ertrinken droht.

 

Mercedes Rosendes Montevideo-Trilogie:

Krokodilstränen

Unionsverlag. Zürich 2018

Falsche Ursula

Unionsverlag. Zürich 2020

Der Ursula-Effekt

Unionsverlag Zürich 2021

 

Bildquellen: CoverScans

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