Der 08. April 2009 wird als ein besonderes Datum nicht nur in die peruanische, sondern auch in die lateinamerikanische Geschichte eingehen, weil an diesem Tag das erste Mal ein demokratisch gewählter Präsident durch seine eigenen Justizbehörden verurteilt worden ist.
Um 9:30 Uhr begann die Gerichtsdienerin das Urteil gegen den Präsidenten Perus von 1990 bis 2000, Alberto Fujimori Fujimori, zu verlesen. Die Verlesung dauerte fast drei Stunden. Das Urteil ist in vier Teile aufgeteilt und umfasst 711 Seiten. Doch nicht nur das Urteil, das den nationalen Standard überschreitet, war ausgesprochen umfangreich. Auch das Tribunal, das durch die drei Richter César San Martín Castro, Víctor Prado Saldarriaga und Hugo Príncipe Trujillo gebildet wurde, wies besondere Dimensionen auf. Wegen der Komplexität des Falls arbeiteten die Richter mit zwanzig weiteren Personen zusammen.
Insgesamt dauerte der Prozess 15 Monate. In dieser Zeit wurden 160 Anhörungen durchgeführt, 80 Zeugen und Gutachter gehört sowie mehr als 600 schriftliche Dokumente und 20 audiovisuelle Medien vorgelegt.
Am Ende hielt das Oberste Strafgericht (Sala Especial de la Corte Suprema) den Ex-Präsidenten Alberto Fujimori Fujimori der folgenden Straftaten (festgeschrieben im vierten Teil des Urteils auf Seite 705) für schuldig:
– Mord an 25 Personen – unter ihnen der achtjährige Javier Manuel Ríos Rojas – in den Fällen Barrios Altos (1991) und La Cantuta (1992).
– Schwere Körperverletzung gegen vier Personen (Fall Barrios Altos).
Die beiden genannten Straftaten gelten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Völkerstrafrechts.
– Straferschwerende Entführung des Journalisten Gustavo Andrés Gorriti Ellenbogen und des Unternehmers Samuel Edward Dyer Ampudia (Fall des Militärgeheimdienstes Servicio de Inteligencia del Ejército, SIE).
Für die drei Strafbestände hat die Staatsanwaltschaft das Konzept des mittelbaren Täters benutzt. Die Theorie der mittelbaren Täterschaft, die ursprünglich der deutsche Jurist Claus Roxin im Jahr 1963 entwickelte, wird in den Fällen angewandt, bei denen sich der Täter eines anderen Menschen als Werkzeug bedient. D. h., dass ein mittelbarer Täter eine Straftat „durch“ einen anderen begeht. Man hat ihn sich als einen Hintermann einer tatbestandlich relevanten Handlung vorzustellen.
Anzumerken ist in dem Zusammenhang, dass Claus Roxin auch die Theorie der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft entwickelt hat, wobei ein Hintermann mittelbarer Täter sein kann, wenn er die „Organisationsherrschaft“ besitzt. Der Drahtzieher veranlasst demnach einen Vordermann kraft seiner Organisationsmacht, seinen Anweisungen zu folgen. Diese These wurde das erste Mal von einem argentinischen Gericht 1986 im Prozess und in der Revision zur Verurteilung des Militärregimes, das Argentinien zwischen die Jahren 1976 und 1983 regiert hat, angewandt. In Deutschland benutzte der Bundesgerichtshof diese These im Jahr 1994 in den Mauerschützenprozessen.
Auch in Peru fand diese Theorie bereits früher Anwendung, und zwar im Prozess gegen Abimael Guzmán Reynoso (in den Jahren 2006 und 2007). Abimael Guzmán war der Führer der terroristischen Gruppe Sendero Luminoso. Er wurde aufgrund seiner mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft – sprich der Hierarchie in dieser Gruppe – für schuldig befunden.
Die genannte Theorie erfordert die folgenden Voraussetzungen: Existenz eines hierarchisch konstituierten Machtapparates, Austauschbarkeit der unmittelbar Handelnden (sog. „Fungibilität“) und das Handeln des Machtapparates außerhalb des Rechts.
Infolge der Anerkennung der Schuld Fujimoris in den drei Fällen wurde er zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren verurteilt. Da seine Festnahme bereits am 07. November 2005 in Chile erfolgte und die seitdem verflossene Zeit angerechnet wird, würde er am 10. Februar 2032 freikommen – im Alter von 93 Jahren.
Nach der Verlesung des Urteils legte Fujimori ein Rechtsmittel, die sog. Nichtigkeit des Urteils, ein. Daher überprüft jetzt das Gericht, ob es genügend Gründe gibt, das Urteil zu widerrufen. Die Verteidigung kann argumentieren, dass z. B. das Recht auf ein faires Verfahren verletzt wurde. Falls dies abgelehnt wird, besteht die Möglichkeit, dieses Rechtsmittel vor dem Verfassungsgericht geltend zu machen. Wenn die nationalen Instanzen erschöpft sind, kann Fujimori vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte klagen. Dafür muss er beweisen, dass das Recht auf ein faires Verfahren verletzt wurde. In diesem Fall kann er die Nichtigkeit des Prozess einklagen.
Obwohl die Straftaten Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind, könnte Fujimori gemäß der peruanischen Gesetzgebung seine Haftdauer durch gute Führung verringern. Das bedeutet, dass sich die Freiheitsstrafe bei Ableistung der Gefängnisarbeit reduzieren kann. Die Schwere der Schuld spielt dabei natürlich auch eine Rolle. Durch den gegebenen Präzedenzfall lässt sich diese Möglichkeit jedoch abschließend nicht beurteilen. Nach Ansicht verschiedener Rechtsexperten könnte Fujimori durchaus schon 2024, im Extremfall sogar 2015 freikommen.
Es ist zum Schluss wichtig zu sagen, was die Entscheidung des Gerichts bestimmt hat. Das Gericht weist darauf hin, dass die 29 ermordeten Personen in den Fällen Barrios Altos und La Cantuta keine Verbindung mit den terroristischen Handlungen von Sendero Luminoso hatten. Die Opfer waren keine Mitglieder dieser kriminellen Organisation. Damit erfahren auch ihre Familien eine Rehabilitation, da die Unschuld nunmehr belegt ist.
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Bibliographie:
– Urteil N° A. V 19-2001(Sala Penal Especial de la Corte Suprema de la República)
– La República (08.04.2009)
http://www.larepublica.pe/sentencia-fujimori/08/04/2009/justicia-que-alivia-el-dolor
– La República (10.04.2009)
http://www.larepublica.pe/node/186585/print
– El Comercio (08.04.2009):
http://www.elcomercio.com.pe/impresa/edicion/2009-04-08/ectd080409a2/10
– El Comercio (09.04.2009):
http://www.elcomercio.com.pe/impresa/notas/figura-juridica-que-fue-clave/20090409/270982
http://www.elcomercio.com.pe/impresa/notas/que-otras-vias-legales-le-restan-al-acusado/20090409/270968
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Bildquellen: [1] US Institute of Peace, Public Domain; [2] Organization of American States, Roberto Ribeiro