Das peruanische Volk schaut viel und gerne fern. Aber im Moment interessiert es sich nicht nur für die unzähligen Telenovelas oder die bunten, lauten Unterhaltungsshows. Fast täglich ist nämlich ein neues Video aus der großen Sammlung von Vladimiro Montesinos zu sehen. Abgeordnete, Geschäftsleute, frühere Mitglieder der Exekutive, Angehörige der Justiz, der Wahlbehörden oder der Streitkräfte spielen darin die Hauptrollen. Sie alle ließen sich vom ehemaligen Präsidentenberater Montesinos bestechen, kaufen und manipulieren. Jedes dieser Videos scheint zu bestätigen, daß der ehemalige Vertraute des seit November 2000 zurückgetretenen Präsidenten Fujimori die eigentliche Macht im Staate Peru verkörperte. Ein Video war es auch, das die zehnjährige Amtszeit von Fujimori im Herbst letzten Jahres plötzlich beendete: Es zeigte Geheimdienstchef Montesinos beim Bestechungsversuch eines Oppositionellen während des Wahlkampfes im vergangenen Frühjahr. Diese Wahl konnte Fujimori für sich entscheiden, aber es war offensichtlich, dass ihm das nur durch Betrug gelang. Montesinos tauchte daraufhin zunächst im mexikanischen Exil unter und Fujimori, Sohn japanischer Einwanderer, floh nach Japan. Inzwischen hat das oberste Gericht in Peru gegen ihn Anklage wegen Pflichtversäumnis erhoben.
Vor zehn Jahren hatte Fujimori die Wahl mit dem Versprechen gewonnen, die Wirtschaft ohne finanzielle Einbußen für die Bevölkerung anzukurbeln und den Kampf gegen die Guerillaorganisation Sendero Luminoso zu führen und zu gewinnen. Sein neoliberales Wirtschaftskonzept ging in die Annalen der peruanischen Geschichte allerdings als „Fuji-Schock“ ein. Spätestens 1992 war es vorbei mit der demokratischen Erneuerung. Fujimori löste das Parlament infolge seines Selbstputsches auf und regierte auf das Militär gestützt. Die im Zuge der Terroristenverfolgung vom Militär begangenen Folterungen, Morde und das Verschwindenlassen von unliebsamen Personen sind bis heute nicht aufgeklärt und wurden strafrechtlich nicht verfolgt. 30.000 Menschenleben, 15.000 Verschwundene und 600.000 Flüchtlinge hat die Befriedung des Landes gekostet. Nun ist Großreinemachen im Lande Peru angesagt. Es gilt zu klären, wohin die 9.2 Milliarden Dollar verschwunden sind, die Fujimori aus der von der Weltbank begrüßten Privatisierung von Staatsbetrieben erwirtschaftet hat.
Am 8. April fanden Neuwahlen statt. Von 17 Kandidaten waren nur acht im Rennen geblieben. Man rechnet damit, daß nur drei das Finale im April bestreiten würden. „Schuld“ daran waren die Videos von Montesinos, die immer mehr Kandidaten zu Fall bringen. Stimmen tauchten auf, daß die Videoshow an eine Hexenjagd erinnere, aber integere politische Persönlichkeiten und manche Kandidaten forderten, daß noch vor dem Urnengang alle sichergestellten Videos öffentlich gezeigt werden. Schließlich habe die Öffentlichkeit ein Recht darauf, zu erfahren, hinter welchen Namen auf den Wahllisten sich „Montesinistas“ verstecken.
Für die Wahl am 8. April galten Lourdes Flores Nano und Alejandro Toledo als aussichtsreichste Bewerber. Letzterer ist von der Partei Peru Posible. Der Wirtschaftswissenschaftler hätte sich bei der Wahl im letzten Jahr fast gegen Fujimori durchgesetzt. Er findet vor allem bei den Armen und bei Männern Unterstützung. Viele Indios empfinden den Politiker mit den indianischen Gesichtszügen als einen der ihren, und seine Versprechen von Arbeitsplätzen und höheren Löhnen finden offene Ohren.
Lourdes Flores Nano gilt als ausdauernde Kämpferin für die Demokratie Perus. Die 41jährige Juristin ist seit 1990 Mitglied des Parlaments. Populär wurde sie mit der Verteidigung jener Verfassungsrichter, die wegen ihrer Opposition gegen die dritte Kandidatur Fujimoris 1995 von Fujimori abgesetzt worden waren. Sie engagierte sich auch in einer Bürgerbewegung, die Unterschriften für ein Referendum gegen Fujimori sammelte. Vorgeworfen wird ihr allerdings, daß sie sich im letzten Herbst für das Weiterbestehen der Fujimori-Regierung bis zu den Neuwahlen einsetzte. Sie vertritt ein orthodox-liberales Wirtschaftskonzept und rückt außerdem die enorme Armut, die Arbeitslosigkeit und die großen sozialen Probleme Perus in den Vordergrund ihres Wahlkampfs. Unidad Nacional ist der Name der Parteienallianz, unter der sie im April als Präsidentschaftskandidatin antritt.
Als dritter Kandidat war der heute 51jährige ehemalige Präsident Alan Garcia Perez dabei. Er war nach neun Jahren Exil vor kurzem nach Peru zurückgekehrt und wurde von seinen Anhängern mit Sprechchören begeistert empfangen. Allerdings hatte unter seiner Regierung von 1985 bis 1990 die Inflation einen Spitzenwert von 7.600 Prozent erreicht, der Aufstand von Sendero Luminoso hatte seinen Höhepunkt und er galt als korrupt. Seine Amtszeit begann er mit einem Beliebtheitsgrad von 96 Prozent, er endete bei sechs Prozent, tiefer als Fujimori je fiel. Er floh damals nach Frankreich – mit ausreichend Geld im Gepäck. Über dem ganzen Wahlkampf schwebte das Damoklesschwert der Videos von Montesinos. Es hieß, Montesinos besitze über jeden, der im Land etwas bedeute, kompromittierendes Material. Am Ende hat Alejandro Toledo nicht nur die erste Runde der Präsidentenwahl in Peru gewonnen, sondern im zweiten Wahlgang Ende Mai auch die absolute Mehrheit errungen. Perus 14,9 Millionen Wahlberechtigte hatten sich damit in der Stichwahl gegen Ex-Präsident Alan Garcia, der im ersten Wahlgang immerhin 26,2 Prozent erhalten hatte, entscheiden. E. Lourdes Flores erreichte dort nur 23,6 Prozent.